Es geht um alles oder nichts
Zugespitzt geht es heute um zwei Fragen: Soll der Homo sapiens, der „weise Mensch“, als Teil der Natur auf diesem Planeten überleben können: Variante A? Oder soll ein — bisher äußerst erfolgreiches — Wirtschaftssystem erhalten bleiben: Variante B? Beides zusammen geht nicht. Wer sich für Variante B entscheidet, muss wissen, dass dieses Modell am Tropf der (endlichen!) Naturgüter hängt und spätestens dann kollabieren wird, wenn die Ressourcen Luft, Wasser, Boden(-schätze), Klima erschöpft beziehungsweise zerstört sind.
Zeugen kommenden Unheils
Einige Inselstaaten in der Südsee wissen es heute schon, ebenso die Eisbären im Polargebiet. Unsere Welt steht am Abgrund. Auch Millionen sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge, die durch klimatische und ökologische Verwerfungen ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden, sind Zeugen kommenden Unheils. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sagte kürzlich, die wichtigsten sieben Industriestaaten müssten sich auf verbindliche Klimaschutz-Ziele verständigen. „Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen, müssen wir mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen“. Andere Studien gehen davon aus, dass es bis zum Jahr 2100 bis zu zwei Milliarden Klimaflüchtlinge geben könnte.
Alles nur Panikmache? Nein, die Weltbank, grüner Verirrungen unverdächtig, warnte bereits 2012, dass die Welt bis zum Jahrhundertende auf eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um vier Grad zusteuere. Die Gegenmaßnahmen der Regierenden sind Augenwischerei. Mit Strohhalmverbot, Blühstreifen am Autobahnrand, CO2-Steuer im unteren Cent-Bereich und jahrzehntelangen Auslauffristen für Kohlekraftwerke werden wir das Klima — genauer gesagt: uns selbst — nicht retten. Das Klimapaket der deutschen Bundesregierung ist bereits jetzt ein historisches Dokument. Es ist nämlich ein Beleg für das Unvermögen zu entschiedenem Handeln. Das Papier gleicht dem alttestamentarischen Menetekel, der Feuerschrift an der Wand, die den drohenden Untergang ankündigt: gezählt, gewogen und zu leicht befunden.
In augenfälligem Widerspruch zur Dramatik der Klimasituation war das Bemühen der Kanzlerin, bei der Vorstellung ihres Klimapakets nicht einzuschlafen. So nachvollziehbar das Schlafbedürfnis nach einem 19-stündigen Verhandlungsmarathon war, so zwergenhaft mutet das unter Merkels Richtlinienkompetenz ausgefeilschte Klimapaket an. Es ist ein Kotau vor den Wünschen der Wirtschaft und vor dem Wahlvolk, dem man Opfer nicht zumuten will.
Der Klimawandel ist längst da
Ein gefährliches Täuschungsmanöver besteht darin, dass so getan wird, als gelte es, einen künftigen Klimawandel zu verhindern. Die Wahrheit ist, dass der Klimawandel längst da ist. Neue wissenschaftliche Daten zeigen, dass sich der Golfstrom seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 15 Prozent verlangsamt hat mit großen Auswirkungen auf das Klima. Gleichzeitig beobachten wir ein rapides Abschmelzen des arktischen Meereises und des Grönlandeises. Damit verbunden ist ein kontinuierlicher Anstieg des Meeresspiegels mit existenziellen Bedrohungen für niedrig gelegene Inseln und für die zahlreichen Megastädte an Meeresküsten. Unübersehbar ist die Zunahme verheerender Wirbelstürme in der Karibik und im nördlichen Pazifik. Der Bericht der World Meteorological Organization (WMO) von 2018 besagt, dass die 20 heißesten Jahre weltweit in den letzten 22 Jahren waren. Die vergangenen vier Jahre waren zudem die vier wärmsten, seit gemessen wird.
Auch in unserer engeren Heimat erleben wir den Klimawandel hautnah. Ein Hitzerekord jagt den anderen. Am 24. Juli 2019 wurden in Geilenkirchen, NRW, 40,5 Grad gemessen. Damit war der bisherige deutsche Allzeitrekord von 40,3 Grad — 2015 in Kitzingen — gebrochen. Der neue Rekord hielt genau einen Tag. Am 25. Juli hat der Deutsche Wetterdienst für das niedersächsische Lingen eine Temperatur von 42,6 Grad bestätigt. Der Rekord wird vermutlich nicht lange halten. Begleitet wird die Aufheizung durch geringere Niederschlagsmengen und längere Trockenperioden. Die ersten Bäche trocknen aus und kommunale Wasserversorgungen leiden an Wassernot. Außerdem sind wir Zeugen immer häufigerer und heftigerer Sturmereignisse sowie des rapiden Abschmelzens der alpinen Gletscher.
