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Spielball der Mächtigen

Spielball der Mächtigen

Eine kurze Geschichte der Ukraine. Exklusivabdruck aus „Wir sind immer die Guten“.

Die Geschichte der Ukraine als Staat ist tatsächlich kurz: Einerseits existierte sie als unabhängige Nation abgesehen von einigen Monaten nach dem Ersten Weltkrieg erst seit der Auflösung der Sowjetunion 1991. Anderseits ist mit der Kiewer Rus eine erste Staatsgründung im 9. Jahrhundert überliefert, was einigen Historikern Anlass bietet, eine tausendjährige Nationalgeschichte zu konstruieren, die freilich so nie existierte, zumindest nicht als ukrainische Nation. Denn schon in der ersten schriftlichen Erwähnung, der Nestorchronik von 882 heißt es:

„Und Oleg ließ sich als Fürst von Kiew nieder, und Oleg sprach: ‚Dies soll die Mutter der russischen Städte sein.‘“

In Kiew fing also alles an, aber sowohl die ukrainischen, wie auch die russischen und die weißrussischen Nationalgeschichten berufen sich auf diese Tradition — und streiten darüber, wer deren legitimer Erbe ist. Dabei deuten die Russen auf das zweite große Zentrum von Olegs Reich, Novgorod, die Weißrussen auf das dritte, die Stadt Pskow, und verweisen damit die Ukrainer auf den Posten eines Juniorpartners („Kleinrussen”), dem beim Entstehen des Moskauer Zarenreichs allenfalls eine Nebenrolle zukam.

In allen drei Ländern wird, zumindest von den weniger wissenschaftlich und eher patriotisch gesinnten Vertretern der Historikerzunft, gern unterschlagen, dass das Wort „rus“ aus dem Skandinavischen stammt: „Rus“ hieß das Ruder der Wikinger, „Ruoti“ waren die Schweden. Die mittelalterliche Chronik der vergangenen Jahre für das Jahr 862 vermerkt, dass die slawischen Bewohner „über das Meer zu den Warägern“ gefahren seien, um die Wikinger zu bitten, bei ihnen zu herrschen:

„Unser Land ist groß und reich. Aber es gibt darin keine Ordnung. Deshalb kommt, um bei uns zu regieren.“

Dass die alten ostslawischen Stämme zu einer genuinen Staatsgründung allein nicht in der Lage gewesen sein sollen und sich deshalb Ausländer ins Land holten, scheint für einen heroischen vaterländischen Mythos zwar unpassend, entspricht aber historisch ebenso den Tatsachen wie die noch einige Jahrhunderte währende Anwesenheit von Wärangern, skandinavischen Söldnern, auf russisch-ukrainischem Boden, die das neu entstandene Fürstentum gegen Angriffe aus dem Süden und Osten verteidigten.

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Bild: Die Ukraine: das flächenmäßig größte Land Europas mit kurzer Geschichte, Spielball divergierender Interessen zwischen West (EU und USA) und Ost (Russland).

So einig sich patriotische Ukrainer und Russen beim Kleinreden dieser ausländischen „Amtshilfe“ bei der mittelalterlichen Staatsgründung sein mögen, bei fast allen anderen Fragen driften ihre Historiker bei der Suche nach originär russischen beziehungsweise ukrainischen Wurzeln weit auseinander — und dies nicht erst, seit der Zar 1876 die ukrainische Sprache in der Öffentlichkeit verbot und statt der ethnischen Bezeichnung „Ukrainer“ den Begriff „Kleinrusse“ dekretierte.

Auch in der Nationalgeschichte des Königreichs Polen, das lange über große Teile der heutigen Ukraine herrschte, waren die dortigen Einwohner „Kleinpolen“, und für Kaiser Franz-Joseph in Wien, dessen k. u. k. Monarchie sich bis nach Galizien erstreckte, die „Tiroler des Ostens“. Nicht mehr als kaisertreue brave Bauern, aber auch nicht weniger — weshalb die vergleichsweise liberale Vielvölkermonarchie Österreich-Ungarn im Gegensatz zur Herrschaft der russischen Zaren und des polnischen Adels als Imperialmacht noch am ehesten gelitten war. In Lemberg gab es um die vorletzte Jahrhundertwende jedenfalls mehr Franz-Joseph-Denkmäler als in Wien.

