Das Wort „Rechtspopulismus“, mehr ein Fächer als ein Begriff, hat seit ein paar Jahren Hochkonjunktur. Die etablierten Parteien benutzen ihn besonders gerne und beliebig, wie ein Unkrautvernichtungsmittel, um rechts von ihnen nicht viel hochkommen zu lassen.
Auch viele antirassistische und linke Gruppen reden von „Rechtspopulisten“, wenn sie Parteien wie die AfD zu markieren versuchen und viel Kraft darauf verwenden, diese Partei zu bekämpfen.
Denselben Schärfegrad hat das Wort „Linkspopulismus“. Es fällt nicht besonders häufig, da links von den etablierten Parteien nicht viel kleinzuhalten ist. Manchmal trifft es die Partei „DIE LINKE“, wenn man sie einmal erzieherisch zurechtweisen will.
Viel häufiger ist der Ruf nach einem „Linkspopulismus“ aus dem linken Spektrum zu hören. Als „leuchtende“ Beispiele werden dafür die Politik des Labour-Party-Vorsitzenden Jeremy Corbyn in England oder die politische Programmatik von Bernie Sanders in den USA angeführt. In dieses Feld gehört auch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die gerade für große Schlagzeilen und einige Fragezeichen sorgt.
Deshalb widmet sich der zweite Beitrag für die „Werkzeug- und Prämissenkiste“ diesem Thema.
Es geht daher, jenseits hektischer politischer Debatten und Abgrenzungen um einen möglichst genauen Umgang mit dem Begriffspaar „Rechts/Linkspopulismus“. Welche Erklärungen, welche politischen und ideologischen Prämissen, welche Deutungs- und Distinktionsmacht stecken dahinter?
Wir verbinden damit unverdrossen die Hoffnung, damit eine Debatte anzustoßen, die über das Tagesgeschäft hinauswirkt, um zu einer gemeinsamen Strategiediskussion zu ermutigen.
Das Wort „Rechtspopulismus“ hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Im Wesentlichen wird er machtpolitisch eingesetzt, am aller wenigsten im Sinne einer möglichst präzise umrissenen „Begrifflichkeit“.
Nicht ganz so häufig werden linke Inhalte und Politiken mit dem Wort „Populismus“ belegt, wenn man z.B. die Partei DIE LINKE in Deutschland diskreditieren will.
Das Begriffspaar Rechts-/Linkspopulismus dient also im Wesentlichen als Leitplanke für jene Politiken, die sich dann – welch glückliche Fügung – für die Mitte halten können.
Nun hat das, was die Mitte mit Rechtspopulismus markiert, Erfolg, sehr viel Erfolg. In Österreich scheiterte 2016 Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) knapp an diesem Vorhaben. In Frankreich steht die Frontfrau des Front National in der Stichwahl zur Präsidentschaftsamt 2017.
Seit einiger Zeit wird nun auch aus den Reihen der Linken die Frage diskutiert, ob ein Linkspopulismus (wird man seiner verdächtigt) nicht nur eine Beleidigung, sondern vielmehr eine Chance ist. Zugespitzt geht es um die Frage, ob man rechte Theoreme auch links besetzten kann, in diesem Fall die Begriffe „Volk“, „Nation“, „Vaterland“, „nationale Souveränität“ usw. und ob das der Schlüssel sein könnte, aus der Marginalität herauszukommen.
In Frankreich hat dies nach Meinung einiger Beobachter auch Jean-Luc Mélenchon, der linke Präsidentschaftskandidat der Partei „La France insoumise“ (das aufsässige Frankreich) gemacht. Für den Soziologen Didier Eribon ist es „problematisch“, wenn man, „wie Mélenchon es tut, dem rechten einen linken Populismus entgegensetzen will. Das ‚Volk’ gegen die ‚Eliten’ zu stellen, Begriffe wie das ‚Vaterland’, das sich gegen die ‚Eliten’ erheben soll, im Wahlkampf zu verwenden, bedeutet, das gleiche Vokabular zu benutzen wie die Rechtsextremen. Man bringt damit Begriffe oder, besser, Affekte in Umlauf, die man nur mit größter Vorsicht verwenden sollte, weil sie sich ganz schnell mit Bedeutungen aufladen lassen, die man vermeiden wollte. (…) Wenn ich höre, wie Jean-Luc Mélenchon auf Veranstaltungen, bei denen die französische Fahne geschwenkt wird, die Nation verklärt und von einem ‚großen mächtigen Land’ spricht, das ‚seinen Platz in der Welt’ wiederfinden soll, dann wird mir ziemlich unwohl. Das sind gefährliche Phantasmen, mit denen man die nationalistischen Leidenschaften eher befeuert, als sie zu bekämpfen.“ (Didier Eribon, faz. net vom 18.4.2017)
Bei der Präsidentschaftswahl 2012 errang Mélenchon rund elf Prozent der Stimmen, 2017 waren es 19,58 Prozent. Ist dieser Anstieg einem „linken“ Nationalismus zuzuschreiben?
Machen wir uns an die Arbeit.
Populismus.
