Die US-Kernwaffendoktrin
Bis 2001 galt für Atomwaffen das Prinzip der „garantierten Vernichtung“:
„(…) ist ein im Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion geprägter Begriff und bezeichnet eine Situation, in der eine Nuklearmacht vom Ersteinsatz von Nuklearwaffen dadurch abgehalten wird, dass der Angegriffene selbst nach einem nuklearen Erstschlag noch vernichtend zurückschlagen könnte (…)“ (1).
Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York änderten die USA ihre Nukleardoktrin. Galt bis dahin, dass nur im Fall eines nuklearen Angriffs auch von Seiten der USA Kernwaffen eingesetzt würden, wurde dies geändert, und solche Waffen wurden zu normalen Gefechtsfeldwaffen herabgestuft. Unterstrichen wurde diese Entwicklung durch die Veränderung der Kommandostrukturen beziehungsweise die Auflösung der ausschließlich für einen Atomkrieg zuständigen Kommandostrukturen. Der Einsatz von Kernwaffen war nun nach US-Doktrin in folgenden Fällen möglich:
„Um einem Angreifer entgegentreten zu können, der droht, Massenvernichtungswaffen gegen US, multinationale oder verbündete Streitkräfte oder auch zivile Bevölkerung einzusetzen;
Um einem Angriff gegenüber zu treten, der aus biologischen Waffen besteht, die nur mit Hilfe eines Nuklearangriffs unschädlich gemacht werden können;
Um die Produktionsstätten von Gegnern unschädlich zu machen, die unter anderem Massenvernichtungswaffen produzieren, und Anlagen, tief und verbunkert unter der Erde, in denen biologische oder chemische Waffen gelagert werden, oder gegnerische Kommando- oder Kontroll-Infrastruktur, die dazu benutzt werden können, um Angriffe mit Massenvernichtungswaffen gegen die USA, ihre Freunde und Alliierten zu führen;
Um potentiell überwältigend starke konventionelle gegnerische Kräfte zu bekämpfen;
Um die Absicht und Fähigkeit der USA zu demonstrieren, Atomwaffen einzusetzen, um die gegnerische Nutzung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.“ (2)
Oft wird behauptet, dass diese Doktrin mit der Obama-Ära obsolet geworden wäre. Dies wäre durchaus der Fall gewesen, wenn ein Erstschlag mit Kernwaffen explizit ausgeschlossen worden wäre, wie dies zum Beispiel China und Indien eindeutig erklärten. Das war aber nicht der Fall. Auch unter Obama blieb die Möglichkeit eines nuklearen Erstschlages aktiv. Allerdings hatte Obama ausgeschlossen Kernwaffen gegen Nicht-Atomstaaten einzusetzen. Mehdi Hasan schreibt in The Intercept:
„(…) während Barack Obamas 2010 NPR (Anmerkung des Übersetzers: Nuclear Posture Review) zum ersten Mal einen Kernwaffenangriff gegen einen Nicht-Atomstaat einzusetzen ausschloss, was in Übereinstimmung mit dem Atomwaffensperrvertrag ist, geht Trumps NPR (7) in die entgegengesetzte Richtung und schlägt vor, dass die USA Kernwaffen unter ‚extremen Umständen‘ einsetzen könnte, um ‚vitale Interessen‘ der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten zu verteidigen.“ (6)
Also fand die Entwicklung des Einsatzes von Kernwaffen ihren letzten Höhepunkt in der neuerlichen Veränderung der Atomdoktrin durch Präsident Trump, der jetzt explizit die Entwicklung von „kleinen“ Kernwaffen in Auftrag gab, die in einem bis dahin konventionellen Krieg eingesetzt werden könnten, ohne die Schwelle zum Atomkrieg zu überschreiten, und als mögliche Gegner Russland und China benannte.
Anfang der 2000er Jahre begannen Diskussionen darüber, dass ein begrenzter Atomkrieg von den USA durchaus geführt und „gewonnen“ werden könnte, wenn durch ein nationales, beziehungsweise später globales, Raketenabwehrsystem die Kernwaffensprengköpfe nuklearer ballistischer Raketen unschädlich gemacht werden könnten.
