Nach „Die Rekruten“ hat die Bundeswehr nun ihre zweite Webvideokampagne gestartet. „Mali“ ist Name und Schauplatz des neuen Machwerks. Man sollte diese erneute Medienkampagne zum Anlass nehmen, einmal etwas grundlegender über den westlichen Krieg gegen den Terror nachzudenken. Dabei ist es relevant, sich mit den tatsächlichen, nicht nur vorgeschobenen Gründen, sowie mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes zu beschäftigen. Dazu muss man jedoch das Rad nicht neu erfinden, sondern es genügt, auf bereits existente Schriften zurückzugreifen. In diesem Fall bietet sich ‚1984‘ von George Orwell besonders gut an.
6,5 Millionen Euro kostete den Steuerzahler die neue Marketingkampagne der Bundeswehr. Derjenige, der sie gesehen hat fragt sich vielleicht, wo genau dieses Geld versenkt wurde. In der tatsächlichen Produktion kann es nicht angekommen sein, hat die Serie doch den Charme des Kindes eines waffenverliebten Youtubers und eines RTL II-Doku-Soap-Scripters. In der Machart bleibt es qualitativ allerdings weit hinter dem zurück, was diese beiden jeweils separat in den Äther hätten blasen können.
Warum also lässt sich das Verteidigungsministerium diesen Spaß so viel Geld kosten, und warum genau protestiert der Steuerzahler, der immerhin direkt mit seinem Steuergeld dafür aufkommt, nicht gegen eine solche Verschwendung seines Geldes? Die Antwort darauf lässt sich teilweise sicher in der seit vielen Jahren stattfindenden Entmündigung der Menschen und der fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft finden, die es nicht mehr gewohnt ist, dass das Verteidigungsministerium tatsächlich seinem Namen nach handelt.
Die Antwort auf diese Frage lässt sich vielleicht auch in den Auswirkungen einer fortwährenden Instrumentalisierung des Krieges gegen den Terror zur Durchsetzung geostrategischer Interessen sowie der Rohstoffsicherung, auf die Gesellschaft, sowie die damit verbundene mediale Rechtfertigung und Indoktrination finden. Dies kann am Beispiel des Buches ‚1984‘ von George Orwell verdeutlicht werden.
Nun mag man sich fragen: Was hat ein vor ca. 70 Jahren verstorbener Schriftsteller mit dem heutigen Krieg gegen den Terror zu tun? Nun, auf dem ersten Blick nichts, außer vielleicht, dass auf beiden Seiten der Tod eine nicht unerhebliche Bedeutung hat. Orwell konnte vielleicht den „Terror“ und den westlichen Krieg dagegen nicht vorausahnen, hat aber einen Einblick geben können in eine vollständig indoktrinierte, alternativlose Gesellschaft. Indoktrination? Du meinst Propaganda, einen vorgeschriebenen Lebensstil? Sind das nicht immer nur die Russen? Warten wir es ab.
Zunächst lohnt ein Blick in das Buch 1984, um den „War on Terror“ bewerten zu können. Die eigentliche Handlung eines Liebespaares, das sich kurz und folgenlos gegen die bestehende Ordnung auflehnt, ist jedoch eher nebensächlich. Von Interesse ist eher das, was sich im Hintergrund abspielt, die Kulisse, vor der die Handlung stattfindet.
Orwell teilt die Welt in drei große Reiche auf. Die Handlung selber spielt in Ozeanien, welches den angloamerikanischen und den angelsächsischen Sprachraum umfasst. Daneben gibt es noch Eurasien, also Europa zusammen mit dem, was einst die Sowjetunion war, und Ostasien, also der Rest von Asien. Afrika spielt auch eine Rolle, die wir uns aber später ansehen.
Die Handlung spielt nun also in Ozeanien, und dort in London. Die Gesellschaft Ozeaniens ist in drei Klassen gespalten. Die größte stellen die sogenannten „Prolls“ dar– die arme Unterschicht, die sich in harten Jobs abrackert oder arbeitslos vor sich hinvegetiert, dabei in den schäbigen Teilen der Stadt im Grunde sich selbst überlassen und durch Glücksspiele und billige Medien in einem Zustand konstanter Lethargie gefangen gehalten wird.
Die zweitgrößte Klasse bilden jene, die der „äußeren Partei“ angehören. Dies ist vielleicht noch vergleichbar mit dem Mittelstand. Es sind Menschen, die in den jeweiligen Ministerien arbeiten und in kafkaesker Manier daran mitwirken, das System am Laufen zu halten. Im Gegenzug werden sie von dem Staat, dem sie dienen, rund um die Uhr mittels großer Bildschirme, die gleichzeitig auch Kameras darstellen, überwacht. Bei geringen Verfehlungen gegenüber den sehr strengen Gesetzen (beispielsweise ist es verboten, im Privaten etwas aufzuschreiben), folgen harte Sanktionen bis hin zur Exekution. Interessant ist hier, dass eine solche Überwachung der „Prolls“ nicht stattfindet. Diese sind vollkommen abgehängt vom Rest der Gesellschaft, werden auch von der Politik sich selbst überlassen und nicht als Gefahr für das System wahrgenommen.