Ein Schlagwort, das in jeder zweiten Diskussion auftaucht. Was soll damit gemeint sein? Vom lateinischen Wortstamm her bedeutet „populus“ nicht mehr als „das Volk“. Eine Bezugnahme darauf kann in einer Demokratie, in der gemäß Deutschlands Verfassung die Macht vom Volk ausgeht, nicht schlimm, eher ehrenwert sein?
Wie bei vielen anderen Begriffen auch, geht es hier mehr um die Assoziationsketten, die mit dem Wort „Populismus“ in Gang gesetzt werden, die den eigentlichen Wortsinn buchstäblich verschlucken.
Denn was der Wortstamm hergibt, gilt nicht für das Schlag-Wort „Populismus“. Fast niemand möchte damit gebrandmarkt, disqualifiziert werden. Darin sind sich mittige und linke BenutzerInnen weitgehend einig. „Populismus“ hat einfach einen ganz miesen Ruf.
Trotz dieser Überschneidung ist es wichtig, zu unterscheiden, wer diesen Begriff für was verwendet:
Fast das gesamte politische Establishment verwendet ihn. Manchmal, aber dazu gibt es in Deutschland kaum Anlass, teilen sie ihren Bannstrahl in „Rechts- und Linkspopulismus“ auf.
Ab und an trifft es dann die Partei „Die Linke“, die mit einer Dressurpeitsche durch die politische Manege geführt wird, wenn einzelne Vertreter (ganz besonders gerne wird dafür Sahra Wagenknecht herausgegriffen) zum Beispiel eine deutliche Erhöhung der Vermögensteuer, also einer Steuer für Reiche fordert. Das sei „populistisch“.
Ganz aktuell wird Sahra Wagenknecht dafür abgestraft, dass sie unter anderem in einem Stern-Interview vom 5. Januar 2017 gesagt hat:
„Es gibt eine Mitverantwortung (an dem Anschlag auf den Weihnachtmarkt in Berlin 2016, d.V.), aber sie ist vielschichtiger. Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputt gesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen wäre. Ebenso fatal ist die Außenpolitik: die von Merkel unterstützten Ölkriege der USA und ihrer Verbündeten, denen der Islamische Staat erst seine Existenz und Stärke verdankt.“
Dass sie dabei die Mär vom schwachen Staat („kaputt gesparte Polizei“) bedient, sollte eigentlich Wasser auf die Mühlen derer sein, die einen „starken Staat in schwierigen Zeiten“ (Innenminister De Maizière/CDU) propagieren, ist zweifellos dumm genug und bestenfalls als ein Angebot an die anvisierte rot-rot-grüne Regierungskoalition 2017 zu werten. Interessanterweise ist genau diese Aussage nicht Gegenstand des Populismusvorwurfes.
Das Mediengewitter über die Mitverantwortung der Regierung für Terror ist hingegen gewaltig und führt schnurstracks zur Totalitarismustheorie light: „Die Aussage von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei mitverantwortlich für den Anschlag in Berlin, mache „wieder mal deutlich, dass die Linkspartei eine rote AfD ist“, sagte Tauber. „Sahra Wagenknecht und Frauke Petry sind das doppelte Lottchen des Populismus in Deutschland.“ (welt. de vom 8.1.2017)
Ganz allgemein und diffus steht „Populismus“ für „einfache bis gar keine Antworten“, für „billige Anklagen“, für nicht bezahlbare Versprechungen, für fehlende Differenzierungen, demagogisches Auftreten und schlechtes Benehmen.
Im Durchschnitt verraten diese Zuschreibungen also mehr über die Absender, nur sehr bedingt etwas über die Adressaten.
Wie gesagt, der Begriff „Populismus“ wird auch in linken, sehr oft auch in antifaschistischen Zusammenhängen verwendet. Und das schon ab Ende der 90er Jahre, als „neu-rechte“ Parteien aus dem Boden schossen, wie z.B. die Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Hamburg, auch Schill-Partei genannt, die dort von 2001 bis 2004 an der Regierung beteiligt war. Es ging also darum, dieses neue politische Phänomen einzuordnen. Mit dem Begriff „populistisch“ sollte die Lücke zwischen bürgerlichen und neonazistischen Parteien/Positionen (NPD, Republikaner usw.) geschlossen werden.
Was ist von dieser Seite mit „Populismus“ gemeint?
Zum einen wird sehr deutlich darauf verwiesen, dass die scheinbar artikulierte Systemkritik (die da oben, die Parteibonzen etc.) nie die Grundlagen des Systems meint, den Kapitalismus, sondern nur deren „Auswüchse“ (Korruption, Vetternwirtschaft). Es geht um die Fiktion, um die Reinkarnation eines sauberen, ehrlichen Kapitalismus, wofür es ehrliche und rechtschaffene Unternehmer und Politiker geben muss – wofür sich die „Populisten“ halten.
Das hat zwangsweise zur Folge, dass die laut vorgetragene Kritik an sozialen Ungerechtigkeiten, an Klassengegensätzen immer und konsequent rassistisch (auf-)gelöst wird: Die Ausländer, die Flüchtlinge sind (an allem) schuld, die Flüchtlinge bekommen alles in den Arsch geschoben, die Ausländer nehmen uns die Arbeit, die Wohnung, die Handtaschen weg und so weiter.
Die ‚soziale Frage’ wird aus ihrem ursächlichen, also dem kapitalistischen Kontext gelöst und ethnifiziert.