Mit dem Niedergang der Monarchie der Habsburger und des russischen Zarenreichs gegen Ende des Ersten Weltkriegs konnte in Kiew zwar für kurze Zeit eine Ukrainische Volksrepublik errichtet werden, die sich in etwa über das heutige Staatsgebiet der Ukraine erstreckte, doch schon nach kaum zwei Jahren gelangten die alten Mächte wieder zur Herrschaft. Die West-Ukraine wurde dabei zu einem Teil Polens und der Rest des Landes zu einer Republik der neu entstandenen Sowjetunion.

Wie dieser kurze Abriss zeigt, kann von einer gemeinsamen Nationalgeschichte der polyethnischen und multikulturellen Bevölkerung der Ukraine kaum eine Rede sein, denn seit den Anfängen der Kiewer Rus existieren in den verschiedenen Landesteilen die verschiedensten und sich widersprechenden Erinnerungskulturen.

Der Versuch, aus den historisch überlieferten Fakten nur eine und eine einzig wahre patriotisch-nationale Linie zu ziehen, muss schon deshalb scheitern, weil die ursprünglichen Bewohner dieses Gebiets nicht in nationalen Kategorien dachten, sondern ihre Identität aus der Zugehörigkeit von Sippen, Stämmen oder Dynastien herleiteten.

Auch deren Nachkommen konnten auf dem Gebiet der heutigen Ukraine jahrhundertelang keinen Staat bilden und wurden ausschließlich von anderen Großmächten regiert — und gegeneinander in den Krieg geführt: Zuletzt und mit kaum fassbaren Opferzahlen im Zweiten Weltkrieg, als sich — wie schon 1914 bis 1918 entlang des Dnjepr die deutsch-österreichischen und die russischen Armeen — die deutsche Wehrmacht und die Rote Armee gegenüberstanden und Ukrainer gegen Ukrainer kämpften.

Und dies mit großem Hass auf beiden Seiten: auf die faschistische Nazi-Armee, die Osteuropa und Russland brutal überfallen hatte, und auf die Sowjetunion Stalins, dessen brutale Zwangskollektivierung der Landwirtschaft 1933 den Hungertod („Holodomor”) von etwa drei Millionen Menschen in der Ukraine verursacht hatte. Da dieser Gewaltpolitik Stalins auch in anderen Teilen der Sowjetunion zahlreiche Menschen zum Opfer fielen — allein in Kasachstan waren es mehr als eine Million — ist es umstritten (1), daraus einen speziell gegen die Ukrainer gerichteten Völkermord abzuleiten, doch eben dies — die Anerkennung der Stalin‘schen Verbrechen als Genozid — fordern die ukrainischen Regierungen seit ihrer Unabhängigkeit 1991.

Genau das führte seitdem, nunmehr auf erinnerungskulturellem, geschichtspolitischem Feld, erneut zu Schlachten von Ukrainern gegen Ukrainer — wieder mit Großmächten im Hintergrund, die auf dem geistigen Feld ihre Stellvertreterkriege ausführen. Während einige Länder, unter anderem 2008 auch die USA, die seitens der Ukraine gebrauchte Bezeichnung „Genozid“ anerkannte, lehnte das europäische Parlament 2010 dies ab und stufte die von Stalin herbeigeführte Hungerkatastrophe als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ein. Auch der zu diesem Zeitpunkt der Ukraine als Ministerpräsident vorstehende Viktor Janukowitsch hatte sich vor dem Europäischen Rat dafür ausgesprochen — während die ukrainische Opposition weiter auf einem gezielt gegen die Ukraine gerichteten „Genozid” beharrt.

Dies sind für einen kaum mehr als zwei Jahrzehnte existierenden Staat, der um ein nationales Narrativ, ein patriotisches Identifikationsmodell ringt, keine geschichtspolitischen Petitessen, sondern zeigt, wie stark das über Jahrhunderte von fremden Mächten zerrissene Land noch immer gespalten ist.

Dass sich ukrainische Patrioten, die gegen die Herrschaft der Polen in der Westukraine kämpften, der Hitler-Armee anschlossen und sich auch an deren Massakern zur Ausrottung der Juden beteiligten, ist für die ukrainischen Patrioten, die mit der Roten Armee die Ostukraine gegen den Ansturm der Deutschen verteidigte, ebenso untragbar wie umgekehrt die Tatsache, dass im Osten der Sieg über den Faschismus im „Großen Vaterländischen Krieg“ — und damit auch Stalin — historisch identitätsstiftend sind.

