Wenngleich der Mammutanteil der Rüstungsexporte bei näherer Betrachtung moralisch äußerst fragwürdig anmutet, ist das enge Band zwischen Lobbyvertretern und Politik nur selten um eine passende Ausrede verlegen, wenn es darum geht, tonnenschwere Ausfuhren an Kriegsgerät deutscher Herstellung in Spannungsgebiete zu rechtfertigen. So wurde beispielsweise Saudi-Arabien – als drittgrößter Empfänger deutschen Kriegsgutes im Jahr 2016 – gerne als „Stabilitätsanker in der Region“ bezeichnet. Dies ermöglicht letzten Endes, dass deren Luftwaffe – bestehend aus Kampfflugzeugen mit deutschem Entwicklungs- und Produktionsanteil, bestückt mit Iris-T-Raketen aus dem Hause Diehl – abseits der öffentlichen Wahrnehmung einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den südlichen Nachbarn aus dem Jemen führen kann.
Und auch wenn die Beweislage erdrückender nicht sein könnte, dass Tausende unschuldige Zivilisten der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition zum Opfer gefallen sind, musste erst der saudische Journalist Jamal Khashoggi ermordet werden, damit beim politischen Establishment in Berlin ein – zumindest temporäres – Umdenken bezüglich der Kooperative mit den Saudis einsetzen konnte.
Ist nun also Besserung in Sicht? Denkste. Im Jahr 2019 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte in Rekordhöhe. Für sage und schreibe 7,95 Milliarden Euro wurde hierzulande produziertes Kriegsgerät exportiert. Ein besonders beliebter Handelspartner war dabei Ägypten, das für schlappe 802 Millionen Euro deutsche Waffen importierte. Aber Moment mal, Ägypten, war da nicht was? Ach ja, richtig! Ägypten ist Mitbegründer der von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz im Jemen. Hier schließt sich also der Kreis …
Gut, zugegeben: Weltmeister samma (O-Ton: Thomas Müller) was die Rüstungsexporte angeht zwar nicht, aber mit einem Marktanteil von 6,4 Prozent spielen wir aktuell – wie auch die Jahre zuvor schon – in der Champions League mit. Und besonders bezeichnend für unsere höchst fragwürdige Waffenpolitik ist die Tatsache, dass der Großteil unserer Exporte in sogenannte Drittländer erfolgt, die weder der EU noch der NATO oder deren Mitgliedern gleichgestellten Staaten angehören. Wer sich die Grundsätze für den Export von Kriegswaffen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) durchliest, erkennt schnell, in welchem Maße die Bundesregierung damit gegen ihre eigenen Prinzipien verstößt. Denn dort steht unter anderem geschrieben:
„Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“.
Deutschland, das von seiner Vergangenheit her eigentlich gerne in die Rolle einer friedensstiftenden Nation schlüpfen möchte, untergräbt mit einem solchen Verhalten jegliche Glaubwürdigkeit.
Lothar Höfler ist das ein Dorn im Auge. Er ist ein Kenner der Rüstungsbranche, hat 15 Jahre in einem Luftfahrtbetrieb gearbeitet und dort Karriere gemacht. Doch noch während seiner Tätigkeit wird Höfler politisiert. Er schließt sich der Friedensbewegung an und wird Mitbegründer der Grünen Partei im Allgäu. 1981 zieht er aus seiner persönlichen Weiterentwicklung die notwendigen Konsequenzen: Er kündigt und macht sich selbstständig in der alternativen Energiebranche.
Doch damit nicht genug: Höfler entwickelt sich zu einem konsequenten Rüstungsgegner. Unter dem Leitsatz „Den Opfern eine Stimme, den Tätern Name und Gesicht“ gründet er zusammen mit einem befreundeten Pfarrer aus Friedrichshafen den Verein Keine Waffen vom Bodensee e.V.. Dort leistet er wertvolle Aufklärungsarbeit über das größte Rüstungscluster Deutschlands rund um den Bodensee. Seinen eigenen Werdegang im Hinterkopf, setzt er sich vehement für ein ethisches Wirtschaften in seiner Heimatregion ein. Er findet: Die Arbeitskraft, Intelligenz und Kreativität der Bewohner wird andernorts viel dringender benötigt als zur Produktion todbringender Kriegsgeräte. Es gäbe da beispielsweise eine Energiewende, die es voranzutreiben gilt …
Rubikon: Herr Höfler, im Vorfeld dieses Interviews habe ich mich in meinem Bekanntenkreis umgehört, was sie mit dem Bodensee assoziieren. Ich bekam Antworten wie: Natur, Urlaub, schönes Wetter. Niemand, und da schließe ich mich ausdrücklich selbst mit ein, ist auf die Idee gekommen, den hiesigen Standort mit Krieg zu assoziieren. Wie kann es sein, dass ein so markantes Rüstungscluster so abwesend im kollektiven Bewusstsein ist? Beim Ruhrgebiet denkt doch auch jeder zunächst an Bergbau.