Im Laufe der Jahre festigte sich durch das Marketing der Rüstungsindustrie in den USA der Glauben, dass zumindest ein Gegenschlag, also die Erwiderung eines Kernwaffenangriffs durch die USA, bei dem ein großer Teil der feindlichen Kernwaffen bereits durch einen „Präventivschlag“ der USA unschädlich gemacht wurden, durch ein solches Raketenschild unwirksam gemacht werden könnte. Verbunden mit der Absenkung der Schwelle zum Einsatz von Kernwaffen durch die USA ergibt sich für Gegner nun die fatale Situation, dass sie auch jederzeit mit einem Erstschlag rechnen müssen, ohne wirksam den Angreifer vernichten zu können, wird der Raketenschild einmal vollständig in Betrieb genommen.
Prinzipiell wuchs dadurch das Risiko eines Atomkrieges, weil die durch den Raketenschild bedrohten Länder überlegen mussten, ob sie im Sinne eines Präventivschlages mit der gesamten Macht ihrer Atomwaffen ihrerseits die Kernwaffenkapazitäten der USA und ihrer Verbündeter ausschalten sollten, um einer Vernichtung zu entgehen. Zumindest ein beträchtlicher Teil, so die Theorie, würde durch den Raketenschirm dringen und die Kernwaffen der USA zum größten Teil nutzlos machen.
Damit nicht genug, rückte die atomare Bedrohung durch die NATO im Rahmen der Osterweiterung und die Verstärkung der US-Militärbasen im asiatischen Raum gegen China immer näher an die Grenzen der potentiellen Gegner heran. Da nun aus den Containern, in denen bisher nur die ABWEHR-Raketen des Raketenschirms lagerten, auch kernwaffenfähige ANGRIFFS-Raketen abgeschossen werden können, reduziert sich die Vorwarnzeit für Russland und China dramatisch. Denn wie viele der inzwischen 400 rund um Russland positionierten Raketencontainer Angriffs- und wie viele Abwehrraketen enthalten, das kann sich jederzeit ändern.
Der ABM-Vertrag
Um genau eine solche Entwicklung auszuschließen, hatten die USA und Russland am 26. Mai 1972 mit unbefristeter Gültigkeit den „Anti-Ballistic Missile Treaty“ (ABM) abgeschlossen. Mit dem Vertrag sollten Raketenabwehrsysteme verhindert werden, die genau dieses oben beschriebene Szenario, also die Abkehr von der Doktrin der möglichen gegenseitigen Zerstörung, verhinderten. Am 13. Juni 2002 traten die USA einseitig vom Vertrag zurück.
Die USA behaupteten immer wieder, dass der Raketenschirm nicht gegen Russland gerichtet wäre, was Präsident Putin nur einen trockenen Lacher entlockte, als er von einem Journalisten darauf angesprochen wurde. Angeblich sollte der Schirm vor Irans noch nicht existenten Raketen und Kernwaffen oder denen Nordkoreas schützen. Abgesehen davon, dass es viel billiger gewesen wäre, durch Verträge mit den entsprechenden Staaten – wie dann mit dem Iran doch noch realisiert – einen Kernwaffenverzicht zu erreichen, war diese Ausrede von Anfang an zu lächerlich, um ernst genommen zu werden.
Russland warnte 2002 ausdrücklich vor einem neuen Rüstungswettlauf. Die USA jedoch waren der Meinung, dass gerade ein solcher für sie vorteilhaft wäre, da Russland einen solchen Wettlauf niemals gewinnen könnte. „Analysten“ rechneten damit, dass die USA, wie vorher die Sowjetunion, einfach die Zahl und Stärke ihrer ballistischen Atomraketen erhöhen würde und möglicherweise mobil macht, was man auf Grund der zunehmenden Satellitenaufklärung für eine lösbare Aufgabe für die Angriffskoordinatenerstellung hielt.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 hielt Putin eine Rede, die einen Meilenstein in den Beziehungen mit den NATO-Ländern darstellte, die aber von den Westmächten mit einem Achselzucken weggewischt wurde. Putin hatte sich bitterlich darüber beklagt, in welcher flagranten Art und Weise die NATO-Länder die essentiellen Sicherheitsbedürfnisse und -Interessen Russlands missachteten, und er kündigte eine entsprechende Reaktion seines Landes an, sollte sich keine Änderung in der Haltung der NATO ergeben.