Beide Seiten haben sich, könnte man zugespitzt sagen, mit Massenmördern eingelassen — mit der braunen Pest und dem roten Terror —, und beide Seiten können sich dabei durchaus auf ukrainischen Patriotismus als Grundmotiv für ihr Handeln berufen.

Wie aus dieser Dichotomie eine gemeinsame Erzählung der Ukraine als Nation werden kann, wie die ukrainischen Patrioten ihr weitgehend ungebrochenes historisches Verhältnis zu Hitlers Faschismus auf der einen und Stalins Kommunismus auf der anderen Seite aufarbeiten und zu einem gemeinsamen nationalhistorischen Haus zusammenfügen sollen, scheint ein kaum lösbares Dilemma.

Vor diesem Hintergrund muss auch der Hinweis des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt verstanden werden, der im Mai 2014 in einem Interview der Bild sagte, die Ukraine sei „kein Nationalstaat“ und es sei ein Irrtum sei anzunehmen, „dass es ein Volk der Ukrainer gäbe, eine nationale Identität“. Schmidt wurde daraufhin allenthalben als „Putinversteher“ und Verbreiter „russischer Propaganda” beschimpft, doch wie die oben aufgezeigten Verwerfungen deutlich machen, sind eher diese Anwürfe Propaganda als Schmidts provokantes, aber historisch zutreffendes Resümee.

Eine nationale Identität, unter der sich ein Teil der Bevölkerung als Opfer (des sowjetischen Kommunismus) fühlt und ein anderer als Sieger (über den Faschismus), ist schlechterdings nicht vorstellbar.

Und so konnte es auch seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 nicht gelingen, eine solche Quadratur des Kreises herzustellen — auch nicht im Rückgriff auf die kurze Existenz einer Ukrainischen Volksrepublik am Ende des Ersten Weltkriegs.

Im Jahr 1918 war Kiew von drei verschiedenen Mächten beherrscht: Zuerst von den Bolschewisten, die nach dem Sturz des Moskauer Zaren auch in Kiew die Macht übernommen hatten, dann von den Deutschen, welche die Rotarmisten verjagten und ein Marionettenregime unter Pawlo Skoropadskyj einsetzten, das sogleich die russische Amtssprache verbot und eine ukrainische Grammatik einführte, und zuletzt nach dem Rückzug der Deutschen im Dezember 1918 von einem selbst ernannten ukrainischen Nationalisten, Symon Petljura, in dessen Herrschaftsbereich während seiner nur 15 Monate dauernden Amtszeit mindestens 35 000 Juden ermordet werden.

Der in Kiew aufgewachsene Arzt und Schriftsteller Michail Bulgakow beschrieb diese schreckensreichen Jahre in seinem autobiografisch geprägten Roman „Die weiße Garde“, in dem er aus seiner tiefen Abneigung gegen die roten Revolutionäre keinen Hehl macht, den entstehenden ukrainischen Nationalismus aber noch viel furchtbarer findet, vor allem weil er „die russische Bevölkerung terrorisiert mit einer scheußlichen Sprache, die es gar nicht gibt”. In dieser Neuerfindung liegt für Bulgakow die Wurzel des Nationalismus, und schon in seinem ersten Roman erweist sich der spätere Autor von „Der Meister und Margerita“ als der satirische Großmeister der Weltliteratur, wenn er die neue Sprachverwirrung mit beißendem Spott beschreibt:

„Vorgestern fragte ich diese Kanaille Doktor Kurizki, der kann seit November vorigen Jahrs plötzlich kein Russisch mehr. Früher Kurizki, jetzt ukrainisch Kuryzky. Ich frage ihn also, wie Kater (russisch Kot) auf Ukrainisch heißt, das wußte er noch (Kit), aber als ich ihn fragte, wie der Wal (russisch Kit) heißt, glotzt er mich an und schweigt“ (2).

Die Etablierung des Ukrainischen, das nichts anderes als Russisch mit ein paar abgeleiteten Vokalen ist und als Bauernsprache keine Worte für die Tiere hat, die nicht auf Feld und Flur leben, die Einführung dieses Dialekts als Nationalsprache war für den Wortkünstler Bulgakow nicht ein neuer, patriotischer Anfang, sondern ein Rückschritt in einen beschränkten, bornierten Nationalismus.

