Seit vielen Jahren befindet sich die Geburtshilfe aufgrund eklatanter Unterfinanzierung und schwieriger Arbeitsbedingungen in einer Art politisch herbeigeführtem Notzustand, der durch eine aktuelle Gesetzgebung noch verschlimmert wird. Diese Entwicklung ist deshalb von so großer Tragweite, da die Zeit rund um die Geburt ein maßgeblicher Faktor für die emotionale, körperliche, psychische und soziale Gesundheit sowohl auf individueller wie auch auf gesellschaftlicher Ebene ist.
Frank Louwen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, erläutert die Lage wie folgt:
„Die Geburtshilfe in Deutschland leidet unter bekannten, aber ungelösten Problemen, die sich auf die Versorgung von Frauen unter der Geburt auswirken. Das führt dazu, dass Frauen aufgrund des Personalmangels in zunehmendem Maß in Kreißsälen abgewiesen werden. Geburtshilfliche Abteilungen schließen aus ökonomischen Gründen. Hebammen und ärztliche Geburtshelferinnen und Geburtshelfer nehmen die Arbeitsbelastung in den Kliniken als negativ wahr. Folge sind zunehmend freie Stellen in den geburtshilflichen Abteilungen in Deutschland.“
Der Status quo in Deutschland
In Deutschland finden aktuell 98 Prozent aller Geburten in einem Krankenhaus statt, und über 90 Prozent beinhalten eine wie auch immer geartete Form eines medizinischen Eingriffs. Und das alles, obwohl eine Hausgeburt im Normalfall mindestens genauso sicher wie eine Klinikgeburt ist und den Vorteil hat, dass sich die Gebärende in einer bekannten Atmosphäre befindet, die ihr Sicherheit und Entspanntheit beschert und vor allem zur Stressreduktion beiträgt. Leider wird Frauen viel zu oft Angst vor der Geburt gemacht, weshalb fälschlicherweise der Eindruck entsteht, dass eine Geburt per se ein hohes Risiko mit sich bringt und ein Krankenhaus der sicherere Geburtsort ist.
„Das größte Risiko und Hauptursache der meisten Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt ist und war immer schon die mütterliche Angst. Diese wird nachhaltig geschürt, indem man vage Grenzwerte natürlicher Regulationsvorgänge willkürlich zum Risiko und Gefahrenherd erklärt. Man erzeugt systematisch einen Grad von Angst und Distress, der den Frauen die Kraft nimmt, ein Kind normal auszutragen und zu gebären.“ Dr. Alfred Rockenschaub
„Bei sich zu Hause wird die Frau nicht als Patientin betrachtet, sondern als eine Frau, die eine ganz natürliche und sehr persönliche Aufgabe erfüllt. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt, um den sich alles (und jeder) dreht. Die Hebamme, der Arzt und die Wochenbettpflegerin sind alle bei ihr zu Gast. Sie sind da, um ihr behilflich zu sein. Dieser Umstand stärkt ihre Selbstachtung und ihr Selbstvertrauen. Die modernen Kliniken bewirken häufig das Gegenteil. Die Frau ist Gast der Ärzte und Schwestern bei ‚ihnen zu Hause‘. Sie wird zur Patientin und ist von Menschen abhängig, die sie gerne bemuttern möchten. Die Sicherheit der Klinik, die in Situationen, wo ein Eingriff notwendig ist, sehr viel Bedeutung hat, ist für Frauen, die keinerlei Eingriffe brauchen, fehl am Platz. Auf der anderen Seite wird ihr Selbstvertrauen durch die Klinikatmosphäre geschwächt. Das erklärt, warum in vielen Kliniken (und in vielen Ländern, wo es nur Klinikgeburten gibt) der Prozentsatz der künstlichen Entbindungen in einem Maße ansteigt, dass es unvorstellbar ist, dass das auf triftige medizinische Gründe zurückzuführen ist.“ Professor Ted Klossterman
Bereits in den 80er Jahren stellte die britische Statistikerin Marjorie Tew die medizinischen Vorteile geburtshilflicher Interventionen infrage. In einer Meta-Analyse konnte sie für diese keinen generellen und signifikanten Nutzen finden und fand heraus, dass die Säuglingssterblichkeit mit der Rate an Interventionen steigt. Zusammenfassend empfiehlt sie eine wenig invasive und hebammengeleitete Geburtshilfe.
