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Protestnoten

Protestnoten

Bei den Liedermachern und Rockmusikern macht der kritische Verstand derzeit Coronapause — doch es gibt Ausnahmen.

Hinterm Horizont geht es nicht mehr weiter. Jedenfalls nicht, wenn man der Aussage der Schauspielerin und Sängerin Nina Proll folgt. „Ich sehe da keine Perspektive für nächstes Jahr“, sagte Proll in einer Talkshow der Plattform Respekt am 23. Dezember 2020. Gefragt wurde nach den Aussichten der Kulturszene für das Jahr 2021.

„Letztlich hab ich schon die Sorge, dass hier irgendwas kaputt geht. Die, die immer in der oberen Liga gespielt haben, die schaffen‘s jetzt auch. Aber die vielen Menschen, die darunter tätig waren, die stehen vor dem Nichts. Die werden es auch nicht schaffen.“

Und sie beklagt die Allmacht der politischen Entscheider. „Es reicht eine Pressekonferenz, und die gesamten Säle sind leer.“ Erschreckend auch, was Nina Proll über das fast allgegenwärtige Schweigen der Künstlerinnen und Künstler zur Corona-Frage sagt:

„Wenn du mit Intendanten, Regisseuren oder Produzenten sprichst, dann merkst du, dass die das im persönlichen Gespräch genauso kritisch sehen, aber nie öffentlich Stellung nehmen würden, weil sie einfach abhängig sind von öffentlichen Geldern.“

Der Opernsänger Günther Groissböck nimmt in derselben Talkshow auch das viel zu passive Kulturpublikum ins Visier.

„Leider gibt‘s zu wenig geordneten Widerstand. Das Publikum muss man ein bisschen aufstacheln und sagen: Ihr seid der Konsument. Wenn ihr euch mit allem zufriedengebt — Stream ist fad, aber besser als nix — dann wird das auch so bleiben. Die Regierung reagiert nur auf Druck.“

Und Roland Dühringer, streitbarer österreichischer Kabarettist:

„Künstler stecken in Abhängigkeitsverhältnissen. Wenn‘s nicht monetäre Abhängigkeiten sind, dann ist es die Abhängigkeit von den Zuschauern. Du darfst es dir nicht mit den Geldgebern verscherzen, du darfst es dir aber auch nicht mit dem Publikum verscherzen. Wenn das Publikum dem Narrativ, das grad erzählt wird, folgt, dann kann es passieren, dass sie dich nicht mehr liebhaben. Und wenn sie dich nicht mehr liebhaben, dann kommen sie nicht mehr und zahlen auch kein Geld mehr.“

Wölfe im Lämmerpelz

Zweifellos war die vorweihnachtliche Zusammenkunft kritischer Künstlerinnen und Künstler ein Highlight, zumal nicht nur ein einziger „Quotennörgler“ eingeladen war — alle Anwesenden waren kluge Köpfe, die weltanschaulich bewusst gegen den Strom schwammen. Ein absolutes Kontrastprogramm zu üblichen Sendungen der Art „Corona-Linientreue unter sich“, in denen sich Dauergäste wie Melanie Brinkmann, Karl Lauterbach und Jens Spahn gegenseitig die Bälle zuwerfen. Gibt es also noch intelligentes Leben in deutschen Talkshows? Nun ja — es war eine österreichische.

Die Aussagen der Künstlerinnen und Künstler könnten erschreckender kaum sein. Ganz deutlich wird, was viele von uns bisher nur ahnten:

Unter den Kulturschaffenden sind keineswegs alle zutiefst von der Richtigkeit des Regierungs-Narrativs überzeugt. Sie schweigen vielfach, weil sie glauben, schweigen zu müssen.

Weil anderenfalls der Entzug von Geldern droht — oder der Liebe ihres Publikums. So mancher ist vielleicht in seinem Inneren ein Wolf geblieben — er hängt sich jedoch, weil er meint, sonst wirtschaftlich nicht überleben zu können, einen Lämmerpelz um. Unabhängige Kultur sieht anders aus.