Doch auch die Angehörigen der „äußeren Partei“ leben nicht in überbordendem Wohlstand. Sie hausen zwar in kleinen Wohnungen, die rund um die Uhr überwacht werden, leben ansonsten jedoch eher in ärmlichen Verhältnissen, symbolisiert durch den billigen Gin, den sie bekommen, sowie durch die Zigaretten, aus denen immer der Tabak herausfällt.
Die dritte Klasse ist die herrschende Klasse der „Inneren Partei.“ Diese glänzen durch Anonymität, tauchen auch in der ganzen Geschichte nur in Gestalt des Funktionärs O‘Brien persönlich auf. Sie leben in Wohlstand und Luxus, sind in der Lage, die „Teleschirme“ genannten Überwachungsbildschirme auszuschalten und daher relativ frei. Jedoch unterliegen auch sie dem beständigen Risiko, aus dem Parteiapparat entfernt und exekutiert zu werden.
Obwohl es sicherlich spannend ist, die von Orwell skizzierte Gesellschaft mit unserer heutigen zu vergleichen, soll diese hier nur am Rande, des Verständnisses wegen, erwähnt werden.
Die Regierung Ozeaniens funktioniert über die vier großen Ministerien, dem Ministerium für Frieden, dem Ministerium für Überfluss, dem der Liebe und dem Ministerium der Wahrheit.
Interessant in dem hier eingegrenzten Kontext ist jenes des Friedens und jenes der Wahrheit. Bei der Benennung dieser Ministerien spielen bereits weitere Erfindungen Orwells, der Doppeldenk sowie der Neusprech eine Rolle und verdeutlichen, wie mithilfe der Sprache Gedanken und Vorstellungen manipuliert werden können.
Doppeldenk bedeutet, Tatsachen oder Worte ihrer Wahrheit zu berauben, und eine andere Wahrheit hineinzulegen. 2+2= 4 ist eine unumstößliche Wahrheit. Doch wenn es den Interessen der Partei, bzw. dem „Ingsoc“ (english socialism) dient, kann 2+2 auch plötzlich 5 ergeben. Dann ist das, was vorher Wahrheit war, nämlich 2+2=4, auf einmal eine strafbare Lüge. Jedoch ist es für manche Situationen, beispielsweise in der Wissenschaft, notwendig, die ursprüngliche Wahrheit beizubehalten, dies darf aber nicht öffentlich geschehen.
Es geht beim Doppeldenk also darum, die Wahrheit so zurechtzubiegen, dass sie den eigenen Interessen nützt, das kann bis zur Verzerrung ins vollkommene Gegenteil gehen. So ist das Wahrheitsministerium, in dem auch der Protagonist Winston Smith arbeitet, ununterbrochen damit beschäftigt, Propaganda zu verbreiten. Dies geschieht über die Manipulation der Geschichte, denn „wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
Die Mitarbeiter sind also ständig darum bemüht, die Vergangenheit an die gegenwärtige Linie der Partei anzugleichen. Dies geht sogar so weit, dass alte Zeitungen umgeschrieben werden. Das Friedenministerium hingegen beschäftigt sich mit der Organisation und Durchführung des Krieges im Äußeren. Ozeanien ist nämlich immer im Krieg mit einem der anderen beiden Reiche, wohingegen es mit dem jeweils anderen eine Allianz bildet. Das Wahrheitsministerium hat dafür zu sorgen, dass im Verständnis der Bevölkerung der gegenwärtige Feind schon immer der Feind gewesen ist, und daher, sobald sich die Allianzen ändern, was immer mal wieder vorkommt, die Vergangenheit zu ändern.
Diese ewigen Kriege im Äußeren finden weit weg von der Gesellschaft in Afrika und auch in Teilen Asiens statt. Merken wir langsam, worauf es hinausläuft? Vergleichen wir die Situation im fiktiven Ozeanien mit der Realität, finden wir erschreckende Ähnlichkeiten.
Was in Ozeanien das Friedensministerium zu sein behauptet, ist in Deutschland unser Verteidigungsministerium.
Aber halt, es heißt doch Verteidigungsministerium, damit führt es doch keinen Krieg, sondern verteidigt nur unser Land. Wenn wir es auf die bloße Bezeichnung beschränken, mag das so wirken. Die tatsächlichen Verhältnisse sehen anders aus. Derzeit operieren mehr als 3800 deutsche Soldaten in 15 verschiedenen Ländern.
Spätestens seit dem Beginn des deutschen Afghanistaneinsatzes wissen wir, dass Deutschland auch „am Hindukusch“ verteidigt wird. Doch wie kann Deutschland tausende Kilometer weit weg verteidigt werden? Und wovor? Haben die Nazis nach dieser Logik nicht auch Deutschland in Stalingrad „verteidigt“?