Lothar Höfler: Das ist eine Frage, die wir uns auch immer wieder stellen: „Warum ist es so, wie es ist?“. Ich kann mir das auch nur bedingt erklären. Vielleicht liegt es daran, dass die Firmen nicht sonderlich auffallen. Sie sehen äußerlich sehr sauber aus, das sind keine riesigen Dinger mit qualmenden Schornsteinen. Aber andererseits ist es auch nicht so, dass sich die Firmen hier verstecken. Ich war erst neulich auf einem Vortrag der Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen (MTU) und die Leute dort erklären dir alles bis auf die kleinste Schraube, wenn es dich interessiert. Die sind stolz auf ihr Produkt und blenden das Negative aus.
Die Rüstungsproduktion am Bodensee hat eine über hundertjährige Tradition. Angefangen hat alles mit dem Bau von Militärzeppelinen im Ersten Weltkrieg. Zeppeline sind inzwischen aus der Mode gekommen, sie wurden unter anderem durch Drohnen ersetzt. Können Sie einige wichtige Firmen nennen, die heute am Bodensee ansässig sind und was sie produzieren?
Die übelste Firma hier am See ist in meinen Augen Diehl Defence. Die produzieren unter anderem Lenkflugkörper für Heer, Luftwaffe und Marine. Außerdem produzieren sie Munition und riesige Zahlen verschiedenster Zünder für Minen und ähnlich „innovative“ Sprengkörper. Allein eine ihrer IRIS-T Raketen kostet eine halbe Millionen Euro. Das muss man sich mal überlegen, eine halbe Million wird da einfach weggeballert! Die deutsche Bundeswehr hat davon unlängst einige Tausend Stück bestellt.
Ansonsten haben wir hier noch Airbus (unter anderem Drohnen, Überwachungs-/ Aufklärungstechnik), die Zahnradfabrik Friedrichshafen (unter anderem Getriebe, Fahrwerk und Lenkantriebe für Panzer, U-Boote und Kriegsschiffe), Liebherr-Aerospace in Lindenberg und Liebherr-Electronic in Lindau, die eben nicht nur Kühlschränke fabrizieren, sondern auch am Bau von Militärflugzeugen beteiligt sind.
Auf der Schweizer Seite des Sees ist als größtes Rüstungsunternehmen die Mowag angesiedelt, die eine Tochter der amerikanischen General Dynamics European Land Systems ist und unter anderem Radpanzer und gepanzerte Spezialfahrzeuge herstellt.
Wie viele Menschen arbeiten in dieser Region in der Rüstungsindustrie?
Wir können hierüber nur Schätzungen anstellen. Aus dem was wir aus Jahresberichten oder Zeitungsartikeln entnehmen können, leiten wir ab, dass etwa 25.000 Menschen bei Firmen arbeiten, die am Rüstungsgeschäft teilhaben.
Die geltenden Rüstungsexportrichtlinien sehen vor, die Ausfuhr von Waffen in Spannungsgebiete nur in Ausnahmefällen zu genehmigen. Hält sich die Bundesregierung Ihrer Meinung nach daran?
Absolut nicht, dazu gibt es unzählige Veröffentlichungen. Die Informationsstelle Militarisierung e. V. (IMI) in Tübingen leistet in diesem Zusammenhang hervorragende Aufklärungsarbeit. Auf deren Homepage kann man sich kostenlos ihre aufwendig recherchierten Berichte herunterladen. Und auch die Arbeit von Jürgen Grässlin und seinem RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.) schafft Transparenz in diesem äußerst undurchsichtigen, schmutzigen Business.