In Fesseln tanzen

Corona ist dabei, so einiges zu verändern in der Kulturwelt. Und es steht in den Sternen, ob es „danach“ einfach wieder so weitergehen kann wie „davor“. Abgesehen davon, dass viele Existenzen von Schauspielern, Musikern und anderen Kulturschaffenden dann unwiederbringlich vernichtet sein werden. Viele Performance-Künstler haben jetzt seit rund einem Jahr Auftrittsverbot — mit partiellen Betätigungsmöglichkeiten im Sommer. Vermutlich werden die „Hygiene-Regeln“ auch nach Aufhebung der jetzt bestehenden Sperre — zum Beispiel im April oder Mai 2021 — so rigide sein, dass das Konzert weder Künstlern noch Zuschauern rechte Freude bereiten wird. Abgesperrte Sitzplätze, rigide Ordner, Freizeitpolizisten, die „Abstandsverweigerer“ anraunzen.

Nach Monaten der Totalsperre stehen Künstler also weitere Monate bevor, in denen sie gleichsam in Fesseln tanzen müssen und auch nur einen Teil ihrer vorherigen Einnahmen werden generieren können. Bis zur nächsten Welle oder Mutation. Durch Corona wird ein Selektionsprozess stattfinden, der vor allem den „Großen“ hilft. Jenen, die dank sprudelnder Einnahmen „vorher“ Rücklagen bilden konnten und ein eventuell klammes Bankkonto „hinterher“ rasch wieder auffüllen können.

Ein Dieter Bohlen rückt die Stühle zwischen den Jury-Mitgliedern seines Show-Klassikers „Deutschland sucht den Superstar“ einfach ein Stück weiter auseinander, dann darf er weitersenden und kassieren. Aber wie steht es mit weitgehend unbekannten, idealistischen Liedermachern, Kabarettisten und klassischen Ensemblekünstlern, deren fast einzige Einnahmequelle Liveauftritte sind?

Die neue Wohnzimmerkultur

Ein boomendes „Genre“ ist in der Musikbranche derzeit das Wohnzimmerkonzert. Es wird vor allem von Musikern praktiziert, die für eine Performance keinen großen Aufwand treiben müssen — Reinhard Mey etwa. Diese Mode, die sich derzeit rasant ausbreitet, ist erkennbar der Not geschuldet. Gitarristen oder Pianisten spielen ihre Lieder „unplugged“, meist in nachlässiger Kleidung. Den Auftritten ist jeweils eine kleine Ansage vorangestellt, die darauf hinweist, dass man „wegen Corona“ zu diesem ungewöhnlichen Setting gezwungen sei und dass man sehr darunter leide, nicht direkt vor Publikum spielen zu können.

Häufig lautet eine Botschaft auch: „Ihr seid jetzt wahrscheinlich allein zuhause. Ich schicke Euch dieses Lied als Zeichen meiner Solidarität. So können wir wenigstens in dieser eingeschränkten Form ein bisschen zusammen sein.“ Die Künstler fürchten nicht ohne Grund, von ihrem Publikum vergessen zu werden im Schatten einer Flut neuer Netflix- und YouTube-Helden.

Nicht selten sind Auftritte auch mit Spendenbitten verbunden. Leider verstärkt sich damit ein Trend, der sich schon vor Corona andeutete: Wo es vorher angemessene Bezahlung für eine empfangene Leistung gab, wird der Kulturbetrieb nun schrittweise auf „Bettelei“ umgestellt. Die Künstler sind diesbezüglich eher Opfer. Die „Strukturen“ im Business und die Umsonst-Mentalität der Konsumenten haben Anbieter in diese unkomfortable Situation gebracht.

Der Durchschnittsnutzer sieht nicht ein, warum er Künstler für Auftritte im Internet bezahlen sollte; wohl aber gefällt er sich gelegentlich darin, Bettelnden Münzen in den Hut zu werfen. Letztere sehen sich also genötigt, fast ständig artig „Danke“ und „Bitte“ zu sagen. Während ein Musiker, der in vollen Hallen auftrat, früher seines Ertrags sicher sein konnte, wird der Blick auf das Spendenkonto heute für den virtuell Performenden zur Zitterpartie. Hinzu kommt, dass sich viele zur Zusammenarbeit mit Werbekunden gezwungen sehen, deren Logo bei Live-Streamings im Bühnenhintergrund prangt.

Künstlerischer Cybersex

Kultur stiftet traditionell Gemeinschaftserlebnisse. Live-Events haben insofern eine fast mystische Komponente. Sie heben Trennungen kurzfristig auf, indem die Aufmerksamkeit der Zuschauer synchron auf dieselben Worte und Klänge gerichtet sind. In Zeiten von Cultural Distancing ist das nicht mehr gegeben. Corona-Kultur reißt auseinander, was eigentlich zusammengehört. Es herrscht Einwegkommunikation, die Künstler können die Reaktion des Publikums nicht mehr wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren.