Die Antwort ist, dass dies ein Beispiel orwell‘schen Doppeldenks ist. Kampfeinsätze im Ausland werden als Verteidigungshandlung klassifiziert, um ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern, ihnen vielleicht sogar eine moralische Notwendigkeit in die Wiege zu legen. In das Wort „Verteidigung“ wird nun die Bedeutung des Wortes „Angriff“ hineingelegt, und so wird Angriff automatisch zur Verteidigung. Das soll ein kritisches Hinterfragen von vornherein ausschließen, denn jeder, der die „Verteidigung“ hinterfragt, kann natürlich nur ein Feind unserer sicheren, werteorientierten Gesellschaft sein. So ist auch der Begriff „Verteidigungsministerium“ irreführend, es hätte spätestens mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien in das „Kriegsministerium“ umbenannt werden müssen.
Dennoch suggeriert uns der Name des Ministeriums, dass es nur um unsere Sicherheit besorgt wäre. Es schützt uns doch. Wovor schützt es uns? Vor dem bösen Russen, der in den letzten Jahren immer näher an unsere Grenzen gerückt ist? Der gefährliche Militärübungen unweit unserer Städte abhält, die im letzten großen Konflikt mit ihm immense Zerstörungen erlitten haben und mutwillig ausgehungert wurden? Das auch.
Doch momentan hat die „freie westliche Welt“ einen anderen Feind: Der böse Islamist. Spätestens seit dem 11. September 2001 hat sich die westliche „Wertegemeinschaft“ auf diesen Feind eingeschossen (man beachte das unlustige Wortspiel). War Terror zuvor nur ein nationales Phänomen, das viele Länder Europas nur zu gut kannten, so zum Beispiel Deutschland, Italien, Irland, Spanien, wurde es nun zu einem internationalen Problem erklärt, untrennbar mit dem islam verknüpft und auch im Äußeren bekämpft. Mit der Erklärung des „War on Terror“ begann eine endlose Serie von militärischen Eingriffen in eine ganze Reihe von Ländern des Nahen Osten. Man könnte also sagen, wir waren ‚immer‘ schon im Krieg mit den international agierenden, islamistischen Terroristen, richtig?
Falsch.
Als es westlichen Interessen dienlich war, haben insbesondere die USA Unterstützung in Form von Geld und Waffen in den Irak und nach Afghanistan geliefert, um dort die Sowjets zu bekämpfen.
Wer waren denn damals in diesen Ländern die zentralen Figuren dieses Kampfes? Viele wissen es bereits: einerseits gab es Osama Bin Laden, der von westlichen Geheimdiensten hofiert und unterstützt wurde, an anderer Stelle, insbesondere, als man nach der Revolution im Iran mit deren Ergebnis nicht zufrieden war, wurde Saddam Hussein, ein Freund des werteorientierten Westens, aufgerüstet und im Krieg gegen den Iran unterstützt. Beide wurden später im sogenannten „Krieg gegen den Terror“ getötet. Mit denen, die wir heute als Terroristen bekämpfen, waren wir also nicht schon immer im Krieg.
Wie Ozeanien ist der Westen in der Lage, Allianzen zu bilden und zu wechseln, wie es gerade in seine ökonomischen und geopolitischen Interessen passt.
„Aber der Krieg gegen den Terror ist doch kein ewiger Krieg! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Terroristen besiegt sind, und Frieden und Demokratie im Nahen Osten einkehren“, mag man nun einwenden wollen. Diese Logik wird seit Jahren stetig wiederholt. Zuerst waren es Saddam Hussein und Osama Bin Laden, die nur beseitigt werden mussten, bis der totale Frieden einzukehren versprach. Doch plötzlich erhob sich dieser Gaddafi, gefolgt von Assad, und so weiter. Stets wird uns vermittelt, man müsse noch diesen einen Krieg zu Ende führen, und dann könne der Frieden kommen. Vom Frieden sind wir heute weiter entfernt als noch zu Beginn des Krieges gegen den „Terror.“
„Aber Osama bin Laden ist tot, und der Feind heute ein ganz anderer, es sind doch die Terroristen, die schlimmer und bösartiger geworden sind, man denke nur an den IS“, möchte man wiederum einwenden. Stimmt das? Mal ganz davon abgesehen, dass Al-Kaida noch immer existiert, sind viele Anhänger des IS frühere Al-Kaida Kämpfer, die wiederum von den USA bewaffnet wurden, wie im Übrigen auch der IS. Der Feind ist also derselbe wie zuvor, nur hat er das Etikett gewechselt.
