Elisa Gratias: Ich habe deine Musik erst kürzlich entdeckt, als ich dein Konzert auf dem „Pax Terra Musica“-Friedensfestival sah. Ein Lied hat mich dabei besonders berührt und ich höre es seitdem „rauf und runter“: Es heißt „Panazee“ und ist schon zwei Jahre alt, hat im Vergleich zu anderen deiner Songs aber eher weniger Klicks. Das müssen wir ändern, denn es enthält wichtige Botschaften, gerade für die Jugend.
Aber erst einmal, wie kamst du auf den Namen „Panazee“?
Kilez More: Danke für die positive Resonanz. Wenn ich Menschen mit meiner Musik berühren kann und merke, dass sie in ihnen etwas auslöst, dann ist das genau das, was ich mit solchen Songs bewirken möchte.
Mein letztes Album trägt den Titel „Alchemist“ und handelt unter anderem von einer Kunstfigur, die sich den Schatten dieser Welt entgegenstellt. Das passiert aber nicht mit Gewalt, sondern mit einem Virus, der sich durch die Musik verbreitet. Er lässt die Menschen hinter die Masken und Fassaden blicken, die sie täuschen und zeigt ihnen die Welt, wie sie wirklich ist.
Ja, das mag oft trist, kalt und nicht gerade schön sein. Doch es ist auch ungefiltert und ehrlich. Doch vor allem räumt es mit einem weit verbreiteten Mythos auf: Du bist machtlos.
Wenn man heute von Alchemisten hört, dann denken die meisten, diese hätten nur versucht Gold herzustellen. Dabei war die Alchemie nie nur eine Suche nach Reichtum. Den Alchemisten ging es immer darum, das „Panazee“ zu finden ... das Heilmittel für alles. Nicht nur gegen Schmerzen oder Krankheiten, wie die heutige Medizin, sondern auch ein Heilmittel für die Welt, für den Menschen, das Innen und Außen, das Große wie das Kleine.
Und was ist das Heilmittel für das Übel der Welt? Das sind wir.
Wir haben es in der Hand, wie diese Welt aussieht, denn es sind wir alle, die diese Welt gestalten. Auch wenn das kein Geheimnis ist, so ist es heute doch wie vergessen. Man redet uns ein, wir seien zu klein, zu schwach, zu verloren — doch das Gegenteil ist der Fall.
Wir gestalten. Wir erschaffen. Wir handeln. Auch wenn wir oft von äußerlichen Einflüssen in bestimmte Richtungen gedrängt werden, so sind es am Ende immer wir und unsere Entscheidungen, die die Geschicke der Welt lenken. Wenn wir die Welt und die Menschheit retten wollen, dann hilft nur das Panazee: wir.
In mir löst der Text ein unglaubliches Gefühl von Selbstwirksamkeit und innerer Stärke aus:
„Wir sind Staatsfeind seit Tag Eins
Seit dem ersten Moment auf dieser Welt unsres menschlichen Daseins
Denn wir kamen rein, Hass und Angstfrei“,
„(…) glaub den Mächtigen nicht
Sie wollen verhindern, dass du erkennst, wie mächtig du bist
Wodurch das System Diaboli machtlos wird
Also hab keine Angst, das System hat Angst vor dir
Davor, dass du Potenzial in dir aktivierst
Und es einfach transformierst, denn wir sind dafür hier.“
„Das System ist unmenschlich und bewusstseinsblind
Während wir das unendliche Bewusstsein sind
Unsere Körper sind Gefährte
Und gemeinsam sind wir Schöpfer dieser Erde
Wir haben diese Dinge nur vergessen
Die das wissen, sind die Kinder, doch dann gibt man ihnen Grenzen
Man verhindert ihre Kräfte.“
Der Text verbindet politische Rebellion mit Spiritualität. Würdest du dich als spirituellen Menschen bezeichnen und hältst du die Spiritualität für ein wichtiges Element für die Friedensbewegung, das bisher vielleicht zu sehr vernachlässigt wird?
Allzu oft lassen wir uns von dem Äußeren blenden und denken, dass das alles sei, was es zu erfahren gäbe. Aber wie misst man Liebe? Wie fühlt sich für dich Verbundenheit an? Oder wie empfindet ein Anderer Mitgefühl? Und ist es das gleiche Empfinden wie bei allen Anderen?