Es ist wie ein trauriger Tanz ohne Partnerin oder Partner, ein Ruf ohne Echo. Der „Liebesakt zwischen Künstler und Publikum“, wie ihn manche Auftretende empfunden haben, degeneriert zum keimfreien Cybersex.

Letztlich wird die Kultur so von den Menschen weggerückt. Sie wird daran gehindert, den Konsumenten unmittelbar zu ergreifen. Zum Vergleich denke man an die Bedeutung, die Rockmusik in den 1960er- und 1970er-Jahren für die Selbstfindungsprozesse der Fans, aber auch für die politische Kultur hatte. Schon insofern ist derzeit von einer massiven Behinderung der Künstler zu sprechen. Somit ist es der Politik auch gelungen, eine ganze Menge potenzieller Kritiker über Monate quasi leise zu stellen.

Kultur kommt heute nur noch durch einen Filter zu den Menschen, durch ein Fenster auf einem Bildschirm, durch einen Umrechnungsprozess in Nullen und Einsen. Kultur in Corona-Zeiten unterscheidet sich — um im Bild zu bleiben — von echter Kultur wie ein Gesicht hinter einer Maske von einem offenen, lächelnden Gesicht.

Ergebenheitsadressen an die Regierung

Besonders traurig ist aber die Pandemie politischer Zurückhaltung, die wir derzeit in der Kulturszene erleben. Als im März letzten Jahres die ersten Grundrechte fielen, schwiegen Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker, Intellektuelle und mehr oder weniger Prominente fast ausnahmslos. Man konnte vielleicht Verständnis dafür aufbringen. Die Situation war noch neu und verwirrend, viele hatten Angst, durch unbedachte Äußerungen Leben zu gefährden. So mancher wollte erst mal abwarten. Dann, falls sich die autoritären Tendenzen im Staat verfestigen sollten, könne man ja immer noch aufbegehren.

Jetzt, fast ein Jahr später, erleben wir mehr Grundrechtseinschränkungen, längere und härtere Lockdowns, eine wirtschaftliche und psychosoziale Katastrophe, schlimme „Kollateralschäden“ überall, die Gewöhnung an eine verstümmelte Demokratie, an Duckmäuser- und Denunziantentum. Und die Künstlerinnen und Künstler schweigen noch immer — obwohl sie selbst mit monatelangem De-facto-Berufsverbot hart getroffen wurden.

Schon die üblichen Wohnzimmerkonzerte enthalten erstaunlich oft indirekte Ergebenheitsadressen gegenüber der Regierung. „Wir haben uns in diesem Video genauestens an die Vorgaben der Regierung gehalten.“ Die Grundhaltung, die über diese Auftritte transportiert wird, ist: „Ich erkenne an, dass Corona das Thema unserer Zeit ist, dem auch ich hiermit meine Reverenz erweise. Ab jetzt ist alles völlig anders als früher. Auch ich kann und will mich da nicht entziehen.“

Da wird mitunter sogar im Abspann das Logo der Regierungs-Kampagne „Wir bleiben zuhause“ gezeigt. Da wird dem Publikum gewünscht, gesund zu bleiben, als sei ohne solche Wünsche das baldige Ableben der Zuschauer sehr wahrscheinlich. Da wird eilfertig versichert, dass zwei vielleicht zu nahe zusammenstehende Musiker aus demselben Haushalt stammen. Und keiner wagt eine widerrechtliche Umarmung, als seien die Beteiligten von unsichtbaren Magnetfeldern umgeben, die einander abstoßen. Vor allem wagt niemand ein kritisches Wort über die Regierungspolitik in der Corona-Krise — so als seien all diese Filme durch eine strenge Vorzensur gegangen.