Für diese Art von Politik ist das „Volk“ eine wesensmäßige Erscheinung, eine ethnische Größe. Sie ist nicht nur rassistisch determiniert, sie suggeriert auch eine Homogenität, ein harmonisches Eins-Sein, das die Leugnung gesellschaftlicher und sozialer Antagonismen voraussetzt.
Ähnlich wird die nationale Frage beantwortet und verschoben. Die angeblich fehlende „nationale Souveränität/Identität“ wird nicht im Kontext imperialer Zusammenhänge und Ansprüche verortet, sondern in Scheinwelten extrapoliert: Lange Zeit war es die „jüdische Weltverschwörung“, die naht- und sinnlos in die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ überging. Heute müssen „Putin“ und „Russland“ fast die ganze Last der Verschwörung tragen. Gäbe es nicht die „Islamisten“, die das gesamte „christliche Abendland“ übernehmen wollen, und/oder die USA, die uns bis heute „besetzt“ und/oder unter ihrer Knute halten.
Es wird sicher aufgefallen sein, dass viele dieser Theoreme auch von bürgerlichen Parteien bedient und bespielt werden. Denn, was heute als Vokabular der Populisten ausgegeben wird, war schon Jahre und Jahrzehnte zuvor das Vokabular der bürgerlichen Mitte: „Die „kommunistische Gefahr“, der man sich erwehren müsse, galt bis zum Ende der Sowjetunion als Garant für Aufrüstung und Kriegsrhetorik. „Überfremdung“, „Scheinasylanten“ und die Gefahr einer „Asylantenflut“ gehörten Anfang der 90er Jahre zum selbstverständlichen Sprachgebrauch bürgerlicher Politiker und der ihnen nahestehenden Medien.
Vielleicht hilft hier als Unterscheidung folgende Trennlinie: Was für bürgerliche Parteien optional ist, ist für populistische Parteien essenziell.
Poder popular versus Herrschaft
Avanti popolo (Liedanfang von Bandiera rossa, verfasst von Carlo Tuzzi, 1908)
In der Namensnennung steckt es bereits drin: el pueblo, das Volk. In vielen lateinamerikanischen Ländern hat die Bezugnahme auf das Volk keinen ethnischen, nationalen Charakter, sondern drückt den Gegenpol zur Herrschaft, zur Machtelite aus.
„Poder popular“ bedeutet im lateinamerikanischen Verständnis „Volksmacht“, also die Rückgewinnung gesellschaftlicher Macht, ein Ende der Fremdbestimmung. Diese bezog sich sowohl auf die nationalen Eliten, als auch auf postkoloniale/imperialistische Abhängigkeiten. Im Zentrum dieses Kampfes stand die Selbstbestimmung, sowohl in gesellschaftlicher Beziehung, als auch im Kontext imperialer Abhängigkeiten.
Vor allem formuliert er einen gesellschaftlichen und machtpolitischen Antagonismus.
Wer also für die „poder popular“ eintrat, hatte keine ethnische, angebliche homogene Größe vor Augen. In vielen Ländern Lateinamerikas, die von Diktaturen geprägt waren, galt sie als strategische Größe:
El pueblo unido jamas sera vencido … Das geeinte Volk wird niemals besiegt. Das Volk war also keine ontologische Größe, sondern stand für einen politischen Prozess, der alle jene zusammenbringen wollte, die unter der Diktatur litten – im klaren Wissen, dass das „Volk“ keine mystische, sondern eine strategische Größe ist.
Was nach dem Sturz der traditionellen Eliten folgt, blieb und bleibt oft unklar, verschwommen und vielstimmig. Für die einen ist es die Übernahme desselben Systems in guten Händen (good governance), ein personales Verständnis.
Für die anderen, die meist in der Minderheit waren und sind, bedeutet die Verwirklichung von „poder popular“ auch ein Bruch mit den (post-)kolonialen und kapitalistischen Strukturen, also irgendetwas in Richtung Sozialismus, also auch ein Angriff auf den Kapitalismus selbst.
Populismus versus Eliten
In Westeuropa ist die Verwendung des Begriffes „Volk“ sehr kontrovers. In Frankreich wurde er zum Beispiel lange als Synonym für „die Arbeiterklasse“ verstanden, als Synonym für die Unterdrückten und Ausgebeuteten.
In Deutschland ist die Verwendung des Begriffs „Volk“ vor allem mit seiner nationalistischen und faschistischen Konnotation verknüpft. „Volk“ steht hier nicht im Gegensatz zur Herrschaft der Wenigen (Mächtigen), sondern für eine lustvolle, bejahende Unterwerfung.
Die faschistische Losung: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ brachte diesen Dreiklang in Einklang. In diesem Kontext wurde –zurecht – der Begriff des „Völkischen“ als herrschaftsaffine und herrschaftssuchende Beschreibung eingeführt.
Mit der politischen Aufarbeitung des deutschen Faschismus wurde zumindest ein bedeutender Anteil des „Volkes“ beim Zustandekommen des Dritten Reichs in Gestalt begeisterter Selbstunterwerfung evident, eine positive Bezugnahme auf „das Volk“ so gut wie unmöglich.
