von Kristine Mattis
... Es ist schwer, einen Menschen dazu zu bewegen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen. Upton Sinclair
An meinem letzten Tag als Dozentin für Umweltforschung stellte ich meinen Studenten eine Frage. Ich erzählte zunächst, dass mein Vater während meiner Kindheit eine Zeit lang in der Luftfahrtindustrie gearbeitet habe. „Was hat das mit der Umwelt zu tun?“ fragte ich. Traurigerweise konnten – sogar nach einem ganzen Semester – nur einige wenige meiner Studenten eine Verbindung herstellen.
Der Luftverkehr ist eine der umweltschädlichsten Industrien. Abhängig davon, welche Art von Auto man fährt und wie oft man es benutzt, können ein oder zwei Flüge dieselbe Menge an Kohlendioxidemissionen erzeugen wie ein ganzes Jahr Autofahren. Am Luftverkehr ist überhaupt nichts Nachhaltiges: Weder der Verbrauch fossiler Brennstoffe, noch die benutzten und ausgestoßenen toxischen Substanzen wie Kerosin und Enteisungsmittel und auch nicht all die Einwegprodukte und Einmalverpackungen im Flugzeug und auf dem Flughafen und vieles andere mehr.
Somit stammte – während eines Teils meiner Kindheit – unser Familieneinkommen größtenteils aus einer höchst umweltschädlichen Industrie. Sie hat in hohem Maße zu dem katastrophalen Zustand der Umwelt beigetragen, dem wir uns heute gegenübersehen.
Selbstverständlich ist meine Familie nicht die einzige, deren Einkommen eine Verbindung zur Umweltzerstörung hat. In der Tat könnte man die Ansicht vertreten, dass fast alle amerikanischen Haushalte, besonders die wohlhabendsten, ihr Geld durch die direkte oder indirekte Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt – und oft obendrein durch die Ausbeutung von Menschen – verdienen. So ist zum Beispiel gerade eine Konferenz zum Thema „Friedenstechniken“ zu Ende gegangen. Auf ihr beschwor man die Ingenieure, „Ethik, das soziale Gut sowie die einseitige Ausrichtung und unbeabsichtigten Konsequenzen der von ihnen erschaffenen Technologien“ im Auge zu behalten.
Offensichtlich legt dies nahe, dass Ingenieure normalerweise nicht an die schädlichen ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Tätigkeit denken. Ich brachte dieses Thema aufs Tapet, weil ich meine Studenten dazu bewegen wollte, über die von ihnen erwogenen oder gewählten Karrierepfade nachzudenken und sich dabei der ökologischen Folgen dieser Berufswege bewusst zu bleiben.
An diesem entscheidenden Punkt in der Geschichte tut es Not, dass diese Studentengeneration mutige Schritte unternimmt, damit ihre Arbeitsgebiete nachhaltiger und unnötige, nicht nachhaltige Industriezweige stillgelegt werden. Denn bisher haben wir alle – unserem Einkommen zuliebe – die Warnungen nahezu ausgeblendet, dass wir unseren Ressourcenverbrauch, die Giftmüllproduktion und die Kohlendioxidemissionen drastisch reduzieren müssen. In der Tat gibt es eine Gruppe französischer Studenten, die versucht, genau das zu tun.
Im September veröffentlichten Studenten führender französischer Universitäten ein Manifest mit dem Titel „Wachruf für die Umwelt“. Mit der impliziten Drohung, sich Arbeitsplätzen und Industrien zu verweigern, die nicht radikale Schritte in Richtung Nachhaltigkeit unternehmen, versuchen sie ihre kollektive Macht als zukünftige Arbeitnehmer zu nutzen, um Firmen zu zwingen, Umweltbelange über ökonomische Bilanzen zu stellen. Zum Zeitpunkt dieses Artikels (26.11.2018; Anmerkung der Übersetzerin) haben gut 23.000 Menschen das Manifest unterzeichnet. Darin findet sich die folgende Einsicht:
„Hat es irgendeine Bedeutung, Fahrrad zu fahren, wenn man für eine Firma arbeitet, deren Aktivitäten zur Beschleunigung des Klimawandels oder zum Aufzehren der natürlichen Ressourcen beitragen? Nun, da wir uns dem Moment nähern, in dem wir in die Arbeitswelt eintreten, bemerken wir, dass das System, zu dem wir gehören, uns hin zu Positionen lenkt, die oft unvereinbar mit unseren Erkenntnissen sind. Dieses System hält uns gefangen in täglichen Widersprüchen.“
Sicherlich ist es nicht das erste Mal, dass Studenten die schädlichen Auswirkungen unserer vom Kapitalismus und den Konzernen geprägten Arbeitsplätze auf das Gleichgewicht der Natur und das soziale Wohlergeben zur Kenntnis nehmen. Schon in den vergangenen Generationen gab es Menschen, die versuchten, aus ökologisch und sozial ungerechten Arbeitsverhältnissen auszusteigen. Doch statt als vorausschauend handelnde und besorgte Bürger gesehen zu werden, wurden sie häufig marginalisiert.
