Der Verein Gegen Tierfabriken (VGT) hält am 8. Dezember 2015 um 17:30 Uhr eine kleine Informationskundgebung vor dem Geschäft Turek in der Rotenturmstraße in Wien ab, weil Turek Pelz verkauft.
Es herrscht viel Verkehr in der Vorweihnachtszeit und die sieben anwesenden TierschützerInnen wollen die Menschen über die Grausamkeit des Pelzhandels informieren. Nach späterer übereinstimmender Angabe sämtlicher ZeugInnen vor Gericht verläuft alles ruhig und friedlich, die Eingänge werden freigehalten und es wird nicht geschrien, lediglich gesungen. Die TierschützerInnen haben Weihnachtslieder in Lieder über Tierqual umgetextet.
Besitzer Turek ist zum Zeitpunkt der Demo anderswo, wird aber von seinen Angestellten informiert. Und so ruft er die Innenministerin an. Sie hat ihm versprochen einzugreifen, wenn er sich durch DemonstrantInnen belästigt fühlt. Und jetzt tritt sie in Aktion. Eine Streife wird zum Kundgebungsort geschickt, wobei sich die BeamtInnen später vor Gericht nicht mehr erinnern können, was genau der Auftrag gewesen sei.
Die PolizistInnen verlangen von den DemonstrantInnen schroff die Ausweise. Die Kundgebungsleiterin beschwichtigt, zeigt ihren Ausweis und fragt, ob eh alles in Ordnung ist . Man wolle die Ausweise von allen anwesenden TierschützerInnen sehen, wiederholen die BeamtInnen.
Eine Aktivistin möchte davongehen, die Polizei läuft ihr nach und drängt sie in eine Ecke. Sie zeigt ihren Ausweis, aber sie hat es aus anderen Gründen eilig gehabt, zu einem Termin zu kommen. Nach langem Palaver lassen sich alle DemonstrantInnen einschüchtern und geben ihre Ausweise her. Nur einer nicht.
Die Polizei umringt ihn, sagt, es gebe Ausweispflicht. Die Kundgebungsleiterin ruft einen Anwalt des VGT an. Der erklärt ihr, es gebe keine Ausweispflicht. Die Polizei will aber nicht verhandeln und verschärft das Tempo. Wenn der Aktivist nicht mitkomme, werde er eben mit Gewalt abgeführt. Er setzt sich auf den Boden, klemmt sich in einen Fahrradständer.
Die Polizei zerrt ihn hervor, dreht ihn auf den Bauch und legt ihm Handschellen an. Dann wird der Arrestantenwagen gerufen.
Der gefesselte Tierschützer am Boden fragt lautstark, warum er festgenommen worden sei. Man antwortet ihm nicht. PassantInnen wollen wissen, was der Mann getan habe. Man ignoriert sie. Immer mehr Polizei trifft ein und drängt die Schaulustigen zurück. Schließlich hebt man den Tierschützer hoch und wirft ihn in das wartende Polizeifahrzeug.
Er kommt in eine isolierte Gummizelle. Die BeamtInnen behaupten mittlerweile, er habe sie verletzt und wer BeamtInnen verletze, sei gemeingefährlich und komme nun einmal in derartige Zellen. Dafür seien sie da.
Nach einigen Stunden fragt der Wachebeamte durch das Loch in der Zellentür an, ob der Tierschützer jetzt bereit sei, seine Identität preiszugeben. Mittlerweile mürbe geworden, ist er es. Zwar hat er keinen Ausweis mit, aber er nennt seinen Namen und schließlich kommt ein Bekannter mit seinem Ausweis vorbei. „Na bitte“, sagt man ihm noch, „das hätten Sie auch einfacher haben können.“ Und so setzt man ihn um 3 Uhr früh auf die Straße.
Die DemonstrantInnen, wohlgeübt in zivilgesellschaftlicher Aktivität, haben alles gefilmt, von Anfang bis Ende. Es gibt daher glücklicherweise keinen Freiraum für Falschdarstellungen durch die Behörde. Der VGT bringt eine Maßnahmenbeschwerde ein. Das Verwaltungsgericht Wien hat darüber zu entscheiden, ob diese Zwangsmaßnahme der Polizei rechtswidrig war.