Bittere Wahrheit ist, dass wir mitten in einem menschengemachten Klimawandel stehen. Nur noch Großdenker vom Format eines Donald Trump leugnen das.
Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln
Wir wissen spätestens seit den frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in welch prekärer Situation unser Heimatplanet ist. Erwähnt seien hier der Meadows Report an den Club of Rome, „Grenzen des Wachstums“, 1972; Haber, „Stirbt unser blauer Planet“, 1973; Eppler, „Ende oder Wende“, 1975; Gruhl , „Ein Planet wird geplündert“, 1975. Systemhöflinge hatten jedoch nichts Besseres zu tun, als an diesen Wegmarken für ein zeitgemäßes Weltverständnis herumzumäkeln und nach Ungenauigkeiten zu suchen. Heute weiß man, dass die Kernaussagen der genannten Autoren stimmen.
Ende des letzten Jahrhunderts sprach die etablierte Politik dann scheinheilig von einer Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Tatsache ist, dass der vermeintliche Interessenausgleich zumeist zu Lasten von Natur, Umwelt und Klima ausfiel.
Das Geschehen erinnert an das Märchen vom Hasen und dem Igel. Immer wenn der Hase Umweltschutz kurz vor dem Ziel war, sprang der Igel Wirtschaft aus der Ackerfurche und rief „Ich bin schon hier“ und machte mit neuen Produkten und Verkaufsrekorden die angestrebten Umweltverbesserungen zunichte. Beispiel: Der Umweltgewinn durch sparsamere Motoren wurde durch höhere PS-Zahlen und größere Fahrleistungen entwertet. Die Politik stand am Ackerrand und sah zufrieden zu, wohlwollend begleitet von den Wirtschaftsverbänden. Das Ergebnis dieses Vabanquespiels sehen wir heute. Versäumnisse der Vergangenheit beginnen sich zu rächen. Das Klima hat ein langes Gedächtnis. Es lässt nicht mit sich verhandeln.
Zeit zum Handeln
Wir wissen heute, dass die Kosten für die Reparatur von Umweltschäden um ein Vielfaches höher sind als die Kosten der Schadensvermeidung. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass die durch den deutschen CO2-Ausstoß verursachten Umweltschäden allein im Jahr 2016 satte 164 Milliarden Euro betragen. Noch schlimmer sind Klimaschäden, denn sie sind praktisch irreparabel. Der Weltklimarat warnt eindringlich, dass wir vor einem planetaren Notstand stehen, weil sich das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen schnell schließt. Die Experten sagen außerdem, dass die Kosten weiterer Untätigkeit katastrophal sein werden.
Die Erkenntnis hieraus lautet: Wachstumsphantasien, kurzatmige Konjunkturprogramme und populistische Wohlstandsversprechen sind ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Das kapitalistische Wirtschaftssystem, das uns in diese Katastrophe geleitet hat, ist klimapolitisch keine Zukunftsoption mehr. Die Perversität des Systems zeigt sich am deutlichsten darin, dass seine wirtschaftlichen Erfolge mit Blick auf die Zukunft noch zerstörerischer wirken als seine Misserfolge.
Trotz apokalyptischer Bedrohungsszenarien werden Umwelt- und Klimaprobleme noch immer wie Plagegeister behandelt, die man glaubt durch beharrliches Wegschauen vertreiben zu können.
Wir sägen emsig an dem Ast, auf dem wir alle sitzen, und messen voll Stolz die wirtschaftliche Leistung des Sägens — ohne zu bedenken, daß der Ast umso schneller abbrechen wird, je fleißiger wir sägen. Wir müssen endlich aufwachen. Die Zeit für Klimaprogramme, die ihre volle Wirksamkeit erst Mitte des Jahrhunderts entfalten sollen, ist vorbei. Wir müssen handeln, nicht irgendwann, sondern jetzt. Mit aller Entschlossenheit. Das ist eine zutiefst moralische Verpflichtung. Denn die Zeche für weiteres Zuwarten zahlen die, die sich nicht wehren können, unsere Kinder und Kindeskinder.