Das Virus der Widerstandslosigkeit

70 oder 80 oder 85 Prozent der Bevölkerung sind mit den Corona-Maßnahmen einverstanden — die Zahlen wechseln je nach Quelle. Da erstaunt es, dass nahezu 100 Prozent der Künstlerinnen und Künstler und der Prominenten der kreativen Sparten diese zu unterstützen scheinen. Dass jemand sich vor Ausbruch der Krise „links“ positioniert und ein sehr kritisches Image gepflegt hatte, tut dem keinen Abbruch. Eher im Gegenteil. Achtsamkeit gegenüber einer möglichen Ansteckungsgefahr und der Versuch, einsam zuhause ausharrende Zuseher zu trösten, sind ja ehrenwerte Verhaltensweisen. Das Problem ist jedoch: Die überwältigende Fülle der linientreuen Videos und Wohnzimmerkonzerte, speziell in der Anfangsphase der Epidemie, hatte einen enorm entmutigenden Einfluss.

Eine faktische Omertà machte sich breit — ein Gesetz des Schweigens. Ein Virus der Widerstandslosigkeit infizierte die Kulturszene.

Die Gründe hierfür will ich in diesem Beitrag nicht zu sehr vertiefen, da es mir wichtiger ist, auf die positiven Beispiele einzugehen. Aber so viel: Jeder dieser Verstummenden dachte anfangs vielleicht: „Wenn die Corona-Politik der Regierung so falsch wäre, hätten doch all die anderen schon längst protestiert!“ Niemand wollte der einzige Trottel sein, der sich exponierte und dafür öffentlich prügeln ließ.

Der Fall Xavier Naidoo konnte dabei als warnendes Beispiel dienen. Der hatte, seit einige wirre Äußerungen von ihm bekannt geworden waren, vor jedem Konzert — sofern im Sommer welche stattfinden konnten — mit Unterschriftslisten der „Antifa“ zu kämpfen, die die Veranstalter aufforderten, den „Verschwörungstheoretiker“ wieder auszuladen. Naidoos Ruf gilt als ruiniert, seine Karriere wird sich nur noch innerhalb einer kleinen Nische fortsetzen lassen. Hinzu kommt: Viele Freischaffende hängen mittlerweile am Tropf des Staates und bekommen Überbrückungshilfen. Ohnehin durch die Auftrittsverbote schon angeschlagen, wollen es viele wohl vermeiden, die Hand zu beißen, die sie füttert.

Ich füge hinzu, dass ich ja nicht erwartet hätte, dass alle Künstler meine Meinung in der Corona-Frage teilen. Sicherlich haben sich die meisten aber an dem einen oder anderen „Auswuchs“ der Maßnahmenpolitik gestört — und nicht einmal diese partielle Kritik geäußert. Sieht man davon ab, dass viele Kulturschaffende im Rahmen der Initiative „Alarmstufe Rot“ auf ihre eigene soziale Situation aufmerksam gemacht haben. Das ist menschlich verständlich, greift aber zu kurz und ist nicht sehr analysestark.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung

Ich füge hier noch eine eher spekulative Bemerkung hinzu: Vielleicht ist aus der Angst der Künstler, es könne etwas „Schlimmes“ passieren, wenn sie den Mund aufmachen, eine selbsterfüllende Prophezeiung geworden. Sie dachten, sie würden vielleicht nicht mehr arbeiten können, wenn sie „zu frech“ auftreten. Jetzt zeigt sich: Sie können trotz ihres eher angepassten Verhaltens ohnehin nicht mehr arbeiten. Hätten sich von Anfang an sehr viele Menschen mit Breitenwirkung freimütig zu Wort gemeldet, vielleicht hätten sie sich dann jetzt im Winter 2021 mehr Auftrittsmöglichkeiten erstritten. So wie Wirte vielleicht ihre Restaurants zumindest mit allerlei Hygienemaßnahmen hätten öffnen können.

Aus den Fehlern der letzten 11 Monate aber kann und sollte man lernen. Es wäre wünschenswert, wenn sich der kulturelle Widerstand jetzt — verspätet — erheben würde. Zu spät ist immer noch besser als viel zu spät. Vielleicht kann in einer Phase der Krise, in der die Stimmung in der Bevölkerung vielfach „kippt“, der Widerstand viral gehen, nachdem lange Zeit vor allem das Schweigen ansteckend zu sein schien. Vielleicht stehen immer mehr Kulturschaffende jetzt auf, weil sie verstanden haben: Etwas Besseres als den künstlerischen Tod finden wir überall.

Nicht weil es eine Diktatur ist, wagst du es nicht — vielmehr: Weil du es nicht wagst, droht es eine Diktatur zu werden.

