Andrea Drescher: Siehst du dich als Friedenaktivist?
Christian Frantal: Indirekt ja. Ich gehe das eher subtil an. Ich glaube, wenn man für sich einen autarken Platz gefunden hat, bedeutet das Frieden. Ich muss niemandem etwas wegnehmen, um etwas zu haben. Mir liegt viel an der Natur. Ich war schon 1984 mit 17 in Hainburg bei der Au-Besetzung dabei. Das war die Geburtsstunde der Grünen in Österreich. Heute will ich aber nicht nur politische Parolen schwingen, sondern über positive Themen Prozesse anstoßen, bei denen die Menschen die Geschwindigkeit der eigenen Veränderung selbst bestimmen.
Was heißt denn „positive“ Themen?
Mir geht es um Autarkie in allen Bereichen. Selbstbestimmt sein. Weniger zu besitzen bedeutet niedrigere Fixkosten und, soweit möglich, viel selbst zu tun. Mit meinen Workshops verführe ich Menschen zum Handwerk. Ein Möbelstück selbst gebaut zu haben verändert das Bewusstsein beim Wohnen. Man verliert die Angst vor dem Werkzeug, lernt Kaputtes wieder zu reparieren, was automatisch zur Nachhaltigkeit führt. Ordentliche solide Arbeit, gepaart mit Ästhetik und Schönheit, denn Schönes verliert nicht so schnell an Wert. Darum sind die Wohnwagons, die wir bauen, auch sehr hochwertig und schön. Ich habe sie so konzipiert und konstruiert, dass ich selbst darin leben möchte.
Was sind Wohnwagons?
Ein Wohnwagon ist ein kleines fahrendes mobiles Massivholzhaus, eine „mobile Immobilie“ aus hochwertigen nachwachsenden, weitestgehend regionalen Rohstoffen mit 15 bis 32 Quadratmetern Wohnfläche. Der Grundgedanke ist ein natürlicher Stoffkreislauf und Autarkie. Ein High-End-Bauwagen sozusagen. Wir fertigen Einzelstücke aus Standardkomponenten in Modulbauweise, der Kunde bestimmt den Ausbau.
Inwiefern ist Kreislaufdenken eingebaut?
Einige Beispiele: Die eingebauten Komposttoiletten erzeugen Terra Preta — also Schwarzerde als Humus für den Garten. Der Wasserverbrauch wird minimiert, es gibt kein dreckiges „Schwarzwasser“, sondern nur „Grauwasser“ aus Dusche und Spüle, dessen Qualität natürlich vom Bewusstsein des Bewohners abhängt. Biologisches Spülmittel ist für die Pflanzenkläranlage kein Problem, das Wasser kann dann wieder zum Gießen verwendet werden. Der Regen speist die Waschmaschine und Dusche, es kann aber auch alles mit Fixanschlüssen extern montiert werden. Mit 3 Kilowatt Peak am Dach und 5 Kilowatt Batterie sorgt Photovoltaik für 80 Prozent Stromautarkie und mehr. In der grauen Jahreszeit hilft ein Stromaggregat oder der Stromanschluss vom Nachbarn. Windkraft gibt es auch als Option. Ein wassergeführter Holz- oder Kochofen sorgt mit 300 Litern Pufferspeicher für Warmwasser und Heizung im Winter. Der Wagen überhitzt aber nicht, einmal einheizen und man hat den ganzen Tag angenehme Temperatur. Durch Holzmassivbau und Schafwolle- beziehungsweise Thermohanf-Isolation bleibt es sehr lange warm und man hat keine Kondenswasserprobleme.
Mit diesen Konzepten haben wir Investoren bei der Gründung der Firma und inzwischen schon 65 stolze Wohnwagon-Besitzer überzeugt, für mehr Nachhaltigkeit im eigenen Leben zu sorgen und haben langfristige Arbeitsplätze geschaffen.
Wie ist die Firma denn entstanden?