„Aber wir unterstützen doch auch Widerstandskämpfer, Rebellen gegen den diktatorischen Assad, die sich für Demokratie einsetzen und die Diktatur abzuschaffen trachten, damit endlich Frieden einkehren kann, ist das nicht moralisch vertretbar?“
Hierzu möchte ich mich kurz von Orwell entfernen und auf eine moderne Dystopie eingehen, die insbesondere die jüngeren Leser sicherlich kennen. In der Verfilmung des zweiten Teils der „Tribute von Panem“-Reihe gibt es eine interessante Schlüsselszene.
In dieser bereitet Präsident Snow, der faktische Monarch des Reiches Panem, eine Rede über die Aufstände in einigen Distrikten vor. Einer seiner Berater schlägt vor, diese „Rebellen“ zu nennen. Doch Snow erwidert, dass eine solche Benennung diesen Aufständischen Legitimation verschaffe, und man sie daher lieber „Terroristen“ nennen solle.
(Merken Sie etwas?) Rebellen, das klingt positiv, unterstützenswert. Da lehnen sich Menschen gegen Ungerechtigkeiten auf, streben soziale Verbesserungen an. Terroristen hingegen: Gewalttätige Verbrecher. Ohne weitere Hintergründe zu kennen, werden hier sofort zwei Kategorien geschaffen, von denen man der einen positive, der anderen negative Gefühle entgegenbringt. Auf die tatsächlichen Ziele dieser Gruppen kommt es dann schon gar nicht mehr an. Und so ist unsere westliche Benennung dieser aktiven Kämpfer beispielsweise in Syrien auch eher willkürlich. „Rebellen“ und „Terroristen“ machen beide genau dasselbe.
Sie zerstören, sie töten, sie richten verheerendes Unheil an, und in beiden Schubladen finden sich streng islamistische Verbände. Der einzige Unterschied besteht darin, wer ihre Verbündeten sind, wer sie finanziert. Diejenigen, die vom Westen aufgerüstet wurden, um beispielsweise Assad zu stürzen, nennen wir Rebellen, wohingegen jene, die wir vor langer Zeit einmal aufgerüstet haben und die sich nun aber gegen unsere Interessen stellen, als „Terroristen“ bezeichnet werden. Hier drückt sich einmal mehr der orwellsche Doppeldenk aus. Ein Kämpfer ist dann ein Rebell, wenn es dem herrschenden System nutzt, jedoch Terrorist, wenn er ihm zuwider handelt, auch wenn seine Handlungen die immer gleichen sind.
In ‚1984‘ ist der ewige Krieg für die Menschen ein eher abstraktes Ereignis. Alles, was sie über die großen Bildschirme präsentiert bekommen, die überall in der Stadt hängen, sind Daten und Fakten über Schlachten, Verluste und Siege, wie sich die Frontlinien verlagert haben etc. Es ist so abstrakt, dass an einer Stelle sogar der Verdacht nahegelegt wird, dass es diesen Krieg gar nicht gibt, sondern er nur eine Propagandashow ist. Tatsächlich wird der Krieg im Äußeren instrumentalisiert, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken, die fortwährende Überwachung zu rechtfertigen und die ärmlichen Lebensumstände des größten Teils der Bevölkerung zu „entschuldigen“. Zudem schlagen in unregelmäßigen Abständen Raketen in dem Stadtgebiet Londons ein, die als Rückkopplungen des Krieges, als Gegenangriffe des Feindes behandelt werden. Ob der Krieg jedoch nur Show ist, wird nie aufgeklärt.
Dass der Krieg gegen den Terror mehr ist als nur Show, das wissen wir. Ständig bekommen wir Bilder aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und nun, dank der Webvideoserie der Bundeswehr, auch noch aus Mali. Wir wissen, dass dort Kämpfe stattfinden, wir spüren die Auswirkungen, wenn hunderttausende Flüchtlinge aus den entsprechenden Gebieten nach Europa einwandern.
Dennoch lässt sich auch dieser Krieg hervorragend instrumentalisieren.
Auch in Europa kommt es, über die Flüchtlinge hinaus, zu „Rückkopplungen“ in Form von Terroranschlägen. Diese Terroranschläge begannen in Deutschland, nachdem wir die ersten Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan geschickt hatten und nahmen zu, nach Beginn des Einsatzes in Syrien 2015 und so der Meinung der dortigen IS-Kämpfer nach zu ihren Feinden geworden sind. Präsent sind und allen noch der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Jahr, den Anschlag in Ansbach, oder der Axtangriff in einer Regionalbahn bei Würzburg.
Der Logik folgend müsste man nun zugeben, dass mit solchen Rückkopplungen bei einem Kriegseintritt zu rechnen sei. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr werden die Terroranschläge, die man auf gewisse Art selbst zu verantworten hat, dazu benutzt, die Einsätze zu rechtfertigen. Man sehe ja, wie böse der Feind doch sei, und dass wir Terroranschläge nur verhindern könnten, wenn wir in ganz entfernten Orten fremde, vermeintlich für die Anschläge verantwortliche Menschen erschössen.
