Der Schöpfer ist unentbehrlich. Jedenfalls beim internationalen Fernseh. Dort wird der Creator seit Anfang der Neunziger Jahre nicht nur budgetiert, sondern auch geeignet gewürdigt, sprich: Im Serienvorspann genannt, denn der Creator, also Schöpfer, ist eben jener, der die Idee hatte, der die Idee vorgestellt hat, Dramaturgie, Staffelbogen und „Figurenbibel“ entwickelt und mehrere Episoden der konzipierten Staffel auch schreibt. Oft ist der Creator zudem Showrunner, kümmert sich also zusätzlich federführend um die gesamte Umsetzung der von ihm selbst und von anderen Autoren geschriebenen Bücher. Sprich: Anders als beim (Kino)-Film, bei dem der Regisseur grundsätzlich den künstlerischen Hut oder Helm trägt, tut dies bei der Fernsehserie der Schöpfer-Showrunner.
Auf unserem deutschen Fernsehmarkt, immerhin dem in Sachen Umsatz zweitgrößten der Welt (nach dem US-amerikanischen), kommen Schöpfer allerdings nicht vor. Weder ist für sie eine Kostenstelle vorgesehen, noch ein Platz im Vor- oder Abspann, denn Intendanten und Vorstände der deutschen Sender wissen: Wo man Schöpfern die Türen öffnet, geht alles den Bach runter. Die Qualität sinkt ins Bodenlose, das Programm gerät zur Zumutung für das Publikum, und überaus fragwürdige Erzählungen, gespickt mit fragwürdigen Charakteren, finden ihren Platz auf die Schirme. Die entsetzlichen Beispiele sind Legion und werden in Programmkonferenzen von Sat.1 bis ARD nur schaudernd, mahnend als finaler Abwehrzauber genannt, sofern es doch mal ein Vorschlag in die vorletzte Runde schafft, der sich erzählerisch einen Millimeter von bewährten Konzept Notruf Landarzt-Soko Rosenheim abzuheben droht.
Schöpfer, das zeigt sich allerorten, sind der Untergang des Fernsehabendlandes. Schöpfer verbrechen grauenhafte Serien, die kein guter deutscher Zuschauer sehen will: Game of Thrones. Mad Men. Breaking Bad. The Walking Dead. Gilmore Girls. Parenthood. Lost, Six Feet Under, True Blood, Westworld, House of Cards, Homeland, Orange ist he new black, The Wire, Sherlock – die Serienserie ist endlos, nichts ist vor diesen Schöpfern sicher, alles denken sie neu und originell, von Verbrechen bis Mittelalter, von Shakespeare bis Dickens, von Liebe bis Familie, und ständig kommen neue fürchterliche Geschmacklosigkeiten hinzu.
Aber nicht bei uns. Wir wissen das zu verhindern. Im Auftrag des Zuschauers, der ein Recht darauf hat, vom mit Abstand teuersten Staatsfernsehsystem der Welt und seinen zwei artigen privaten Mitbewerbern geschützt zu werden vor allen Inhalten, die im längst irre gewordenen Rest der Welt begeistert gesehen und mit Preisen überschüttet werden. Nicht bei uns. Nicht mit uns. Und um sicherzustellen, dass niemals einer von diesen Schöpfern sich einschmuggelt in unser System, haben wir Tausende von Wächtern installiert. Viel mächtiger und stärker als alle Schöpfer, angewiesen, alle heillose Kreativität im Keim zu ersticken und ganz bewusst von uns mit der harmlos klingenden Berufsbezeichnung „Redakteur“ dekoriert. Denn in Wahrheit ist der, der Redakteur - der Allmächtige. Sein ist die Herrlichkeit, sein ist das Urteil, sein ist die ganze Macht über Leben oder materielle Auslöschung des Kreativen. (Und, ja, natürlich ist der/die RedakteurIn nicht immer ein Mann, sondern viel häufiger eine Frau. Das „in“ denken wir uns im folgenden jeweils dazu oder kopieren den Text und schreiben es überall selbst dazu.)
Der Redakteur ist aber nicht nur allmächtig, er jst obendrein, aus gutem Grund, festangestellt. Denn nur so können die Titanen ganz oben in den Anstalten, die „Chefredakteuere“, „Serienchefs“ und „Abteilungsleiter Fernsehspiel“, ihm versichern, dass er bei seinem gerechten Kampf gegen alles Schöpferische auch fortgesetzt willkürlich Kreative vernichten kann, ohne je zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und so regiert der Allmächtige unantastbar über das ganze potentiell gefährliche Gesocks, also alle Regisseuren, Produzenten, Autoren, Kreativen und Schöpfer, und trifft alle wichtigen Entscheidungen.
Zirka 95% der Allmächtigen sind hierbei ausdrücklich unqualifiziert, also weder (Ex-)Regisseure noch (Ex-)Autoren, können also weder Filme oder Serien selbst schreiben oder konzipieren oder realisieren, aber dafür hat mancher Allmächtige gelegentlich eine originelle „Idee“, die schon mindestens hundert andere vor ihm hatten, meist: „Lass uns mal was mit Krimi machen!“. Diese Idee kann der Allmächtige aber nicht aufschreiben, daher delegiert er die Aufgabe an einen Produzenten, der ebenfalls nicht schreiben kann und deshalb weiterdelegiert, an einen Autor.
