Der Tonfall im Umgang mit den Gelbwesten in Frankreich gewinnt zunehmend an Schärfe. So kündete Emmanuel Macron an, in Zukunft Elitesoldaten gegen die Protestierenden einzusetzen, die Barrikaden gegen diese errichten sollten. Gleichzeitig sollen Drohnen zur Überwachung der Gelbwesten zum Einsatz kommen. Zudem wolle die Regierung in bestimmten Teilen von Paris sowie in einigen anderen Städten die Proteste ganz verbieten.
Was war geschehen? Am Samstag, dem 16. März 2019 war es bei erneuten Protesten der Gelbwesten zu Ausschreitungen gekommen. Diese richteten sich nicht nur gegen Luxusgeschäfte auf dem sogenannten Prachtboulevard Champs-Élysées, sondern es wurde auch ein edles Restaurant angezündet, in dem Sarkozy zu speisen pflegte, als er noch Präsident der Republik war. Auch auf den Straßen lieferten sich Protestierende wahre Straßenschlachten mit der Polizei.
Nachdem Macron zuvor ein unspezifisches „härteres Vorgehen“ angekündigt hatte, setzt er nun also auch Elitesoldaten und Verbote ein. Verwundern kann das alles eigentlich niemanden. Schon Anfang des Jahres hatte die Nationalversammlung ein „Anti-Randalierer Gesetz“ beschlossen, das unter anderem die Vermummung verbietet und Vermummte mit einer einjährigen Haftstrafe sowie 15.000 Euro Strafe bedroht. Zudem erlaubt es der Polizei, Protestierende schon im Vorhinein einzusperren, ein klarer Verstoß gegen die Unschuldsvermutung sowie das Grundrecht auf Protest. Im Umgang mit der unzufriedenen Bevölkerung fallen Grundrechte und Demokratie also zunehmend unter den Tisch.
Dabei steht die Frage im Raum: Inwieweit gingen die Ausschreitungen tatsächlich von den Protestierenden aus? Ebenso gut ist es möglich, dass Agents Provocateurs aus Reihen der Polizei oder des Geheimdienstes die Gewalttäter waren, um eine Rechtfertigung für härtete Maßnahmen zu produzieren. Hierüber kann nur spekuliert werden, doch bedenkt man die Bereitwilligkeit, mit der Behörden und Geheimdienste zu solchen Maßnahmen greifen, zum Beispiel beim G20-Gipfel in Hamburg, ist das nicht ausgeschlossen.
Auch auf Twitter schoss Macron gegen die Gelbwesten, indem er verkündete, dabei handele es sich um Menschen, welche die Republik zerstören und dafür sogar Tote in Kauf nehmen würden. Mit keinem Wort erwähnt er dabei die von der Polizei bereits verursachten Toten und schwer Verletzten im Zusammenhang mit den Protesten, auch wenn er diese zuvor bedauert hat.
Doch das Feindbild der randalierenden Staatsfeinde kommt gelegen. Es liefert den perfekten Vorwand für die Durchsetzung autoritärer Maßnahmen, und das Vorgehen gegen jeden Widerstand Macronscher Reformpolitik.
Erinnern wir uns: Die Proteste der Gelbwesten entzündeten sich an einer geplanten Erhöhung der Benzinsteuer, die vor allem die armen Menschen unverhältnismäßig getroffen hätte. Viele Menschen sind darauf angewiesen, jeden Tag mit dem Auto über weite Strecken zur Arbeit zu fahren. Dabei wohnen sie oft außerhalb der großen Ballungszentren, in denen sie arbeiten, da sie sich die Mieten dort überhaupt nicht leisten können. Macron rechtfertigte diese Maßnahme mit dem Klimaschutz. Bald schon weiteten sich die Proteste aus, und zu der Forderung, die Benzinsteuer zurück zu nehmen, gesellten sich jene nach besserer Bezahlung, einer angemessenen Rente und viele weitere, größtenteils soziale Forderungen. Doch auch Umwelt- und Klimaschutz werden von den Gelbwesten eingefordert.
System in der Krise
Die Gelbwestenproteste, die nun schon seit November andauern, machen eins deutlich: Das neoliberale System Frankreichs steckt in der Krise. Über lange Zeit hat es den Druck auf die unteren Schichten zugunsten einer kleinen Gruppe Reicher erhöht. In Zeiten, in denen das globale Wirtschaftswachstum zurückgeht, fast alle potenziellen Märkte erschlossen sind, und die Konkurrenz in Fernost wächst, blieb dem neoliberalen System nur noch die Möglichkeit, die Profite auf Kosten der ärmeren Menschen zu erhöhen. Sozialstaatabbau, Lohndrückerei mithilfe von ins Land geholten Fachkräften, Privatisierung und Verteuerung vormals staatlicher Dienstleistungen waren und sind noch immer die Folge.