In diesem Kontext ist es auch interessant zu sehen, wer den „Krieg gegen den Terror“ eigentlich begonnen hat. Obwohl die Vorläufer sich bereits bis in die fünfziger Jahre zurückverfolgen lassen, hat nämlich Präsident George W. Bush nach den Anschlägen am 11. September den Krieg gegen den Terror ausgerufen. Nun könnte man sagen, dass ja der Anschlag an sich schon eine Kriegserklärung an den Westen sei. Doch das ist zu einfach gedacht. Die Anschläge, deren Tathergang noch immer viele Fragen aufwirft, sind nach offizieller Lesart einer kleinen Gruppe von 19 arabischen Kämpfern zuzuschreiben.
Eine kleine Gruppe an Männern also, die angeblich das World Trade Center angegriffen haben. Diese sind aber bei diesem Anschlag allesamt ums Leben gekommen. Es handelte sich nicht um Soldaten eines anderen Staates, dem man nun daraufhin den Krieg hätte erklären können. Doch mit der Erklärung des „Krieges gegen den Terror“ wird die Schuld einzelner einem schwammigen Kollektiv aufgelastet, nämlich den arabischen „Terroristen.“
Dass diese Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen unterschiedlichsten Gruppierungen angeschlossen haben, nun aber stellvertretend für die Angreifer, die allesamt tot sind, an die Stelle eines scheinbar zentral gesteuerten und gezielt operierenden Feindbildes gerückt werden, ist eine kausal nicht haltbare Behauptung, denn die meisten dieser in unterschiedlichen Gruppierungen wirkenden Menschen hatten keinerlei Verbindungen zu den angeblichen Tätern von Al-Kaida.
Dennoch wurde hier eine heterogene Menschengruppe homogenisiert und über einen Kamm geschert, damit man ihr den Krieg erklären konnte.
Jetzt wundert man sich über Terroranschläge, die als Reaktion auf westliche „humanitäre Interventionen“ erfolgen. Dass es keine Terroranschläge gibt, solange wir uns an keinem Krieg beteiligen, wird nicht erwähnt– ein weiteres Beispiel für Doppeldenk. Terroranschläge sind nun die Ursache für unseren Kriegseintritt, nicht jedoch die Folge. Was wiederum vor den Terroranschlägen passiert sein muss, ist in diesem Kausalzusammenhang eine mediale Leerstelle.
Diese füllt sich lediglich durch das auf der Gefühlsebene stattfindende Konstrukt, Terroristen würden Anschläge aus reiner Bösartigkeit verüben und dafür keinerlei menschlich nachvollziehbaren Gründe vorzuweisen haben. Dabei ist es nur logisch, dass auch jeder Angriff, jeder Kriegseintritt zu Gegenmaßnahmen führt. Terror ist der Krieg der Armen, die seit Jahrzehnten unterdrückt und ausgebeutet werden, die keine Mittel haben, sich eine große, teure Armee mit Panzern, Flugzeugträgern usw. zuzulegen.
Wer sich angegriffen fühlt, wird jedoch trotz des Fehlens solcher Mittel zu Gegenmaßnahmen greifen, um sich zu verteidigen. Damit will ich Gewalt nicht verharmlosen, im Gegenteil. Gewalt ist strengstens abzulehnen, denn gerade am Beispiel der Terroranschläge sieht man sehr gut, dass sie nur zu Gegengewalt führt, und auch der Angriff auf das WTC wird eine historisch begründete Ursache haben, sofern die offizielle Darstellung denn überhaupt der Wahrheit entspricht. Doch in der Logik unseres Friedenministeriums führen wir Krieg, um den Frieden zu bewahren. Hier ist ein weiterer Slogan des orwell‘schen Ozeaniens einschlägig. „Krieg ist Frieden“ Ist einer der zentralen Glaubenssätze, die den Menschen durch ständige Wiederholung eingepflanzt werden. In gewisser Weise ist das sogar nicht einmal falsch.
In Ozeanien gibt es eine abstrakte Revolutionsbewegung, die unter der angeblichen Führung eines Mannes namens Emmanuel Goldstein steht, den das System als Feind identifiziert hat. Dieser hat ein Buch geschrieben, bekannt als „Das Buch“, in welchem er nahelegt, dass die Kriege, welche die drei Mächte führen, ihnen allen dreien nutzen und diese einvernehmlich geführt werden. Der Krieg dient allen drei Reichen, die ärmlichen Lebensumstände zu legitimieren, und die Bevölkerung hinter sich zu vereinen. Er hält die Menschen damit davon ab, sich gegen die Zustände aufzulehnen, somit bedeutet der Krieg im Äußeren tatsächlich Frieden, allerdings nur im Inneren. Vollkommen absurd, nicht wahr?