Die Wohnwagon GmbH wurde 2013 mithilfe von Crowdfunding ins Leben gerufen. Der erste Wagon wurde über Crowdinvesting finanziert. Inzwischen produzieren wir mit insgesamt 25 Mitarbeitern ein bis zwei Wagons pro Monat. Die Mitgründerin Theresa Steininger ist Geschäftsführerin, ich bin für Entwicklung der Wägen verantwortlich und kümmere mich um die künstlerische Gestaltung der Wohnwagons: Schönheit bleibt mir ein wichtiges Anliegen, da man darüber mit völlig anderen Zielgruppen politisch ins Gespräch kommen kann.
Politisch? Wie meinst du das?
Manche finden den Wagen einfach nur wunderschön, und so kommt man ins Gespräch über Autarkie, ökologisches Bauen und Humusklos. Das sickert dann ein. Sie kaufen sich im Online-Shop vielleicht mal eine Wurmkiste, dann ein paar Bücher und so weiter. Das ist immer ein Prozess, der oft zu mehr Umweltbewusstsein und vor allem zur Reduktion auf das Wesentliche führt. Beim Leben im Wagon muss man sich fragen, was man wirklich braucht und was einen glücklich macht. Alles andere lässt man weg. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was man will und dem, was man braucht. Es geht um qualitativ hochwertige und gleichzeitig nachhaltige Lösungen, die wir auch im Oskar-Magazin, das einmal im Jahr herausgegeben wird, und auf unserer Homepage www.wohnwagon.at vorstellen. Wohnwagon steht für reduziertes, alternatives, ökologisches, nachhaltiges Wohnen ohne Verzicht auf Qualität und ohne Müll.
Stichwort alternatives Wohnen — ihr habt ja auch ein Projekt in Niederösterreich gestartet nicht wahr?
Wir sind mit der Firma vor einem Jahr nach Gutenstein in Niederösterreich gezogen und haben eine Genossenschaft gegründet. Diese hat das Ziel, Immobilien wie den Gutensteiner Hof aus dem Spekulationsmarkt herauszuziehen und zu betreiben. Das ehemalige Gasthaus mit 20 Zimmern wurde vor zwei Jahren geschlossen. Wir wollen das Wirtshaus wieder öffnen, Coworking-Büros schaffen, im Hof verschiedene Veranstaltungen wie Workshops, Kabarett und Kleinkunst organisieren und Raum zur Vernetzung bieten. Einige von uns leben bereits in den alten Gästezimmern. Es wird renoviert und soll ein Projekt gegen die Landflucht der letzten 10 Jahre werden. Auch Cohousing wird schon vorbereitet und im Gemeinschaftsgarten mit Permakultur gab es 2019 die ersten Ernten.
In Gutenstein sind derzeit rund 20 Mitarbeiter, alles ist im Fluss. Wichtig für uns ist es, mit der Gemeinde und den bisherigen Anwohnern einen guten Draht zu finden. Man muss nicht immer alles neu bauen, es geht um Bestandserhaltung durch Sanierung und Belebung.
Ist die Rückkehr aufs Land ein neuer Trend aus deiner Sicht?
Definitiv — und das ist auch logisch. Ich glaube nicht, dass in 20 Jahren 90 Prozent der Menschen in der Stadt leben. Im Gegenteil. Die Menschen wollen Natur, Ruhe und zunehmend mehr selbstbestimmt wohnen und leben. Das ist in der Stadt schwer möglich.
Und dafür braucht es alternative Wohnkonzepte?
Ich denke ja. Neue Wohnkonzepte kommen einer bewussteren Gesellschaft entgegen. Gemeinschaftsprojekte müssen ja nicht gleich eine Kommune oder Sekte sein. Immer mehr Menschen bewerten das Leben neu, abseits von Konsum und Wachstum. 30 Jahre zu buckeln, um eine halbe Million für ein Haus abzuzahlen, ist für viele nicht mehr so attraktiv. Sind die Kinder außer Haus, lebt die — oft geschiedene — Mama auf 300 Quadratmetern — und packt es nicht allein.
In einer Genossenschaft bleibt die Wertschöpfung beim Bewohner, nicht beim Besitzer. Der Vermieter erhält keine Spekulations- und Zinsgewinne, das senkt die Kosten.