Wie wir wissen, gab es keine Veränderung. Im Gegenteil wurde der ehemalige georgische Präsident Saakaschwili – der heute in seinem Land mit Haftbefehl gesucht wird – ermutigt, einen Krieg gegen Russland zu beginnen, der im Westen dann als Aggression Putins dargestellt wurde, gefolgt 2014 von dem durch die EU und NATO ausgelösten gewaltsamen Umsturz in der Ukraine, der das Land in einen Bürgerkrieg stürzte.
Die Kündigung des ABM-Vertrages war der Beginn einer gigantischen Aufrüstungskampagne, in die seit letztem Jahr nun auch Deutschland eingeschlossen wurde. Mit dem Ziel einen Angriffskrieg gegen Russland mach- und gewinnbar zu machen. Gleichzeitig wurde aber, trotz immer vom Kreml bewusst geleakter Informationen über Waffenentwicklungen, davon ausgegangen, dass der Raketenschirm funktionieren würde, unter Außerachtlassung jeglicher Berücksichtigung von Neuentwicklungen des Gegners. Was aber von Anfang an von Kritikern des Projekts angeführt worden war.
Jeder Analytiker mit dem mindesten Verständnis für die Entwicklungsgeschwindigkeit des technischen Fortschrittes konnte erkennen, dass bis zur vollständigen Einsatzfähigkeit des Systems neue Systeme existieren würden, die den Raketenschirm ad absurdum führen würden.
Der Rüstungswettlauf
Nun hatte also Putin in seiner Rede zur Nation am 01. März erklärt, wie Russland auf die Herausforderung zum Rüstungswettlauf reagiert hatte. Er stellte futuristisch erscheinende neue Kernwaffenträger vor, die alle eines gemeinsam hatten: Für sie stellte der Raketenschirm kein Hindernis mehr dar.
Da gibt es den riesigen strategischen Raketenkomplex „Sarmat“ mit unbegrenzter Reichweite. Dann ein luftgestütztes Raketensystem „Kinschal“, das 10-fache Schallgeschwindigkeit erreicht und manövrierfähig ist, das Hyperschall Raketensystem „Avangard“ mit Gleiter, atomgetriebene Marschflugkörper mit unbegrenzter Reichweite, die knapp über der Meeresoberfläche manövriert werden können. Und schließlich gibt es die superschnelle Unterwasser-Drohne mit Atomantrieb und ein noch geheimes Laserwaffen-System.
Ein Teil der Waffen wurde bereits an die Streitkräfte ausgeliefert und ein russophiler Artikel beschreibt technisch, warum sich Russland nun unangreifbar fühlt (10). Die westlichen Medien dagegen sind voller Spott und meinen, dass keine der Waffen wohl tatsächlich verfügbar wäre, was durchaus möglich ist. Andere erklären nun den Rüstungswettlauf offiziell für eröffnet.
Keiner der Kommentatoren aber kommt auf die Idee, dass Putin mit seinen Ankündigungen in erster Linie aufzeigen will, dass der Raketenschirm überflüssig ist und es sich um einen riesigen Betrug der Rüstungsindustrie handelt, der lediglich das Geld der Steuerzahler des Westens absaugen soll, aber wegen neuer Waffensysteme schon überholt sein wird, wenn er denn voll einsatzbereit ist.
Im Prinzip zeigt Putin auf drastische Weise, dass Wettrüsten an sich ein Schwachsinn ist, den sich die westlichen Staaten nicht länger leisten sollten. Egal welche neuen Waffensysteme entwickelt werden, erfindungsreiche Köpfe werden asymmetrische Antworten finden, die mit geringerem Aufwand verheerende Auswirkungen haben können. Noch dümmer ist es, die konventionelle Rüstung aufzublasen, wie dies derzeit in Deutschland geschehen soll. Denn die russische Kernwaffendoktrin sieht keinen Verzicht auf einen Ersteinsatz vor. Russland behält sich eine Atomwaffennutzung ausdrücklich vor, falls die Integrität des Landes verletzt werden sollte.