Grönemeyer & Co.: Die Braven

Nun noch ein paar Worte zu Künstlern, die seit Beginn der ersten Corona-Welle durch unkritische oder mehr oder weniger regierungskonforme Corona-Songs hervorgetreten sind. Sieht man von Kulturheroen wie Wolfgang Niedecken ab, der gegen „Aluhüte, Verschwörungstheoretiker und Corona-Verweigerer!“ ausfällig geworden ist, stecken auch hinter diesen Kulturerzeugnissen in der Regel Gedankenarbeit und gute Absichten.

Bodo Wartke hat mit „Christian Drosten“ ein wahres Huldigungslied an den Lieblingsvirologen der Deutschen verfasst, die Peinlichkeit dieses Vorgangs aber durch Ironie mehr schlecht als recht verschleiert. „Und während wir uns alle voneinander distanzieren und in der Isolation verrosten, hält dieser Mann das Land auf dem neuesten Stand und bleibt für uns auf dem Posten: Christian Drosten.“ Über derartige Lyrik sang der verstorbene Kabarettist Werner Schneyder: „So schön gereimt wirkt es erträglicher.“

Herbert Grönemeyer schuf eine Liebeserklärung an die Pflegekräfte während der Krise: „Helden dieser Zeit.“ Man kann auch sagen: Grönemeyer schwieg nicht, aber er wich den entscheidenden Fragen aus und versuchte mit einem menschlich berührenden Thema Sympathiepunkte zu sammeln. Dabei kommt er auch zu Aussagen, die meiner Meinung nach analytisch und politisch fragwürdig sind: „Isoliere dich für sie“, sang der Verkaufsmillionär. Und unterstützte damit eine Politik, die den Gesundheitssektor kaputt gespart und dann ein ganzes Volk zuhause eingesperrt hat, um das Pflegepersonal vor dem Burnout zu bewahren

Der Piano-Liedermacher Sebel fällt mit seinem Lied „Zusammenstehen“ auch eher in die Kategorie „Gut gemeint“. So singt er: „Es geht ein Gespenst um die Welt, und es ist scheißegal, ob arm oder reich, ob schwarz oder weiß. Jedes verlorene Leben ist ein zu hoher Preis.“ Es ist aber heute nicht mehr zu leugnen, dass die Coronakrise vor allem dem Mittelstand und den Geringverdienern zu schaffen macht, während Superreiche wie Jeff Bezos weiter „zugelegt“ haben. Solche Liedermacherkunst dient eher der Verschleierung der sozialen Realität.

Sehr kritisch gab sich die Kombo Caro Kiste Kontrabassin „Genug“ — allerdings teilte sie nicht gegen die Regierung aus, sondern gegen deren Kritiker. „Alle wollen alles sagen dürfen, aber keiner ist deswegen gleich rechts.“ Gemeint ist wohl: Corona-Skeptiker sind rechts, sie wollen es nur nicht zugeben. Und — tief in die Klischeekiste greifend: „Und irgendwo tippt sich dann einer an das alubehütete Haupt.“

Dies war nur eine kleine Auswahl der regierungstreuen Sangeskunst unserer Tage. Wer Namen und Liedtitel bei YouTube eingibt, kann die Lieder auch anhören. Nun aber zu den erfreulicheren Corona-Liedern — die Videos können direkt hier auf dieser Seite angeschaut werden.

Kleine Hitparade der kritischen Corona-Lieder

Manfred Maurenbrecher, „Isso“

Einen Meinungs-Gemischtwarenladen bot das Liedermacher-Urgestein Manfred Maurenbrecher mit seinem wortreichen Sprech-Chanson „Isso“ an. Das Lied zeugt von einem sorgfältigen und ehrlichen Ringen mit der Materie. Einerseits beschreibt Maurenbrecher die beklemmende Stimmung in Corona-Tagen:

„Man weiß nicht, wer‘s hat, und wer‘s hat, weiß es selbst oft nicht, man macht um alles einen Bogen und schaut sich kaum mehr ins Gesicht. Es gibt tausend Begrüßungen, tausend Abwehren, eleganteste moves, voran die Kurzzeitphilosophen mit ihren Kurzzeitphilosophen-grooves, es gibt die Frühwarn-Offiziere mit dem aseptischen Licht, die begeistert schrei‘n: Keinen Meter vom Fleck weg, auseinander, rührt euch nicht!“

