Zur Einstimmung ein bisschen Musik? Ernst Busch: „Der Revoluzzer“. Geistige Aufbaunahrung für Sozn. Hör mal zu. Danach legen wir zu deiner Erbauung noch eine Scheibe mit Väterchen Franz auf, ja, dem Degenhardt: „Verteidigung eines alten Sozialdemokraten“. Wat mutt, dat mutt!
Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung? Stimmt. Du bist hier der Sozn. Warum es bei uns immer „Sozn“ heißt? Tradition. Aus dem gleichen Grund wurde später ein Kanzlerkandidat „Chulz“ genannt. Wir waren ungewollt stilprägend. Neuerung der schreibenden Klasse: Sie drückt mit dem Weglassen von Buchstaben dringend gebotene Respektlosigkeit aus.
Euer „Maddin“ hat bei seinem Antritt als Kanzlerkandidat versucht, seine Partei auf die einzig erfolgversprechende Weise wieder wählbar zu machen: Weg mit dem Hartz-IV-Regime, Wiederherstellung der gesetzlichen Rente, Schluss mit der „Agenda 2010“. Doch dafür bekam er soviel Gegenwind von den Medien und derart schwere Prügel vom reaktionären „Seeheimer Kreis“ seiner Partei, dass er gleich den Schwanz einkniff. Obwohl grad erst mit 100 Prozent Stimmen zum Vorsitzenden gewählt. Schon vergessen?
Sag, woher soll noch Respekt für ihn und für seine Partei kommen?
Zur Pippi Nahles fällt uns nichts Neues ein. Die ging halt den typisch sozialdemokratischen Gang: von halb links nach voll rechts – zur „Angenda“-Politik. Spielt jetzt Barrikadenbraut und wirkt nur noch abstoßend lächerlich. Zu Olaf Scholz, mein Lieber, holst du gar nichts aus uns raus. Macht die personellen Albernheiten bitte unter euch ab. Die Schwesig? Blondinenwitze gibt´s bei uns nicht. Es ist uns egal, welches Würstchen deine ehemalige Volkspartei bei ihrer Konkursverwaltung auf den Grill legt.
Von Wilhelm Liebknecht und August Bebel zu Sigmar Gabriel und Martin Chulz: das Ende ist Nahles. Der Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Jetzt liegen deine politischen Stimmungskanonen in Umfragen bei satten 16 Prozent. Volkspartei en miniature. Und da ist garantiert noch Luft nach unten.
Wir sollen bei dir nicht immer auf dieselbe Stelle hauen? Aber das hält warm. Lief in deiner Partei nicht grad die Aktion „Eintreten, GroKo ablehnen, austreten?“ Und jetzt geht sogar das in die Hose, weil der „Maddin“ mit seinem Rücktritt den Sozn-Club so durcheinander brachte, dass alle Mann nur noch „Stabilität“ wollen – und mit „Mutti“ weiterregieren? Gegenfrage: Lässt sich ein größeres Maß an Infantilität und politischer Unfähigkeit überhaupt noch vorstellen?
Mit Abstand betrachtet, lieber Nachbar, ist die Schlammschlacht um die Regierungsbildung in Berlin allerdings voll erschütternder Symbolkraft. Und zornig macht uns, dass die Wunderlampe euch nicht allen heimleuchtet.
Je weiter der Extremkapitalismus fortschreitet, desto kindischer wird das Kasperletheater auf der politischen Bühne. Desto lächerlicher, was die Protagonisten dort abziehen. Guck nach Washington und auf die Trump-Administration, guck nach Madrid zum Aufrüster Rajoy, aufs „Luftschlag“-Macrönchen in Paris, die Mutter-Theresa-May in London, den Schlussverkäufer Renzi in Rom und, festhalten, den Schluckspecht-Juncker in Brüssel: Lachhafte Bocksprünge und Brusttrommeln wie unter Gorillas. Aber Berlin setzt allem die Krone auf.
Je mehr die politische Funktionselite auf Seriosität und den schönen Schein geregelter demokratisch-parlamentarischer Prozeduren verzichtet, desto intensiver stinkt es nach Krieg. Und unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk beschweigt das Ganze dermaßen nachhaltig, dass du vom Ohrensausen schlaflos sein müsstest.
Du hältst das für übertrieben? Dann nimm mal ein paar Stichworte auf. Mach dir deinen eigenen Reim drauf.
