DER BUNDESTAG MUSS AUFHÖREN, DIE BUNDESWEHR IN VERFASSUNGSWIDRIGE KRIEGE ZU SCHICKEN.
APPELL
des früheren verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Willy Wimmer (1) und des früheren rüstungskontrollpolitischen Sprechers der CDU/ CSU Jürgen Todenhöfer:
SEHR GEEHRTE FRAU BUNDESKANZLERIN, sehr geehrte Bundestagskollegen, liebe Soldatinnen und Soldaten des betreffenden Aufklärungsgeschwaders, des Lufttransport-Kommandos und der betroffenen AWACS-Einsatzflugzeuge!
Bitte wehren Sie sich bei der Bundestagsdebatte am kommenden Donnerstag und erforderlichenfalls auch danach gegen den weiteren Einsatz der deutschen Bundeswehr in Syrien und im Irak!
DER BUNDESWEHREINSATZ IN SYRIEN UND IM IRAK IST VERFASSUNGSWIDRIG, UNSINNIG UND KONTRAPRODUKTIV.
VERFASSUNGSWIDRIG, weil es für diesen Einsatz kein Mandat des UN-Sicherheitsrats gibt. Das bestätigen nicht nur namhafte Völkerrechtler, sondern auch der Ex-Chef der Rechtsabteilung des BMVg Dieter Weingärtner (2).
UNSINNIG UND KONTRAPRODUKTIV
Die Behauptung, man könne untergetauchte IS-Terroristen im Irak oder Syrien mit Flugzeugen finden, ist eine intellektuelle Beleidigung der deutschen Bevölkerung einschließlich unserer Soldaten. Viel wahrscheinlicher ist, dass es dem Westen - auch im Blick auf den Irankonflikt - darum geht, seine militärische Präsenz in Syrien und im Irak aufrecht zu erhalten.
Die Städte-Bombardements der Anti-IS-Koalition, für die die Bundeswehr die Aufklärung liefert, haben in der Vergangenheit bereits zigtausenden unschuldigen irakischen und syrischen Zivilisten das Leben gekostet. Etwa im irakischen Mossul, wo 20.000 Zivilisten getötet wurden, oder im syrischen Raqqa.
Noch Ende August 2019 wurden in der Provinz Idlib (!) bei einem US- Raketenangriff auf „Terroristen“ Zivilisten getötet. Deutschland trägt durch sein Mandat Mitverantwortung für jede dieser menschlichen Katastrophen.
KONTRAPRODUKTIV: DER EINSATZ IST EIN TERROR-ZUCHTPROGRAMM.
Bomben auf Städte sind keine sinnvolle Terror-Bekämpfung. Viel wirkungsvoller wären die klassischen Strategien zur Terrorbekämpfung wie Unterwanderung, Geld oder Unterbindung der Waffenströme in Zusammenarbeit mit lokalen Antiterror-Einheiten.
UNSER APPELL AN DIE KANZLERIN UND AN DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG:
Wir fordern die deutsche Bundeskanzlerin und die deutschen Abgeordneten auf, das verfassungswidrige Mandat nicht zu verlängern. Der Bundestag muss aufhören, sich bei Auslandseinsätzen das Grundgesetz „ZURECHT ZU BIEGEN“, wie der langjährige Leiter der Rechtsabteilung des BMVg, Dieter Weingärtner, das bitter genannt hat.
APPELL AN UNSERE SOLDATINNEN UND SOLDATEN:
Für den Fall, dass der Bundestag das verfassungswidrige Mandat dennoch verlängert, bitten wir alle betroffenen Soldaten, ihr Gewissen sorgfältig zu überprüfen. Es kann nicht Aufgabe unserer Soldaten sein, das Grundgesetz zu brechen.
Sie würden dadurch gegen ihren Soldaten-Eid verstoßen. Er lautet:
„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das RECHT und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“
Die Bundesregierung und die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten wissen, dass das Mandat der Bundeswehr für Syrien und den Irak verfassungswidrig ist. Unter früheren Bundesregierungen wäre es undenkbar gewesen, einen derart offenkundig verfassungswidrigen Krieg zu führen und dafür auch noch die Zustimmung des Bundestags zu erhalten.
Das Mandat widerspricht dem klaren Friedensgebot unseres Grundgesetzes.