Die ständige, abstrakte Gefahr des „Terrors“, hervorgerufen durch unsere eigenen Kriege, die wir führen, hat die Bundesregierung zu einer fortwährenden Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen veranlasst. So wurden Befugnisse der Polizei ausgeweitet, Vorratsdatenspeicherung und Überwachung zum Beispiel durch das „Netzwerkduchsetzungsgesetz“ ausgebaut, die Bürger der Bundesrepublik von eigenen und fremden Geheimdiensten ausgespäht, alles, um der angeblichen Gefahr des Terrors zu begegnen, die wir, ich kann es nicht oft genug wiederholen, selbst geschaffen haben.
Die Menschen nehmen es beinahe ohne Protest hin, denn es geschieht ja im Namen unserer „Sicherheit.“ Ein weiteres Beispiel orwell‘schen Doppeldenks. Denn wenn es um unsere Sicherheit geht, ist uns keine Maßnahme intensiv genug. Dass diese Gesetze sich auch benutzen lassen, um subversive Elemente, Andersdenkende und Aktivisten zu verfolgen, nehmen wir da billigend in Kauf.
Hier nähern wir uns ozeanischen Verhältnissen an. Auch dort wird die Überwachung mit der Sicherheit legitimiert, wobei jeder, der nicht streng der Linie der Partei folgt, bereits als Feind bezeichnet wird, und im Extremfall einfach verschwindet, wobei das Wahrheitsministerium sich dann damit befassen muss, jegliche Beweise dafür, dass diese Person jemals gelebt hat, zu beseitigen.
So weit sind wir noch nicht, doch die Möglichkeit steht im Raum, die Definition des Begriffs „Terrorist“ ist schwammig genug, um sie auch auf andere, unliebsame Menschen auszudehnen.
Im Laufe der Geschichte wird weiterhin der Verdacht nahegelegt, dass jene Rückkopplungen in Form von Raketeneinschlägen in der Londoner Innenstadt, die interessanterweise immer nur die Viertel der Prolls treffen, in Wirklichkeit fingierte Attacken sind, die von der eigenen Regierung verübt werden, um den fernen Krieg nicht zu abstrakt scheinen zu lassen und ihn stets wieder ins Gedächtnis der Menschen zu rufen, um die Akzeptanz staatlicher Maßnahmen aufrechtzuerhalten.
Diesen Umstand im Hinterkopf sollte man nun noch einmal Berichte der letzten Zeit lesen, in denen sich offenbarte, dass Mitglieder des Verfassungsschutzes ihnen bekannten Extremisten, allen voran Anis Amri, dem Attentäter von Berlin, nahegelegt haben, Anschläge zu verüben, sie regelrecht dazu überredet haben. Schafft man sich so seine Legitimation für den Krieg, für Überwachung und Generalverdacht selbst? Es sieht ganz so aus. Ist das nur ein Einzelfall? Das überlasse ich der Interpretation und der Fantasie jedes Einzelnen.
Zur Einschwörung auf den jeweiligen Feind findet in Ozeanien jeden Tag eine Veranstaltung mit dem Titel „Zwei-Minuten-Hass“ statt. Zur Teilnahme an dieser ist jeder verpflichtet. Inhalt der Veranstaltung ist die Darstellung des jeweiligen Feindes in Form von Videos, auf denen die Bewohner Ozeaniens dann ihre aufgestauten Emotionen innerhalb der Partei genehmen Bahnen abreagieren.
Einmal im Jahr findet auch eine sogenannte „Hasswoche“ statt. Diese wird mit großem Aufwand vom Wahrheitsministerium vorbereitet, um mit Reden von Parteifunktionären, Propagandafilmen und Plakaten den Hass der Bevölkerung auf den Feind zu wecken und zu lenken. Dass das Objekt des Hasses dabei willkürlich austauschbar ist, zeigt eine Episode, in der mitten in der Rede eines Parteifunktionärs der Feind wechselt. Ohne zu zögern, beendet der Funktionär seine Rede, die sich nun gegen den neuen Feind richtet. Die Widersprüche zu dem vorher gesagten werden dadurch gelöst, dass sie als Agitation des Revolutionsführers Emmanuel Goldstein gesehen werden, der beschuldigt wird, die Hasswoche zu sabotieren. (Die Allmacht russischer Hacker konnte Orwell nun einmal nicht vorausahnen.)
Doch wo ist hier der Bezug zur Realität? Wir haben keine Hasswoche, keine Zwei Minuten Hass. Nein, denn unsere Propaganda ist bereits viel fortgeschrittener. Multimedial werden die Menschen auf das neue Feindbild eingestimmt.
Während Nachrichten, Zeitungen und Talkshows den Feind auf einer scheinbar sachlichen Ebene vorbereiten, werden durch fiktive Medienproduktionen wie Filme, Serien und Videospiele die Emotionen angesprochen und die Bekämpfung des neuen Feindes banalisiert.