Viele Baby-Boomer, die sich weigerten, ökologisch zerstörerische Jobs anzunehmen, wurden für Hippies gehalten.
Die Verweigerer der Generation X nannte man „Faulenzer“. Schließlich gingen die Millennials, die sich aufgrund von ethischen Prinzipien schädlichen Beschäftigungsverhältnissen widersetzten, größtenteils unter all den Arbeitslosen und prekär Beschäftigten unter. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen diesem Manifest französischer Studenten und den individuellen Aktionen vergangener Generationen. Er besteht in der Macht, die aus einer kollektiven Anstrengung zur Veränderung der Umstände entsteht. Handelt es sich um einen Zusammenschluss von Menschen aus der Spitze der Gesellschaft, dann vergrößert sich diese Macht noch.
Und sollte die Erklärung der Studenten vielleicht auch sonst nichts bewirken, so wird sie letztendlich immerhin die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass unsere Sorge um die Umwelt nicht von unseren Berufen entkoppelt werden kann.
Wenn wir uns für Umweltschützer halten, wenn wir uns verpflichten, alles in unserer Macht Stehende gegen die globale ökologische Krise zu tun, können wir unsere Integrität nur bewahren, wenn wir nicht in Branchen arbeiten, die zu genau den Missständen beitragen, die wir doch angeblich beheben wollen. Es ist nicht nur unaufrichtig, die immanenten Widersprüche zwischen unserer Arbeit und unserem ökologischen Wissen zu ignorieren. Es ist glatter Selbstmord, zumal Arbeiten eine Aktivität ist, mit der wir in den westlichen Gesellschaften die meiste Zeit unseres Erwachsenenlebens verbringen.
Während meiner Studienzeit war ich oft ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe tätig. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal in einer Suppenküche Essen ausgab und mit einem Besucher ins Gespräch kam. Er sei Harvard-Absolvent und habe sich bewusst für die Obdachlosigkeit entschieden, erklärte er mir. Auch wenn das wie ein großes Märchen geklungen haben mag, war mein Eindruck, dass er die Wahrheit sagte. Damals war ich wahrscheinlich nicht älter als 19 oder 20. Die zerstörerische Kraft, die der konzerngesteuerte Kapitalismus auf die Gesellschaft und die Umwelt ausübt, hatte ich noch nicht vollständig erfasst.
Dennoch reichten meine Erfahrungen mit der privilegierten Elite an meiner eigenen Universität, um zu verstehen, warum ein Mensch mit einem Gewissen sich dafür entschied, nicht länger Teil eines solchen Systems zu sein. Darüber hinaus schien es mir vollkommen logisch zu sein, dass jemand, der die Harvard-Universität besucht hatte, besser als irgend ein anderer wusste, wie die Wurst gemacht wird und weder bei ihrer Herstellung helfen noch sie essen wollen würde.
Eine prinzipientreue Entscheidung zu treffen, bei der man möglicherweise das eigene Einkommen zugunsten des Gemeinwohls opfert, wird vielen Amerikanern wahrscheinlich schwer zu vermitteln sein. Ich werde nie vergessen, wie ich mich nach meiner Ankunft im College mit den jungen Frauen in meinem Schlafsaal über unsere Wünsche für die bevorstehende Ausbildung austauschte. Eine meiner Zimmergenossinnen erklärte unbekümmert:
„Ich möchte nur reich werden.“
In der Tat: „Folge deinen Träumen“ ist das amerikanische Evangelium. Unbeachtet bleiben die Folgen, die diese Träume für unseren Nächsten oder die Gesellschaft als Ganzes haben könnten. Unbeachtet bleibt auch der narzisstische, pubertäre Charakter dieses Credos.