Wir sind ein Rechtsstaat. Ein Rechtsstaat darf keine verfassungswidrigen Kriege führen. Beenden Sie bitte unverzüglich diesen verfassungswidrigen Zustand!
Willy Wimmer
Jürgen Todenhöfer
Quellen und Anmerkungen:
(1) Wimmer war außerdem von 1988 bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung.
(2) Weingärtner leitete 16 Jahre lang, bis 2018, die Rechtsabteilung des BMVg. Am 22.11.2018 veröffentlichte er folgenden Artikel in der FAZ:
Wehrverfassung in Not
WIE SICH DIE BUNDESREGIERUNG BEI AUSLANDSEINSÄTZEN DER BUNDESWEHR DAS GRUNDGESETZ ZURECHTBIEGT
Von Dieter Weingärtner
Am 14. April 2018 bombardieren amerikanische, britische und französische Luftverbände militärische Infrastruktur in Syrien als Reaktion auf einen mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Armee. Die Bundesverteidigungsministerin erklärt dazu, Deutschland sei nicht um ein Mitwirken gebeten worden, selbstverständlich hätte sich die Bundeswehr aber an diesem Luftschlag beteiligen können. Dies mag im Hinblick auf die militärischen Fähigkeiten trotz aller Ausrüstungsprobleme zutreffen, es gilt aber nicht in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen.
Die deutschen Streitkräfte sind nach Artikel 87a des Grundgesetzes „zur Verteidigung“ aufgestellt. Außer zur Verteidigung darf die Bundeswehr nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Das Bundesverfassungsgericht hat indes aus Artikel 24 Absatz 2 GG eine Befugnis der Bundeswehr zu Einsätzen im Ausland abgeleitet: Die Beteiligung an einem internationalen System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ermächtige – so das Gericht in seiner Leitentscheidung aus dem Jahr 1994 – auch zur Teilnahme an militärischen Unternehmungen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfänden. Als solche Systeme anerkannt sind die Vereinten Nationen, die Nato und die Europäische Union. Der Luftangriff vom 14. April 2018 beruhte aber nicht auf einem Beschluss einer dieser Organisationen, sondern auf nationalen Entscheidungen der beteiligten Staaten. Eine Mitwirkung Deutschlands wäre vom Grundgesetz nicht abgedeckt gewesen.
Die deutsche Sicherheitspolitik tendiert allerdings dazu, die Verfassungslage zu ignorieren. Allenthalben wird die Ansicht vertreten, Deutschland müsse – entsprechend seiner wirtschaftlichen Stärke – mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Das Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr spricht von zunehmender Bedeutung von Ad-hoc-Kooperationen zur internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung. Dass das Grundgesetz nach seinem Wortlaut und nach seiner Auslegung durch Bundesregierung und Bundestag keine Basis für bilaterale bewaffnete Einsätze der Bundeswehr oder für eine Beteiligung an einer „Koalition der Willigen“ bietet, wird dabei ausgeblendet.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat nicht weiter zur Klärung der Rechtsgrundlagen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr beigetragen. In seiner Entscheidung zu der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem libyschen Bürgerkrieg beschränkt es sich auf die Prüfung, ob der Streitkräfteeinsatz einer parlamentarischen Zustimmung bedurfte, und lässt die verfassungsrechtliche Grundlage offen. Ob die Ermächtigung des Artikels 87a GG auch die „Verteidigung“ deutscher Bürgerinnen und Bürger umfasst, die sich im Ausland in Gefahr befinden, bleibt damit offen. Zur Rechtssicherheit der an solchen Einsätzen beteiligten deutschen Soldatinnen und Soldaten trägt das sicher nicht bei.
Die Liste offener Fragen der Wehrverfassung ließe sich fortsetzen: In mehreren Entscheidungen zum Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet, dass es in dem Fall eines terroristischen Angriffs mittels eines Flugzeuges – der 9/11-Situation 2001 in den Vereinigten Staaten – keine Abschussermächtigung für die Bundeswehr geben darf, wenn sich in dem Luftfahrzeug unbeteiligte Personen befinden. Einer zahlenmäßigen Abwägung betroffener Menschenleben stehe die Menschenwürde der Beteiligten entgegen. Anders ist die Rechtslage indes, wenn sich in dem Flugzeug ausschließlich Terroristen befinden. Dann darf die Luftwaffe mit militärischer Gewalt vorgehen. Voraussetzung ist aber nach Artikel 35 Absatz 3 GG ein Beschluss des Bundeskabinetts. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Beschluss im Fall eines anfliegenden Terrorflugzeugs nicht zeitgerecht gefasst werden kann. Das Bundesverfassungsgericht legte dem Verfassungsgeber daher eine Ergänzung um eine Eilentscheidungskompetenz des Verteidigungsministers bei Gefahr im Verzug nahe. Auch die Diskussion hierüber ist schnell eingeschlafen.
