Als Mitte der Achtzigerjahre der Weg für das Privatfernsehen freigeräumt wurde, waren sich die Beobachter recht schnell darüber einig, dass die Ausrichtung jener neuen Programmformate keinen recht hohen Anspruch befriedigen würde. Es galt als unverständlich, dass ausgerechnet eine konservative Regierung einer Liberalisierung Vorschub leistete, die einen solchen negativen Effekt mit sich bringen sollte. Anfangs konnten das die Bedenkenträger verschmerzen, die neuen Sender erreichten nur einige zehntausend Haushalte, ihr Programm war chaotisch, billig konzipiert, beim jungen RTL Plus saßen die Macher in einem Wohnzimmer und verbreiteten gute Laune — die Zuschauer fanden das nicht unsympathisch.
Spätestens Anfang der Neunziger waren dann so gut wie alle Haushalte erschlossen. Die Privaten klotzten — und die Befürchtungen bewahrheiteten sich. Bei Tutti Frutti wurde sich entblößt, und via Dall-As etablierte sich ein Talkformat, das alles war, nur eben kein Talk. Beim heißen Stuhl wurde indes „Debattenkultur“ geplärrt. Und bereits 1992 wanderte die Bundesliga ab Richtung SAT.1. Die neue Sendung namens „ran“ ersetzte die sachliche, ja durchaus auch dröge Berichterstattung der Sportschau durch Boulevard und Inszenierung. Oft zulasten des Sports und der Information.
Ratten, Scheißhaufen und Arschlöcher
Die Kritiker der ersten Stunde schienen nicht falsch gelegen zu haben. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte taten die Privatsender wenig, um dieses Image aufzupolieren. Sie holten sich zwar etablierte Journalisten und Anchormen für ihre Nachrichtenformate ins Haus, aber gleichzeitig füllten sie ihr Nachmittagsprogramm mit Scripted-Reality-Serien, in denen Laiendarsteller von lausigstem Niveau wild gestikulierend und schimpfend über die Mattscheibe turnten.
Es war bei dieser Fülle an dadaistischen und grellen Formaten auch gar nicht von der Hand zu weisen: Das Privatfernsehen lieferte tatsächlich einen Qualitätslimbo ab, die gebührenfinanzierte Konkurrenz sah daneben nicht nur wie ein Ausbund der Seriosität aus — sie war es im Vergleich dazu auch.
Über die Jahre versuchten ARD, ZDF und die Dritten die abwandernde Zuschauerschaft zurückzugewinnen, sie fischten Sympathieträger von der privaten Mattscheibe ab, kopierten Sendeformate, versuchten marktschreierischer zu werden. Selbst jetzt, da das Öffentlich-Rechtliche das tat, was man bei RTL, SAT.1 und anderen etabliert hat, hieß es noch immer, dass die Gebührenfinanzierten einen höheren Anspruch erfüllten — schließlich gäbe es dort die Tagesschau zu sehen. Bis heute zehrt der vom Gebührenzahler finanzierte Rundfunk von dieser historischen Unterscheidung, wonach die Privatsender Schmuddelkinder seien.
Und das, obwohl längst klar sein müsste, dass die Gebührenfinanzierten unglaublich aufgeholt haben.
Ja, sie sind heute niveauloser als die, die man als Niveaulose verschrien hat.
Neulich erst musste die Tagesschau auf ihrer Webpräsenz einen Artikel verändern, weil ein Redakteur darin Twitter-Nutzer, die wegen Elon Musks Plattformübernahme mehr Meinung äußern könnten, als Ratten titulierte. Jan Böhmermann bezeichnete in einer seiner letzten Sendungen Frauen, die glauben, es gäbe nur zwei Geschlechter, als Scheißhaufen. Und Kurt Krömer schmiss einen Comedian aus seiner Sendung, weil „sein Bedarf an Arschlöchern gedeckt“ sei.
Weil! Sie! Es! Können!
Das ist eine Wortwahl, die man freilich auch nachmittags bei RTL findet, wenn Laienkomödianten ihr an das Stegreiftheater angelegte Geplärre verbreiten. In ernsthafteren Formaten spricht man bei RTL und Co. aber selbst dort vornehmer. Die zur Schau gestellte Arroganz und Abgehobenheit, die bleibt allerdings eigentlich nur dem Staatsfunk vorbehalten. Vermutlich liegt das auch daran, dass es sich Protagonisten des Privatfernsehens gar nicht leisten können, ihr Publikum mit so einem überheblichen Ton zu brüskieren.