Weitere Studien aus den 80er Jahren zeigten, dass sich die Säuglingssterblichkeit direkt proportional zur Ärztedichte verhält (Rockenschaub, 2005). Auch aktuellere Analysen kommen zu dem Schluss, dass viele der routinemäßig durchgeführten Interventionen keinen nachgewiesenen medizinischen Nutzen haben und ein gewisses Schädigungspotenzial mit sich bringen.
Laut dem Verein Mother Hood e.V., der sich für eine sichere Geburt einsetzt, „lag die Rate an Saugglocken- und Zangengeburten im Jahr 2018 zwischen 0 und 19 Prozent, im Mittel bei 9,5 Prozent. Die von Dammschnitten wurde mit 0 bis 29 Prozent angegeben, wobei einige Kliniken keine Daten angeben.“ 60 Prozent der Gebärenden erhalten eine örtliche Betäubung (PDA) und 20 Prozent der Geburten werden eingeleitet. Auch sei hier darauf hingewiesen, dass Frauen immer noch zu circa 75 Prozent in Rückenlage gebären, obwohl dies die ungünstigste Position für eine Geburt ist und von Frauen auch nicht eingenommen wird, wenn sie frei entscheiden dürfen, wie sie gebären wollen. Sie hat einzig und allein den Vorteil, dass der Ort des Geschehens für den Arzt leichter zugänglich ist. Professorin Dr. Christiane Schwarz, die an der Hochschule Lübeck/Kiel lehrt und dort den dortigen Studiengang für Hebammenwissenschaften leitet, äußert sich wie folgt zur Gebärposition:
„Für einen möglichst reibungslosen Ablauf des Klinikbetriebes ist es praktischer, die Schwangeren in ‚Küchenarbeitshöhe‘ — ähnlich wie im OP — vor sich zu haben. Das ist bequem für die beteiligten Helfer, denn so ist es leichter, mehrere Geburten gleichzeitig zu betreuen“, merkt Schwarz kritisch an. „Geburtshelfer können bei liegenden Frauen beispielsweise besser einen Dammschnitt durchführen.“
Eine medizinische Intervention bringt oft weitere Eingriffe mit sich, so dass aufgrund einer so genannten Interventionskaskade aus der Begleitung einer eigentlich normalen Geburt eine intensivmedizinische Behandlung wird, ohne dabei in signifikantem Umfang dem Wohl des Kindes und der Frau zu dienen.
Kaiserschnitt: Übermäßige Anwendung mit horrenden Folgen
Außerdem erleben wir in Deutschland seit 20 Jahren eine Verdopplung der Kaiserschnittrate: Aktuell kommen knapp über 30 Prozent der Kinder in Deutschland per Sectio, also einem geplanten oder einem Notkaiserschnitt, zur Welt. Die Mehrheit der Kaiserschnittgeburten bei Erstgebärenden sind geplante Kaiserschnitte.
Es gibt erhebliche regionale Unterschiede in der Häufigkeit einer Sectio und es ist ein bekanntes Phänomen, dass ein Chefarzt seine Kaiserschnittrate „mitnimmt“, wenn er das Krankenhaus wechselt.
10 Prozent der Kaiserschnitte gelten als medizinisch zwingend notwendig, die restlichen 90 Prozent fallen in einen Handlungsspielraum, in dem Vor- und Nachteile abgewogen werden müssen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im oberen Mittelfeld der durchschnittlichen Kaiserschnittrate. In Ländern mit niedrigeren Sectio-Raten — wie zum Beispiel die nordischen Länder — sterben laut des Europäischen Berichtes für Perinatalgesundheit weniger Neugeborene als in Deutschland. Auch die Müttersterblichkeit ist niedriger oder ähnlich niedrig.
Es stellt sich die Frage, wann ein Kaiserschnitt in Anbetracht der gesundheitlichen Nachteile, wie zum Beispiel ein verändertes Mikrobiom beim Kind, medizinisch vorteilhaft ist, und welche Einflussfaktoren die Rate beeinflussen. Ein Aspekt dabei sind die festgelegten Fallpauschalen für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen, anhand derer Krankenhäuser bei den Krankenkassen abrechnen. Dabei handelt es sich um die DRG-Finanzierung oder „Diagnosis Related Groups“, die laut Bundesgesundheitsministerium zu „einer Verbesserung der Transparenz und Wirtschaftlichkeit der allgemeinen Krankenhausversorgung geführt hat“. Dieses System wurde mit tatkräftiger Unterstützung von Karl Lauterbach, damals enger Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, eingeführt, obwohl dieser von Anfang an um die Gefahr einer zu starken Ökonomisierung des Gesundheitssystems wusste und zuletzt zugab, dass genau dieser Trend auch eingetreten sei. Über 20 Jahre später soll nun im Zuge des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes eine große Krankenhausreform stattfinden, denn Lauterbach zufolge „sei das Fallpauschalen-System kaputt und müsse überwunden werden“.
