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Was du nicht willst...

Was du nicht willst...

Die Menschheit hätte die Katastrophe stoppen können, wenn sie die Versklavung der Tiere als deren psychologische Kernursache erkannt hätte. Exklusivabdruck aus „Der Goldene Frühling“.

„ (…) Die Menschen wollen den bequemsten Weg, sie wollen, dass die unangenehmen Empfindungen betäubt werden. In der Psychologie werden diese Mechanismen an sich seit etwa den 1950er Jahren unter dem Begriff der ‚Kognitiven Dissonanz‘ erforscht. Leider wurde dabei aber praktisch nie erkannt, dass die weitaus größte und schädlichste dieser Dissonanzen durch das Verhältnis des Menschen zu den ‚Nutzorganismen‘ und dabei ganz besonders zu den versklavten Tieren entstand. Huxley hatte das gut beschrieben und die besten Beispiele herangezogen.

Es war also tatsächlich kein Zufall, dass mit Altem Testament und später der Bibel ausgerechnet ein Buch über viele Jahrhunderte zum meistgelesenen Werk und zur einflussreichsten Religionsgrundlage wurde, in dem gleich auf der allerersten Seite behauptet wird, ein allmächtiger Gott habe die Unterwerfung der Erde und die Beherrschung der anderen Tiere befohlen.

Die Menschen bekamen das, was sie unterbewusst einforderten, nämlich eine künstliche Legitimation der Perversion, um so die unangenehmen Empfindungen betäuben zu können. Und an diesem Beispiel wird auch wieder klar erkennbar, dass das mit sehr weitem Abstand größte kognitive Problem immer die Versklavung der anderen Tiere war. Das liegt daran, dass diese uns ja eigentlich sehr ähnlich sind und wir dadurch in mehreren Hinsichten die größte Abweichung von den zentralen Regelmäßigkeiten des Lebens, also insbesondere von der Freiheit, erkennen.

Als in Europa der Buchdruck aufkam und sich der Einfluss der Religion verwässerte, da forderte das Kollektiv gewissermaßen einen stabilen Ersatz. Und den schufen die Philosophen der vermeintlichen Aufklärung. Auch das hat Huxley richtig erkannt. Im Kern ging es bei ihnen tatsächlich immer um die Freiheit und vor allem darum, diese als Möglichkeit nur für den Menschen zu reservieren, während sie vor allem den anderen Tieren als Möglichkeit abgesprochen wurde. Und weil die Konstruktionen nun viel schwieriger waren als die Erfindung eines einfachen Gottesbefehls, opferte man dieser neuen Stufe der Verdrängung auch noch die Möglichkeit zu erkennen, dass die anderen Tiere über das gleiche Bewusstsein verfügten wie wir Menschen und dass dies schon seit Hunderten Millionen Jahren so war.

Statt dem simplen Gottesbefehl zur Unterwerfung der anderen Tiere mussten wir uns nun auch noch allerlei kognitive Exklusivitäten andichten, um daran die vermeintlich exklusive Freiheit anbinden zu können. Und so kam es, dass wir statt der wirklichen großen Welt der Freiheit, des bewussten Genusses und des Abenteuers so vieler Lebensformen lediglich eine winzig kleine und auch sehr arme Scheinwirklichkeit wahrnehmen konnten, in der sich nur noch der Mensch um sich selbst drehte.

Rückblickend war die vermeintliche Aufklärung durch die Philosophen in der Neuzeit Europas ein ganz besonders schädlicher Teil des Prozesses. Denn hier wurden die Weichen gestellt für die folgende Endphase der globalen Zerstörung, und dies ist nie korrigiert worden. Mit dem Einzug von Verbrennungsmotoren, synthetischem Dünger und weiteren Unterstützungen der Landwirtschaft, kam es im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur globalen Vervielfältigung der generierten Nahrungsmenge und zur zügigen Vergrößerung der Menschenpopulation.

Allerdings konnten wir mit Hilfe von Simulationen feststellen, dass es in diesem Zeitraum immer noch gute Chancen auf eine echte und wirksame Erkennung der Situation und sogar auf eine tiefgreifende Neuausrichtung gab. Wir haben Szenarien simuliert, bei denen Huxleys Buch im Jahre 1890 nicht unterdrückt wurde, und man es stattdessen sehr stark in den Mittelpunkt der Weltanschauung gerückt hätte. Auf dieser Grundlage wäre nach den Ergebnissen tatsächlich eine von dem damals ja sehr einflussreichen England ausgehende und diesmal echte Aufklärung ausgelöst worden.

Im weiteren Verlauf hätten sich starke Ausstrahlungseffekte auf ganz Europa und sogar auf alle Kontinente gebildet. Die Religionen wären ohne jeglichen Zwang durch eine solide Ethik des Horizontalen Respekts und somit letztlich auf der stabilen Grundlage der Naturgesetze des Lebens abgelöst worden. Diese Ethik wiederum hätte auch das Verhältnis der Menschen untereinander sehr stark verändert, denn darin wäre der Horizontale Respekt ebenfalls zur zentralen Leitlinie allen Handelns geworden.