Die inneren Ebenen werden leider oft außer Acht gelassen und wir fallen auf die Welt rein, wie sie nicht ist. Denn das Außen spiegelt oft nur unser Inneres wider. Das heißt nicht, dass wir uns nur Frieden vorstellen müssen und er tritt ein — aber wenn wir selbst Frieden leben, wird unsere Welt ein Stück friedlicher.
Ich habe nicht mehr als mein Leben. Alles was ich erfahre, alles was ich tue, ist mein Leben. Wenn ich also mich und meine innere Einstellung ändere, ändert sich dadurch alles. Wenn ich mit einem Lächeln durchs Leben gehe, so wird man mir entgegenlächeln. Wenn ich hasserfüllt bin und misstraue, was erwarte ich dann vom Leben?
Das System hat das schon längst durchschaut. Der Sinn hinter dem ewigen Mantra „Du kannst nichts ändern“ ist nicht, dass man uns faktisch und physisch etwas damit sagen will. Der Sinn ist nur, dass wir daran glauben.
Denn genau das ist es, was für die Systemerhalter gefährlich ist: dass wir erkennen, dass wir nicht machtlos sind. Im Gegenteil. Es waren immer einfache, kleine Menschen, die die Welt aus den Angeln gehoben haben. Und jeder Schritt, jede Tat beginnt in einem Selbst. Dass wir beginnen daran zu glauben, dass wir etwas verändern können, ist der Anfang von einer wirklichen Veränderung.
Eine weitere Textstelle lautet:
„Es sind wir — die die Katastrophe anvisieren
Und es sind wir — die das Utopia kreieren.“
Rubikon-Autor Florian Kirner beschrieb in seinem Artikel „Träumen wir größer“ genau dieses Phänomen: Wir nutzen unsere Kreativität und Schöpferkraft eher dazu, uns den Weltuntergang auszumalen, anstatt uns zu fragen, wie wir uns die Welt überhaupt wünschen. Wir kämpfen eher gegen etwas als für etwas.
Glaubst du, dass die Friedensbewegung deshalb nicht so viel bewirkt, wie sie sich wünscht? Dass sich deshalb so wenige Menschen dazugesellen und miteinander verbinden? Wozu sollen wir denn auf die Straße gehen, wenn eh alles verloren ist, könnten die Gedanken vieler Menschen ihnen zuraunen. Wie stellst du dir das Utopia vor?
Ich glaube, man kann nicht „gut“ handeln, wenn man das „Schlechte“ nicht kennt.
Was ist jemandem vorzuwerfen, der aus einem Primark-Laden mit drei vollen Einkaufstaschen kommt, wenn derjenige gar nicht weiß, dass das ärgster Kinderarbeitsmüll ist? Was kann man einem Kind vorwerfen, das Wurstscheiben isst, die wie ein Teddybär aussehen? Das Kind weiß nicht einmal, dass dafür ein Tier geschlachtet wurde.
Darum steht in meiner Musik auch immer der Gedanke der Aufklärung im Mittelpunkt. Wenn die Menschen nicht wissen, dass eine „Friedensmission“ eigentlich nur ein nettes Wort für Krieg ist, kann ich ihnen nicht vorwerfen, dass sie dafür stimmen.
Natürlich dürfen wir das Positive nicht vergessen. Aber ein Grundproblem unserer Zeit ist eher, dass sich der Krieg im Gewand des Friedens präsentiert. Dass auf Milchpackungen lachende Kühe abgebildet sind. Dass die Lüge als Wahrheit getarnt wird und den Menschen dadurch die Möglichkeit einer wirklich freien Entscheidung genommen wird.
Darum ist es auch so wichtig, dass es Medien wie den Rubikon gibt, die versuchen, der allumfassenden Täuschung ein kleines Gegengewicht entgegenzusetzen. Genauso wie es wichtig ist, dass es Musik wie meine gibt, die den Jugendlichen mehr zeigt als Drogen, nackte Frauen und Geldgeilheit.
Das Utopia ist hier. Direkt vor unserer Nase. Wir müssen nur erkennen, dass wir selbst dieses Utopia gestalten können und uns nicht mehr die Dystopie als bestmögliche Welt verkaufen lassen. Der Planet muss sich nicht ändern, sondern die, die ihn nicht Utopia sein lassen wollen.