US-Kriegsminister Mattis erklärte, die USA hätten keinerlei Beweise dafür, dass die syrische Armee jemals das Giftgas Sarin eingesetzt hat. Das über Jahre auch in der Tagesschau gehegte Propaganda-Märchen wurde trotzdem in der Wunderlampe nicht widerrufen. ARD-aktuell teilt auch nicht mit, dass die USA auf der Basis solcher Märchen (Assad lässt das eigene Volk mit „Fassbomben“ töten) inzwischen 12 Militärflughäfen in Nordostsyrien errichtet und mehr als 8000 Soldaten stationiert haben, die völkerrechtswidrig dort bleiben sollen. So lange, bis die USA als Dauerkonfliktherd da ein „Kurdistan“ als eigene Entität installiert haben. Ein solcher Unstaat würde fortwährend Kriege mit Türken, Irakern, Syrern, Armeniern, Aserbeidschanern und Iranern garantieren.
Wir kennen die Masche vom Balkan-Krieg: Erst das neutrale und geordnete Jugoslawien zerschlagen, ethnische Gegensätze schüren. Danach halten die wenigen Albaner die Serben, Kroaten, Bosnier, Makedonier, Montenegriner, Kosovaren, Bulgaren und Rumänen unter Stress. Die neuen Kleinstaaten entwickeln Schutzbedürfnisse und suchen sie in Mitgliedschaften bei NATO beziehungsweise EU sowie mit aberwitziger Hochrüstung zu befriedigen. Das US-Imperium regiert, indem es gleich ein halbes Dutzend Nationen in permanenten Alarmzustand treibt. Und der militärisch-industrielle Komplex sahnt ab.
Nichts davon in Tagesschau...
Genozid und Völkerrechtsverbrechen im Jemen. Wer führt eigentlich Krieg gegen die Houthi in diesem ärmsten aller Länder? „Eine von Saudi-Arabien geführte Allianz“, meldet die Tagesschau. Und verschweigt, wer noch zu dieser Allianz gehört, weil es sich um lauter enge Geschäftsfreunde der Westlichen Wertegemeinschaft WWG handelt: Die monarchistischen Despotien Bahrain, Katar, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Jordanien und Marokko, dazu Sudan und Senegal, beide demokratiefrei, sowie die Militärdiktatur Ägypten. Gesteuert wird diese Abnormitäten-Sammlung von den USA, mit Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs. Die geben die Strategie vor und garantieren die Logistik.
Welchem Zweck das Massenmorden dient? Natürlich der US-Hegemonie. Die braucht auch in der Region um den Jemen herum, am Persischen Golf, am Arabischen Meer und am Horn von Afrika ein zuverlässiges Kriegs-Chaos zur Absicherung der imperialen Macht.
Nichts davon in Dr. Gniffkes Wunderlampe, nicht mal andeutungsweise....
Zwei US-Flugzeugträgerflotten, im Westpazifik und im Südchinesischen Meer. Sie und die US-Garnisonen in Japan, Taiwan, Südkorea, auf den Philippinen und auf Diego Garcia sind militärische Schutzmächte für regionalen Genozid in Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka und Indonesien, für autoritäre, aufs Militär gestützte Regime wie in Thailand, für politische Spannungen wie zwischen den beiden koreanischen Staaten. Wie viel wissen wir darüber, wie viel erfahren wir aus unserer Wunderlampe?
Das wird dir alles zuviel? Das findest du so einnehmend wie Opa Stripplhubers Hustenauswurf?
Gut, beschränken wir uns auf die eklige Rolle der BRD in der globalen Kriegstreiberei, das ist übersichtlicher. Du hast recht, beim ständigen Jammern übers weltweite Chaos könnte der Dreck vor unserer Haustür vergessen werden.
Die Bundesluftwaffe fliegt mit Aufklärungs-Tornados Tag für Tag völkerrechts- und grundgesetzwidrige Einsätze im Luftraum Syriens. Strafanzeigen gegen die Bundesregierung und die Berliner parlamentarischen Befürworter dieses Friedensverrats ignorierte der Generalbundesanwalt. Der Mann ist schließlich weisungsgebunden, dem Justizminister unterstellt.
Die Tornados sammelten die Zieldaten für einen Luftangriff der USA auf die von IS-Terroristen umzingelte syrische Kompanie bei Deir-Ez Zor. 62 dieser armen Teufel, die dem IS so tapfer und länger als zwei Jahre standgehalten hatten, obwohl sie nur aus der Luft hatten versorgt werden können, wurden nun von US-Bombern massakriert. Mit voller Absicht. Mehr als 100 Männer wurden verwundet, einige fielen den IS-Dschihadisten in die Hände. Grauenhaft, was ihnen dann geschah. Die IS-Mörder aber durften sich unter dem Schutz der USA in der eroberten Stellung festsetzen, zur Kontrolle eines benachbarten Ölfeldes, aus dem sich nun die Amis bedienen.