Ständig werden wir mit neuen Kriegsfilmen und -Serien bombardiert, oder dürfen in Videospielen uns selbst als Helden in Szene setzen. Dazu passt vielleicht auch, dass Angela Merkel erst vor Kurzem Videospiele zum Kulturgut erklärt hat. Auf diese Weise wird Hass, der aus unterschiedlichsten Gründen in den Menschen entsteht, kanalisiert und auf ein bestimmtes Objekt gerichtet. Dass dieses Objekt dabei ziemlich austauschbar ist zeigt die James-Bond-Reihe, die Gallionsfigur westlicher Propagandafilme. Waren dort in den ersten Jahren stets „die Russen“ der Feind, den James Bond zu bekämpfen hatte, so ist es in den moderneren Filmen „Der Terrorist.“
Die Kämpfer und Soldaten in diesen Filmen werden dabei stets als Helden heroisiert und erscheinen uns als abgehobene, bewundernswerte Gestalten, die man für ihr Tun nur loben kann, obwohl sie genauso töten wie ihre angeblichen Feinde; und trotzdem will man so werden wie diese Figuren. Auf diese Weise wird eine Akzeptanz für Kampfeinsätze und Kriege geschaffen, da der gewöhnliche Bürger sich positiv mit diesen Figuren identifiziert und so zu der Einsicht gelangt, dass das, was sie machen, einem guten, höheren und vor allem rechtmäßigen Zweck dient, wohingegen die als Feinde bekämpften Menschen schäbige, unrechtmäßig handelnde Verbrecher sind.
Dies führt zu einer unterschwelligen Militarisierung der Gesellschaft. Durch die positive Identifikation mit den militaristisch handelnden Charakteren werden deren Eigenschaften als Norm etabliert, an der sich zu messen jedermanns (und jederfraus) oberste Priorität zu sein hat. Das Militärische wird verherrlicht und als einzig mögliches Mittel im Kampf gegen wen-auch-immer gepriesen.
Wenn man nun also die Frage beantworten will, was der ständige Krieg im Äußeren und die Indoktrination im Inneren mit einer Gesellschaft macht, ist das wohl eine Antwort. Es führt zu einer unterschwelligen Militarisierung und einer Akzeptanz von Gewalt, die sich auf allen Ebenen der Gesellschaft niederschlägt und in ihren Kulturgütern zum Ausdruck kommt.
Bei Orwell führt es dazu, dass die Menschen sich mit ihren erbärmlichen Lebenslagen abfinden. Aus Angst vor dem Feind im Äußeren lassen sie die Maßnahmen der Regierung über sich ergehen, sie hassen stets den, der gerade Feind ist und werden durch die Rückkopplungen in ihrem Hass und ihrer Zustimmung zu den Verhältnissen bestärkt. Dies gilt vor allem für die Mitglieder der „äußeren Partei“, die sich stets davor fürchten müssen, von der herrschenden Partei eliminiert und aus der Geschichte getilgt werden zu müssen, während die Prolls durch beständige mediale Ablenkung und billige Konsumgüter in einem solchen Zustand der Lethargie verharren, dass sie für die Herrschenden des Systems gar keine Gefahr darstellen, und diese sich um diese Klasse daher auch keine Gedanken machen müssen.
In der Realität finden sich einige dieser Elemente wieder. Nicht nur lassen sich die Menschen zu gern von billigsten Fernsehformaten und der Bundesliga ablenken und bereitwillig in einen Zustand der Lethargie versetzen. Der Krieg gegen den Terror, der Anschläge in Europa erst hat wahrscheinlich werden lassen, hat zudem, auch durch seine Rückkopplung, die Zustimmung für sich selbst stark gesteigert. Der Hass der Bevölkerung auf eine ganz bestimmt Gruppe, als „Islamisten“ generalisierte Moslems beispielsweise, wurde gezielt geschürt und gelenkt, sodass es uns heutzutage kaum berührt, wenn irgendwo im Nahen Osten dutzende von ihnen bei einem Drohnenangriff sterben; vielmehr herrscht im kollektiven Bewusstsein der Glaube vor, dass sie es ja verdient hätten für alles, was sie „uns“ angetan haben.
Dass hier die Kausalkette vollkommen verdreht wird, vermitteln die Medien natürlich nicht. Auch finden wir uns aus Angst mit der fortschreitenden Überwachung ab, jedenfalls bleiben große Proteststürme aus, denn es dient ja alles unserer Sicherheit. Dass wir längst einen Überwachungsstaat orwellschen Ausmaßes haben, sollte spätestens seit Edward Snowden keine „Verschwörungstheorie“ mehr sein, doch es erscheint uns heutzutage normal. Die Bereitschaft, diese Dinge hinzunehmen, wurde durch Terroranschläge gesteigert. In Zeiten von Angst und Not rücken die Menschen zusammen und scharen sich auch hinter einem Staat, den sie ansonsten ablehnen.
Da nimmt die prekarisierte und überwachte Bevölkerung auch gerne den weiteren Ausbau des totalitären Staates in Kauf, wie Frankreich nun eindrucksvoll beweist.