Eine Kaiserschnittgeburt erfordert mehr Personal, geht jedoch meist schneller und bringt dem Krankenhaus ungefähr den doppelten Betrag im Vergleich zu einer Spontangeburt. Besonders ein terminierter Kaiserschnitt hat aufgrund der Planbarkeit ökonomische und organisatorische Vorteile. Nicht ohne Grund gibt es kurz vor dem Wochenende eine signifikante Häufung von Kaiserschnittgeburten.
Es geht auch anders
In den Niederlanden entscheiden sich 66 Prozent der „Schwangeren mit niedrigem Risiko für eine Hausgeburt“, ohne dass dabei mehr Komplikationen als bei einer geplanten Klinikgeburt auftreten. Insgesamt finden in den Niederlanden circa 30 Prozent aller Geburten zu Hause statt, was die höchste Hausgeburtsrate in Europa darstellt. Die im europäischen Vergleich relativ hohe Säuglingssterblichkeit in den Niederlanden hat laut einer Studie auch nichts mit dem Geburtsort zu tun. Anfang der 60er Jahre lag die Quote der Hausgeburten in den Niederlanden noch bei circa 70 Prozent. In Ermangelung von Patientinnen für Ausbildungszwecke öffneten die Krankenhäuser damals ihre Türen für freie Hebammen. Außerdem mussten Frauen, die gesund waren und eine normale Geburt in Aussicht hatten, Geld dafür zahlen, im Krankenhaus zu entbinden, da davon ausgegangen wurde, dass es keine Notwendigkeit für eine Klinik-Entbindung gab. Diese Regelung wurde in den 70er oder 80er Jahren aufgelöst, und daraufhin sank die Hausgeburtsrate drastisch ab.
Dr. Alfred Rockenschaub leitete 20 Jahre lang eine Wiener Frauenklinik, welche mit einer hebammengeleiteten Geburtshilfe eine Kaiserschnittrate von einem Prozent möglich machte und dabei eine geringere Mütter- und Säuglingssterblichkeit verzeichnete als der Wiener Durchschnitt. „Zwischen 1965 und 1985 zeigte er in über 42.000 Fällen, dass mit einer intensiven, von Hebammen betreuten Geburtshilfe eine Kaiserschnittrate von einem Prozent ohne irgendwelche Nachteile für Mutter und Kind möglich ist.“
Nach seinem Weggang und der Übergabe an einen neuen Arzt stieg die Kaiserschnittrate plötzlich auf 16 Prozent an.
In seinem Grundlagenwerk „Gebären ohne Aberglaube“ schreibt er, „es stünde also aus gesundheitlichen sowie finanziellen Überlegungen für die Geburtshilfe von heute an, die Frau in anderen Umständen vor den Unbilden der Geburtsmedizin zu bewahren. Zu diesem Zweck wären Hebammen und Hebammenkunst der Einflussnahme von Seiten der Geburtsmedizin zu entziehen.“
Die international bekannte US-amerikanische Hebamme Ina May Gaskin hat in 40 Jahren Geburtshilfe eine Kaiserschnittrate von 1,4 Prozent erzielt und fast 95 Prozent aller Geburten fanden zu Hause statt.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine Kaiserschnittrate von 15 Prozent und äußert sich besorgt über die weltweit steigende und medizinisch nicht notwendige hohe Kaiserschnittrate.
Hebammenmangel, so weit das Auge reicht
Hebammen sind die Expertinnen für die Geburtshilfe, und seit vielen Jahren findet in Deutschland ein besorgniserregendes Aussterben der freiberuflichen Hebammen statt. Die außerklinisch tätigen Hebammen, die dafür sorgen, dass Frauen ihre rechtlich gewährte freie Wahl eines Geburtsortes ausüben können, zahlen jährlich steigende, horrende Haftpflichtprämien.
