Robert Parry zu Ehren
Robert Parrys Tod ist ein herber Verlust für unser Land als politisches und intellektuelles Gemeinwesen. Es ist schade, dass die meisten Amerikaner das nicht wissen – ja, nicht einmal wissen, wer Robert Parry ist. Diese Ignoranz ist Ausdruck dessen, wie dürftig unser politisches und intellektuelles Gemeinwesen bereits geworden ist.
Diejenigen von uns, die seine Arbeit jahrzehntelang verfolgt haben, wissen wie prinzipientreu und verlässlich, was für eine große Ressource diese Arbeit war. Wir haben ihn für selbstverständlich gehalten als Prüfstein für journalistische Integrität. An ihm konnten wir uns orientieren, seine Einschätzung wichtiger Themen, ob wir nun mit ihm einer Meinung waren oder nicht, war stets ehrlich, sorgfältig recherchiert und beanspruchte unsere Aufmerksamkeit.
Als ganz selbstverständlich betrachteten wir auch seine Lebensgeschichte – dass ihm verwehrt wurde, seine ehrliche, prinzipienfeste Arbeit in den Mainstreammedien zu verrichten und er gezwungen war, seine Karriere aus eigenen Mitteln in Form eines unabhängigen Newsletters, einer unabhängigen Webseite – Consortium News – weiterzuverfolgen. Damit schlug er eine Richtung ein, die für seine Redlichkeit, wie auch seine relative Unbekanntheit bürgte.
Zu vieles war für uns einfach selbstverständlich.
Intellektuelle Redlichkeit
Als glühend „Roter“ möchte ich betonen, dass Robert Parry niemand war, den ich – oder den er selbst – als „Linken“, geschweige denn als „Sozialisten“ bezeichnen würde. Ich zuckte jedes Mal ein wenig zusammen, wenn er Obama für seine guten Absichten großzügig Anerkennung zollte. Er war, würde ich sagen – und ich denke, er auch –, ein Liberaler. In seiner Arbeit orientierte er sich an der journalistischen Ethik, die der Liberalismus für sich beansprucht: an prinzipienfester intellektueller Redlichkeit. Mit der öffentlich bekundeten Betroffenheit und Trauer bei Linken wie mir – die ihm, wie man an dieser Bekundung sehen kann, mit ungeheurem Respekt folgten – erkennen wir ihn als einen der letzten achtbaren Liberalen an. Sich von ihm zu verabschieden, gleicht dem Abschied von einem der letzten großartigen Exemplare einer aussterbenden Gattung, die immer kleiner war, als es den Anschein hatte.
Ich empfehle jedem, insbesondere denjenigen, die Robert Parry nicht kennen, sich ein Interview mit ihm auf Gary Brechers Radio „The War Nerd“ (ab Minute 33:30) anzuhören (1).
Es ist ein langes Interview, aber es ist großartig – ein Seminar über die letzten 40 Jahre Geschichte amerikanischer Politik und Medien. Notfalls kann man sich auch nur Teile davon anhören.
Parry enthüllte Fälle von Hochverrat
Wenn man Robert Parry in diesem Interview zuhört, erkennt man, wie amerikanischer Journalismus und amerikanische Medien funktionieren, wie sie regelmäßig von oben beschnitten werden und weshalb Parry und andere seriöse Journalisten aus den Mainstreammedien rausgeschmissen werden oder sie verlassen müssen, um wahrhaftig zu berichten.
Man erfährt darin etwas von den vielen wichtigen Storys, die Robert Parry veröffentlicht hat, von denen zu viele Amerikaner heute niemals gehört haben, oder die man dazu gebracht hat, sie zu vergessen: die Iran-Contra-Drogen-Connection; die geheimen Absprachen im Rahmen einer „Oktober Überraschung“ (überraschende Wendung in Ereignissen unmittelbar vor der Wahl, die diese beeinflussen kann, Anmerkung des Übersetzers) von Reagans Wahlkampfteam mit dem Iran, um die US-Geiseln bis nach den Wahlen 1980 im Iran zu halten; und die heimliche Zusammenarbeit des Nixon-Wahlkampfteams mit Südvietnam, um die Pariser Friedensverhandlungen zu sabotieren und den Vietnamkrieg zu verlängern. Dies waren Storys, unterfüttert aus vielerlei internen Quellen, von wahrhaft hochverräterischer Zusammenarbeit mit ausländischen Regierungen, die die US-Außenpolitik untergruben und zwar zu einem grauenhaften Preis für die Amerikaner: die 52 US-amerikanischen Geiseln in Teheran und die 500.000 US-amerikanischen Soldaten in Vietnam. Diese Storys wurden von denselben etablierten Medien unterdrückt und/oder ins Lächerliche gezogen und beiseite gewischt, die uns nun 24 Stunden am Tag die dünne Russiagate-Wassersuppe eintrichtern.
Hochverrat – zum Wohle des Landes?
Ja, wie in diesem Radiointerview dargelegt, wurden diese Geschichten von den Demokraten, die ja das Opfer dieser Machenschaften waren, verscharrt. Lieber wollten sie aufgrund dieser Intrigen Schaden erleiden und sogar die Präsidentschaftswahlen verlieren, als die Öffentlichkeit etwas sehen zu lassen, was ihren Glauben an die etablierte Herrschaft hätte erschüttern können. 1968 wusste Lyndon Johnson – er hatte die Überwachungsbänder des FBI! – dass das Nixon-Wahlkampfteam sich mit der südvietnamesischen Regierung verschworen hatte, um die Pariser Friedensgespräche zu sabotieren. Er wusste davon und nannte es „Verrat“ – gegenüber dem republikanischen Senator Everett Dirksen, der ebenso davon wusste, genauso wie viele andere in Washington. Doch Johnson weigerte sich, es publik zu machen, „zum Wohle des Landes“ – sprich, um das Vertrauen in das System zu erhalten.