Umso bemerkenswerter in diesem deutschen Kontext ist die Losung derer, die in der ehemaligen DDR auf die Straße gingen. Lange galt dort die Parole: „Wir sind das Volk“, womit man der DDR-Führung streitig machen wollte, dass sie im Namen des Volkes handele.
Gegen Ende der „friedlichen Revolution“ stand die Parole: „Wir sind ein Volk“, womit ein deutlicher politischer Richtungswechsel und eine gewaltige Deutungsverschiebung markiert war. Aus einem Bezug, der einen machtpolitischen Gegensatz von oben und unten anzeigen wollte, wurde ein Begriff, der die ethnische „Einheit“ beschwor, also das Innen gegen das Außen definierte.
Linkspopulismus als (soziale) Bewegung?
We are the 99 percent
Wenn man auf die letzten zehn Jahre zurückblickt, dann gab es sehr viele und machtvolle Bezugnahmen auf das „Volk“ als Form der Selbstermächtigung, als Kritik an der Plutokratie und Post-Demokratie.
„We are the 99 percent“ war der Slogan der occupy-(wall-street-)Bewegung in den USA 2011, als Antwort auf die Finanzkrise ab 2008. Auch wenn es „nur“ 10.000e waren, die sich daran beteiligten, so reklamierten sie, im Namen des Volkes, der Mehrheit zu sprechen, gegen die Politik gemacht wird. Es kam zu Besetzungen von Plätzen, Brücken und Straßen. Dazu gehörte auch der Versuch, den Zugang zur New Yorker Börse zu blockieren, was mit brutaler Gewalt verhindert wurde.
Democracia real YA! *(Echte Demokratie! Jetzt) und *No nos representan (Sie repräsentieren bzw. vertreten uns nicht) in Spanien nach den Jahren 2010
Diese Bewegung hat eigentlich alle angesprochen, die nicht zu dem „einen Prozent“, also den Nutznießern dieses Systems gehören: Alle, die unter den Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen leiden, die die Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und folgende ausbaden müssen, die die weniger als ein Prozent Nutznießer zu verantworten haben: Das reicht von ArbeiterInnen und Angestellten bis zu prekär Arbeitenden und StudentInnen, RentnerInnen und Arbeitslosen. All denen, die nichts zu sagen haben, nicht gehört oder zum Schweigen gebracht werden.
Wie so oft, gab es viele politische Anläufe, bevor schließlich ein Protest medial und politisch wahrgenommen werden musste: der der „indignados“, der Empörten, die ab 2011 weit über Spanien hinaus für Aufsehen und Nachahmung sorgten.
Der Unmut und die Wut hatten sich über viele Jahre angesammelt und aufgestaut. Viele SpanierInnen begriffen und begreifen die ‚sozialistische’ PSOE (die der deutschen SPD inhaltlich nahesteht) nur als kleineres Übel im Vergleich zur rechtskonservativen PP (Partido Popular), deren Mitglieder immer wieder Sympathien gegenüber Franco bekunden und sich damit direkt auf den spanischen Faschismus beziehen. Grundlegende Gesetzesänderungen, die Jahre später mit zur spanischen Wirtschaftskrise beitrugen, wurden innerhalb der Legislaturperiode der sozialistischen PSOE realisiert – also ganz ähnlich wie im Fall der rot-grünen Regierung in Deutschland, die erst die Finanzmärkte deregulierte, also „entfesselte“, um dann die Billionen an Schulden, die diese Entfesselung hinterlassen hatte, über Raubzüge mit dem Namen „Agenda 2010“ (Arbeitsmarkt- und Renten“reformen“) gegenzufinanzieren. Aufgrund steigender Mieten und geplatzter Hypotheken gründete sich bereits 2006 die Bewegung V de Vivienda und die Plattform Para una vivienda digna. „Aus dem Titel des Comic- und Spielfilmes V wie Vendetta wurde V de Vivienda (W wie Wohnraum). Fortan hatte die Bewegung einen populären und zugleich revolutionären Namen … und ein einprägsames Logo (Vendetta kämpft gegen ein böses Imperium …). Die Asambleas hatten verschiedene Funktionen. Es gab die Generalasamblea und verschiedene Kommissionen, die sich bestimmten Themen und Aufgaben widmeten. (…) Auf dem Höhepunkt der Bewegung Ende 2006 gingen in Barcelona 25.000 Menschen auf die Straße. (…) Die Bewegung mündete in einer Initiative, die auch gegenwärtig in vielen Stadtteilen und Asambleas aktiv ist: die Plattform de los afectados por la hipoteca (Plattform der Geschädigten von Hypotheken).“ (Anja Steininger, no nos representan!, in: Aufstand in den Städten, Unrast Verlag 2012)
Man kann ihre Form der Selbstermächtigung, ihr Misstrauen gegenüber dem politischen System und der damit kollaborierenden Gewerkschaften als Vorläufer der Bewegung der „Indignados“ begreifen.