Auf der anderen Seite ist auch eine starke Animosität gegenüber der Corona-Protestbewegung festzustellen. In Maurenbrechers Kopf reihen sich eher wirre Assoziationsketten rund um Verschwörungstheorien, Antisemitismus und QAnon:

„Giftmischerhirne mixen sich ihren überlegensten Feind: Silicon Valley, jüdische Eastcoast, Bill Gates und die Päderasten-Weltelite vereint. (…) Während die ängstlich Vernünftigen in ihre Einsamkeit reisen, stehen maskenlose Massen auf Demos, und alle Bindungen reißen — es treibt auseinander — was nun?“

Altlinke Denkmuster und Feindbild-Klischees kamen dem Künstler leider in die Quere, sodass aus dem achtbaren Versuch doch kein ganz großes Lied geworden ist.

Sarah Connor, „Bye Bye“

Wir haben uns ja schon daran gewöhnt, von der FDP mutigere Aussagen zu Corona zu hören als von Politikern der Partei die Linke. Da verwundert es nicht mehr, wenn ein Popstar die meisten Liedermacher in dieser Hinsicht übertrifft. „Der ganze Scheiß mit dem Abstand“ geht Sarah Connor auf die Nerven, die ihren Künstlernamen bekanntlich einem Actionfilm über Killerroboter entnommen hat. Zwar lässt die Sängerin („Wie schön du bist“) im Unklaren, ob sie den Lockdown für notwendig hält, doch kommuniziert sie in ihrem Lied „Bye Bye“ klar ihre Corona-Müdigkeit und ihre Sehnsucht nach einem freien Leben. „Können wir vorspulen?“, fragt sie. Besser zurück. In der Zukunft drohen nur die dritte und die vierte Welle.

Van Morrison, „No more Lockdown“

Dieses Video — Text und Bilder — ist mehr als eindeutig. Van Morrison, musikalisch aktiv schon in der „68er-Zeit“, hat während der Corona-Phase gleich drei Protestlieder zum Thema aufgenommen: „No more Lockdown“ (siehe Video), „Born to be free“ und „As I walked out“. Damit ragt er aus dem Feld etablierter, heute schon betagter Künstler heraus, die großenteils nichts Kritisches zu den Corona-Maßnahmen der Regierung über die Lippen bringen. Morrison führt in bluesig knapper Sprache, jedoch auch analytisch stark, einiges gegen die Gesundheitsdiktatur ins Feld: „Pretending, it‘s for our safety, when it‘s really to enslave.“ Das Video ist angereichert durch Aufnahmen massiver Polizeigewalt.

Eric Clapton, „Stand & Deliver“

Ebenfalls von Van Morrison geschrieben wurde „Stand & Deliver“, performt von Eric Clapton („Tears in Heaven“). Der große alte Mann der Rockgitarre und Kooperationspartner zahlreicher Rock-Größen wie George Harrison zeigt hier den „Jungen“, wie es geht. „Don‘t let them put the fear on you“ und andere Zeilen warnen vor einer drohenden Diktatur. Die Bildsprache wendet sich gegen Polizeigewalt und Maskenzwang, der Musikstil ist klassischer Blues-Rock.

„Natürlich“ gab es für das Lied gleich Kloppe von der coronafrommen Presse: „Musikjournalisten überschütten das Stück bereits mit Spott“, meldete das Redaktionsnetzwerk RND. Genüsslich zitiert die Webseite anonyme Twitter-User mit Sätzen wie „Wir haben Eric Clapton und Van Morrison verloren“ oder „Jetzt haben sich auch Eric Clapton und Van Morrison als Corona-Querdenker geoutet!“ Als ließen sich nicht für jede beliebige unqualifizierte Meinung ein paar „User“ herbeizitieren.

Nina Proll, „I zag di au“

Die österreichische Schauspielerin Nina Proll hat auch als Sängerin („Jesus Christ Superstar“) gearbeitet. Man merkt es an ihrer kraftvollen Röhre. Schon in der Blütezeit der MeToo-Debatte verstörte Proll durch ungewohnte Töne: „Ich habe dieses kollektive Jammern, das in dieser #metoo-Debatte entstanden ist, satt“, sagte die Darstellerin („Dampfnudelblues“) im Interview. Und gab an, dass sie „sexuelle Annäherungsversuche eines Mannes als grundsätzlich erfreulich empfindet“. Das gab viel Ärger in der Presse.