Es ist umso schwieriger, mit der Idee an die Öffentlichkeit zu gehen, dass ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ein Minimum an Selbst-Reflexion erfordern, da die Menschen mit den mächtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft genau diejenigen sind, die ihren Träumen ohne Rücksicht auf deren Konsequenzen gefolgt sind.
Menschen wie Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates, Elon Musk, die Walton-Familie ebenso wie zahllose Finanziers und Berühmtheiten haben der Umwelt und unserem kollektiven sozio-ökonomischen Wohlergehen wahrscheinlich den größten Schaden zugefügt. Doch sie haben den Verstärker, mit dem sie ihre geistlosen Botschaften persönlicher Ambition und ihre heuchlerischen, oberflächlichen Verpflichtungen zum Gemeinwohl vervielachen und rechtfertigen.
Angesichts der Tatsache, dass wir fast ununterbrochen den Massenmedien und dem Marketing ausgesetzt sind, klingen ihre Botschaften in unseren Köpfen nach. Deshalb wird es äußerst schwierig sein, die Gemeinplätze der amerikanischen Gesellschaft zu durchbrechen, um ökologisch und sozial gerechte Arbeit zu erschaffen.
Vor einigen Monaten unterhielt ich mich auf der Beerdigung meiner Schwiegermutter mit einem ihrer alten Freunde, dessen Enkel gerade die Universität von Wisconsin absolviert hatte, wo zufälligerweise auch ich meinen Hochschulabschluss gemacht hatte.
Der Mann wies darauf hin, dass die Universität einige verrückte „liberale“ Ideen in den Kopf seines Enkels gesetzt hätte. Aber nun, da sein Enkel mit dem „wirklichen“ Leben konfrontiert würde, habe er diese früheren „lächerlichen“ Ideale aufgegeben und eine gute, solide Position im Finanzwesen angenommen.
Genau diese karrieristische Mentalität könnte die Menschheit schon jetzt die Fähigkeit gekostet haben, auf diesem Planeten zu überleben. Bedrohliche ökonomische Umstände sind zweifellos eine harte Realität für eine bedeutende Anzahl junger Menschen, ganz zu schweigen von der Mehrheit der Amerikaner aller Altersklassen.
Hinzu kommen all die anonymen, vergessenen Widerständler, die schon früher den Versuch unternommen haben, aus dem konzerngesteuerten Kapitalismus auszusteigen und ein prinzipientreues, nachhaltiges Leben in einem gänzlich unnachhaltigen System zu führen. Wenn wir uns der Forderung nach „Business as usual“ unterwerfen, stärken wir nur die sich abzeichnende, ökologisch bedrohliche Zukunft für uns alle.
Leider ist für viele von uns die wirkliche Welt immer noch die von uns selbst geschaffene ökonomische Welt und nicht die biologische Welt, der allein wir unsere Entstehung als Menschheit verdanken.
In der jetzigen „wirklichen“ Welt, die gefährdet ist durch den katastrophalen Klimawandel, die Verschmutzung mit Giftmüll und den Verlust der Biodiversität, ist der Mangel an hoch bezahlten Arbeitsplätzen nicht mehr das Haupthindernis für ein langes, erfolgreiches Leben. So mag es während eines ultrakurzen Moments in der Menschheitsgeschichte gewesen sein.
Heute dagegen sollte klar sein, dass das Hindernis für ein gutes, langes, erfolgreiches Leben die Bedrohung des globalen Ökosystems ist. So lange die Grundelemente unseres modernen sozio-ökonomischen Systems – unsere beruflichen Tätigkeiten – sich nicht nach der Realität unserer ökologischen Grenzen richten, wird unserer Spezies keine andere Wahl bleiben als die, sich nach der Realität des Untergangs zu richten.
Kristine Mattis promovierte in Environmental Studies. Als interdisziplinäre Umweltforscherin mit einem Hintergrund in Biologie, Erdsystemwissenschaft und Politik liegt der Schwerpunkt ihrer Forschung auf Umweltrisiko-Information und Wissenschaftskommunikation. Sie arbeitete außerdem als Medizinforscherin, als Wissenschaftsreferentin für den U.S. Congressional Record und als Wissenschafts- und Gesundheitslehrerin. Ihre E-Mail-Adresse lautet: K_mattis@outlook.com
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „[Employment, Ecology, Extinction: French Students Take on the System to Save the Species]” (https://www.counterpunch.org/2018/11/26/employment-ecology-extinction-french-students-take-on-the-system-to-save-the-species/)”. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.