Steuern und Verbote dürfen kein Tabu sein
Wer das Klima retten will, tut gut daran, in den Annalen nachzulesen, wie andere Übel der Menschheitsgeschichte bekämpft worden sind. Die Sklaverei wurde nicht durch Appelle an das Gewissen oder durch eine Abgabe an die Sklavenhaltung abgeschafft, sondern 1865 durch einen Zusatzartikel in der amerikanischen Verfassung. Der blaue Himmel über dem Ruhrgebiet entstand ab Mitte der 60er Jahre nicht durch Handel mit Emissionsrechten, sondern durch Grenzwerte für chemische Immissionen — vor allem die TA Luft von 1964. Das Ozonloch wurde nicht durch Subventionen für die Chemiewirtschaft bekämpft, sondern durch ein verbindliches Abkommen von 1987, das die Freisetzung von FCKW-Verbindungen verbot.
Diese Beispiele zeigen, dass es strikte gesetzliche Leitplanken der Politik waren, die große Wirkung entfalteten. In anderen Worten: Mit Appellen und Geld ist das Klima nicht zu retten.
Das gilt vor allem dann, wenn staatliche Geldleistungen auch der Förderung der Wirtschaft dienen sollen. Verräterisch ist deshalb das Rezept des CSU-Vorsitzenden Markus Söder „Wir schützen das Klima und stärken die Konjunktur“. Wer solches sagt, zeigt, dass er über den engen Zusammenhang zwischen Konjunktur und Klimaschäden nicht nachgedacht hat, und dass es ihm nicht primär um Klimaschutz geht. Wer – wie Union und FDP – Steuern und gesetzliche Verbote rigoros ablehnt, offenbart, dass in seiner Wertehierarchie Wahlergebnisse wichtiger sind als Klimaschutz.
Steuern dürfen als Lenkungsmittel nicht ausgeschlossen sein. Es wäre auch systemfremd. Warum sollte in einer Gesellschaft, die fast alles — zum Beispiel Lebensmittel, Bücher, Hunde, Sekt und Vergnügungen — besteuert, ausgerechnet das Verbrennen von Klimaschädlingen wie Kohle, Öl und Gas nicht angemessen besteuert werden? Doch Lenkungssteuern sind kein Allheilmittel. Sie haben nämlich einen schwerwiegenden Nachteil: Sie belasten im Regelfall den „kleinen Mann“ stärker als den Reichen. Einen gewissen Ausgleich kann ein sozial gerechtes Steuersystem leisten.
Wo Steuern an ihre Grenzen stoßen, schlägt die Stunde des Ordnungsrechts. Das Recht hat unter anderem die Aufgabe, gemeinschaftsschädliches Verhalten unattraktiv zu machen. Wenn es also darum geht, Langzeitfolgen der fossilen Infrastruktur zu beenden, dann müssen schädliche Produktionsverfahren und deren Erzeugnisse sowie persönliches Fehlverhalten verboten werden. Zur Ehrenrettung von Verboten sei ausdrücklich gesagt: Sie sind nichts Unanständiges. Wir kennen sie aus den heiligen Schriften und aus archaischen Gesetzeswerken. Auch moderne Rechtsordnungen funktionieren nur mit Verbotsnormen — so zum Beispiel Strafrecht, Straßenverkehrsrecht, Lebensmittelrecht, Wettbewerbsrecht. Der große Vorteil von Verboten ist, sie wenden sich an Arme und Reiche in gleicher Weise. Beispiel: Der Benzinpreis interessiert den Millionär nicht, wohl aber Tempolimit und Fahrverbot.
Klimahomöopathie
Es gibt heilige Kühe, an die sich die deutsche Politik nicht heranwagt: Kohlestrom, freie Fahrt für freie Bürger. Höchsten Schutz genießen „der Markt“ und das Auto als Inbegriff der deutschen Wirtschaft. Das Klimapaket ist der beste Beweis hierfür. Drei Cent mehr für den Liter Benzin! Das macht den Unterschied aus zwischen dem Tanken morgens und abends. Oder: Wenn der neue SUV zu viel Sprit säuft, bekommt sein Halter zur Schmerzlinderung eine höhere Pendlerpauschale. Solche Regelungen sind ein klimapolitischer Offenbarungseid. Gleiches gilt für die vorgesehenen Zuschläge für Flüge. Sie verleiten niemanden zur Benutzung der Bahn, geschweige denn zum Verzicht auf den Urlaubsflug in die Karibik. Wenn Klimaschutz ernst gemeint ist, warum nicht gesetzliche Regelungen, die den Erholungsurlaub in Mecklenburg-Vorpommern oder das Bergwandern im Allgäu attraktiver machen?
