Russland wird dafür verantwortlich gemacht, dass die NATO an seiner Westgrenze mit martialischem Gerät und mit tausenden Soldaten steht. Ein Beispiel für die Propaganda zur Legitimation dieser Machtpolitik, die „Abschreckung“ genannt wird:
„Nachdem Russland völkerrechtswidrig die Krim besetzt hat, Krieg in der Ostukraine führt, massive Truppenverbände an der Westgrenze zusammengezogen hat, wächst die Angst in Osteuropa – vor allem in Polen und in den baltischen Staaten — vor neuen Aggressionen Moskaus.
Deshalb hat die Nato, das westliche Verteidigungsbündnis, in Polen und in den baltischen Staaten mit ihrer Operation ‚Enhanced Forward Presence‘ 4.000 Soldaten stationiert, darunter auch deutsche und US-amerikanische. Daneben läuft eine eigene US-Operation ‚Atlantic Resolve‘ für die Nato-Verbündeten in Osteuropa mit weiteren 4.000 Soldaten“ (1).
NATO-Generalsekretär Stoltenberg erklärte auf dem Brüsseler NATO-Gipfel im Juni 2015, die verstärkte NATO-Response-Force (Antwort-Truppe) NRF werde von einer Mannstärke um die 13.000 auf circa 40.000 aufgestockt, und das ganze werde von Maßnahmen begleitet, die die Entscheidungszeiten bei Aufrechterhaltung der politischen Kontrolle beschleunigen (2).
Dem Plan der Beschleunigung folgt auch die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF, Einsatzgruppe mit sehr hoher und schneller Einsatzbereitschaft): Es geht dabei um ein multinationales NATO-Kontingent von circa 5.000 Soldatinnen und Soldaten der Landstreitkräfte mit bis zu fünf Bataillonen im Verbund mit Luft- und Seestreitkräften, Spezial- und sogenannten Unterstützungskräften. Circa die Hälfte davon sind Bundeswehrangehörige (3).
Man muss sich nur mal ausmalen, was umgekehrt der Fall wäre, wenn Russlands Militär den USA zum Beispiel von Süden her so nahe an die Grenze heranrücken würde, um die Selbstherrlichkeit — „wir die Guten, der Russe der Verbrecher“ — zu erfassen.
Das antirussische Narrativ wird auch als Legitimation für die immer astronomischere Hochrüstung in Anspruch genommen:
„Angesichts der weltweiten Konflikte und der Krise mit Russland wollen die Nato-Staaten wieder mehr Geld für Verteidigung ausgeben.
Die Nato-Staaten haben sich bei ihrem Gipfeltreffen im walisischen Newport darauf geeinigt, wieder mehr Geld in die Verteidigungshaushalte zu investieren. Aus einer formellen Erklärung vom Freitag geht hervor, dass binnen einem Jahrzehnt die Zielmarke von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreicht werden soll“ (4).
Genauso wird auch die brandgefährliche Weiterentwicklung der NATO-Nuklear-Systeme legitimiert:
„Die NATO ist schwer besorgt über den immer aggressiveren weltpolitischen Kurs Moskaus. BILD erfuhr: Beim NATO-Verteidigungsminister-Treffen (...) in Brüssel tagt auch die ‚Nuclear Planning Group‘ — ein Atom-Planungsgremium der Bündnispartner (außer Frankreich) — um ihre Nuklearstrategie anzupassen.
Hintergrund: Putin hat während des Ukraine-Kriegs die Anzahl seiner Truppenübungen drastisch erhöht — und dabei auch den Einsatz von Atomwaffen geprobt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem ‚dramatischen Anstieg der Flüge mit Nuklear-Bomben‘.
Und die Bundesregierung erklärte in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger: ‚Russland testet umfangreich eine Vielzahl der Trägersysteme seines gesamten Nukleardispositivs zur Überprüfung der Einsatzbereitschaft und zu dessen Weiterentwicklung‘.“
Soweit die Bild-Zeitung vom 8. Oktober 2015 (5). Bereits über zwei Wochen vorher konnte man in Bild lesen:
„Kehrtwende in der US-Rüstungspolitik: Beerdigt US-Präsident Barack Obama jetzt sein Abrüstungsprogramm?
Die New York Times meldet: Die Regierung in Washington betreibe intensiv ‚die Wiederbelebung‘ ihres Atomwaffenprogramms. Die Nuklear-Kapazitäten sollen demnach modernisiert, neue Waffen bestellt, Anlagen aufgerüstet, neue Trägersysteme entwickelt werden — für bis zu einer Billion Dollar.
Von der Abrüstungspolitik und einer ‚atomwaffenfreien Welt‘, die US-Präsident Barack Obama vor Jahren angekündigt hatte, bliebe damit fast nichts mehr übrig. Stattdessen wächst nun die Angst vor einem neuen Wettrüsten!
Die USA wollen laut ‚New York Times‘ ihr Waffenarsenal mit 400 Raketen, bis zu 100 neuen Bombern, 12 atomwaffenfähigen U-Booten aufstocken“ (6).