Seit Juli 2020 beträgt die Haftpflichtprämie für freie Hebammen, die Geburten begleiten, etwa 9.000 Euro. Diese hohe Summe ergibt sich aus den immens hohen Regressansprüchen an die Versicherer bei eventuellen Schädigungen des Kindes unter der Geburt. Seit 2015 gibt es einen gesetzlich geregelten Sicherstellungszuschlag, der von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt wird und die freiberuflichen Hebammen um 70 Prozent der Haftpflichtprämie der erwähnten 9.000 Euro entlasten soll. Trotzdem ist ihre finanzielle Lage höchst angespannt. Dies hat zur Folge, dass Geburtshäuser schließen und Hausgeburtshebammen ihre Arbeit niederlegen müssen, weil sie sich insbesondere die Begleitung von Geburten nicht mehr leisten können.
Fast 20 Prozent der selbständigen Hebammen haben deshalb seit 2010 ihren Dienst aufgegeben. Von den rund 16.000 versicherten freiberuflichen Hebammen in Deutschland sind nur noch 2.600 in der aktiven Geburtshilfe tätig. Die anderen bieten mehrheitlich Geburtsvorbereitung und Nachsorge an.
So wird die Geburt künstlich ins Krankenhaus gedrängt und aus einem natürlichen Vorgang ein pathologischer gemacht. Eine Schwangere wird zur Patientin, obwohl sie nicht krank ist. Aber auch im Krankenhaus ist die Lage prekär. Im Jahre 2015 wies der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte darauf hin, dass der „Hebammenmangel die Gesundheit von Neugeborenen bedroht“. Der Verein Mother Hood e.V. zeigt auf, dass „mehr als die Hälfte der im Kreißsaal tätigen Hebammen häufig drei oder mehr Frauen parallel betreuen“. Verantwortlich dafür, so der Verein, „ist das System der Krankenhausfinanzierung (DRG-Vergütungssystem). Geburtshilfe ist personalintensiv und nicht planbar. Die Vorhaltekosten sind hoch, werden aber im DRG-System nicht abgebildet.“ Geburten bringen kein Geld, und daher werden Kreißsäle und Geburtsstationen geschlossen und hinterlassen eine Lücke, die Familien in Bedrängnis bringt.
„1991 gab es noch 1.186 Kliniken, in denen Geburten möglich waren. 2018 waren es nur noch 655 Kliniken mit Geburtshilfe. Und es geht weiter“, lautet die Aussage auf einer Kampagnenseite des deutschen Hebammenverbandes, welcher sich gegen die massenhafte Schließung von Kreißsälen einsetzt. Von 2019 bis 2021 kamen nach Angaben des Vereins Mother Hood e.V. 38 weitere Schließungen dazu. Aufgrund der Tatsache, dass die Erfahrungen rund um die Geburt besonders für das Neugeborene wie auch für die ganze Familie entscheidende Einflussfaktoren für die psychische, emotionale und körperliche Gesundheit sind, ist die Art und Weise, wie Kinder auf die Welt kommen, ein Politikum.
Hebammen ab 2025 aus dem Pflegebudget gestrichen
Das Bundesgesundheitsministerium unter Führung von Karl Lauterbach hat nun einen weiteren Schritt in Richtung Verschlimmerung der Hebammensituation getan. Am 20. Oktober 2022 wurde das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) im Bundestag angenommen. Dieses hat zur Folge, dass „Pflegebudgets zukünftig die Möglichkeit der Refinanzierung von Hebammenstellen auf den geburtshilflichen Stationen ausschließen kann“. Katarina Desery, Vorstandsmitglied des Mother Hood e.V., umschreibt auf Anfrage die Konsequenzen des neuen Gesetzes für die Geburtshilfe in Kliniken so:
„Frauen im Frühwochenbett, die gerade geboren haben und nach der Geburt auf der Wochenstation sind, sowie Schwangere, die wegen eines Risikos stationär aufgenommen werden müssen, brauchen Hebammen für eine fachspezifische, individuelle und gute Begleitung. Gibt es keine Hebammen mehr auf den Stationen (weil deren Stelle nicht refinanziert wird und sie deshalb gehen mussten), ist diese Versorgung bzw. Begleitung gefährdet. Zusammenfassend: Die Versorgungssicherheit ist gefährdet.“
Laut einer Stellungnahme des deutschen Hebammenverbandes hat dieser Entschluss „katastrophale Auswirkungen auf die klinische Geburtshilfe und gefährdet die Versorgung von Frauen und Kindern in bisher ungekanntem Maße“. Und das, obwohl im Koalitionsvertrag der Regierung aus dem Jahr 2021 das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ gesetzt wurde, welches „mögliche Fehlanreize rund um Spontangeburten und Kaiserschnitte evaluiert und einen Personalschlüssel für eine Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen während wesentlicher Phasen der Geburt einführt, den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle stärkt und die Möglichkeit der Vergütung zur ambulanten, aufsuchenden Geburtsvor- und -nachsorge für angestellte Hebammen an Kliniken schafft.“
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass ab dem 1. Januar 2020 Hebammen ein Bachelorstudium abschließen müssen, um ihren Beruf ausüben zu dürfen. Dafür braucht es wiederum kompetente Anleitung in Krankenhäusern. Mit einem Wegfall von Hebammen in Kliniken könnte es zu einer weiteren Schwächung der Hebammenkunst in der Geburtshilfe kommen.