Fast ein Jahrhundert später ist der von Bulgakow thematisierte Sprachenstreit immer noch hochaktuell: Bei einer Debatte über das von Präsident Janukowitschs „Partei der Regionen“ eingebrachte Gesetz, dass Minderheitssprachen in den Regionen als zweite Amtssprachen genutzt werden können, flogen noch 2012 im Kiewer Parlament nicht nur schlagkräftige Argumente, sondern auch die Fäuste. Das verdeutlicht, dass es sich in einem Land, in dem fast die Hälfte der Einwohner zu Hause Russisch spricht, um mehr als bloße Symbolpolitik handelt, die mit simpler Schwarz-Weiß- beziehungsweise „Y-I“-Malerei auf Wählerfang aus ist, sondern dass die Ukraine nach wie vor und emotional höchst aufgeladen um die fundamentalen Grundlagen eines Nationalstaats ringt.

Das hat nicht nur zu einer übersteigerten Zurückdrängung alles Russischen geführt, sondern auch zu einer ungebrochenen Verehrung äußerst zwielichtiger Helden wie des radikalen Nationalisten Symon Petljura, dem in Kiew ein übergroßes Denkmal errichtet wurde oder auch seinem Nachfolger im Geiste, dem Partisanenkämpfer und Kollaborateur der deutschen SS Stepan Bandera, den Präsident Viktor Juschtschenko kurz vor seiner Abwahl 2010 noch mit dem höchsten Orden des Landes zum „Held der Ukraine“ erhob. Als sein Nachfolger Janukowitsch dies über die Gerichte 2011 rückgängig machte, beschuldigte ihn Juschtschenko, „die Geschichte umzuschreiben und die Helden des ukrainischen Volks zu erniedrigen, um Russland zu gefallen“.

Doch der Polen, Russen und Juden hassende Nationalist Stepan Bandera wird nur von einem Teil des ukrainischen Volkes als Held, im Osten des Landes dagegen als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher angesehen — und dies nicht nur, weil die von ihm geführten Verbände der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) noch vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 in Lemberg 7.000 Menschen, die meisten von ihnen Kommunisten und Juden, ermordet haben.

Seine Karriere als rechtsextremer Patriot und Terrorist begann, als er 1934 einen Mordanschlag auf den polnischen Innenminister verübte, verhaftet wurde und bis zu seiner Befreiung durch die deutschen Truppen 1939 im Zuchthaus von Brest-Litowsk saß. Im Auftrag der Deutschen stellte er eine Partisanentruppe zusammen und erhielt die Weisung, „provokatorische Putsche in der Ukraine zu organisieren mit dem Ziele, die Sowjettruppen in ihrem unmittelbaren Hinterlande zu schwächen“.

Als er dann aber, nachdem die Deutschen 1941 Kiew eingenommen hatten, eine unabhängige ukrainische Nation ausrufen wollte, verfrachteten die Nazis Bandera für eine Weile ins KZ Sachsenhausen — um ihn später samt seiner Bande in deutsche Uniformen zu stecken und im Volkssturm einzusetzen. Frisch versorgt mit deutschen Waffen sammelte er in den Wäldern der Karpaten eine Ukrainische Insurgenten-Armee (UPA), die von Hitlers Gnaden bald ein marodierendes Eigenleben zwischen den Fronten führte und sich erst ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auflöste.

Von 1946 an lebte Bandera dann unter dem Namen Popel in Bayern und soll von dort — so behauptete jedenfalls der sowjetische Geheimdienst KGB, der ihn 1959 aufspürte und durch einen Blausäureanschlag ermorden ließ — die Aktivitäten separatistischer Terrorgruppen in der Tschechoslowakei und der Westukraine gesteuert haben. Er sei, vermerkte der Spiegel zum Tod Banderas, „durch die gleiche Kampfmethode umgekommen, der er sein Leben gewidmet hatte: den politischen Terror. Mit einem Mordanschlag hatte er seine abenteuerliche Karriere begonnen, mit einem Mordanschlag scheint sie nun beendet worden zu sein“ (3).

