„Wenn wir dem Boden seine kostbaren Schätze entnehmen, provozieren wir eine Katastrophe
Kurz vor dem Tag der Reinigung wird es kreuz und quer über den Himmel gesponnene Spinnweben geben,
Eines Tages könnte eine Menge Asche vom Himmel fallen, die das Land zerstören und den Ozean zum kochen bringen wird.“
— Prophezeiungen der Hopi-Indianer
Manchmal tut es gut, sich in der Literatur zu bedienen, wenn die Seele auf Halbmast hängt. Dann kann es den Geist beflügeln, wieder einmal an der Blauen Blume der Romantik zu schnuppern. Eine kräftige Dröhnung Novalis kann Wunder wirken. Wie schrieb Freiherr von Hardenberg, 1772 bis 1801, zum Beispiel in „Die Lehrlinge zu Sais“?
„Wenn man echte Gedichte liest und hört, so fühlt man einen inneren Verstand der Natur sich bewegen, und schwebt, wie der himmlische Leib derselben, in ihr und über ihr zugleich.“
Stimmt. Aber dann fährt er folgendermaßen fort:
„Naturforscher haben die unermessliche Natur zu mannigfaltigen, kleinen gefälligen Naturen zersplittert und gebildet. Unter ihren Händen starb die freundliche Natur, und ließ nur tote, zuckende Reste zurück, dagegen sie vom Dichter, wie durch geistvollen Wein, noch mehr beseelt zum Himmel stieg, jeden Gast willkommen hieß und ihre Schätze frohen Muts verschwendete. Es ist schon viel gewonnen, wenn das Streben, die Natur vollständig zu begreifen, zur Sehnsucht sich veredelt, zur zarten, bescheidenen Sehnsucht, die sich das fremde Wesen gerne gefallen lässt, wenn es nur einst auf vertrauteren Umgang rechnen kann …“
Novalis schrieb diese Zeilen, als Europas Landschaft noch wie ein Paradies anmutete. Er schrieb sie in weiser Voraussicht, denn zu einem vertrauteren Umgang mit der Natur, wie ihn sich der Dichter wünschte, waren die nachfolgenden Generationen bis heute nicht fähig. Angenommen, man hätte den Freiherrn vor zweihundertsiebzehn Jahren tiefgefroren und erweckte ihn jetzt wieder zum Leben — wären wir überhaupt noch in der Lage, uns den Schrecken vorzustellen, der ihn befallen würde?
23 Jahre nach Novalis Tod schrieb Heinrich Heine seinen Bericht „Die Harzreise“. Heine war als Student von Göttingen durch den Harz über den Brocken bis nach Ilsenburg gewandert. Und zeigte sich zutiefst beeindruckt von der Schönheit der Natur. Wenn man diese Strecke heute noch einmal in Angriff nehmen würde, müsste man sich durch eine von Straßen zerfurchte, mit Baumärkten, Tankstellen und Strommasten bespickte Landschaft kämpfen, die in ihren Rudimenten allenfalls noch erahnen lässt, was Heine in Verzückung geraten ließ.
„Die Natur ist ein unendlich geteilter Gott.“ Diese Worte stammen von Friedrich Schiller, einem Zeitgenossen des Freiherrn von Hardenberg. Wer diese Worte versteht, wer sie verinnerlicht und infolgedessen Respekt und Ehrfurcht vor dem Mysterium der Schöpfung entwickelt, kann angesichts unserer Barbarei die Wut und Verzweiflung, die in ihm zu brennen beginnt, nur noch schwer zügeln.
Mir wird ja immer wieder unterstellt, dass ich zu depressiv sei und den Leuten jegliche Hoffnung nehme. Welche Hoffnung ist gemeint? Die Hoffnung, dass es immer so weiter gehen möge wie bisher? Keine Angst, das wird es wohl. Denn es mangelt uns an spirituellem Bewusstsein, das dringend erforderlich wäre, um dem Wahnsinn, der direkt in den Ökozid führt, noch Einhalt zu gebieten.