Die PolizistInnen werden als ZeugInnen geladen, verweigern aber durchweg die Aussage. Doch die Filme sind Beweis genug. Das Gericht stellt unzweifelhaft fest: Sowohl die Aufforderung zur Identitätsfeststellung als auch die physische Zwangsmaßnahme waren rechtswidrig.
Allerdings gibt es keine Konsequenz für die TäterInnen. Im Gegenteil, das Opfer wird belangt. Die Polizei zeigt den festgenommenen Tierschützer wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt an, schickt ihm darüber hinaus einen Strafbescheid über € 200 wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und ungebührlichen Lärms und eröffnet zwei zivilrechtliche Verfahren, einmal auf Unterlassung bezüglich der Berichterstattung über den Vorfall auf der VGT-Webseite („brachiale Polizeigewalt“) und einmal auf Schmerzensgeld, weil eine der Beamtinnen behauptet, sie sei 11 Tage lang im Krankenstand gewesen, da ihr nach der Festnahme des Tierschützers das Knie wehgetan habe.
Der VGT bringt im Gegenzug eine Anzeige gegen die PolizistInnen wegen Amtsmissbrauchs ein. Die Staatsanwaltschaft stellt dieses Verfahren aber sofort ein, bevor es noch begonnen hat, weil „kein Anfangsverdacht“ vorliege. Die zuständige Staatsanwältin schreibt dazu wörtlich:
„Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar.“*
Dagegen klagt sie den Tierschützer aber tatsächlich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt an. Die PolizistInnen machen im Prozess klare Falschaussagen, doch das Straflandesgericht spricht den Tierschützer frei, nachdem es die Filme seiner Festnahme gesehen hat. Eine Anzeige wegen falscher Aussage vor Gericht gegen die PolizeibeamtInnen wird ebenfalls von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil „kein Anfangsverdacht“ bestehe.
Der VGT fordert vom Staat Schadensersatz für die rechtswidrige Misshandlung des Tierschützers. Ein ärztliches Attest des Allgemeinen Krankenhauses bestätigt die Verletzungen. Aber sowohl das Innen- als auch das Justizministerium winken ab. Beide bezeichnen trotz klarer Verurteilung durch das Verwaltungsgericht das polizeiliche Vorgehen als „vertretbar“.
Der nächste Prozess gegen den Tierschützer fand heute wieder vor dem Verwaltungsgericht Wien statt: Es handelte sich um die Berufung gegen die Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien. Aber genau diese Landespolizeidirektion wurde ja bereits wegen rechtswidrigen Vorgehens gegen den Tierschützer verurteilt. Der verurteilte Täter brummt dem Opfer also € 200 Geldstrafe auf.
Doch die Berufungsrichterin zeigt sich durch derlei unbeeindruckt. Zwar wird der Tierschützer hinsichtlich des Anklagepunktes der Erregung öffentlichen Ärgernisses freigesprochen, aber dann doch wegen ungebührlicher Lärmerregung verurteilt – zu einer Strafe von € 130.
In der Begründung heißt es, dass er zwar das Recht gehabt habe, zu erfahren, warum er festgenommen worden ist, er habe aber viel zu laut nach dem Grund gefragt. Das wäre auch leiser gegangen.
Die restlichen Prozesse der Polizei gegen die TierschützerInnen stehen noch aus. Dazu kommt noch ein weiteres Verfahren gegen mich wegen Anstandsverletzung. Als der Tierschützer noch in seiner Zelle saß, so um Mitternacht, traf ich auf der Polizeistation ein. Die DemonstrantInnen zeigten mir den Film von der Festnahme.
Ich war so entsetzt, dass ich ausrief, ob die Polizei denn wahnsinnig sei, sich so zu verhalten, und ob sie nicht besser in Nordkorea aufgehoben wäre. Und schon flatterte ein Strafbescheid über € 400 in meine Wohnung.
Recht auf Privatsphäre? Keine Ausweispflicht? Ein seltsames Verständnis von Rechtsstaat, wenn das die Konsequenz ist, sollte man es wagen einmal auf seinem Recht zu bestehen!