Wie steht es um die Transparenz innerhalb der Rüstungsbetriebe. Weiß der angestellte Maschinenbauer, in welches Land sein Produkt exportiert wird und wofür es verwendet wird?
Ich war ja selbst lange Zeit in dem Geschäft und habe dort gewissermaßen Karriere gemacht. Vorrangig ist man einfach fasziniert von der Technik. In meiner Zeit bei Liebherr habe ich sicher 80 Leute eingestellt und ausführliche Bewerbungsgespräche durchgeführt. Ich habe den Kandidaten genau erklärt, was wir machen und stets dazugesagt, dass es für die Luftwaffe ist. In all der Zeit hat genau einer gesagt: „Ach, das ist militärisch? Nein danke, dann habe ich kein Interesse“.
Die Leute, die in diesen Betrieben arbeiten sind ja auch nur ein Querschnitt der Bevölkerung. Wer weiß heute schon, dass Saudi-Arabien den Jemen bombardiert und ob dabei eventuell Produkte aus dem eigenen Betrieb eingesetzt werden? Viele interessiert es einfach nicht, und wenn sie darauf angesprochen werden, kommen Argumente wie: „Es ist nicht die Rakete, die böse ist, sondern die Menschen, die sie anwenden“.
Beim Surfen auf Ihrer Homepage ist mir vor allem ein Satz im Gedächtnis geblieben: „Wir verurteilen die Waffenproduktion am Bodensee, aber nicht die einzelnen Menschen, die dort arbeiten“. Ich empfinde das als eine sehr wertvolle Ansicht, weil sie eben nicht mit dem einzelnen auf Konfrontationskurs geht, sondern stattdessen versucht ein Bewusstsein zu schaffen und alternative Wege aufzuzeigen. Um diese Wege genauer zu beleuchten, würde ich Sie gerne mit einigen Ausreden konfrontieren, die mir spontan zum Thema Rüstungsexport einfallen und Sie bitten, kurz einzeln darauf einzugehen.
In Ordnung!
Den Anfang macht das allseits bekannte: „Wenn wir die Waffen nicht liefern, macht es jemand anderes“.
Das ist völlig richtig. Aber wir berufen uns ja neuerdings in aller Regelmäßigkeit auf unsere christlich-abendländischen Werte. Da muss man sich schon die Frage stellen: Möchte ich mich an diesen Morden beteiligen? Inwiefern ist das mit dem vereinbar, für was ich sonst moralisch stehe, beziehungsweise meine zu stehen?
Erich Kästner hat mal gesagt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. Und damit hat er recht! Ich weiß, wie schwer es ist, das bequeme, gepolsterte Nest zu verlassen. In der Masse bist du als Rüstungsarbeiter gut geschützt und verdienst gut. Dazu kommt noch die Diskussion mit der Frau, den Kindern und den Bekannten: „Warum gibst du das auf? Wenn du es nicht machst, macht es ein anderer!“. Aber auch wenn ich mich eher als Agnostiker oder Atheist sehe, möchte ich trotzdem moralisch handeln.
„Wir brauchen Rüstung zu Verteidigungszwecken. Die Bundeswehr ist doch sowieso schon unterversorgt und die Polizei kommt auch nicht ohne Waffen aus.“
Wir haben aufgrund der Erfahrung aus zwei Weltkriegen im vorigen Jahrhundert im Grundgesetz stehen: Armee ja, aber nur zur Verteidigung. Das sehe ich ein, weil Schutzlosigkeit auch eine Kriegsursache sein kann. Ich bin keiner dieser Pazifisten, die grundsätzlich Nein zu Waffen sagen. Das ist weltfremd. Natürlich braucht die Polizei Waffen. Und natürlich braucht eine Armee – im Sinne des Grundgesetzes – auch Waffen. Und meinetwegen sollen auch die Jäger und Sportschützen ihre Waffen haben. Aber danach ist Schluss!
„Die Schurken in dieser Welt verstehen nur die Sprache der Gewalt. Es wäre verantwortungslos, sie einfach gewähren zu lassen.“
Sehen wir uns die kriegerischen Entwicklungen der vergangenen Dekaden doch einmal an. Wann haben wir die Schurken durch Einsatz von Gewalt von ihrem Tun abbringen können? Betrachten wir die amerikanischen Kriege seit 1945: Wo ist Frieden geschaffen worden? Das einzige, was meist geschaffen wurde, sind Zerstörung, Chaos und Terrorismus – ach ja, und amerikanische Militärbasen.