In einem Interview mit Ken Jebsen in Ramstein sagst du, du glaubst, dass die Friedensbewegung mehr Leute anziehen kann, wenn sie mehr Lebensfreude verströmt. Du selbst versprühst mit Liedern wie „Panazee“ und mit deiner Art eine extrem positive Energie. Woher nimmst du diese?
Aus dem Leben, denn das Leben ist wunderschön. Mein Antrieb ist nicht, dass meine eigene Welt besser und schöner wird, sondern dass alle anderen Menschen es genauso schön haben können wie ich.
Jeder Tag ist eine neue Chance, genau das zu machen, was man liebt und ich versuche jeden Tag aufs Neue, sie zu nutzen. Auch wenn das nicht jeden Tag möglich ist, so kann man immer etwas Positives aus den Dingen ziehen.
Der Geruch von frischgebrühtem Kaffee am Morgen ... die warmen Sonnenstrahlen, die auf die Haut treffen ... die kullernden Regentropfen, die über den Arm laufen ... Das Leben ist voller Wunder und man kann in jedem Detail etwas entdecken, was einem Freude bereitet.
Und wenn es etwas gibt, was einen daran hindert, dann muss man es ganz einfach ändern. Ich weiß, das ist leichter gesagt, als getan. Das ist auch mit ein Kernthema auf meiner neuen CD: Es gibt immer einen Weg aus dem Dunklen und manchmal hat das Dunkle auch seinen Sinn, der sich oft erst später offenbart. Aber ohne Asche kann kein Phönix emporsteigen.
Fühlst du dich manchmal auch resigniert und hoffnungslos angesichts der Probleme in der Welt? Wenn ja, wie gehst du damit um? Zeigst du dich vor anderen Menschen in deiner Verletzlichkeit oder fällt dir das schwer?
Es gibt bei jedem dunkle Momente, die manchmal sehr lange Momente werden können. Das wird auf der kommenden EP näher behandelt, die erstmals etwas persönlicher und tiefer ins Innen als ins Außen schaut.
Songs wie „Mosaik“ beschreiben diesen inneren Kampf, den wir alle täglich führen. Wir dürfen nur der negativen Seite nicht kampflos das Feld räumen, aber sie gleichzeitig nicht ignorieren.
„Denn selbst der Götterfunke in den Menschen wirft einen Schatten“ lautet eine Zeile aus dem Song, die eben das beschreibt. Es gibt nichts, was nur „Gut“ oder nur „Schlecht“ ist. Jedoch dürfen wir auch in dunklen Momenten das Licht nicht vergessen, genauso wenig wie wir die Schatten vergessen sollten, auch wenn gerade die Sonne strahlt.
Am 13. September 2019 erscheint deine neue EP „Voice of Peace“. Wird sie auch so hoffnungsspendend und motivierend wie dein älterer Song „Panazee“? Was möchtest du damit zum Ausdruck bringen, was in deinen bisherigen Stücken noch nicht zum Ausdruck gekommen ist?
Die EP wird insgesamt persönlicher und offenbart neue Facetten, die man so noch nicht von mir kennt. Sie behält den Kern der Veränderung, aber spielt erstmals auch verstärkt auf dem inneren Schlachtfeld.
Gleichzeitig wirft sie einen kritischen Blick auf die Spaltung der Gesellschaft und liefert eine Antwort, wo ich mich in diesem Kräfteverhältnis sehe. Der Titel „Voice of Peace“ ist nicht zufällig gewählt, sondern knüpft an die Geschichte von Abie Nathan an.
Er war ein Israeli, der mit einem Piratensender vor der Küste Israels vom Meer aus Friedensbotschaften in alle Richtungen gesandt hat. Dabei hatte er weder nur die eine oder nur die andere Seite im Fokus, sondern begriff, dass Frieden nur miteinander und gemeinsam erreicht werden kann. Dabei wurde er von beiden Seiten angefeindet, was eine gewisse Parallele zu meinem Schaffen in sich trägt. Aber das hört ihr ausführlich auf dem letzten Song der EP ...
Danke für das Interview und deine Mut machende Arbeit und Wesensart!
Kilez More ft. Tjorben, „Panazee“
Kilez More ft. Morgaine & Äon, „Wir könnten“, eines der Stücke der neuen EP „The Voice of Peace“, die heute erscheint.