All dies führte jedoch dazu, dass „normale Durchschnittsbürger“ ihr Leben immer schwieriger bewältigen können. Die Preise und Steuern stiegen, die Löhne hingegen stagnierten oder sanken sogar, während Reiche und Unternehmer entlastet wurden, eine Entwicklung, die sich die Menschen auf Dauer nicht gefallen lassen. So bricht sich ihr Zorn seit November 2018 jeden Samstag auf den Straßen Frankreichs Bahn.
Macron kündigte schon vor Beginn seiner Amtszeit an, umfassende, neoliberale Reformen — zur Not am Parlament vorbei — durchsetzen zu wollen, ein gänzlich autoritärer Ansatz zugunsten der neoliberalen Kapitaleigner. War er in der Wahl noch als einzige Hoffnung gegen den Faschismus angetreten, offenbart er seit seinem Amtsantritt mehr und mehr, dass auch er nichts anderes ist als ein Vertreter des Kapitalfaschismus. Steuergeschenke für Reiche und Unternehmer sowie größere Belastungen für den Rest der Bevölkerung waren und sind seine Politik.
Doch sogar jetzt, da sich der Widerstand gegen diese ungerechte Politik erhebt, welche Reiche begünstigt und den größten Teil der Bevölkerung ausbluten lässt, denkt Macron nicht daran, diese Politik zu ändern. Stattdessen geht er mit aller Härte gegen die Protestierenden vor, lässt sie mit Gewalt niederschlagen und setzt nun auch noch auf Elitesoldaten, die eigentlich für den Einsatz gegen den „Terror“ vorgesehen waren. Damit offenbart er, welchen Stempel die herrschenden Oligarchen den Gelbwesten aufdrücken: Terroristen.
Die Proteste, mit denen sich noch immer die Mehrheit der Franzosen solidarisieren, stören die Oligarchen in ihrem Profitwahn und so gehen sie mit aller Gewalt gegen sie vor.
Elitesoldaten und Barrikaden, das sind Szenen, die an einen Bürgerkrieg erinnern. Und genau das geschieht gerade in Frankreich, denn wie Warren Buffet sagte, tobt ein Krieg der Reichen gegen die Armen, den die Reichen begonnen haben. In Frankreich zeigt dieser Krieg immer mehr sein wahres Gesicht.
Die neoliberalen Oligarchen werden nicht nachgeben und den Krieg, wenn es sein muss, forcieren. Wohin die gegenwärtigen Tendenzen sich entwickeln, wird immer deutlicher: die westlichen Gesellschaften driften auf eine Welt zu, in der wenige Menschen sich das Eigentum an Geld, Land, Infrastruktur und Wasser teilen, während für den Rest der Menschheit nichts übrig bleibt. Sie erhalten höchstens die Möglichkeit, als Sklaven für einen Hungerlohn in den Fabriken oder auf den Ländereien der Mächtigen arbeiten zu dürfen, um sich ein paar Krümel zu verdienen. Im ständigen Konkurrenzkampf um die wenigen Arbeitsplätze werden sie weder die Zeit noch die Mittel haben, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben. Damit stürzt die Welt in einen neoliberalen Kapitalfeudalismus, der mit allen Mitteln der Gewalt und Repression aufrechterhalten wird.
Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass diese Entwicklung an Deutschland vorbeigeht. Auch hier nimmt die Repression zu. So wurden in den vergangenen Monaten die Polizeigesetze fast aller Bundesländer verschärft. In Nordrhein-Westfalen darf die Polizei nun Menschen bis zu 6 Tage inhaftieren, um ihre Identität festzustellen. Zudem wurde auch hier, wie zuvor schon im Bayerischen PAG der Begriff der „drohenden Gefahr“ eingeführt, ein Label, unter das sich beinahe alles subsumieren lässt. In Hessen hingegen wurde das Polizeigesetz mehr auf die Überwachung ausgerichtet. Dort nickte die schwarz-grüne Koalition Landestrojaner und das Ausspähen von digitalen Endgeräten ab. In anderen Ländern wie Sachsen wurde das Waffenarsenal der Polizei ausgebaut.
Die Diktatur kommt auf leisen Sohlen, in kleinen Schritten, die immer mit „Sicherheit und Ordnung“ gerechtfertigt werden. Diese Formel verfängt in bürgerlichen Kreisen, weil sie das ungestörte „Weiter so“ suggeriert. Diese Menschen haben sich mit den gegenwärtigen Verhältnissen abgefunden, sich mit ihrer Versklavung arrangiert und bilden sich ein, zwischen Unterdrückung und Konsumzwang ein gutes Leben zu führen. Jeder, der auf die Verbesserung der Gesamtsituation hinarbeitet, bedroht in dieser Wahrnehmung den eigenen Wohlstand. Daher werden die autoritären Schritte in Richtung Diktatur dankbar akzeptiert.
Die Vorbereitungen einer neoliberalen Diktatur laufen also auch Hochtouren, und Frankreich unter Macron macht vor, was mit Gegenwehr geschieht. Wir können uns auf eine dystopische Zukunft der Unterdrückung und Gewalt vorbereiten, wenn wir nicht bald handeln, um den neoliberalen Kapitalismus zu beenden.