Um dem für den 29. September 2010 zaghaft ausgerufenen Generalstreik (für einen Tag) Zähne zu verleihen, besetzten am 25. September 2010 Hunderte „Indignados“ das ehemalige Banesto-Bankgebäude am Plaza Catalunya in Barcelona. „An dem besetzten Bankgebäude, vor dem die Demonstration des Generalstreikes enden sollte, wurde ein 150 Quadratmeter großes Transparent befestigt, das die kritische und provokante Haltung gegenüber den Gewerkschaften CC.OO. und UGT (die in den letzten Jahren immer wieder selbst in korrupte Finanzskandale verwickelt waren und mit der Regierung paktierten) bekundete:
»Die Banken ersticken uns, die Arbeitgeber beuten uns aus, die Politiker lügen uns an, und die CC.OO. und UGT verkaufen uns«. (Anja Steininger, siehe oben)
Diese Platzbesetzung war die Initialzündung für den Sommer der Platzbesetzungen in ganz Spanien 2011. „Am 15. Mai folgen geschätzte 130.000 Personen in 58 spanischen Städten dem Aufruf der Initiative Democracia Real Ya! Eine Plattform, die sich Wochen zuvor aus vielen kleinen Gruppen zusammengeschlossen hatte, um auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass die beiden großen Parteien nicht fähig sind, die Mehrheit der Spanier_innen politisch zu vertreten, dass man mit leeren Versprechen an der Nase herumgeführt wird. (…) So unterschiedlich die Personen auf den Plätzen also auch gewesen sind, sie teilen die Kritik an der herrschenden politischen Klasse und dem Zweiparteien-System von Partido Popular (PP) und Partido Socialista Obrero Español (PSOE). Sie fordern ein Ende der Korruption und die Achtung der Grundrechte auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit, Bildung und politische Beteiligung.“ (Anja Steininger, s.o.)
Nuit debout – Das (Wieder-)Erwachen einer Bewegung
Auch diese Bewegung in Frankreich hat fast alle angesprochen, die die Politik der großen Parteien, der Gewerkschaften satthaben, die den ständig verlängerten Ausnahmezustand nicht als Schutz ihrer Freiheit erleben, sondern als deren Annullierung, die die Arbeitsmarktreformen nicht als Stärkung „unserer Wirtschaft(skraft)“ erleben, sondern als das, was sie für die Mehrheit bedeuten: noch mehr zu arbeiten, für noch weniger Lohn.
Am 12. Mai 2016 hat die französische Regierung unter Hollande die „Arbeitsmarktreform“ verabschiedet, deren Affinität zur deutschen Wirtschaftspolitik nicht zu übersehen ist. Denn was französische Regierungen zum wiederholten Mal durchzusetzen versuchen (zuletzt mit einer ‚Rentenreform’ unter Nicolas Sarkozy), ist in Deutschland sang- und klanglos über die Bühne gegangen: Die Agenda 2010 unter der damaligen rot-grünen Regierung: Ein großes Festival des Kapitals – eine einzige Niederlage der Gewerkschaften und der (außerparlamentarischen) Linken.
Gleichzeitig nahmen die Proteste den Widerstand gegen den seit Anfang 2016 andauernden Ausnahmezustand (état d’urgence) auf.
All das zusammen hatte das Fass zum Überlaufen gebracht und die Bewegung ‚nuit debout’ hervorgebracht – das Gegenteil von Stiller Nacht (duce nuit). Innerhalb weniger Tage und Wochen verbreitete sie sich wie Flugsand über die ganze Grande Nation, in über 200 Städten, mit zehntausenden Beteiligten. Am 14. Juni 2016 kamen über 1.000.000 Millionen Menschen zusammen, um ihre Ablehnung gegenüber diesem Gesetz und dem seit November 2015 verhängten Ausnahmezustand (état d’urgence) zu demonstrieren.
Man verbrachte die Nacht nicht im Bett oder vor dem Fernseher, sondern auf der Straße. Man „kommunizierte“ nicht über Facebook, sondern direkt, hautnah. Man fand sich nicht ab, sondern unterbrach den Lauf der Dinge. Man warf das diversifizierte und vereinzelte Private in den öffentlichen Raum, schaffte also Raum für ein kollektives Miteinander. Dieses Wagnis fand über Wochen statt, in großen und kleinen Städten Frankreichs, mit dem Ziel, auf unterschiedlichen Wegen die politischen und sozialen „gate communities“ zu verlassen: Ob SchülerInnen oder StudentInnen, ob Junge oder Alte, GewerkschaftlerInnen oder RentnerInnnen, AnarchistInnen oder KommunistInnen.
Doch auch dieser Bewegung ging nach ein paar Monaten die Luft aus. Lag es an der Repression? Lag es an der Erschöpfung, an fehlender Unterstützung? Wir werden später auf diese Fragen zurückkommen.
Kann man den (nationalistischen und rassistischen) Populismus „links“ wenden?
Die nationalistischen und rassistischen Parteien haben den Unmut des Volkes rechts eingebunden, absorbiert – sehr erfolgreich. Das verführt natürlich sehr schnell dazu, die Frage in den Raum zu stellen, ob dieses Modell auch auf „links“ übertragbar ist? Verknappt könnte man sagen: Ein Populismus ohne Rassismus und nationale Rhetorik - geht das?
An zwei Beispielen, die diese abstrakte Frage durchgespielt haben, kann man sich dieser Frage nähern.