Und Putin hatte zuletzt betont, dass er nicht zulassen würde, dass ein neuer Krieg auf russischem Boden stattfinden wird. Mit anderen Worten: Sollte der Westen mit seiner enormen konventionellen Übermacht drohen, einen Teil der russischen Föderation zu überrennen, muss er damit rechnen, dass Kernwaffen auf das Land des Angreifers regnen.
Wer nun einwendet, dass die Aufrüstung doch rein defensiv wäre, den braucht man nicht ernst zu nehmen. Noch nie wurde ein NATO-Land angegriffen. Jeder weiß, dass es darum geht „wieder eine Rolle in der Welt zu spielen“. Das heißt Deutschland und Europa wollen insbesondere in Afrika die koloniale Kanonenbootdiplomatie der vergangenen Jahrhunderte fortsetzen. Dabei wurde gerade eben erst in Afghanistan deutlich, dass dies unendlich viel Geld kostet, aber keine nachhaltige Wirkung mehr entfaltet. Und Libyen zeigt, was die Rüstung des Westens wirklich verursacht: Vernichtung, Chaos, Flüchtlingsströme.
Die Reaktion
Die Washington Post (3) antwortete mit einem langen Artikel mit ungewöhnlich vielen wörtlichen Zitaten aus Putins Rede. Aber die vorgegebene Richtung des Artikels betont, dass Russland „behaupte“ in der Lage zu sein „Kernwaffen zu entwickeln“, die in der Lage sind, das Raketenabwehrschild zu überwinden.
Dabei geht der Artikel nicht darauf ein, dass ein Teil der Waffen bereits dem südlichen Militärdistrikt Russlands zugewiesen wurde und sich andere bereits in Serienproduktion befinden, wie Putin betonte. Dabei sollte man sich erinnern, dass Putin in der Vergangenheit eher vorsichtig war und nie leere Drohungen ausgesprochen hatte.
Die New York Times (4) schien auf die Rede nicht vorbereitet gewesen sein. Aber natürlich musste die Zeitung etwas dazu sagen. Dabei geht der Trend dahin zu behaupten, dass es sich um einen Bluff handeln würde. Gleichwohl findet man nachdenkliche Hinweise, dass Putin auf die Schwächen des Raketenabwehrsystems hinweisen würde. Auch diese Autoren übersehen, dass Putin in der Vergangenheit das Wort „vorsichtig“ immer wieder in seinen Reden benutzt. Es gehört zu seinem Charakter, nicht aufbrausend, übertreibend oder hochriskant zu agieren. Sein ganzes Vorgehen, zum Beispiel im Syrien-Konflikt, beweist dies ebenfalls. Daher anzunehmen, dass Putin die Sicherheit Russlands mit einem Bluff aufs Spiel setzen würde, ist einfach zu unwahrscheinlich.
Die Frankfurter Allgemeine reagierte schnell und relativ neutral. Der Artikel beschreibt einige direkte Aussagen des russischen Präsidenten. Und weist dann auch auf die Beweggründe für die Entwicklung der neuen Systeme hin:
„Der russische Präsident betonte mehrmals, dass das präsentierte Waffenarsenal nur im Falle eines direkten Angriffes auf Russland eingesetzt werden würde. Die russische Militärstärke bezeichnete er als Garant des Friedens. Russland sei wegen der Ausdehnung der NATO-Grenzen zum Aufbau eines hochmodernen Verteidigungsapparates gezwungen worden, sagte er. ‚Keiner wollte mit uns reden und keiner wollte uns zuhören. Hört uns jetzt zu!‘ Als Reaktion auf seine kämpferische Ansage applaudierten die Anwesenden stehend.“ (5)
Andere Medien liegen näher an der US-Linie und sagen: „angeblich“ (Der Tagesspiegel, Stern), er „drohte dem Westen“ (Focus), „die Skepsis ist groß“ (Tagesschau), „Russland rüstet auf“, „angeblich nicht abfangbar“ (ZDF), „In seiner Rede an die Nation schwingt der russische Präsident Wladimir Putin die atomare Keule“ (Stuttgarter Zeitung), „Demonstration der militärischen Macht“, „Wunderwaffen“ (N-TV), „mit angeblichen neuen Nuklearwaffen geprotzt“ (BZ Berlin). Der Militärblog „Augen geradeaus“ geht den Weg, ein englischsprachiges Transkript der Rede zur Verfügung zu stellen und versucht sich mit Bewertungen zurückzuhalten.