Im Video „I zag di au“ gibt sie grandios die g‘scherte Bißgurk‘n und Corona-Blogwartin und porträtiert das derzeit — nicht nur in Österreich — herrschende „Volksbewusstsein“. Das Musikvideo ist zugleich ein kleiner Spielfilm zum Thema Kleingeist und Denunziantentum in der Anbahnungsphase einer Diktatur. „Er hat kaa Maskn in seim Gsicht. Jetzt kommt er näher — ich fass es nicht. I zag eam au…“

Hans Söllner, „Gstanzln“

Der Bayerische Liedermacher Hans Söllner gehört zweifellos zu den „Echten“ und kam nicht selten ganz konkret mit „seiner Obrigkeit“ in Konflikt. Auch in der Corona-Krise knickte der Staatsfeind Nr. 1 („Hey Staat“) nicht ein. Entsprechend dem Kulturkreis, dem er entstammt, packt er die Kritik an seinem Ministerpräsidenten in „Gstanzln“.

Wer die bayerische Sprache weniger gut beherrscht, kann im Grunde froh sein — ihm triebe Söllners Ausdrucksweise die Schamesröte ins Gesicht. „Zwoamoi gschbiem, zwomoi gschissn am Oktoberfest — aber am Söder is wichtig, a Maskn is Pflicht.“ Neben all dem Wortwitz hat das Werk durchaus auch einen ernsten Hintergrund. „Gibt es denn nichts Wichtigeres als die Maskenpflicht?“, scheint es zu fragen — und zählt dann eine ganze Reihe von schreienden Missständen auf, die Markus Söder nie interessiert haben.

Jens Fischer Rodrian, „Es gibt ein Leben vor dem Tod“

Jens Fischer Rodrian ist Komponist, Aktivist, Liedermacher, Slam-Poet, war unter anderem Gitarrist und Schlagzeuger in der Band von Konstantin Wecker und Produzent von dessen Live-CDs. Jetzt reicht es ihm. In diesem Lied-Video sagt er an einer Stelle: „Der kritische Geist hat sich verkrochen.“ Es wird wieder mit Angst regiert. Während die Menschen tief verunsichert sind, gilt „Sicherheit“ als Supergrundrecht. Denunziantentum blüht. „Wir hatten das alles schon, doch wir vergessen viel zu viel.“

Fischer Rodrian wird deutlich und bleibt doch so poetisch-mehrdeutig, dass sich seine Hörer ihre eigenen Gedanken machen können. Gerade in Zeiten eines allgemeinen Schweigens der Künstler ist dieses Lied eine mutige Tat. Auch musikalisch weiß es durch interessante Harmonien und glänzend gespielte Gitarren-Riffs zu überzeugen, während sich der Vortragsstil eher an Poetry Slam orientiert. Visuell wirkt das Szenario urban-trostlos. Dennoch sprießen Birken-Schösslinge aus den Ruinen.

Das Leben bleibt so unvorhersehbar wie ungebändigt. Wenn wir uns von der Angst zu sehr einschüchtern lassen, bleibt uns nur ein Leben, das eigentlich kein Leben mehr ist.

Auch abseits des musikalischen Genres ist Jens Fischer Rodrian aktiv. Derzeit mischt er bei der neu gegründeten Corona-Skeptiker-Partei „dieBasis“ mit. Unter anderem verfasste er einen Aufruf an seine Mitkünstlerinnen und -künstler, angesichts der empörenden Freiheitsberaubung und Entmenschlichung der Bürger durch ihren Staat nicht länger zu schweigen. Was muss eigentlich noch passieren, damit Ihr den Mund aufmacht?, fragt er.

„Wann denkst du, es reicht, jetzt stirbt alles, wofür Menschen seit Jahrhunderten gelebt und gekämpft haben? Das hat doch alles nichts mehr mit Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit zu tun! Wann empörst du dich darüber, dass die Mächtigen Ihren Reichtum in Windeseile vermehren, gerade jetzt, in diesen unruhigen Zeiten, während Millionen Menschen ums Überleben kämpfen oder in Armut sterben? Wann KollegInnen, schreibt Ihr Lieder, Gedichte und zeigt der Welt, still oder laut, dass wir nicht ohnmächtig zuschauen, wie das Menschsein abgeschafft wird?“

Ja, wann?

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