Eine Petition mit weit über 1,5 Millionen Unterstützern, die sich gegen die Streichung der Hebammen aus dem Pflegebudget ausspricht, beschreibt die Konsequenzen des neuen Gesetzes folgendermaßen: „Dieses sieht vor, dass ab 2025 nur noch qualifizierte Pflegekräfte, die der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt werden, im Pflegebudget berücksichtigt werden. Diese Gesetzesänderung hat eine gravierende Folge: So muss medizinisches Fachpersonal anderweitig von den Krankenhäusern finanziert werden. Betroffen sind Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Heilerziehungspfleger und weitere Berufsgruppen. Besonders hart trifft es insbesondere die Geburtshilfe: So sind Hebammen und Entbindungspfleger sowie Stillberaterinnen ebenfalls nicht mehr im Pflegebudget berücksichtigt.“
Aufgrund der immensen Unterstützung der Petition, die es bis in die Mainstreampresse schaffte, der Kritik mehrerer Berufsverbände und dem politischen Gegenwind durch die FDP ruderte Karl Lauterbach wenige Tage nach dem Start der Petition zurück und versprach den Verbleib der Hebammen im Pflegebudget und eine gesonderte Bezahlung ihrer Arbeit außerhalb des Fallpauschalen-Systems. „Der wirtschaftliche Druck verträgt sich nicht mit dem Berufsbild. Auf dem Rücken der Hebammen sollen Krankenhäuser künftig nicht mehr sparen können“, so Lauterbach. Öffentliches Engagement in Zusammenarbeit mit einer Presselandschaft, die sich der Themen der Bürgerinnen und Bürger annimmt, kann scheinbar immer noch Wirkung auf die Politik entfalten. Trotz dieses Teilerfolges bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Situation der Geburtshilfe wirklich verbessert. Heilsversprechen von Politikern, wie zum Beispiel im Koalitionsvertrag, sind schon lange kein Garant mehr für echte strukturelle Veränderungen zum Wohle der Betroffenen. Daher gilt es weiterhin ein wachsames Auge auf die Geburtshilfe in Deutschland zu haben.
Im Jahre 2016 wurde die Hebammenkunst von der UNESCO zu einem immateriellen Kulturgut erklärt, da es sich hierbei um einen der ältesten und bedeutsamsten Berufe der Welt handelt. Trotz dieser Würdigung sind die Hebammenkunst und ihre Ausübenden so bedroht wie noch nie. Mancherorts gehen Hebammen für die Ausübung ihrer Kunst sogar ins Gefängnis. Die Geburtsindustrie reduziert den ganzheitlichen und größtenteils instinktgesteuerten, uralten Prozess der Geburt auf einen mechanistischen und vereinheitlichten Vorgang.
Viele Menschen verstehen die Zusammenhänge zwischen der Art und Weise, wie Kinder geboren werden, und dem Zustand einer Gesellschaft nicht, und schauen deshalb unwissend zu oder bemerken nicht, wie die Geburtshilfe entmenschlicht wird.
Gewalterfahrungen in der Geburtshilfe sind lange keine Randerscheinung mehr, sondern betreffen ein Drittel aller Gebärenden. Dabei handelt es sich um ein gesellschaftliches Tabuthema, das dringend der Aufmerksamkeit bedarf. Es ist schwer zu begreifen, dass Frauen und Babys in der vielleicht sensibelsten Phase ihres Lebens, in der sie auf Schutz und Wohlwollen existenziell angewiesen sind, in einem von drei Fällen Gewalt erleben.
Eine respektvolle, bedürfnisorientierte und achtsame Geburtshilfe ist eine der wichtigsten Komponenten für eine ganzheitlich gesunde Gesellschaft. Deshalb lohnt es sich mehr denn je, sich aktiv für den Erhalt der Hebammenkunst einzusetzen und jeder Familie das Recht auf die Geburt ihrer Wahl in einer achtsamen und friedlichen Umgebung zu ermöglichen.