Das Infragestellen und sogar Verspotten der Darstellungen des russischen Präsidenten scheint ausgerechnet von jenen Protagonisten verbreitet zu werden, die in der Vergangenheit vollkommen überrascht wurden von den Erfolgen Russlands.
Da war zum Beispiel die Übernahme der Krim im Februar/März 2014 ohne Abgabe eines einzigen Schusses und unter dem Beifall der Einwohner. Dies, obwohl auf der Krim 20.000 Soldaten der Ukraine stationiert waren. Der Westen sprach von „Invasion“, als Russland psychologische Beeinflussung und Tricks anwandte, die eines von Clausewitz würdig waren. Dann erstaunte Russland die Pentagon-Strategen im September 2015, als Putin auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen ankündigte, russische Bomber nach Syrien zu verlegen, um mit dem Präsidenten Syriens, Baschar al-Assad, gegen die Terroristen von ISIS zu kämpfen. Und wieder überraschte Putin die „Analysten“ der USA, als Russland zusammen mit Syrien, dem Iran und dem Irak ein gemeinsames Geheimdienstzentrum in Bagdad einrichtete.
So intensiv, wie die Geheimdienste und Journalisten hinter der angeblichen Wahlbeeinflussung Russlands bei der letzten Präsidentschaftswahl in den USA her recherchieren, so sehr scheinen sie jeden Sinn für Realität und Angemessenheit verloren zu haben.
Der Wortlaut
Die Luftpost hat sich wieder an die überaus wichtige Arbeit gemacht, eine Originalquelle zu übersetzen. Dort wird die Rede in Deutsch angeboten (8). Interessierte erhalten noch einmal Details zu den neuen Waffensystemen, die sehr verständlich erläutert werden. Mir erscheinen aber die zwei folgenden Originalzitate aus seiner Rede wichtiger. Das erste weist ausdrücklich darauf hin, dass er NICHT bluffen würde.
„Es wird Zeit, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen, und mir nicht zu unterstellen, ich hätte heute geblufft. Ihr könnt mir glauben, ich habe nicht geblufft. Diejenigen, die noch in der Vergangenheit leben und nicht imstande sind, an die Zukunft zu denken, sollten endlich aufhören, das Boot mit dem Namen ‚Erde‘, in dem wir alle sitzen, zum Kentern zu bringen.“
Die Sowjetunion war als erstes Land mit einem Satelliten im Weltraum, ihre modernen Kampfflugzeuge sind weltweit geschätzt wie gefürchtet und in der Lage, es mit jedem westlichen Gegner aufzunehmen, bis heute ist die Qualität ihrer Raketenmotoren ohne Beispiel, so dass sogar die USA diese Motoren kaufen (mussten). Warum sollte der Nachfolgestaat, Russland, nicht in der Lage sein, Waffen zu entwickeln, über die andere noch nicht verfügen? Vielleicht ist es der Pragmatismus, der in Legenden berichtet wird, wie die von der Bleistift- (Sowjetunion) gegenüber der Kugelschreiberentwicklung für das Weltall (USA), und die vom einfachen Nagel (Sowjetunion) an Stelle eines aufwendigen Drucksensorsystems bei Jets (USA), der eine schnellere Waffenentwicklung ermöglicht.
