Die Garantie der Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes drückt aus, was in Deutschland nie mehr vergessen werden soll und was gleichzeitig aber auch die Grundlage jeder menschlichen Zivilisation ist: Jeder Mensch ist ein Individuum mit einer angeborenen Würde, und der Staat muss ihn in dieser Eigenschaft jederzeit und ohne Ausnahme respektieren und schützen. Dies ist das einzige Grundrecht des Grundgesetzes, das nicht eingeschränkt werden kann, es ist oberstes Verfassungsprinzip.
Um zu verstehen, was „Menschenwürde“ meint, ist es hilfreich, wenn wir uns das dahinterstehende Menschenbild anschauen. Bereits Jesus war der Ansicht, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit von Gott erschaffen und geliebt wird. Er hat sich unermüdlich dafür eingesetzt, diese Einzigartigkeit zu achten und ihr mit Liebe und Respekt zu begegnen. Der chilenische Neurobiologe und Konstruktivist Humberto Maturana sieht in einer solchen gegenseitigen Annahme und in der Akzeptanz der Unterschiedlichkeit — er spricht vom „absurden Anderen“ — das tragende Prinzip für Menschlichkeit. Für ihn bilden wir alle durch den — sprachlichen — Austausch eine gemeinsame Bewusstseinswelt, obwohl jedes einzelne Individuum seine eigene, für sich „richtige“ Realität hervorbringt.
Die Überzeugung, dass jeder Mensch als gleichwürdig zu betrachten ist, stellt für unsere abendländische Gesellschaft etwas vergleichsweise Neues dar. Ansätze des Menschenwürdeprinzips finden sich zwar bereits in der Philosophie der römischen Antike. Östliche Lehren hingegen — Buddhismus und Konfuzianismus — waren an diesem Punkt bereits weiter fortgeschritten.
Unser Kulturraum benötigte leider weitere 2.000 Jahre — absurderweise obwohl man sich im Religiösen auf Jesus berief —, bis das Bild einer gleichwürdigen Persönlichkeit deutlicher wurde. Entscheidend trugen die Denkerinnen und Denker der Aufklärung dazu bei. In völkerrechtlicher Form wurde die Idee der Menschenwürde allerdings erst im Jahr 1948 — vor dem Hintergrund der Erfahrungen von 1933 bis 1945 — von der UNO-Vollversammlung formuliert. Man war sich insofern einig, als dass nun klar war, was Achtung der Menschenwürde nicht bedeutet. Doch was macht diese menschliche Eigenschaft der Würde im Positiven aus?
Menschenwürde ergibt nur dann einen Sinn, wenn es einen sozialen Kontext gibt. Gäbe es nur einen einzigen Menschen, so würde dieser zwar seine Würde nach moderner Definition von sich aus besitzen, er würde dieser aber nicht bedürfen, da es niemanden außer ihn gäbe, der sie achten könnte.
Wenn es also um gegenseitige Achtung geht, geht es auch um den Aspekt der gegenseitigen Wahrnehmung. Wir nehmen uns gegenseitig als Menschen wahr, indem wir das Mensch-Sein gegenseitig erkennen und anerkennen. Dieses gegenseitige Erkennen nimmt im Leben eines Menschen seinen Lauf mit der ersten Begegnung von Antlitz zu Antlitz, der Begegnung mit der Mutter und dem Vater und der gegenseitigen Spiegelung der eigenen Gefühle im Gesicht des Gegenübers. Dieses von Lauten — und Worten — begleitete Wechselspiel ist die Urform jeder zwischenmenschlichen Kommunikation und Interaktion, es legt das Fundament für alles Gemeinsame und ebenso für alles, was meine Selbsterkenntnis, mein Selbstbewusstsein, mein Selbstgefühl ausmacht und damit die Entwicklung der seelischen Persönlichkeit.