Griechenland. Von OXI zum Umfallen
Die parlamentarischen und außerparlamentarischen Protest- und Widerstandsbewegungen gegen die Troika-Diktate waren nirgendwo so stark wie in Griechenland. Das traditionelle Parteiensystem brach als Folge in sich zusammen. Eine neue Partei, das Parteienbündnis Syriza betrat die Bühne … und bündelte die Proteste. Es lehnte das Verarmungsprogramm der Troika ab und gewann damit die Wahlen Anfang 2015 und die Herzen vieler GlobalisierungsgegnerInnen. Trotz wachsender politischer und ökonomischer Erpressungen durch die Troika gewann Syriza auch das selbst angesetzte Referendum im selben Jahr mit über 60 Prozent der Stimmen.
Es ist naheliegend, dass die über 30 Prozent Wahlstimmen bei den Wahlen 2015, die 60 Prozent Zustimmung beim Referendum nicht alle „links“ gewählt hatten, sondern viele auch national. Der Showdown war klar konturiert: hier das kleine und tapfere Griechenland, dort der arrogante, übergroße Gozilla namens „Troika“.
Der (Haupt-)Feind stand erklärtermaßen außerhalb, in Gestalt des Dreigestirns aus EU, EZB und IWF. Mit dieser Anordnung konnte man auch erfolgreich viele nationale Erzählungen/Empfindungen und Mythen mobilisieren, von der Wiege der Demokratie, über Merkel als Nachgängerin Adolf Hitlers, über Besatzungs-Metaphern bis hin zum (National-)Stolz der Griechen.
In dieser Logik verwunderte es nicht, dass Syriza als stärkste Partei eine Regierungskoalition mit der nationalistischen ANEL-Partei einging. Machtpolitisch war das notwendig, wollte man Regierungsmacht erlangen.
Das Ergebnis dieses Versuches, vieles auf die „nationale“ Karte zu setzen, ist bekannt und deprimierend. Die Troika lehnte das Votum des Referendums strikt ab und ließ Griechenland finanzpolitisch fast „absaufen“. Syriza lenkte ein und vollstreckt heute fast alle Diktate der Troika.
Bleibt die Frage: Hätte es eine andere politische Lösung gegeben?
Podemos – wir können es! Wirklich?
Die wachsende Repression und die Ermüdung der Bewegung der Indignados in Spanien führten schließlich dazu, dass Anfang Juni 2011 die Platzbesetzungen aufgeben wurden, mit der Absicht, die Formen der Selbstrepräsentation (Versammlungen und Kommissionen) in die Stadtteile zu verlegen.
Obwohl die Entscheidung richtig war, den „kurzen Sommer der Anarchie“ (in Anspielung auf Magnus Enzensbergers Essay über den spanischen Bürgerkrieg 1936-39) in den Alltag zu holen, verlor die Bewegung deutlich an Schlagkraft und Anziehung. Der Alltag holte alle im wahrsten Sinne des Wortes ein und zurück.
Diese Fragen stehen am Ende dieses Aufbruchs im Raum:
Wie kann man wirksam und erfolgreich in die herrschenden Strukturen eingreifen?
Wie kann man in das politische System eingreifen, ohne selbst Teil davon zu werden?
Wie kann man basisdemokratische Strukturen aufrechterhalten, die Zeit, also weniger Kapitalismus erfordern?
Es ist keine neue Erscheinung, sondern eher das Ende vieler Bewegungen, dass sie politisch „verwertet“ und „beerbt“ werden. In diesem Fall trägt der selbsternannte Erbe den Namen „Podemos“ – was so viel heißt wie: Wir schaffen es. Diese Partei wurde 2014 gegründet und versteht sich explizit als parlamentarischer Arm der Indignados. Sie verspricht das, was der Bewegung nicht gelang: Die Forderungen in das politische System einzubringen und als Teil einer zukünftigen Regierung umzusetzen.
Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 erreichte Podemos mit 20,7 Prozent der Stimmen 69 Mandate und stellte damit die drittstärkste Fraktion im Parlament. Die Reaktion auf diesen Wahlerfolg auf Seiten des politischen Establishments Spaniens war denkbar einfältig: Man bezichtigte die neue Partei des Populismus und verortete diesen – im Gegensatz zu Deutschland (AfD) oder Frankreich (FN) – links.
Eine weniger dümmliche Einordnung sieht im Wahlerfolg von Podemos „sehr vorteilhafte Auswirkungen (…) in Sinne einer Regenerierung des spanischen politischen Systems.“ (Vicente Palacio von der Fundación Alternativas)
In Spanien wird dieses Jahr gewählt. Das Ergebnis ist noch offen?
Das Scheitern des linken Populismus?
Man imaginiert ein Ganzes, etwas Eines – als Gegenüber zur etablierten Politik – das es nicht gibt. Die 99 Prozent sind nicht nur so unterschiedlich wie das eine Prozent, sie sind es notgedrungen noch viel mehr. Sie umfassen in Armut und prekär Lebende genauso wie akademisch und universitär ausgerichteten Menschen, Menschen in Armut und mit Angst vor Arbeit in Armut. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Aufstiegschancen und so weiter.
Dieses Ganze ist aber auch mehr als eine vorausgeworfene Utopie. Diese leugnet Klassenverhältnisse, die heute mehr denn je das Leben bestimmen – also auch die Art des Widerstandes, die Möglichkeiten des Protests, die Beteiligung daran.
