Die Krise muss wirklich dramatisch sein, wenn schon Ökonomen einen Wohlstand fordern, der nicht auf Wachstum basiert. Doch genau dies tut Tim Jackson in seinem Buch „Wohlstand ohne Wachstum“. Dieses veröffentlichte er im Jahre 2009 und damit unmittelbar nach dem letzten Finanzcrash. Zutreffend analysiert der Naturwissenschaftler und Professor of Sustainable Development am Centre for Environment und Sustainabilitiy an der Universität von Surrey und Direktor eines interdiszipinären, multi-industriellen Forschungskonsortiums mit dem Namen „Centre for the Understanding of Sustainable Prosperty“, CUSP, darin, dass das derzeitige Gesellschaftssystem sich an vollkommen falschen Werten orientiert.
So wird wachsender Wohlstand alleine als Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Dieses gibt für jedes Land die Steigerung aller in einem Jahr umgesetzten Leistungen und Waren an. Dabei bedeutet eine Wertsteigerung jedoch nicht, dass es allen besser geht, im Gegenteil. Die Wohlstandskluft wächst mit jedem Jahr, während die wenigen Reichen immer reicher werden, gibt es immer mehr Arme auf der Welt, und auch die Geschwindigkeit, mit der Menschen aus absoluter Armut befreit werden, hat sich schon 2009, als das Buch erschienen ist, halbiert. Von absoluter Armut spricht man, wenn ein Mensch von weniger als einem Dollar am Tag leben muss.
Gleichzeitig stößt das System immer offenkundiger an seine Grenzen. Diese sind einerseits die Rohstoffe wie „strategische Mineralien“ und Erdöl, deren Fördermenge bereits abnimmt, andererseits die ökologischen Grenzen wie der Klimawandel und die Erschöpfung der Ökosysteme.
Um den Klimawandel noch einzudämmen, muss die Menge des CO2-Ausstoßes zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2050 auf 1000 Milliarden Tonnen gedeckelt werden, um so die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 ppm zu begrenzen. Von diesen 1000 Milliarden Tonnen war jedoch bis 2009, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schrift, schon ein Drittel in die Atmosphäre entlassen und seitdem hat der Verbrauch kaum ab-, sondern eher zugenommen.
Doch die Gesellschaft hält unbeirrt am Wachstumswahn fest. Dabei müsste eine Wirtschaft, welche die erwarteten 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050 versorgen möchte, gegenüber der Wirtschaft von 1950 75-mal größer sein. Dies wäre ein Wachstum, das in der Geschichte beispiellos ist und den Planeten vollkommen erschöpfen würde.
Zudem wurde die Krise von 2008 gerade durch die Mechanismen ausgelöst, die Wachstum stimulieren sollten. Damit ging das System an sich selbst zugrunde, welches Jackson als ein „System strukturierter Verantwortungslosigkeit“ bezeichnet.
Doch der ökologische Schaden, den die Wirtschaft verursacht hat, ist mindestens ebenso brisant wie der finanzielle. Die Ressourcenknappheit lässt sich nicht mehr rückgängig machen, und so muss jede Maßnahme, die den Status Quo wiederherstellen soll, notwendigerweise scheitern. Doch genau das ist es, was die Verantwortlichen seit 2008 versuchen und was ihnen bis heute noch nicht richtig gelungen ist.
Dabei ist Wohlstand viel mehr, als die Befriedigung materieller Bedürfnisse. Natürlich hat er eine materielle Komponente, denn es kann in einem Land schwer von Wohlstand die Rede sein, wenn Menschen hungern oder kein Dach über dem Kopf haben. Aber ungebremstes Wachstum, hemmungsloser Konsum, alles das macht die Menschen nicht glücklicher, sondern im Gegenteil, wie Jackson zeigt, sind gerade die Menschen in den industrialisierten Ländern unglücklicher.
Gefangen im Wettbewerb
Das liegt daran, dass sie in einem Statuswettbewerb gefangen sind. Materielle Güter sind in der Konsumgesellschaft mit Bedeutung aufgeladen. Sie repräsentieren einen Status, der über die Position jedes Einzelnen in der Gesellschaft und über seine Anerkennung bestimmt. Über materielle Güter versucht der Mensch somit seinen Platz in der Gesellschaft zu erobern. Doch in einer Welt der beständigen Produktion von Neuheiten, ist er daher auch gezwungen, mit diesen Schritt zu halten, um seinen Platz zu behaupten, eine Logik, die dem System ein unglaubliches Wachstum beschert, andererseits aber auch unsere Umwelt zerstört.
Ein Zusammenhang zwischen Wachstum und subjektivem Glücksempfinden existiert daher nicht. Im Gegenteil: Gerade in den am stärksten wachsenden ungleichen Gesellschaften sind die Kriminalitätsrate, die Zahl der Teenagerschwangerschaften und Fettleibigkeit am höchsten.