Mit dem zweiten Zitat möchte ich auf die Behauptungen von „Aggressivität“, „Kriegstreiberei“ und „Rüstungswettlauf“ eingehen:
„In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Wir sind sehr beunruhigt über gewisse Formulierungen im revidierten Nuclear Posture Review der USA (9), (…), mit denen die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen deutlich abgesenkt wird. Hinter verschlossenen Türen kann man viel sagen, um jemand zu beruhigen. Wir lesen lieber, was geschrieben steht. Und geschrieben steht, dass die USA künftig auch auf Angriffe mit konventionellen Waffen und sogar auf Cyberangriffe mit Atomwaffen reagieren wollen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die russische Militärdoktrin den Einsatz von Atomwaffen nur dann vorsieht, wenn Russland oder seine Verbündeten mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen angegriffen werden, oder wenn ein militärischer Überfall mit konventionellen Waffen, der die Existenz Russlands bedroht, nicht mehr mit konventionellen Waffen abgewehrt werden kann. Das sind klare, nachvollziehbare Regelungen. (…)
Unsere Welt braucht nicht noch mehr Bedrohungen. Wir sollten uns statt dessen an den Verhandlungstisch setzen, gemeinsam ein neues, wirklich funktionierendes, internationales Sicherheitssystem erarbeiten und über eine nachhaltige Entwicklung der menschlichen Zivilisation nachdenken. Das fordern wir schon lange, und unsere dazu gemachten Vorschläge gelten immer noch. Russland ist jederzeit zu Verhandlungen darüber bereit.“
Putin macht hier klar, dass Russland keinerlei Interesse an einem Rüstungswettlauf hat und jederzeit zu die Waffenentwicklung beschränkenden Verhandlungen bereit ist.
Dies steht im Gegensatz zu der Politik der USA, die glaubten, mit bald eintausend Milliarden Dollar Rüstungsbudget jeden potentiellen Gegner rüstungstechnisch bankrott entwickeln zu können. Die Kündigung des ABM-Vertrages basierte auf diesem Vertrauen in die eigene Übermacht und Einzigartigkeit.
Fazit
Putins Rede ist weder eine „Kriegserklärung“ noch der „Einstieg in einen Rüstungswettlauf“. Vielmehr ist die Rede das Deutlichmachen des Endes der Sinnhaftigkeit von Rüstungswettläufen.
Aber bis die Lobbyisten der Rüstungsindustrie in Politik und Wirtschaft, die auch maßgeblichen Einfluss auf die klassischen Medien haben, diese Erkenntnis in den Medien zulassen, wird wohl noch viel Zeit vergehen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Wikipedia, Gleichgewicht des Schreckens, online: https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichgewicht_des_Schreckens Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(2) Zitiert von Hans M. Kristensen, „The Nuclear Posture of the United States“, Federation of American Scientists, 2008, S. 60. Online: http://www.fas.org/programs/ssp/nukes/publications1/Article_NUPI2008.pdf Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(3) Washington Post, Putin claims Russia is developing nuclear arms capable of avoiding missile defenses, online: https://www.washingtonpost.com/world/europe/putin-claims-russia-has-nuclear-arsenal-capable-of-avoiding-missile-defenses/2018/03/01/d2dcf522-1d3b-11e8-b2d9-08e748f892c0_story.html?utm_term=.d9cd0a4ac296 Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(4) New York Times, Neil MacFarquhar und David E. Sanger, Putin’s ‘Invincible’ Missile Is Aimed at U.S. Vulnerabilities, online: https://www.nytimes.com/2018/03/01/world/europe/russia-putin-speech.html Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(5) Frankfurter Allgemeine, Putin präsentiert Russlands neue unverwundbare Atomwaffen, online: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/putin-praesentiert-bei-rede-an-nation-russlands-neue-waffen-15473300.html Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(6) Mehdi Hasan, The Intercept, Donald Trump Wants to Make It Easier to Start a Nuclear War. This Should Petrify Us. Online: https://theintercept.com/2018/02/08/donald-trump-nuclear-war/ Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(7) U.S. Department of Defense, Nuclear Posture Review, online: https://www.defense.gov/News/SpecialReports/2018NuclearPostureReview.aspx Seite zuletzt aufgerufen am 03.03.2018.
(8) Luftpost, Aus der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor der Föderationsversammlung, online: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP02918_050318.pdf Seite zuletzt aufgerufen am 04.03.2018.
(9) Luftpost, Nuclear Posture Review - Die Überprüfung der US-Atomwaffendoktrin, online: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP02618_280218.pdf Seite zuletzt aufgerufen am 04.03.2018.
(10) Andrei Martyanov, The Unz Review, The Implications of Russia’s New Weapon System, online: http://www.unz.com/article/the-implications-of-russias-new-weapons/ Seite zuletzt aufgerufen am 05.03.2018.