Hier ist nochmal an die von Huxley beschriebenen Szenen zu erinnern, in denen sich Sagada gegenüber den schwächeren Menschen aufs äußerte respektvoll verhält. Auf das Kollektiv unserer Zivilisation bezogen wäre das alles grundsätzlich genauso geschehen. Die weiteren Unterwerfungen schwächerer Staaten und die vielen daraus eskalierenden kulturellen Zersetzungen wären gestoppt worden. Die globale Landwirtschaft hätte sich in regionalen und relativ stabilen Bahnen bewegt und es wäre nie zu jener rasanten Vervielfachung der Menschenpopulation gekommen, wie sie im 20. Jahrhundert entstanden ist.

Eine der Überraschungen bei den Simulationen war es, dass das kognitive Kernproblem, also die Versklavung der anderen Tiere — im Laufe des betrachteten Zeitraumes und praktisch bis in die Gegenwart — immer leichter hätte ausgeschaltet werden können. Dies lag an den Möglichkeiten der technischen Ersetzung von Tieren für Transportzwecke. Über die gesamte zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wäre sogar in ganz Europa die komplette Überwindung der Versklavung anderer Tiere innerhalb weniger Jahre möglich gewesen, ohne dass es nennenswerte Engpässe bei der Lebensmittelversorgung gegeben hätte. Und in der Folge wären sehr starke und effektive Ausstrahlungseffekte entstanden.

Die Überwindung der Versklavung der Tiere hätte geistige Mittel freigesetzt, die die Menschheit auf eine stabilere Ausrichtung der Landwirtschaft hätte verwenden können. Wir hätten damit sehr viel Zeit gewinnen können, was die Fahrt in die evolutionäre Sackgasse angeht.

Und in dieser gewonnenen Zeit wären wir dazu fähig gewesen, unser Wissen über symbiotische Lösungsansätze rund um das Verhältnis zu den Nahrungspflanzen stark zu erweitern. Außerdem zeigten die Simulationen, dass es nach einer solchen Aufklärung sehr zügig zu einer Verkleinerung der Menschenpopulation gekommen wäre. Dies hätte aber nichts zu tun gehabt mit Hunger, Krankheit oder Kriegen, sondern schlicht mit einer Stabilisierung der kulturellen Strukturen sowie auch einer verminderten Fortpflanzungsrate durch das kollektive Wahrnehmen der entsprechenden Notwendigkeit.

Aber leider sind die Dinge ganz anders gelaufen. Als wir um die Mitte des 20. Jahrhunderts herum damit begannen, die Versklavung der anderen Tiere in industriellen Formen zu betreiben, kam es zu einer massiven Erhöhung des Grades der Abweichung von der Mitte, also vom Horizontalen Respekt, und somit einer entsprechenden Verstärkung des kognitiven Problems. Dass die meisten Menschen von nun an keinen direkten Kontakt mehr zu den manipulierten und eingesperrten Tieren hatten, spielte dabei keine Rolle. Denn sie alle wussten ja, was geschah, das war entscheidend. Irgendwie bekamen sie alle mit, dass die Perversion nun eskalierte.

Die Tiere wurden immer enger zusammengedrängt. Die Fortpflanzung geschah meist künstlich, also indem man sie vergewaltigte. Milliarden Küken zwickte man die Schnäbel ab, damit sie sich im Gedränge nicht gegenseitig zerhacken. Jungen Schweinen wurden bei vollem Bewusstsein die Hoden abgeschnitten, damit das Fleisch besser schmeckt. Und die Zuchtwahl steigerte sich nun zu äußerst bizarren Formen. Die vielen Joghurts in den langen Kühlregalen der Supermärkte stammten von sogenannten ‚Hochleistungskühen‘, deren Euter so groß waren, dass sie sich kaum noch bewegen konnten. Die Hähnchen, deren Fleisch billigst produziert wurde, entwickelten innerhalb von drei Wochen so große Brustmuskeln, dass sie beim Versuch aufzustehen nach vorne überkippten. Und damit diese geschundenen Tiere überhaupt bis zur ‚Ernte‘ überlebten, gab man ihnen einfach mehr und stärkere Medikamente.

Wir haben damals zum Zweck der Verdrängung dieser extremen Perversion innerhalb weniger Jahrzehnte die noch vorhandenen Reste des gesunden Verstandes weitgehend verbrannt. Und vor diesem Hintergrund vollzog sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts quasi eine neue Stufe des vertikalen Blindfluges weg vom Boden der Realität. Die älteren Menschen können sich bestimmt noch erinnern, wie dann ab den 1980er Jahren ein regelrechter Konsumrausch einsetzte, der sich auf die gesamte Menschheit ausweitete und in fataler Weise die Ökosysteme schädigte.