Wirksame Abhilfe wäre so einfach: Verbot von Inlandsflügen, Tempolimit auf Autobahnen, kostenloser öffentlicher Nahverkehr, Abschaltung der veralteten Kohlekraftwerke. Mit ein paar Federstrichen könnte sehr viel für das Klima getan werden.
Unbezahlbar?? Nein! Die langfristigen (Umwelt- und Klima-)Schäden der CO2-Wirtschaft sind ungleich teurer. Die Idee, mit neuer Technik die negativen Folgen alter Technik zu beseitigen, ist problematisch. Sie gleicht dem Versuch, Brandwunden auszubrennen. Nicht jede Innovation ist ein Fortschritt. Der wirksamste Klimaschutz ist nämlich nicht ein neues E-Auto, sondern ein Verkehrssystem, das den Privat-PKW entbehrlich macht.
Ein nüchterner Blick zeigt: Das, was die GroKo beschlossen hat, ist Klimahomöopathie.
Greta
Vor Jahresfrist setzte sich ein 15-jähriges Mädchen namens Greta Thunberg mit dem Schild „SKOLSTREJK FÖR KLIMATET“, also Schulstreik für Klima, allein vor den schwedischen Reichstag, zuerst täglich, dann nur noch freitags. Greta fand bald Unterstützer. Kürzlich demonstrierten weltweit Abermillionen für das Klima, allein in Deutschland 1,4 Millionen. Im September 2019 hielt Greta den bei der UNO versammelten Staats- und Regierungschefs den Spiegel vor und kritisierte in einer — im besten Sinne un-verschämten — Rede das Klimaversagen der Politik. Greta war fortan Favoritin für den Friedensnobelpreis. Man fragt sich: Wie konnte all das in so kurzer Zeit geschehen?
An Gretas Botschaft allein kann es nicht liegen. Denn diese Gedanken kennen auch die Angelas, Olafs, Emmanuels und Wladimirs dieser Welt, bei Donald bin ich mir nicht sicher ... Gretas Erfolgsgeschichte kann nur mit ihrer Authentizität und ihrem Charisma erklärt werden.
Gleichwohl ist die Verengung der Diskussion auf Greta falsch.
Greta ist nicht der Urknall des globalen Klimaprotests, sondern sie ist die Stimme eines reifenden weltweiten Erkenntnisprozesses. Greta bündelt die Sorgen vieler, vor allem junger Menschen.
Der gegen Greta gerichtete Vorwurf, sie mache keine konkreten Vorschläge, zeugt von einem großen Missverständnis. Es ist nicht Aufgabe demonstrierender Schüler, konkrete Pläne vorzulegen. Ihre historische Aufgabe ist es, Versäumnisse zu erkennen, zu mahnen und ein radikales Umdenken einzufordern. Es war die verfassungsmäßige Aufgabe von Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel und Co, die Zukunft konkret zu gestalten. Hierzu hatten sie einen Wählerauftrag. Dieser Aufgabe waren sie nicht gewachsen. Insofern gleichen sie den Bushs, den Clintons, den Putins und Bolsonaros. Der Twitterer im Weißen Haus spielt auch hier in einer eigenen Liga.
Sache für Profis
Es ist unübersehbar. Wo die Politik vorangehen sollte, beschwichtigte sie. Wo sie entscheiden sollte, moderierte sie das Thema Klima absichtsvoll in die Warteschleife von Kommissionen und Fachausschüssen. In Sonntagsreden wurden die Vorturner der Politik nicht müde, die Bedeutung des Klimaschutzes zu beschwören — so etwa Merkels „Menschheitsherausforderung“. Am Montag drauf warnten die gleichen Leute im Plenarsaal vor deutschen Alleingängen, das schaffe Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft. Und koste Arbeitsplätze. Ergänzend hierzu schwadronierten sie in Sitzungspausen über die Notwendigkeit von Sanktionen für Klimaschulschwänzer. Natürlich zum Besten der unreifen Schüler …
Ein durch besondere Klugheit Ausgezeichneter, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, sagte mit Blick auf Greta und die Bewegung Fridays for Future, Klimaschutz sei eine „Sache für Profis“, Schüler sollten sich lieber in der Schule „über physikalische sowie technische und wirtschaftliche Zusammenhänge informieren“. Das war dämlich und dreist zugleich. Denn Lindner gehört mit seinen neoliberalen Scheuklappen zum Club derjenigen, die dazu beitrugen, die Erde klimatechnisch gegen die Wand zu fahren. Schuldmindernd kann man Lindner jedoch zugutehalten, dass er nicht die moralische Reife und Weitsicht des 15-jährigen Mädchens Greta hat.