Die Verfassung ist die rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens. Sie trifft die grundlegenden Entscheidungen der Staatsordnung. Dazu gehört die Ausübung staatlicher Hoheit insbesondere in ihrer stärksten Form, der militärischen Gewalt. Die Wehrverfassung des Grundgesetzes stammt aus dem Jahr 1956, die Ergänzung durch die „Notstandsnovelle“ aus dem Jahr 1968. Seither erfolgten keine substantiellen Änderungen. Und trotz der neuen internationalen Rolle Deutschlands nach der Wiedervereinigung und der veränderten Aufgabe der Bundeswehr nach 1990 blieb nicht nur der Text der Verfassung unverändert, auch eine politische Debatte über notwendige Anpassungen blieb bis heute aus.
Notfalls biegt die Bundesregierung die verfassungsrechtlichen Grundlagen eines Einsatzes zurecht – und erhält dazu auch noch die Zustimmung des Bundestages.
Ein Beispiel hierfür bietet die Beteiligung der Bundeswehr an der Mission gegen den IS in Syrien und im Irak. Eine zur Anwendung von Gewalt ermächtigende Resolution hatte der VN-Sicherheitsrat nicht gefasst. Um gleichwohl den „Rahmen“ eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, wie von Artikel 24 Absatz 2 GG gefordert, zu konstruieren, berief sich die Bundesregierung auf andere, nicht autorisierende Beschlüsse des Sicherheitsrates und auf unverbindliche Erklärungen seines Vorsitzenden. Ziel war es offenbar, einer Verfassungsdiskussion aus dem Weg zu gehen.
Der Grund für die Zurückhaltung liegt auf der Hand: Bezeichnenderweise wurde die Notstandsnovelle des Jahres 1968 zu einem Zeit- punkt verabschiedet, als die Regierungskoalition im Bundestag über die für eine Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit verfügte. Heute hält bereits die Unsicherheit, ob eine solche Mehrheit erreicht werden kann, davon ab, die anstehenden Rechtsfragen überhaupt aufzuwerfen. Zudem würde jedem Versuch, die Wehrverfassung zu ändern oder auch nur Klarstellungen vorzunehmen, der Vorwurf der Militarisierung der Gesellschaft und der Beschneidung rechtsstaatlicher Errungenschaften entgegengehalten, so unlauter dieser Vorwurf angesichts der geänderten Rahmenbedingungen auch wäre.
Dabei könnte der Spielraum für Auslandseinsätze der Bundeswehr möglicherweise bereits durch eine neue Auslegung des Grundgesetzes erweitert werden. Die Fachliteratur vertritt überwiegend die Auffassung, der Begriff der Verteidigung umfasse nicht nur die Landesverteidigung Deutschlands und die Verteidigung im Bündnis. Er sei vielmehr völkerrechtlich zu verstehen, in dem Sinne, dass die Unterstützung eines jeden angegriffenen Staates zulässig sei. Demzufolge könne die Bundeswehr beispielsweise den Irak gegen den IS „verteidigen“. Zudem hat es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1994 offengelassen, ob der Verfassungsvorbehalt des Artikels 87a Absatz 2 GG nicht nur für Einsätze im Inland gilt. Wäre dies so, wäre eine ausdrückliche Ermächtigung für Auslandseinsätze der Bundeswehr gar nicht erforderlich.
Doch auch eine Neuinterpretation der Verfassung und eine damit verbundene Abkehr von der bisherigen Staatspraxis dürfte nicht klammheimlich erfolgen. Wer für eine stärkere Rolle Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik eintritt, der darf die bestehenden verfassungsrechtlichen Beschränkungen nicht ausblenden. Wir brauchen eine ehrliche, transparente politische Debatte über die Weiterentwicklung der Wehrverfassung.