Dass zwielichtige Figuren wie der mit der Weißen Armee des Zaren und den Polen paktierende Petljura und der mit der Nazi-Armee und massenhaftem Judenmord verbundene Bandera in der 1991 unabhängig gewordenen Ukraine als Nationalhelden installiert wurden, ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass die Auswahl an historischen Heldenfiguren, die zu einer nationalen Identifikation taugen, sehr gering ist, zum anderen aber auch ein eminent geschichtspolitischer Akt, mit dem vor allem unter Präsident Juschtschenko eine prowestliche und antirussische Stimmung erzeugt wurde.

Dabei mutet es fast schon wie eine ironische Wiederholung der mittelalterlichen Geschichte von 882 an, als sich die Stammesführer ausländische Mächte holten, um in Kiew zu regieren, dass sich mehr als 1000 Jahre später „Nationalhelden“ wie Petljura und Bandera ausländischer Mächte bedienten, die an einer autonomen, freien Ukraine gar kein Interesse hatten — und dann ein diese Helden verehrender ukrainischer Präsident sich vor allem dadurch hervortut, Nato, EU und USA einzuladen, sein Land zu regieren.

Inwiefern diese Mächte wirklich an Freiheit und Demokratie einer unabhängigen Nation Ukraine Interesse haben, ob sie für die Rechte der auf dem Maidan gegen Korruption und Kleptokratie demonstrierenden Bürger wirklich eintreten, werden wir im Folgenden noch genauer betrachten.

Beim historisch letzten großen Überfall auf die Ukraine 1941 ging es Hitlers „Unternehmen Barbarossa“ und seinen ukrainischen Sturmtruppen unter Bandera vor allem um den Zugriff auf das „wehrwirtschaftlich wichtige Donezbecken“, die Ostukraine, wo bis heute 80 Prozent der Rohstoffe und der Schwerindustrie des Landes beheimatet sind.

2014 dann waren die Erben Banderas, die Milizen des Rechten Sektors, erneut dabei, diese Region anzugreifen — nun nicht mehr als Handlanger der aus Westen heranmarschierenden Wehrmacht, sondern der „Soft-Power“ des Westens, der das ohnehin zerrissene Land mit Versprechungen und viel Geld in den letzten Jahren immer weiter auseinandergetrieben hat: Allein die USA haben nach Aussagen ihrer Chefdiplomatin Victoria Nuland fünf Milliarden Dollar in die „Demokratieförderung” investiert. Um Demokratie geht es dabei kaum, sondern vielmehr um Macht und Geschäfte — und für diese ist einmal mehr das Donezbecken im Osten, das Ruhrgebiet der Ukraine, von allergrößtem Interesse.

Die Halbinsel Krim, seit 1783 Teil des Russischen Reichs, war und ist weniger von wirtschaftlicher als von strategischer Bedeutung: Als beinahe einziger eisfreier Hafen der russischen Flotte sichert Sewastopol den Zugang zum Mittelmeer. Zur Feier der dreihundertjährigen Freundschaft von Russland und der Ukraine im Jahr 1954 erwies sich der aus der Ukraine stammende Nikita Chruschtschow seiner alten Heimat ganz besonders verbunden: Er vermachte die Krim mit ihren 21.600 Quadratkilometern und knapp zwei Millionen Bewohnern der Ukraine als Geschenk. Solange die Sowjetunion existierte, stellte das nur einen symbolischen Akt, aber keinerlei Problem dar.

Nach 1991 aber sah sich Russland dann gezwungen, mit der Ukraine einen langfristigen Pachtvertrag über den Hafen Sewastopol abzuschließen, der auch die Anwesenheit von etwa 20 000 russischen Soldaten auf der Halbinsel einschließt. 2012 hatte Präsident Janukowitsch ihn um weitere 30 Jahre verlängert — unter Protesten jener Oppositionsparteien, die sich Ende Februar 2014 mit Gewalt an die Macht gebracht hatten. Dass Russland daraufhin Bedenken über die Einhaltung dieses Vertrags kommen konnten — zumal als von den radikalen Milizen des Rechten Sektors zum Marsch auf die Krim aufgerufen wurde (4) —, scheint da zumindest nachvollziehbar.



Quellen und Anmerkungen:

(1) Malte Lehming: „Stalins verdrängter Hungermord in der Ukraine“, Tagesspiegel, 5. Mai 2014
(2) Michail Bulgakow: „Die weiße Garde, Volk und Welt“, 1992, S. 38.
(3) „Immer Angst“, Spiegel, 28. Oktober 1959.
(4) Reinhard Lauterbach: „Rechte machen mobil“, Junge Welt, 8. März.2014

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