Babys, denen diese Interaktion vorenthalten wird, verkümmern und sterben, weil ihr seelisches Überleben und ihre gesamte Entfaltung auf dem Prozess von gegenseitiger Wahrnehmung und Annahme — auch Liebe genannt — basiert. Es handelt sich demnach um eine wichtige menschliche Eigenschaft: im gegenseitigen Wahrnehmen sich selbst — also das Individuelle — und gleichzeitig auch das Eingebundensein in die Gemeinschaft zu finden und aufrechtzuerhalten.
Erst diese Grunderfahrung befähigt uns dazu, Würde subjektiv zu empfinden und unsere Mitmenschen in ihrer Würde zu sehen und zu respektieren. Der zentrale Teil unseres Körpers für diesen Prozess ist unser Gesicht. In ihm spiegeln sich unsere Gefühle wider, in ihm erkennen wir uns und drücken uns in unserer Einzigartigkeit in jedem Moment neu aus, durch unser Gesicht tragen wir den seelischen Kontakt zur Außenwelt wie einen Faden weiter, der Bindung heißt. Wir können erahnen, dass Menschenwürde kein abstrakter Wert, ein gedankliches Konstrukt, sondern vielmehr ein Wert ist, der auf Gefühlen und seelischen sowie körperlichen Erfahrungen basiert, etwas, das erlebt werden kann und will.
Was passiert nun bei einem Gesichtsverbot, wie es die derzeitigen Corona-Verordnungen sogar für Kinder vorsehen? Was bei einem Einkauf im Supermarkt oder einer Fahrt mit dem Zug ganz besonders auffällt, ist die Tatsache, dass sich die Menschen im maskierten Zustand nur noch selten in die Augen schauen. Dies gibt uns einen wichtigen Hinweis. Wir scheuen den Blickkontakt, wenn der Großteil des Gesichts unsichtbar ist, weil unser Körpersystem den Gesamteindruck braucht, um sich im Kontakt sicher fühlen zu können.
Wir hören also auf, uns gegenseitig in die Resonanz zu begeben, auf der unser Urgefühl des Menschseins basiert. Damit wird der oben genannte „Faden“ zerschnitten, den ich Bindung nenne und der nicht nur für das Wir-, sondern im selben Maße auch für das Ich-Gefühl von Bedeutung ist. Das Subjekt hört auf, Subjekt zu sein, wenn es nicht mehr als Subjekt wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung ist aber nicht ideeller Natur, sondern sie ist etwas ganz Konkretes. Wenn Menschen ihr Gesicht verlieren, verlieren sie mit ihm das Zentrum des Ausdrucks ihrer Individualität.
Die Maskenpflicht beraubt uns des wichtigsten Mittels des gegenseitigen Wahrnehmens und Spürens als menschliche Individuen und damit als Subjekte im rechtlichen Sinne, welche Träger der Menschenwürde sind.
Damit stellt die Maskenpflicht eine Gefahr für die Wahrung der Menschenwürde dar und verletzt eine gesamte Gesellschaft in ihrem Grundrecht auf Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes.
Die Einführung der Maskenpflicht in den Corona-Verordnungen der 16 deutschen Bundesländer ist die schwerwiegendste Verletzung der Verfassung durch Rechtsverordnungen seit 1949, da sie die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unmittelbar und gesamtgesellschaftlich angreift und sie als uneinschränkbares Grundrecht und oberstes Verfassungsprinzip missachtet. Dies allein sollte ausreichen, um ein derartiges Gebot als verfassungswidrig zu verwerfen.
Die gesundheitlichen Nachteile wie die Rückatmung von Kohlendioxyd sowie die seelische Schädigung Heranwachsender und psychisch instabiler Menschen sowie die mangelnde Verhältnismäßigkeit der über Artikel 1 hinausgehenden Grundrechtseinschränkungen sind weitere gewichtige Argumente auf der juristischen Waagschale. Bleibt zu hoffen, dass die Justiz in unserem Land bald aus ihrer medial geschürten Angststarre erwacht und die Verantwortung wahrnimmt, die ihr im gewaltengeteilten Rechtsstaat anvertraut wurde.