Der Psychotherapeut Stanislav Grof benennt die Ursachen dafür:
„Alle Erfahrungen geänderter Bewusstseinszustände werden ganz automatisch als psychotisch bezeichnet und in den meisten Fällen mit unterdrückender Pharmakotherapie behandelt. Wir haben praktisch die gesamte spirituelle Geschichte der Menschheit pathologisiert. Dabei begannen alle großen Religionen mit visionären Erfahrungen, mit transpersonalen Erfahrungen. Aber in der Psychiatrie werden diese Erfahrungen als schizophrene oder psychotische Erfahrungen beschrieben.“
Der US-amerikanische Umweltaktivist und Autor Derrick Jensen („Endgame“) bringt es auf den Punkt: „Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass unsere Zivilisation nur Wälder kahl schlägt,“ schreibt er, „sie tut dasselbe mit unserer Psyche. Es wäre verfehlt zu glauben, dass sie nur Flüsse mit Dämmen verbaut. Sie errichtet auch in uns Dämme. Es wäre verfehlt, dass sie nur in den Meeren tote Zonen erzeugt. Sie schafft tote Zonen in unseren Herzen und in unseren Köpfen. Es wäre verfehlt zu glauben, sie würde nur Habitate zerstückeln. Auch wir werden zerstückelt, zertrennt, zerfetzt, zerrissen und zermalmt.“ Und er fährt fort:
„ Zu viele Menschen glauben, dass Psychopathen im Wesentlichen Killer oder Zuchthäusler seien. Die allgemeine Öffentlichkeit hat nicht gelernt, die sozialen Stereotype zu durchschauen, und kapiert nicht, dass Unternehmer, Politiker, Konzernchefs und andere erfolgreiche Persönlichkeiten, die möglicherweise ein Gefängnis nie von innen zu sehen bekommen, Psychopathen sein können.“
Wir werden von Wahnsinnigen regiert, meinte einst John Lennon und er fügte hinzu: „Das Verrückte ist nur, dass derjenige, der dies offen ausspricht, Gefahr läuft, im Irrenhaus zu landen“. Wahnsinnig sind in meinen Augen aber auch diejenigen unter uns, die noch immer an die Selbstheilungskräfte eines Systems glauben, das den Raubbau an der Natur bis zum Exzess betreiben wird.
Zur Zeit wächst die Fraktion derer, die den Klimawandel leugnen, ja sprunghaft an, als wollte man sich selbst Absolution erteilen. Solange wir die Tatsachen jedoch leugnen, solange wir nach dem Motto verfahren: „Mein Kind schielt nicht, das soll so gucken!“, anstatt eine radikale Umkehr zu vollziehen, können wir bei künftigen Generationen kaum auf Verständnis hoffen. Sie werden uns als Verbrecher outen und das völlig zu Recht.
„Natürlich ist es von größter Wichtigkeit, Herz und Verstand der Menschen zu ändern,“ sagt Derrick Jensen, „aber ich weiß auch: wenn wir darauf warten, wird ein großer Teil der Welt tot sein“. Bin ich jetzt wieder zu depressiv, wenn ich ihm zustimme? Gut, dann will ich zum Trost den chinesischen Astronauten Taylor Gangjung Wang zitieren, der Folgendes sagte:
„Ein chinesisches Märchen erzählt von einigen Männern, die ausgeschickt wurden, einem jungen Mädchen etwas Böses anzutun. Als sie aber sahen, wie schön es war, waren sie so gerührt, dass sie stattdessen seine Beschützer wurden. Ebenso erging es mir, als ich die Erde zum ersten Male erblickte: Ich konnte sie nur noch lieben und verschonen.“
Also: lasst uns sie lieben und verschonen, auch wenn wir sie noch nicht umrundet haben. Eine solche Sicht würde in der Tat Hoffnung machen, wenn ihr versteht, was ich meine …
Zum Schluss möchte ich aus einem Brief zitieren, der in den sozialen Medien über eine Million Mal aufgerufen wurde:
„Wir machen euch Angst, weil wir nicht in eure Schemata passen, weil das, was uns antreibt, nicht Macht oder Geld sind, sondern die Liebe zum Leben selbst, der wilde Drang nach Freiheit und die Wut auf jene, die uns das alles nehmen wollen.“
Diese Worte stammen von einer Aktivistin, die sich Winter nennt und die im Hambacher Forst gegen die Abholzung des Waldes gekämpft hat. Winter lebte in der Baumhaussiedlung Norden zusammen mit ihrer Mitstreiterin „Jazzy“. Gemeinsam hatten sie sich angekettet und waren am 15. September, dem dritten Tag der Räumung, heruntergeholt, festgenommen und in die JVA Ossendorf verbracht worden. Bitte lest diesen Brief. Schöner kann man über unsere Macht und Ohnmacht nicht sprechen.