Gleichzeitig nehmen das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaft ab und die Vereinzelung zu. Diese Länder befinden sich also in einer „sozialen Rezession“. Alle diese Aspekte sind in Gesellschaften, in denen die Einzelnen auf etwa gleichem Standard leben, ins Gegenteil verkehrt. Die Kriminalität ist geringer, weniger Teenager werden schwanger und weniger Menschen sind fettleibig. Zudem fühlen sich die Menschen zu einer solchen Gesellschaft eher zugehörig.
Jackson spricht sich für eine neue Definition von Wohlstand aus. Für ihn ist Wohlstand die Erfüllung von Funktionsbedürfnissen, etwa einer sinnvollen Arbeit, gesellschaftliche Teilhabe, die Entfaltung des Selbst. Diese Chancen auf Selbstverwirklichung können jedoch nicht in einer Welt der begrenzten Ressourcen und der wachsenden Weltbevölkerung realisiert werden.
Wirtschaftlicher Wandel
Für eine solche Gesellschaft sind drastische Schritte notwendig. Doch diese Notwendigkeit weisen viele Ökonomen ab. Sie verweisen darauf, dass sich das Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und Emissionen entkoppeln muss, und behaupten, dann sei ungebremstes Wachstum möglich.
Dem widerspricht Jackson. Für seine Begründung nimmt er eine Zweiteilung vor. Er unterscheidet zwischen relativer und absoluter Entkopplung. Relative Entkopplung bedeutet, dass das Wachstum bei sinkendem Materialverbrauch und sinkenden Emissionen weitergeht. Dies bedeutet im Grunde, dass man mit Weniger Mehr machen kann. Diese Entkopplung, die man auch unter dem Begriff Effizienzgewinn kennt, stößt aber notwendigerweise an ihre physikalischen Grenzen. Dann bedeutet jedes Mehr an Wachstum auch ein Mehr an Umweltzerstörung.
Für absolute Entkopplung, also ein Wachstum, das vollkommen ohne Steigerung des materiellen Verbrauchs auskommt, fehlt jedoch jedes Beispiel. Dabei wäre gerade diese Entkopplung notwendig, um ein auf Wachstum basierendes System umweltfreundlich zu organisieren.
Auch sehen sich Unternehmen zu ständiger Kostensenkung gezwungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch das alleine genügt nicht. Es muss darüber hinaus eine ständige Nachfrage erzeugt werden. Dieser Mechanismus führt zu kurzlebigen Produkten und ständig wechselnden Kollektionen und hat damit die moderne Wegwerfgesellschaft begründet. Wachstum und Umweltschutz sind daher nicht miteinander vereinbar.
Zur Lösung schlägt Jackson die Entwicklung einer ökologischen Makroökonomie vor. In dieser muss die Arbeitsproduktivität nicht ständig erhöht, sondern Arbeit geteilt werden. Gleichzeitig muss die Wachstumsrate gezielt gesenkt werden, ohne jedoch die Stabilität zu gefährden.
Dazu müssen Investitionen in nachhaltige Wirtschaftszweige und öffentliche Infrastruktur gelenkt werden. Auch schlägt er die Einführung grüner Wertpapiere vor, die dann erst über einen längeren Zeitraum weniger Dividenden abwerfen, dafür aber bei der Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftszweige helfen sollen. Gleichzeitig muss die Rolle des Konsums zugunsten der Investitionen an Bedeutung verlieren.
Gesellschaftlicher Wandel
Doch auch die Gesellschaft an sich muss sich wandeln. Derzeit sind die Menschen in einem pathologischen System gefangen. Die bestehenden gesellschaftlichen Zwänge und die Konsumlogik müssen überwunden werden, wenn wir eine nachhaltige Gesellschaft aufbauen wollen.
Schon heute erkennen immer mehr Menschen, dass ständiger Konsum sie nicht glücklich macht. Sie sehnen sich daher nach einer anderen Gesellschaft und bauen diese teilweise schon auf. Dies sind jedoch kleine Gemeinschaften, die bisher nur am Rande der Gesellschaft existieren, und immer wieder in Konflikt mit den Zwängen des Systems geraten.
So, wie sich die Werte jedes Einzelnen auf die Gesellschaft auswirken, wirken sich auch die Werte der Gesellschaft auf jeden Einzelnen aus. Daher verstärken sich Dynamiken, wie es die Konsumlogik über einen langen Zeitraum getan hat. Dies lässt sich jedoch auch für den umgekehrten Effekt nutzen.
Auch Regierungen beeinflussen die Gesellschaft. Im Moment geht diese Beeinflussung noch in Richtung Konsumismus und Individualismus, da diese die Wirtschaft fördern, deren Wohlergehen die Regierungen einzig im Blick haben. Dies muss sich jedoch ändern. Jackson spricht sich für eine starke Führung aus, die der Gesellschaft den Weg weisen soll.
Diese muss die staatlichen Strukturen so ändern, dass innerhalb der Gesellschaft materialistische Wertvorstellungen abnehmen. Dies wird jedoch nicht passieren, solange Stabilität an das Wirtschaftswachstum gekoppelt ist. Dennoch lehnt Jackson eine Revolution ab, sondern plädiert für einen gesellschaftlichen Wandel.