Ach ja: Ein Strafverfahren wegen der direkten Beteiligung an dem Massaker wurde auch gegen unsere tapferen deutschen Vaterlandsverteidiger nie eingeleitet. Nicht mal Ermittlungen wurden aufgenommen. Unsere Soldaten haben ja nicht selbst gebombt. Sie blieben sauber. Sie haben nur den Amis gezeigt, wo sie ihre mörderische Bombenlast erfolgreich platzieren können.
Selbstverständlich nichts darüber in Dr. Gniffkes Wunderlampe.
Blutig schmierige Geschäfte
Am Krieg der Anderen kräftig verdienen und Profit aus dem Verkauf von Mordwerkzeug schinden, das ist Deutschlands Alltag als Export-Weltmeister. Zwar werden besonders die Sozn im Kabinett nie müde, zu versichern, dass Rüstungslieferungen in Spannungsgebiete nicht stattfinden dürfen. Aber keine Regel ohne Ausnahme, gelle? Also verkauften wir fleißig militärisches High-Tech an Saudi-Arabien. Und natürlich an Israel, zum Beispiel. Weil wir, so erklärt die Regierung in Berlin, uns „für die Sicherheit Israels verantwortlich“ fühlten.
Gegen diese unglaubliche Dreistigkeit erhob kein Journalist die Stimme. Kein Wort davon in der Wunderlampe.
„Für Israels Sicherheit verantwortlich“, behauptet Mutti in Berlin und lässt einen Staat hochrüsten, der längst selbst heimlich Atomwaffen baute, große Gebiete in den Nachbarstaaten annektierte, seit Jahren Landraub in Palästina betreibt, das Völkerrecht mit Füßen tritt, religiöse Apartheid praktiziert, sämtliche Resolutionen und Friedensappelle der UNO ignoriert und sich trotzdem permanent als rundum bedrohtes Opferlamm darstellt. Deutschland rüstet diesen Staat mit atomwaffenfähigen U-Booten aus. Generös übernahmen wir rund ein Drittel der Kosten: eine halbe Milliarde Euro als deutsche Dreingabe beim Verkauf dieser Angriffswaffen. „Freundschaft mit Israel ist deutsche Staatsräson“, erklärte Kanzlerin Merkel. Ihre Ignoranz gegenüber Völkerrechtsbruch ist es leider auch.
Schändlich, doch nichts davon in Dr. Gniffkes Wunderlampe...
Das hältst du für einen extremen Sonderfall? Dann hast du verpasst, dass die Bundesregierung im vorigen September kurz vor der Bundestagswahl schnell noch einen Vertrag über den Verkauf von vier Korvetten an Israel abschloss. Wieder übernimmt der deutsche Steuerzahler rund ein Drittel der Kosten. Abermals fast eine halbe Milliarde Euro. Dass Korvetten keine Verteidigungsmittel sind (wie zum Beispiel Minensuchboote), sondern blanke Angriffswaffen: na und? Die Verträge wurden übrigens von SPD-Gabriel und SPD- Zypries abgenickt. Die deutsche Rüstungswirtschaft profitiert.
Also schön, oller Sozn, auch unsere Unionschristen zählen zu den Guten. Kriegsministerin von der Leyen, obwohl nur noch geschäftsführend im Amt, tingelte Mitte Februar nach Bagdad und sicherte der dortigen Marionettenregierung zu, die Bundeswehr künftig nicht nur Kurden im Nordirak bewaffnen und ausbilden zu lassen, sondern ihre Mannen im ganzen Land segensreich einzusetzen. Ein Bundestagsmandat dafür hat die kalte Kampflächlerin zwar nicht, aber das Wohlwollen der USA und der NATO; nur darauf kommt´s an.
Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen? Nö, das lässt sich auch vom Irak aus machen.
Es sichert allemal Arbeitsplätze. Bei Thyssen-Krupp, Rheinmetall, Heckler & Koch, Krauss-Maffei, Howaldtswerke und Deutsche Werft AG, gelle? Worauf es einem guten Sozn natürlich ankommt. Manche Leute sind so hart auf den Kopf gefallen, dass es ihrer ganzen Umgebung weh tut.