Das ist alles gelogen, denn die ab 2019 zur Stationierungsreife anstehenden Nuklear-Systeme der USA sind seit über einem Jahrzehnt in der Entwicklung und wurden auf dem Chicagoer NATO-Gipfel 2012 beschlossen (7). Es wäre auch rein technologisch reine Zauberei, wenn die NATO innerhalb weniger Jahre so komplizierte Potentiale aufstellen könnte, wie die sogenannte B 61- Modell 12 (8).
Aktuell verhält sich die Situation um die Ukraine genauso: Russland wird zum Verantwortlichen für die aktuellen Spannungen um das Asowsche Meer deklariert. Hintergrund: Die aufgebrachten ukrainischen Marine-Schiffe stehen „für einen aggressiven und nicht hinnehmbaren Willkür-Akt der Machtpolitik Russlands“ (9).
Nun, die exakten Umstände der Vorgänge, um die es hier konkret geht, sind der Weltöffentlichkeit bislang zu wenig bekannt, um der NATO-Lesart, der der ukrainischen Regierung Poroschenko oder der russischen Seite in ihren jeweiligen Positionen jeweils sicher folgen zu können. Der NATO ist das wie bei Skripal — anders als beim Mord an Jamal Khashoggi durch Saudi-Arabien — egal, der Böse steht fest.
Interessant, dass die Weltöffentlichkeit von diesem lange zuvor abgelaufenen, umgekehrten Vorgang keine Kenntnis erhält:
„Im März hatten ukrainische Grenzwächter das Fischerboot ‚Nord‘ im Hafen von Berdjansk festgehalten und dessen Besatzung vorübergehend festgenommen. Gegen den Kapitän wurde ein Verfahren wegen unerlaubter Einreise in die Ukraine eröffnet, die Besatzungsmitglieder wurden gebüßt.
Der Zwischenfall erzürnte die Russen. Der Geheimdienst FSB schrieb die daran beteiligten Grenzwächter international zur Fahndung aus“ (10).
Es geht hier nicht darum, den einen Vorgang mit dem anderen eins zu eins gleichzusetzen. Dazu fehlen mir die Details. Es geht lediglich darum, dass die Kräfte des Friedens die durch das 20. Jahrhundert geschulte Skepsis gegenüber antirussischer — damals auch antisowjetischer und antibolschewistischer — Propaganda wach und aufmerksam durchhalten, um der erdrückenden Meinungsmache nicht zu erliegen.
Wie schwer es ist, diese kritische Achtsamkeit durchzuhalten, das zeigt unter anderem die Grünen-Politikerin Rebecca Harms, die die NATO auffordert, auf die aktuellen Ereignisse an der Krim mit einer Präsenz ihrer Marine im Schwarzen Meer zu reagieren (11).
Antirussische Propaganda hat für Deutschland und die Welt schon zu oft verheerende Konsequenzen nach sich gezogen, von denen sich die Welt nie ganz hat erholen können.
Es ist ein Überlebenserfordernis, sich — wie von jeder Propaganda — fernzuhalten.
Der Vertrag zur Deutschen Einheit verlangt von Deutschland, auf eine europäische Friedensordnung hinzuwirken, die die Sicherheitsinteressen aller Seiten, also auch die Russlands, berücksichtigt. Allein das ist der Weg des europäischen Friedens im 21. Jahrhundert (12).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Tagesspiegel 05.01.2018 - https://www.tagesspiegel.de/berlin/nato-operation-in-osteuropa-us-soldaten-fahren-durch-brandenburg/20806016.html
(2) https://augengeradeaus.net/tag/nrf/ (Übersetzer: Bernhard Trautvetter)
(3) http://smallwarsjournal.com/jrnl/art/nato%E2%80%99s-very-high-readiness-joint-task-force-land-2017-an-analysis
(4) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nato-staaten-wollen-zwei-prozent-des-bip-fuer-verteidigung-ausgeben-13138418.html
(5) https://www.bild.de/politik/ausland/wladimir-putin/provoziert-der-russische-praesident-neues-wettruesten-42931256.bild.html
(6) http://www.bild.de/politik/ausland/barack-obama/wollen-neue-atomwaffen-neues-wettruesten-mit-russland-37771282.bild.html
(7) https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_87593.htm?selectedLocale=en Punkt 38
(8) http://www.bits.de/public/pdf/rr-12-1.pdf Diese Studie zur B 61- 12 datiert von 2012 (!)
(9) https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-krim-russland-101.html
(10) https://www.nzz.ch/international/russland-zermuerbt-die-ukraine-vom-meer-her-ld.1402016?mktcid=smsh&mktcval=Facebook&fbclid=IwAR1rLgFhqPVLJv7Sv08oXv43KyySuqpkanJIQCvLK4-sBA2xGN7cxyBgIy4 = Neue Zürcher Zeitung, 12.7.2018
(11) http://www.fr.de/politik/ukraine-konflikt-deutsche-politiker-werfen-moskau-eskalation-vor-a-1627921
(12) http://www.documentarchiv.de/brd/2p4.html