Dazu müssen die Grenzen des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen nicht nur festgelegt, sondern auch strikt eingehalten werden. Weiterhin bedarf es der Steuerreformen für Nachhaltigkeit, also einer Besteuerung des die Ökologie schädigenden Verhaltens. Zudem muss der ökologische Wandel in Entwicklungsländern unterstützt werden. Auch fordert er, das derzeitige Wirtschaftssystem zu reparieren und eine ökologische Makroökonomie zu entwickeln, die er selbst jedoch noch nicht kennt.
Darüber hinaus möchte er die Finanzmärkte stabilisieren und das BIP durch eine Einheit ersetzen, die die Bedürfnisse des Menschen mehr im Blick hat. Zudem will er die Arbeitszeiten senken, was dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zugute kommen soll und die systemimmanente Ungleichheit bekämpfen, unter anderem durch Investitionen in Bildungschancen.
Statt des Wirtschaftswachstums soll das Gedeihen und die Verwirklichung jedes Menschen berechnet werden. Mit weiteren Maßnahmen möchte er das Sozialkapital stärken und die Kultur des Konsumismus überwinden.
Jackson definiert Wohlstand als die Fähigkeit des Menschen, innerhalb der ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten zu gedeihen. Der Erfolg eines solchen gesellschaftlichen Umbaus hängt aber entscheidend vom Aufbau glaubwürdiger Alternativen ab.
So richtig und überzeugend Jacksons Analyse ist, so wenig kann er sich von dem System aus Investitionen, Dividenden und Lohnarbeit lösen. Dass er weiterhin an solchen Faktoren festhält und nur fordert, sie „grüner“ zu machen, liegt wohl an seiner Verwurzelung in der Zunft der Ökonomen, die versuchen, eine neue Gesellschaft irgendwelchen neuen Gesetzen und Regeln einer Wirtschaft zu unterwerfen.
So fragt sich Jackson auch, wie eine Marktwirtschaft aussehen soll, die am Ende des Jahrhunderts CO2 aus der Atmosphäre entfernen muss. Damit begrenzt er seine Vorstellungskraft aber auch Lösungen, die im gegebenen System „machbar“, also profitabel sind. Die Vorstellung, Dinge ganz unabhängig von Wirtschaftlichkeit umzusetzen, weil sie notwendig sind, ist ihm ebenso fremd wie jedem anderen Ökonomen. Damit sind seine Lösungsansätze aber alles andere als überzeugend, denn sie bewegen sich wieder einmal nur innerhalb der Logik eines Systems, denen sie genügen müssen. Dass dieses System künstlich von Menschen erschaffen wurde und daher auch überwunden werden kann und sogar muss, diese Idee kommt ihm nicht.
Tim Jackson tappt damit in dieselbe Falle, wie alle Politiker und Ökonomen, die händeringend nach Lösungen in einem System suchen, das diese Lösungen nicht bieten kann. Er spricht sich damit für eine Fortsetzung des Kapitalismus mit anderen Mitteln aus. Von der Unterdrückung durch Lohnarbeit, dem Handel oder der Logik der Investitionen sowie der Wertpapiere kann er sich nicht lösen.
Auch sind viele seiner Lösungsansätze kaum mehr als Wunschvorstellungen. Für die meisten hat er nicht einmal ein Konzept, sondern verweist darauf, dass sie „entwickelt werden“ müssen, und hofft auf eine junge Generation intelligenter Ökonomen. Diese aber bewegen sich vollständig im herrschenden System und suchen hauptsächlich nach einer Möglichkeit, möglichst viel Geld zu verdienen. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass sein Buch schon 2009 erschien und sich seitdem nichts zum Besseren geändert hat, sondern sich Emissionen, Ressourcenverbrauch und Klimawandel nur verschärft haben, dann wird deutlich, dass sein Ansatz kaum jemals umgesetzt wird.
Seine Hoffnung auf eine starke Führung hat sich mittlerweile in vielen Ländern erfüllt, wenngleich wohl nicht so, wie er es sich erhofft hat. Doch zeigt dies, dass solche „Führer“ ihre Macht zu allem missbrauchen, außer zum Erhalt der Umwelt. Im Gegenteil, eine starke Führung unterstützt eher die wirtschaftliche Oligarchie, statt sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.
Auch versucht er, das Glück und Wohlbefinden der Menschen wieder nur durch Messinstrumente in Zahlen und Daten zu gießen. Wann immer menschliche Bedürfnisse oder Menschen in Zahlen und Daten erfasst werden, hinter denen die Menschen an sich dann verschwinden, kommt es allerdings zu Problemen. So sind wir, laut Datenlage, heutzutage nahe an der Vollbeschäftigung, und dennoch versinken hierzulande immer mehr Menschen in Armut. Zahlen, Daten, Messinstrumente sind nicht dazu in der Lage, Glück und Wohlbefinden des Einzelnen zu erfassen.
Doch wenn seine Lösungsvorschläge auch wenig hilfreich und der Situation unangemessen sind, so verdeutlicht seine Analyse immerhin, wie dringend wir einen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wandel brauchen.