Deutschland eignet sich bestens als Austragungsort für den näher rückenden Krieg der USA gegen Russland. Wir bieten bald eine weitere Zielscheibe für zukünftige „Nukes“: Unsere geschäftsführende Kriegsministerin hat gleich auch noch der Einrichtung eines neuen NATO-Hauptquartiers am Rhein zugestimmt. Hauptaufgabe: schnelle Panzer- und Truppen- Transporte aus Westeuropa ins Baltikum und an die russische Grenze organisieren. NATO-Propaganda in der Tagesschau: Wir müssen dem bösen Russen schneller was entgegen werfen können. Du verstehst? Der Bundestag wurde auch dazu nicht um seine Meinung gebeten.
Deutschland dient sich als Schlachtfeld des nächsten großen Krieges an – und in Dr. Gniffkes Wunderlampe fällt kein Wort darüber.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschränkt man sich auf ein paar ausgesuchte Tatsachen und verzichtet auf die umständliche und störende Darstellung von Zusammenhängen. Nichts wird dem Zuschauer sachgemäß verständlich gemacht, auf dass er sich selbst ein angemessenes Urteil bilde. Dr. Gniffkes Wunderlampe informiert erst recht nicht über friedliche Alternativen zur täglichen Kriegstreiberei: Austritt Deutschlands aus der NATO und Kündigung der Stationierungsverträge für alle fremden Truppen auf deutschem Boden. Beides wäre rechtlich möglich, politisch machbar und innerhalb von zwei Jahren wirksam.
Es redet nur keiner davon. Nicht mal die Linkspartei. Ihr Vormann Gregor Gysi ließ seine Leute lieber die utopische „Auflösung der NATO“ ins Programm schreiben, wohl wissend, dass dies zwar nicht von Deutschland allein beschlossen werden kann, aber dazu taugt, uns von den wirklich realistischen Austrittsmöglichkeiten abzulenken. Und mit diesem Päckchen unterm Arm stattete der Gysi den Amis eine Rektalvisite ab, damit man in Washington die Partei DIE LINKE garantiert als nützliches Zäpfchen begreife und nicht als politischen Gegner.
„Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. ... Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert." (Carl v. Ossietzky)
Unsere Oberen reden von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, FDGO, und meinen damit die Alimentierung des militärisch-industriellen Komplexes. Sie halten uns zum Narren mit der Wahnidee, wir seien Teil einer moralisch höher stehenden Werte-Gemeinschaft.
Träumen wir mal ...
Wo das Positive bleibt, fragst du? Aha, anscheinend hat deine Leidensfähigkeit doch ihre Grenzen. Dann lieber nichts mehr über Deutschlands perverse Lust, nach der US-Pfeife zu tanzen. Wir könnten stattdessen das deutsche Anheizen von Regionalkonflikten diskutieren, in Afrika, in Mittel- und Südamerika...
Du hast die Nase gestrichen voll vom Thema Kriegspolitik? Verständlich. Aber sie geht uns trotzdem alle an.
Entlastungsangebot: ein „Santiago de Cuba“, mit altem fassgereiften Rum von der Insel, kein Produkt eines US-Konzerns. Schmeckt allemal besser als das Zeug von Bacardi. Auf Vanilleeis, mit Limonensaft und Tonic gespritzt. Nein, keine Variante von Cuba Libre, sondern was Eigenes. Für Cuba Libre braucht man Coca-Cola; Chemiebrühe aus US-Giftküchen führen wir aber nicht. Hier gibt es original kubanischen Rum für besondere Anlässe. Prosit! Wir wollen Einen heben, auf Kubas Freiheit. Ohne unfreiwillige Tributleistung an einen US-Konzern.
Ach so, du meinst, Kuba sei kommunistisch und deshalb eine Diktatur? Hat dir schon mal einer verklickert, dass man von der Wunderlampen-Bestrahlung ne Matschbirne kriegen kann? Lass uns lieber präventiv die Zuckerinsel in der Karibik betrachten, ja? Dass in Kuba gerade freie Wahlen stattfinden, hast du garantiert nicht aus der Wunderlampe vernommen. Dass Raúl Castro in vier Wochen nicht mehr fürs Präsidentenamt kandidiert, ist dir neu? Und was sonst noch da abgeht? Nein?
Über das informationelle Defizit bei Tante Tagesschau wunderst du dich aber hoffentlich nicht.