Das lässt sich sehr eindrucksvoll an der Protestbewegung „nuit debout“ in Frankreich nachzeichnen.
Die gewünschte und erhoffte „Konvergenz“ der Kämpfe und Klassenunterschiede fand nicht statt: die Streiks der ArbeiterInnen, die Kämpfe gegen den Ausnahmezustand und die Kämpfe von nuit debout kamen letztendlich nicht zusammen.
Dazu schreibt Bernhard Schmid, der in Paris lebt und diese Bewegung sehr unmittelbar mitbekommen hat, Folgendes:
„Die convergence des luttes, also das Zusammengehen der Kämpfe in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, wird unterdessen von vielen Rednerinnen und Rednern am offenen Mikrophon der Platzbesetzerbewegung immer wieder beschworen. Der linke Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon, einer der prominenten Köpfe in einer Bewegung, die keine Chefs haben möchte, beschwor die Versammelten schon in den ersten Tagen, auf diverse andere soziale Milieus zuzugehen, um die Bewegung tunlichst zu verbreitern.
Ein stärkerer Brückenschlag als bislang auch zu den Gewerkschaften und Lohnabhängigen sei nötig, betonen viele. Vielen abhängig Beschäftigten ist es de facto relativ schwierig, an allen Ereignissen teilzunehmen, wenn die einzelnen Kommissionen der Platzbesetzung – ‚Aktion’, ‚Kommunikation’, ‚internationale Kontakte’, ‚Logistik’ und andere - schon inmitten des Nachmittags zu arbeiten beginnen und danach die Vollversammlungen bis Mitternacht dauern.“
Ein strategischer linker Populismus?
Natürlich steht in diesem Zusammenhang immer die Frage im Raum, wie man mit den „rechtspopulistischen“ Erfolgen umgeht, sei es in Gestalt von Aufmärschen oder in der von Wahlsiegen. Und es geht auch darum, die massive, geradezu beängstigende Schwäche der Linken mitzudenken. Eine Schwäche, die sich weder auf der Straße, noch im Parlament groß unterscheidet.
Will man also machtpolitisch etwas bewegen beziehungsweise beeinflussen, wird man Bündnisse, Annäherungen an andere Positionen suchen müssen. In den 20er und 30er-Jahren war eine Idee, „Volksfrontbündnisse“ zu schließen, zwischen politisch ziemlich verfeindeten Parteien: auf der einen Seite die Sozialdemokratie, auf der anderen die Kommunistische Partei. Der Grundgedanke bei dieser strategischen Option war: Das noch Schlimmere (den herannahenden Faschismus), mithilfe des Schlimmen (Kapitalismus-Bewahrer) zu verhindern, also die berechtigte und notwendige Kritik an der Sozialdemokratie zurückzustellen, zugunsten eines gemeinsamen (antifaschistischen) Kampfes.
Vielleicht lag dem Vorschlag der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe diese historische Matrix zugrunde, als sie gefragt wurde:
„Was schlagen Sie konkret vor?
- Der einzige Weg, um rechten Populismus zu bekämpfen, ist linker Populismus.“ (SZ, Neue Chancen, vom 29.12.2016)
In der Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse macht sie dabei zwei zentrale Aussagen:
„Was ich Post-Demokratie nenne, ist der Zustand, in dem alles, was mit wirklicher Teilhabe zu tun hat, bedeutungslos geworden ist.“
Das Geheimnis des Erfolgs rechter populistischer Bewegungen und Parteien sieht sie darin: „Ihre Anführer geben den Menschen wieder eine Stimme, ein Forum. Da geht es ganz klassisch um Partizipation. Und das ist eine Wiederaneignung von Demokratie.“
Sicherlich wäre sehr spannend und wichtig, diese Diagnose zu überprüfen: Geht es dort tatsächlich um „Wiederaneignung von Demokratie“, um Partizipation oder um die Vollendung der tatsächlichen Nicht-Teilhabe.
Wie könnte die Partizipation von links aussehen, wie ließe sich eine „Wiederaneignung von Demokratie“ auf den Weg bringen? Chantal Mouffe hat die spanische Partei „Podemos“ dabei vor Augen: „Sie sind der Überzeugung, dass alle Menschen von den negativen Effekten der Privatisierung und der Beschränkung des Wohlfahrtsstaats betroffen sind. Diese Menschen zu erreichen, das verstehe ich unter linkem Populismus. Einen kollektiven Willen schaffen, der die Arbeiterklasse mit den sozialen Bewegungen und den verarmenden Mittelschichten zusammenbringt.“
Fehlt es wirklich nur an der „richtigen“ Partei? War Syriza in Griechenland nicht genau das, was sich Chantal Mouffe von Podemos in Spanien erhofft? Und ist eine „gute“ Partei die Antwort auf das fast völlige Fehlen von wirklicher Teilhabe?
Der Blick auf eine bessere Partei verstellt seit Jahrzehnten den Blick auf eine schwerwiegende inhaltliche Frage, die möglicherweise eine „bessere“ Partei nur genauso schlecht beantworten kann.