Befürworter der Gebührenfinanzierung — der Autor dieser Zeilen gehörte mal zu ihnen — waren stets der Ansicht, dass diese Form der beste Schutz vor wirtschaftlicher Beeinflussung sein könnte. An der Logik gibt es auch wenig auszusetzen: Wenn ein Sender nicht von Werbung abhängig ist, kann er umfassend und ohne falsche Rücksichtnahme berichten. Und bis zu einem gewissen Punkt hat das auch so geklappt. In den letzten Jahren wurden aber die öffentlich-rechtlichen Anstalten mehr und mehr zum Spielball parteipolitischer Ranküne, in den Aufsichtsgremien sitzen begrenzt Vertreter von Parteien, darüber hinaus Gewerkschafter und Kirchenleute — die beiden Letzteren können als fünfte Kolonne der ehemaligen Volksparteien betrachtet werden.
Während die Privatsender sich weiterhin vor allem über Werbekunden finanzieren, fließt den Gebührenfinanzierten regelmäßig eine feste, peu à peu sogar wachsende Summe ins Haus. Um Werbekunden nicht zu verprellen, benötigt es eine gewisse Ausgewogenheit — ein Zelot wie Böhmermann wäre vermutlich im Privatfernsehen schwerer aushaltbar, weil zu viel Polarisierung dazu führen könnte, dass gewisse Unternehmen ihr finanzielles Engagement bei diesem Sender herunterfahren würden. Beim ZDF ist das egal, die Gebührenzahler blechen ohnehin. Ob es ihnen gefällt oder nicht.
Sei es nun Böhmermann oder Krömer: Sie können sich solche Auftritte erlauben, weil sie keine Rücksicht nehmen müssen auf die Finanzierung.
Man könnte sagen: Sie pervertierten den eigentlichen Vorteil der Öffentlich-Rechtlichen, die Unabhängigkeit durch eine von der Allgemeinheit getragene Finanzierung, indem sie ihn gegen jene richten, die sie und ihre Sendungen bezahlen.
Natürlich werden auch bei RTL AfD-Wähler immer wieder als besonders doof karikiert. Der Unterschied ist nur, dass der AfD-Wähler die Veranstaltung nicht finanziert. Geschieht dergleichen bei ARD oder ZDF, muss man bedenken: Auch der AfD-Wähler ist Gebührenzahler. Er hat einen Anspruch darauf, sachlich behandelt zu werden. Er kann sich nämlich nicht einfach aus der Finanzierung stehlen. Nicht legal jedenfalls.
Staatstreue statt Unabhängigkeit
In den letzten Jahren, ganz besonders seitdem das Virus in unseren Alltag trat, hat man bei den Öffentlich-Rechtlichen die potenzielle Unabhängigkeit durch Staatstreue ersetzt. Letztere verkauft man jetzt als überparteiliche, neutrale, ja eben unabhängige Berichterstattung. Man vermittelte den Zuschauern, dass souveräner Journalismus halt zufälligerweise immer so ausfiel, wie es die Staatstreue voraussetzt. Ganz nach dem Motto: Der Staat ist nun mal vernünftig und anständig, es sind halt die richtigen Leute am Ruder. Wenn Journalismus deckungsgleich mit dem ist, was die Regierung als richtig erachtet, ist das nur Zufall: Keine Absicht.
Selbst die unflätigen Ausreißer, all die Krömeriaden und Böhmermannismen, muss man in diesem Kontext betrachten. Denn auch Krömer, der seinen Gast indirekt-direkt mal als Arschloch titulierte, bedient damit ja die Staatstreue, denn dieser Comedian namens Faisal Kawusi gab Betrachtungen zum Besten, die in diesem Zeitenwendeland als unschicklich, als falsch und, ja, als regierungsfern begutachtet werden. Bei Böhmermann ist das nicht anders: Scheißhaufen sind für ihn Frauen, die eben nicht der bestechenden Regierungslogik von unendlichen Geschlechtern folgen wollen.
Die Staatstreue hat sich in den letzten Jahren beim gebührenfinanzierten Fernsehen zu einem radikalen Aktivismus gemausert. Vor einigen Jahren sprach man noch stolz von Haltung. Ließ den Journalismus mehr und mehr sausen, hielt sich aber noch halbwegs mit aggressiver Rhetorik zurück.
Mittlerweile hat man sich dort derart radikalisiert, dass man nichts mehr dabei findet, wenn mancher Angestellte dort die Sprache derer bemüht, gegen die man ja vorgibt zu sein: Der schlechten Menschen, jenen, die der Regierung weniger Treue entgegenbringen als das staatliche Bezahl-TV gemeinhin.
Wer heute also seine Fäkalsprache ausleben will, landet nicht unbedingt in der Gosse, sondern bei ARD, ZDF und Konsorten. Er muss seinen Hass nur gegen jene richten, die die Regierung gemeinhin als Bremser, Rückständige und Ewiggestrige entziffert hat. Wer solche Leute dann beleidigen will, hat freie Fahrt. Und einen schier unerschöpflichen Etat. Das Geld der Arschlöcher und Scheißhaufen, es stinkt so wenig wie die einst entrichtete Latrinensteuer des Vespasian.