„Nachrichten zu machen, bedeutet stets, Nachrichten zu gewichten und eine Auswahl zu treffen, denn aus Tausenden von Meldungen muss zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden“,
erklärte Onkel Doktor Gniffke, Chefredakteur der ARD-aktuell, vor nicht allzu langer Zeit dem staunenden NDR-Rundfunkrat. Die Herrschaften brauchen zwar solche lichtvollen Erkenntnisse, schnallen aber trotzdem nicht, worauf der Akzent sitzt: Die Tagesschau trifft ihre „Auswahl“ so, dass kommunistische Staatswesen ignoriert werden oder schlecht wegkommen. Sie „gewichtet“ so, dass kapitalistisch-bürgerliche Demokratien als das Gute an sich dastehen. Tendenzjournalismus in Reinkultur.
Das hältst du für verschwörungstheoretischen Blödsinn? Hast du denn eine Erklärung dafür, dass zwar Schallkanonen-Quatsch über Kuba gebracht (und nicht berichtigt) wird, aber nichts über den Wechsel an Kubas Staatsspitze und den Abgang eines weltbekannten Politikers von der Bühne?
Kommunismus, wir folgen hier dem Wortsinn, erstrebt das gemeinsame Wohl und schließt Demokratie nicht aus. Schau mal mit offenen Augen hin, wie das gerade in Kuba vonstatten geht: Auf allen Ebenen wird in relativ kurzer Abfolge gewählt. Kommunal, regional, national. 18 000 Kandidaten sind angetreten. Kandidieren kann jeder erwachsene Kubaner. Politische Parteien, auch die KP, dürfen keine Kandidaten vorschlagen und keine Kandidaturen verhindern. Wahllisten sind verboten. Es gibt nur Direktwahl. Die Kandidaten müssen für sich selbst sprechen. Politreklame aller Art, besonders kommerzielle, ist untersagt. Mit Stimmenmehrheiten kann demnach nur rechnen, wer persönlich überzeugt und sich bewährt hat.
Vergleiche das mal mit unserer Parteienoligarchie und dem Berliner Intrigantenstadel!
Nach besagten Grundsätzen wurden im November bereits Kubas Kommunalparlamente zusammengestellt, die Basis für alle weiteren Ebenen. Derzeit wählt Kuba seine Regionalparlamente, nach den gleichen Regeln. Und am 11. März wird das Abgeordnetenhaus in Havanna gewählt. Die Stimmabgabe ist geheim, die Stimmenauszählung selbstverständlich öffentlich. Das Wahlrecht schützt vor jeglicher parteipolitischen oder wirtschaftlichen Einmischung in die Prozeduren. Es gibt keine Hinterzimmer-Rangeleien, keine „Sondierungsgespräche“, kein Koalitionsgehampel.
Das hat demokratischen Anspruch, stimmt's? Aber warte noch einen Augenblick:
Sowie das Abgeordnetenhaus gewählt ist, unmittelbar danach, beruft es den Staatsrat. Er wird wiederum direkt gewählt, wieder müssen die Kandidaten sich ohne Unterstützung einer Partei durchsetzen. Für Kungelei und Mauschelei ist kein Platz und keine Zeit. In gleich rascher Folge bestimmt der Staatsrat dann, wer aus seiner Mitte neuer Staatspräsident wird.
Am 17. April wird Raúl Castro sein Amt an diesen Nachfolger übergeben. Demokratischer Zentralismus in der Praxis: das Ende einer Epoche, in der die Castros Kubas Geschicke lenkten und verdientermaßen wiedergewählt wurden.
Traurige Geschicke? Weil Kubas jüngere Geschichte von Armut und folglich Unfreiheit gezeichnet ist?
Das stimmt einerseits, wird aber von der Wählermehrheit in Kuba ganz anders gesehen. Was meinst du wohl, warum dort nach wie vor Kommunisten die Mehrheiten für sich gewinnen?
Die Entscheidungen über die praktischen täglichen Fragen werden von Betroffenen gefällt und im Interesse der Betroffenen (übrigens ist das auch in Venezuela so). Das Zusammenspiel zwischen direkt gewählten Volksvertretern und der KP aktualisiert auch das Denken in der Partei selbst. Da gibt’s keine finanziellen Anreize für die ehrenamtliche Funktion des Volksvertreters und keine Lobby. Ideologische Änderungen durch bezahlte Handlanger („Berufspolitiker“) – im Extremfall die Abschaffung der KP und ihrer Zielvorstellungen zur Gestaltung der Gesellschaft – sind da natürlich schwierig.