Geht es wirklich darum, die Begriffe der Rechten bis Neofaschisten zu übernehmen oder „zurückzuerobern“? Es sind mehr als Begriffe: Sie markieren eine Gesellschaftsanalyse, eine mehr als schlechte, die auch links gewendet nicht besser wird. Im Gegenteil: Sie umgeht die Kernfragen der gesellschaftlichen Konflikte und Verwerfungen, deckt die Machtverhältnisse zu, anstatt sie aufzudecken.
Selbstverständlich sind (gelungene) Verkürzungen notwendig, aber sie müssen den Kern des Anliegens treffen. Stimmt es, wenn man die politische Krise des westeuropäischen Kapitalismus auf den Gegensatz von „Eliten“ und „Volk“ reduziert?
Sind wachsende Armut (durch Arbeit) und unermesslicher Reichtum einer extremen Minderheit dadurch zu bekämpfen, indem man das „Vaterland“ anruft – gegen das „vaterlandslose“ Gesetz der Globalisierung?
Ist die wachsende Ohnmacht, das Leben politisch mit zu bestimmen ein Ergebnis von „Brüssel“, also der EU-Institutionen?
Einen anderen Blick auf die Verhältnisse wirft der französische Soziologe Didier Eribon. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie, die lange kommunistisch eingestellt war und nun den Front National wählt. Er ist Foucault-Biograf und LGBT-Aktivist. Das ist der Treibstoff, der ihn zum Widerspruch treibt, den „Populismus“ links zu wenden.
Zuerst kommt er auf die révolution conservatice (konservative Revolution) zu sprechen: „In den Achtzigern haben linke Neokonservative mit Investorengeld Konferenzen organisiert, Seminare gegeben und mediale Debatten angezettelt mit dem Ziel, die Grenze zwischen rechts und links zu verwischen. Das war eine konzertierte Kampagne. Sie wollten all das abschaffen, worauf sich linkes Denken gründet: den Begriff der Klasse, die soziale Determination, die Ausbeutung der Arbeitskraft etc. Heute sehen wir, dass sie zum größten Teil erfolgreich waren.“ (aus einem Zeit-Interview vom 4. Juli 2016)
Dem hält der Fragesteller folgende Entwicklung entgegen, die doch Hoffnung machen sollte – eine Art Gegenbewegung.
„ZEIT ONLINE: Mit Blick auf Jeremy Corbyn, Podemos, Syriza könnte man auch von einem linken Revival in Europa sprechen.
Eribon: Aber sind sie wirklich links? Schauen Sie sich die Sprache an: In Spanien benutzt Pablo Iglesias, der zentrale Kopf von Podemos, zum Beispiel ständig den Begriff la patria, die Nation. Das gesamte Programm basiert auf diesem Begriff. Er begreift nicht, dass das ein sehr gefährliches Wort ist, das historisch klar besetzt ist. *
ZEIT ONLINE: Kann man nicht vielleicht links und nationalistisch zugleich sein?
Eribon: *Ich kann gut verstehen, dass auch viele Franzosen für eine nationale Souveränität gegen die europäische Sparpolitik eintreten, die von einem hegemonialen Deutschland und der EZB durchgesetzt wird. Viele meiner Freunde denken so. Trotzdem ist es für mich sowohl politisch als auch theoretisch ein großer Fehler. Sobald man Begriffe wie Vaterland oder Nation im europäischen Diskurs von der Leine lässt, weiß man nicht, wohin sie einen tragen werden.“ (s.o.)
Den Versuch, die Begriffe Volk, Nation und Vaterland links zu besetzen bzw. zu wenden weist er zurück und fügt hinzu:
„Dass die Linken rechte Argumentationen übernehmen, sieht man aber leider immer häufiger: Die Rhetorik von Podemos ist genau die gleiche wie die des Front National. Ich will Pablo Iglesias natürlich nicht mit Marine Le Pen vergleichen, und wenn ich in Spanien leben würde, würde ich für Podemos stimmen. Aber die Rhetorik ist vergleichbar: Die Nation gegen die Oligarchie, die Heimat gegen die Finanzelite, das Volk gegen die da oben. Nur: Wer soll das Volk überhaupt sein?“ (s.o.)
Und in welchem politischen Projekt sieht Eribon einen Grund zur Hoffnung? „Wenn es eine linke Partei gäbe, die für die Rechte der Arbeiterklasse genauso einstehen würde wie für die Rechte der LGBT-Community, der ethnischen Minderheiten und all den anderen, könnte das eine Instanz sein, die zwischen diesen Gruppen vermittelt und ihnen bewusst macht, wie sehr sich ihre Situationen ähneln, anstatt sie zu Gegnern zu erklären.“ (siehe oben)
Es gibt also einige faszinierende Versuche, auf die Politiken der „extreme Mitte“ (Tariq Ali) in ganz Europa zu antworten. Es gibt furchtbare Niederlagen, stilles Verschwinden und neue Versuche.
Die Debatte ist eröffnet.
Weiterlesen:
Diese Debatte führten auch Didier Eribon, ein französischer Philosoph und die Gewerkschaftsvertreterin Christina Kaindl, unter dem Titel "Die Rückkehr der Rechten am 30.11.2016, die aufgezeichnet wurde.
Einen sehr guten Beitrag zum „Linkspopulismus“ in Südamerika hat Gaby Weber geschrieben: "Wohltäter der Armen oder eine bürgerliche Krankheit? Der sogenannte Linkspopulismus in Südamerika"