Gefällt dann dem Allmächtigen, was das Autor aus seiner „Idee“ gemacht hat (zum Beispiel eine vollständig entwickelte Serie auf sagen wir mal 60 Seiten, inklusive Figuren-„Bibel“, Dramaturgie, Cliffs, Beats und Horizontale), steht auf dem fertigen Konzeptpapier der Serie XY nicht „created by (Autorenname einsetzen)“, sondern bestenfalls „aufgeschrieben von (Autorenname einsetzen)“ (und, nein, das hab ich mir nicht ausgedacht). Denn kreiert, erfunden, geschöpft hat die Serie ja nicht etwa der Autor. Sondern der Allmächtige. Unterstützt vom Produzenten. Der Autor spielt in diesem Kreationsprozess keine Rolle. Der darf am Ende nur die einzelnen Folgen mit Wörtern füllen, also aufschreiben. Sofern er sich artig benimmt.
Wer nun zum Beispiel vom Land kommt oder aus der ganz normalen Wirklichkeit und irrglaubt, der deutsche Fernsehmarkt müsse annähernd so funktionieren wie die Märkte im Rest der Welt, kann was erleben, und durchaus Denkwürdiges. Zum Beispiel kann man, in Zusammenarbeit mit einer Produktion, die halb einem öffentlich-rechtlichen Sender gehört (ein durchaus interessanter, total normaler Zustand auf dem deutschen Fernseh-Sonderweg) , eine ganze Serie erfinden (international: „Creator“), Buch 1 und Buch 8 selbst schreiben („Autor“), die Arbeit an den weiteren Büchern wunschgemäß delegieren und die entstehenden Bücher der hinzugezogenen (Co)-Autoren mehrfach überarbeiten („Head Writer“ oder „Executive Producer“), mit dem/den Regisseur(en) vorab festlegen, mit welchen und wie vielen Kameras wie und bei welchem Licht wo wie gedreht und was wie nachbearbeitet werden soll („Showrunner“), das 500 Seiten starke Ergebnis dann dem Redakteur schicken und mit den begeisterten Produzentinnen einen Telefontermin mit diesem Entscheider vereinbaren lassen, um sich nun endgültig „grünes Licht“ für den bereits fest geplanten Produktionsstart zu holen.
Dabei kann es einem dann aber passieren, dass der telefonisch zugeschaltete Allmächtige, irgendwo auf einem Bahngleis stehend, verdutzt ist, wenn man sich mit Namen und Funktion („Creator“) vorstellt, und der Allmächtige zu den ebenfalls in der Leitung anwesenden Produzenten sagt, „Wie, da ist ein Autor in der Leitung?“.
Und einfach auflegt.
Um direkt danach die Produzentinnen auf deren Handys anzurufen und sich zu verbitten, ihm jemals wieder so was zuzumuten.
Ich habe dann direkt gekündigt. Gestört hat das keinen. Mein Nachfolger durfte allerdings auch nicht „Creator“ werden. Und natürlich wurde die Serie nie realisiert. Wie denn auch? Denn die enthielt doch „The Thing That Can´t Be Named“, das Voldemort-Äquivalent in deutschen Fernsehanstalten, eine Horizontale. (Auch wenn sie den Sehgewohnheiten des durchschnittlich (!) 61 Jahre (!) alten öffentlich-rechtlichen Zuschauers durchaus entgegenkam, als pflegeleichter Hybrid). Aber wer hätte sie nach dem Weggang des „Aufschreibers“ neu gestalten oder gar federführend umsetzen sollen, wenn nicht ein anderer „Creator/Headwriter/Showrunner“?
Den es nicht gibt. In Deutschland. So soll es sein. Und so soll es bleiben. In Ewigkeit.
Zugegeben, ja, natürlich. Man kann auch Glück haben als Aufschreiber, als ewiger Stift. Der eine oder die andere Allmächtige ist ja durchaus gütig und verständig. Alle paar Jahre darf der eine oder die andere von uns Schöpfern ein Aushängeschild vollschreiben, eine kleine Reihe oder eine kleine Serie. Sogar mit horizontalen Elementen. Dieses Sonderstück muss dann allerdings zwingend im dritten Reich spielen. Oder in der DDR. Und, manchmal, ja, manchmal, lässt einer der Allmächtigen einen zumindest Einzelstücke á 90 Minuten fast frei gestalten. Den oder diese Allmächtige muss man nur finden. Und sich dann anständig benehmen. Also aufschreiben, was der Allmächtige und sein Publikum zu sehen wünschen. In 7 von 10 Fällen: Krimis. In den verbleibenden 3 Fällen: Schafe am Steilhang.
Man muss sich das ja dann nicht ansehen. Die Honorare sind zwar nicht direkt fürstlich, reichen aber lässig für die allabendliche Flasche Weihwasser, den Therapeuten – und ein Netflix-Abo.