Auch werden sie bestimmt noch die Veralberung und Verflachung im Gedächtnis haben, mit denen dies einherging. Und wer sich auch nur ein klein wenig auskannte, der hätte damals schon deutlich erkennen müssen, dass die ungezügelte pflanzliche Intensivlandwirtschaft mit all den Pestiziden in nichts anderem enden würde als in einem Kollaps. Aber obwohl das alles so klar und deutlich war, konnten die Menschen es eben trotzdem nicht sehen, weil die nun so weit eskalierte Versklavung der anderen Tiere ihre Köpfe schwer krank gemacht hatte. Wir rasten dadurch quasi mit geschlossenen Augen und durchgetretenem Gaspedal auf genau eine solche Situation zu, wie sie in Huxleys Buch anhand der Hatalas in der letzten Phase vor ihrem Untergang beschrieben wurde.

Mit den 2000er Jahren kam es erneut zu einer sehr kräftigen Beschleunigung in Richtung unseres geistigen und physischen Unterganges. Die Gründe lagen in der intensiven Globalisierung der Wirtschaft und der dadurch sich nun auch im quantitativen und räumlichen Sinne stark ausweitenden Perversion der industriellen Versklavung anderer Tiere. Und in den 2010er Jahren entfachte sich praktisch ein Strohfeuer, von dem auch die letzen Reste des Verstandes und der gesunden Wahrnehmung erfasst wurden. Wenn wir etwa die Produkte der Massenmedien in den 2010er Jahren in Mitteleuropa oder aber auch in den USA sowie in meiner Heimat in China anschauen, dann sehen wir eine fast komplette Ausblendung der perversen Quelle jener tierischen Nahrungsmittel, die sich nun in immer größeren Kühlregalen der Supermärkte stapelten. Und wir sehen zahlreiche Beiträge zur Kompensation, denn mittlerweile hatten die Massenmedien jene Aufgabe übernommen, die früher von Religion und Philosophie geleistet wurde.

Nachrichtenmagazine und Fernsehsender versuchten jetzt, die Natur möglichst grausam und brutal erscheinen zu lassen, wodurch man schon den Kindern ein völlig kaputtes Weltbild in den Kopf pflanzte. Man fokussierte etwa auf den in der Relation zu den Gesamtlebensspannen eigentlich sehr kurzen Sterbeprozess eines Erbeutungsvorganges und präsentierte ihn dem Millionenpublikum. Dadurch wurde auch ganz generell der Sterbeprozess zu einem der wichtigsten Ausweichfelder. Hätte damals jemand von der Freiheit in der Natur gesprochen, dann wären die meisten Zuhörer sofort reflexartig bestrebt gewesen, doch lieber über das dortige Sterben zu sprechen. Gleichzeitig fokussierten die Massenmedien auf einzelne Tiere, die etwa von der Feuerwehr aus Kanalrohren geborgen und anschließend in schützenden Menschenhänden fotografiert wurden. Es handelte sich bei diesen Kompensationen um Symptome einer nun bereits in das Endstadium eingetretenen, sehr schweren psychischen Erkrankung des kollektiven Geistes.

Zu einem ganz besonders auffälligen Symptom dieser Psychose wurde in der Endphase schließlich die Verniedlichung von Kompensationsobjekten. Die Medien zeigten also zum Beispiel junge, flauschige Tierbabys, die von Menschen verhätschelt und gestreichelt werden. Und die Zuschauer sogen diese Darstellungen geradezu ein. Denn durch das starke Gefühl des Niedlichfindens, welches auf uralten kognitiven Mechanismen des sogenannten Kindchenschemas beruht, konnte die schmerzhafte Tatsache kompensiert und betäubt werden, dass sie mitverantwortlich waren an einer in Perversion, Brutalität und Grausamkeit praktisch nicht mehr steigerbaren Versklavung der anderen Tiere. Und ganz am Schluss erreichte das entsprechende Kompensationsverhalten solch bizarre Formen, dass schließlich sämtliche anderen Tiere nur noch ‚süß‘ oder ‚niedlich‘ waren.

Das Kollektiv handelte nun wie ein schwerkranker Psychopath, der in seinem alten Kinderzimmer mit entrücktem Lächeln stundenlang vor sich hinschaukelnd seinem abgewetzten Teddybären über den Kopf streichelt, während unten im Keller die angeketteten Opfer in ihren Fäkalien dahinsiechen.

In diesem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit gab es nur noch kleine Restchancen, die aber weiterhin praktisch umsetzbar gewesen wären. Rechnerisch lagen sie sogar noch im Jahre 2020 bei immerhin zwei bis drei Prozent. Allerdings waren damals die meisten Verantwortlichen in den Massenmedien, die führenden Journalisten sowie die politischen Eliten Leute, die zur Erlangung ihrer Posten einen Selektionsprozess durchlaufen hatten, den nur diejenigen bestehen konnten, die der kollektiven Verdrängung des Kernproblems dienlich waren. Von diesen hätte die notwendige Zäsur also nicht mehr ausgehen können. Sie waren dazu schlicht unfähig, und zwar selbst dann, wenn sie etwa einer vermeintlich ökologisch ausgerichteten politischen Partei angehörten. (…)“




Quellen und Anmerkungen:

RUBIKON-Leser können das ganze Buch in den Formaten Epub und PDF auf der folgenden Webseite kostenlos herunterladen: www.der-goldene-frühling.de.

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