„Viele Arbeitsplätze hängen an den Rüstungsbetrieben. Ohne die Firmen werden viele Leute ihre Jobs verlieren und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen.“
In Deutschland arbeiten in etwa zwischen 80.000 und 100.000 Menschen in der Rüstungsindustrie. Der Anteil der Rüstung am Export liegt bei ein bis zwei Prozent. Volkswirtschaftlich ist die Rüstungsindustrie bei weitem nicht so wichtig wie zum Beispiel die Automobilbranche. Klar, hier in Friedrichshafen müssten sich die Leute etwas einfallen lassen. Aber das Ruhrgebiet hat vorgemacht, dass ein erfolgreicher Strukturwandel durchaus möglich ist.
Wir haben hier südlich der Donau seit Jahrzehnten Arbeitslosigkeitsraten zwischen zwei und vier Prozent – also nahezu Vollbeschäftigung! Außerdem werden überall Fachkräfte gesucht. Und die Fachkräfte sind da, viele arbeiten nur in einer tödlichen Branche, anstatt ihr Knowhow sinnvoll und produktiv einzubringen. Ich bin mir sicher: Wer in einem Rüstungsbetrieb Skrupel hat und wechseln will, findet leicht eine andere „anständige“ Arbeit.
Die CSU ist in Bayern traditionell die stärkste Kraft. Ist es in Ihren Augen vereinbar, sich als Partei auf christliche Werte zu berufen und gleichzeitig Waffenexporte in Milliardenhöhe zu genehmigen?
Die CSU ist in meinen Augen nicht christlich, sondern lediglich konservativ. Alleine an Markus Söders Coup mit den Kreuzen in allen Staatsbehörden sieht man, welch platte Denke dort vorherrscht. Das machen die doch nur zum Stimmenfang bei abwanderungswilligen, katholischen Wählern. Das meiste, was aus dieser Partei kommt, ist heuchlerisch und unchristlich: Lohndrückerei, Sparprogramme, Waffenexporte …
Mein innerer Konflikt ist dann immer, dass die Wählerinnen und Wähler der CSU, die ich kenne, eigentlich sehr nette und ehrlich bemühte Leute sind. Aber sobald heikle Themen angesprochen werden, ist es dann schnell vorbei mit der freundschaftlichen Atmosphäre. Klar ist es positiv, Arbeitsplätze sichern zu wollen, aber für die Art und Weise kann ich sie einfach nicht loben.
Herr Höfler, eine letzte Frage: Was wollen Sie mit Ihrem Verein bezwecken? Was erhoffen Sie sich?
Als wir den Verein gegründet haben, war der eigentliche Zweck dahinter aufzuklären, was hier in der Region abgeht. Wir wollen die Firmen öffentlich bekannt und dem Arbeiter klarmachen, dass er Dinge produziert, deren einziger Existenzsinn das Töten anderer Menschen ist.
Uns ist aber klar: Wir haben es mit mächtigen Gegnern zu tun.
Die Rüstungsindustrie korrumpiert die gesamte Region. Die Kommunen wollen Steuern einnehmen, also rollen sie den Unternehmen den roten Teppich aus. Schulen und Universitäten profitieren über Kooperationen. Schülermannschaften laufen mit gesponserten Trikots auf, und die Caritas fährt mit teilgesponserten Wägen ihr Essen aus.
Handwerk, Dienstleistungsgewerbe und selbst die Kirchen profitieren von den Rüstungsbetrieben. Und die Leute, die dort arbeiten, verteidigen ihre Arbeitsplätze. Alle schauen weg und wollen nichts hören, nichts sehen und nichts wissen. Die Politik geht dienstbar zur Hand mit Handreichungen, Aufträgen und Exportförderungen bis über die Grenzen der Legalität.
Aber all das hindert uns nicht daran, den ersten wichtigen Schritt zu gehen und Bewusstsein zu schaffen. Wir hoffen, dass mehr Leute den Mut finden, gegen derlei Entwicklungen aktiv zu werden. Und das geht nicht nur am Bodensee. Heutzutage reicht es, einmal zu googeln – und schon findet man Gleichgesinnte in seiner Heimatregion.
Vielen Dank für das Interview!