So kommt man auf Selbstkostenpreise von 2 bis 4 Euro pro Quadratmeter. Man hat eine Top-Wohnqualität und muss weniger dafür arbeiten. Dank Gemeinschaftsflächen wie Partyraum, Werkstatt, aber auch Wellnessbereich, Atelier und Garten kommt man mit weniger Fläche viel weiter. Niedrige finanzielle Belastungen befreien die Menschen.
In Wien bist du auch aktiv?
Ja — seit 15 Jahren betreibe ich mit einem Verein ein Atelier für Kunst am Bau: Bauen und Wohnen, Planung und Design in einem uralten typischen Wiener Fuhrwerkerhaus, das wir selbst saniert und gestaltet haben. Es gibt zahlreiche 20 bis 30 Quadratmeter große Wohnungen, die wir nach und nach hergerichtet haben. Dann gibt es als Gemeinschaftsräume ein Atelier und die Kellerwerkstatt sowie das Gemeinschaftsbüro und einen Garten. Dort ging es auch mit Wohnwagon los. Alle, die sich einmieten, sind am Nachhaltigkeitsthema dran — auf der gleichen Spur, wenn auch mit unterschiedlichen Zugängen.
Auch hier gibt es Vorträge, Workshops, Events — es ist eine Netzwerkzentrale für alle, die aktiv am Wandel arbeiten. Ob Pioneers of Change, Grüne Wirtschaft Wien, G!LT vom Düringer, diverse Vereine und Künstler — ich stelle den Raum gerne zur Verfügung. Unser Gemeinschaftsgarten ist eine klitzekleine Minilandwirtschaft mitten in der Stadt im 16. Bezirk Wiens. Wir haben Wein, Kürbis, Paradeiser und Küchenkräuter — und sogar Bienen. Es ist ein selbsterhaltendes Projekt, ein kreativer Platz, um konzentriert zu arbeiten, aber auch zu feiern. Am Anfang hielten mich die Meisten für verrückt, jetzt finden es alle ziemlich cool.
Du bist ein Macher, als Unternehmer aber auch nicht der typische Friedensaktivist?
Ich halte Autarkie an sich schon für friedensstiftend. Ich glaube auch, dass es notwendig ist, unternehmerisch tätig sein, um nachhaltig wirken zu können. Ich kann auf die Lieferanten einwirken und dort etwas bewegen. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass nachhaltiges Denken auch ein Markt ist. Ich unterstütze Vereine, Genossenschaften und andere Gruppierungen. Von der Wurmkiste über Bienenhaltung bis hin zum Möbelbau — alles trägt zur konstruktiven Veränderung in den Köpfen der Menschen bei. Wir streuen Samen, die sich nach und nach entfalten. Praktikanten, die früher bei uns gearbeitet haben, kommen oft später mit eigenen Projekten zurück. Wichtig ist doch, ins Handeln zu kommen, nicht nur zu reden. Bricht das bestehende System zusammen, sind Strukturen wir unsere am ehesten überlebensfähig.
Der Hauptantrieb ist nicht Gewinn. Geld ist zwar ein unverzichtbares Betriebsmittel, aber es geht nicht um Jachten in der Südsee. Glücklich machen mich schöne Musik, gute Gespräche mit Menschen, die was im Kopf oder/und Herzen haben, schöne Feste und interessante Bücher — und natürlich gutes Essen. Dafür brauche ich keinen großen Gewinn. Ich komme mit unter 1.000 Euro im Monat aus. Und das mitten in Wien. Das kann man nicht kaufen, das muss man sich gestalten. Da steckt schon sehr viel Zeit, Liebe und Aufwand drin.
Und viel Disziplin?!
Das ist richtig. Strukturiertes Denken und Arbeiten gehören ebenso dazu wie Kreativität — es braucht die Vision und die konkrete, disziplinierte Umsetzung. Und Sturheit auch. Nachts wird geträumt und am Tag wird gehackelt und der Traum umgesetzt.
Dann weiter viel Spaß beim Hackeln!
Christian Frantal, geboren 1967 in Wien, wo er heute auch wieder lebt. Der (Lebens-)Künstler und Unternehmer hat seine Hobbys Musik und Kunsthandwerk zum Beruf gemacht und ist stolz darauf, dass er mit zwei Händen ein Haus bauen kann.
Wohnwagon-Idyll. Foto: Christian Frantal.