Hier hast du ein Beispiel: Gegenwärtig sucht das Parlament in Havanna nach Wegen, wie die gravierenden Mängel bei der Medikamentenversorgung zu mildern wären. Ärztliche Hilfe, Medikamente und die Behandlung in den Krankenhäusern sind in Kuba kostenlos. Zeigt dir das etwas über das Selbstverständnis kubanischer Politiker?
Sagt es dir auch etwas über Problemursachen, zum Beispiel den Mangel an Medikamenten? Gib acht, dass du keinem Irrtum aufsitzt.
1960 verhängten die USA ein umfassendes Wirtschaftsembargo über Kuba. Ein politischer Racheakt, weil Kubas Revolutionäre die US-amerikanischen Unternehmen enteignet hatten (im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar) und die „Yankees“ des Landes verwiesen; Kuba sollte nicht mehr länger Casino, Bordell und Arbeitssklaven-Reservoir der Nordamerikaner sein.
Mit ihrem rachsüchtigen Embargo wollten die USA erklärtermaßen Kuba vom Welthandel ausschließen und wirtschaftlich ruinieren. Das Embargo gilt bis heute und verhindert, dass das an Ressourcen arme Land Devisenreserven bildet. Es kann folglich auf dem Weltmarkt auch nur sehr unzureichend Medikamente und andere lebenswichtige Güter einkaufen, die nicht in Eigenregie herstellbar sind.
Du fragst, wie es den Castros möglich war, über Jahrzehnte hinweg sozialistische Politik zu gestalten und trotz der wahrlich oft bedrückenden Armut „an der Macht“ zu bleiben?
Da haben wir sie wieder, die arrogante und von jeglichem Selbstzweifel unbelastete Vorstellung, dass nur eine Gewaltherrschaft solche Stabilität garantieren könne. In Armut zwar, aber ohne Hunger, mit garantiertem Existenzminimum, mit kostenloser Schul- und Berufsausbildung, kostenloser Gesundheitsfürsorge und (wenn auch bescheidener) Alterssicherung leben soll schlimmer sein, als im Kapitalismus-Wohlstand täglich in Angst vor drohender Arbeitslosigkeit und Altersarmut um Arbeit und Überleben kämpfen zu müssen? Das ist die Vorstellung, die ARD-aktuell bis heute verbreitet. Das Märchen vom kinderfressenden Kommunismus.
Wer sich von der Wunderlampe erleuchten lässt, statt sich qualifiziert und vielseitig zu informieren, denkt nur noch in Zerrbildern. Die ARD-aktuell betet bis heute die US-Linie in ihrer Berichterstattung nach: Raus aus dem Blickfeld, was unser kapitalistisches System fragwürdig erscheinen lassen könnte. Keine Fakten, stattdessen nur Dreckschleudern gegen Fidel Castro und seine Kampfgefährten. Nur ja kein halbwegs reales Bild von der Insel liefern, nicht einmal während der kurzlebigen US-Annäherung an Kuba.
Es wird stur verleumdet, ignoriert und totgeschwiegen. Jetzt begreifst du, warum Wim Wenders Musikfilm Buena Vista Social Club (1999) so ein Renner war. Weil er eine Tür aufstieß, so eindrucksvoll wie beim Öffnen der Grabkammer des Tut Enk Amun. Nicht einmal der Bau einer großen russisch-orthodoxen Kirche in Havanna, der „Kathedrale unserer lieben Frau von Kasan” – als Dank für die langjährige Hilfe des russischen Volkes - wurde in Deutschland bekannt.
Kommunisten bauen Kirchen? Das darf’s halt nicht geben...
Wie müssen wir unsere deutschen Zustände einschätzen, wenn wir sie realistisch mit der demokratischen, direkten Wahlfreiheit auf Kuba vergleichen? Wäre sie nicht auch für uns absolut erstrebenswert? Nee? Du isst nur, was Mutti gekocht hat? Die sogenannte GroKo, die jetzt auf Biegen und Brechen von und mit den Sozn durchgesetzt werden soll, hätte allerdings aktuell nicht mal mehr im Bundestag eine Mehrheit, wenn es dort nach Volkes Willen ginge.
Nach Volkes Wille? „Wir sind das Volk!“ Tja, mit Wunderlampen-Bestrahlungsschäden. „Dumm sein und Arbeit haben ist das wahre Glück,“ spottete Gottfried Benn.
Prosit!