Und vielleicht auch, weil er nicht offenbaren wollte, dass er das FBI einen Wahlkampf überwachen ließ. Tatsächlich beruht die ganze „huch, wie schlimm“-Pose gegenüber der luftigen Russiagate-Story darauf, dass die Amerikaner keinen Schimmer davon haben, wie beide Parteien in ihrer Geschichte mannigfaltige Beispiele unbestreitbarer heimlicher Zusammenarbeit mit ausländischen Regierungen akzeptiert und vor der Öffentlichkeit verborgen haben, die tödliche Folgen hatten. Keinen Schimmer also von der journalistischen Leistung eines Robert Parry.
Medien und Politik stecken unter einer Decke
Parry macht deutlich, dass es ein parteiübergreifendes Manöver von Politik und Medien war, die Öffentlichkeit über den korrupten Opportunismus ihrer herrschenden Elite im Dunkeln zu lassen. Einmal, während eines Dinners der Elite in Washington D.C., stellte Parry in Frage, ob Reagans Nationaler Sicherheitsberater John Poindexter etwa meineidig werden sollte, um Ronald Reagans Wissen um die Iran-Contra-Affäre zu verbergen. Parrys Chefredakteur bei Newsweek, Maynard Parker, rückte ihm den Kopf zurecht und sagte: „Bisweilen müssen wir tun, was gut für unser Land ist.“
Eben diese Meinung wiederholte Parrys Büroleiter bei Newsweek, Evan Thomas, in einer Unterhaltung über die Aufgabe von Journalisten. Parry war der Meinung: „Wir müssen die Amerikaner informieren, so dass sie entscheiden können.” Thomas aber erwiderte: „Nein, Bob, da liegst du falsch. Unsere Aufgabe ist es, das amerikanische Volk zu lotsen.“
Internetkonzerne als Gedankenpolizei
Wenn man sich diese Unterhaltung anhört, wird einem klar, wie wichtig ein unzensiertes Internet ist und wie unwürdig für eine Internetseite wie Parrys Consortium News – einem Pionierprojekt alternativer Medien seit 1995, wie auch Counterpunch zwei Jahre zuvor – von der grässlichen PropOrNot-Gruppe mit Unterstützung der Washington Post als „russische Propaganda“ attackiert zu werden. Den Job, die Gedanken des amerikanischen Volkes zu lenken, übernimmt nun ein gruseliges Konsortium von Mainstream-Medienunternehmen – Washington Post, New York Times, große Nachrichtenagenturen – und soziale Internetmedien als „Superstaaten“ – Facebook, Twitter, Google –, die versuchen werden, die Gedankenvorgaben durchzusetzen, die von ihren staatlichen Vordenkern, den Vereinigten Staaten und Israel, vorgegeben werden.
„Counterspeech“-Einheiten Orwellscher Couleur – 20.000 Mann stark alleine auf Facebook! –, die das Werkzeug des Algorithmus einsetzen, das weit über Orwell hinaus geht – die Seitenwaffe einer, wie Chris Hedges es nennt, Gedankenpolizei des 21. Jahrhunderts – wird die gesamte Welt durchkämmen und präventiv unseren Blick weg von „spaltendem“ Gerede und „konkurrierenden Narrativen“ lenken, hin zu „maßgeblicheren Inhalten“. Man wird also nicht einmal mehr sehen, was einem nicht zufällig unterkommt.
Gelenkte Demokratie
23 Jahre lang war Robert Parry mit seinem Consortium für Unabhängigen Journalismus ein Vorbild jenes unabhängigen Denkens, das dieses bösartige Programm nicht nur attackieren, sondern unsichtbar machen will. Er half uns dabei, eine Gegenwehr aufzubauen und Alternativen, die dem Programm standhalten können. Es wird jedoch stete Arbeit und Wachsamkeit erfordern, um dieses Werk aufrechtzuerhalten. Und uns wird seine sichere Hand fehlen.
In seinem letzten Essay zeigte sich Parry selbst nicht sonderlich optimistisch. Er erkannte „die unnachgiebige Hässlichkeit, zu der das offizielle Washington und der Journalismus in den USA verkommen ist“. Er sah, wie sich die manipulative und verächtliche Haltung dort verhärtete, die er schon 30 Jahre zuvor ausgemacht hatte:
„Das vergangene Jahr hat mir die unangenehme Tatsache vor Augen geführt, dass nur erschreckend wenige Menschen im offiziellen Washington und in den Mainstreammedien wirklich an eine echte Demokratie oder an das Ziel eines wohlinformierten Wahlvolkes glauben.
Ob sie es nun zugeben würden oder nicht, sie glauben an eine ‚gelenkte Demokratie‘, in der ‚genehmigte‘ Meinungen hervorgehoben werden – auch wenn sie keinerlei faktische Grundlage haben – und ‚nicht genehmigte‘ Beweise beiseite gewischt oder verächtlich gemacht werden, auch wenn sie substanziell sind.“
Weder falsche Hoffnung, noch Verzweiflung helfen weiter. Wir müssen seine Arbeit sichtbar erhalten, um dazu beizutragen, weltweit die Wölfe abzuwehren. Trauert nicht, organisiert euch neu. Prügelt auf die PropOrNot-Mistkerle ein. Lest und unterstützt Consortium News und andere intellektuell redliche, alternative Medien und gründet ein, zwei, viele weitere.
Wir haben unseren Wegweiser.
Jim Kavanagh lebt in New York und betreibt den links-sozialistischen Blog „The Polemicist – Rants and Reflexions on Politics and Culture“.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.patreon.com/posts/radio-war-nerd-8732460
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Honoring Robert Parry". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.