Wozu ist es nun aber notwendig, diesen Zusammenhalt herbeizuführen? Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, in der immer weniger Reiche einen immer größeren Teil des Vermögens auf sich vereinen und die Armen ausbeuten, birgt riesiges Konfliktpotenzial, das der Macht gefährlich werden kann. Wenn jedoch der allem zugrundeliegende Kapitalismus ungestört fortlaufen soll, werden sich diese Diskrepanzen nur noch vergrößern. Da ist es praktisch, wenn man einen Feind im äußeren hat, auf dem man mit dem Finger zeigen und sagen kann: „Der da ist gefährlich, und nur ich, euer Herrscher, bin in der Lage, diese Gefahr abzuwenden.“
Doch auch der Feind selbst ist nur ein Opfer des Kapitalismus, der sich ungehindert in die Länder des Nahen Ostens und Afrikas ausbreitet, die dortige Bevölkerung als billige Arbeitskräfte missbraucht, die Ressourcen herauspresst, dabei die Umwelt vernichtet, wichtige Versorgungsstrukturen durch westliche Großkonzerne verdrängt und den Menschen somit jede Aussicht auf ein würdevolles Leben nimmt. Die Menschen dort sind nicht dumm und erkennen, wer für ihr Elend verantwortlich ist, und richten sich, natürlicherweise, gegen diese Akteure, namentlich den Westen und seine Vertreter in den entsprechenden Ländern. Die Gewalt, mit welcher der Kapitalismus gegen diese Menschen vorgeht, erzeugt Gegengewalt. Noch einfacher ist der Zusammenhang in jenen Ländern herzustellen, die wir seit Jahren bombardieren, also hauptsächlich der Irak und Afghanistan, unlängst aber auch Syrien. Diese vom System geschaffenen Feinde nutzt das System selbst nun dazu, sich Legitimation zu verschaffen.
Doch Kriegseinsätze erfordern willige Männer und Frauen, die sich bereitwillig in die entsprechenden Kriegsgebiete, die natürlich nie so genannt werden dürfen (Doppeldenk) ziehen, um dort die zum Feind erklärten Menschen zu bekämpfen. Hier sind wir dem orwell‘schen Ozeanien schon weit voraus. Beschränkt sich die dortige Kriegspropaganda auf abstrakte Statistiken und Frontverläufe sowie die gelegentliche „Hass-Woche“, eine Zeit, in der kleine Propagandafilmchen alle angeblichen Feinde des Reiches bedenken und den Hass der Bevölkerung schüren sollen, erfolgt sie in unserer Welt multimedial. Das Feindbild wird über Zeitungen und Nachrichten scheinbar objektiv vorbereitet, die uns in schöner Regelmäßigkeit die Bösartigkeit des angeblichen Feindes vor Augen führen. Fiktive Werke wie Filme, Fernsehserien oder Videospiele mit der Zielgruppe junger Menschen im wehrfähigen Alter glorifizieren und rechtfertigen den Krieg, gewöhnen die Menschen an militaristisches Auftreten und Waffengewalt und kanalisieren den Hass.
Nun wird auch deutlich, warum der Steuerzahler es hinnimmt, dass Unsummen seines Geldes in schlechte Propagandafilme der Bundeswehr gesteckt werden. Es ist einfach genau das, was er schon aus Film, Fernsehen, der Zeitung und seiner Playstation kennt. Er hält es für normal, dass die Bundeswehr im Ausland tätig ist, obwohl ihr grundgesetzlicher Auftrag lautet, die Grenzen Deutschlands zu verteidigen, einfach deswegen, weil es längst Realität ist.
Er kennt Gewalt, Krieg und Tod aus seinen diversen Medien, ist daher von der Notwendigkeit des Krieges überzeugt und nimmt auch die Werbung der Bundeswehr klaglos hin, versteht er doch, dass sie neue Kräfte braucht, die sie im nie endenden Krieg gegen den Terror verheizen kann. Er wird dort abgeholt, wo er sich schon längst befindet, nämlich im stetigen, geistigen und moralischen Kriegszustand. Krieg ist somit zur multimedialen Ablenkung geworden, welche die Aufmerksamkeit der Menschen von anderen Missständen fortlockt, und somit tatsächlich in gewisser Weise auch „Show.“ Die Gewöhnung an Militarismus, Krieg, Gewalt und Terror hat jeglichen Zweifel an der Notwendigkeit von Propagandafilmreihen der Bundeswehr zerstreut und ein Hinterfragen von Ursachen und Notwendigkeit von Gewalt findet kaum noch statt.
Wie schon erwähnt, ist das Bestehen der drei Reiche bei Orwell von diesen Kriegen abhängig. Sie brauchen diese Kriege, brauchen die Feinde, um fortbestehen zu können. Dass das für die westliche Welt in der Realität gilt, habe ich bereits erläutert, doch wie sieht es mit unseren „Feinden“ aus, den „Terroristen“? Bei diesen Gruppen handelt es sich zwar nicht um geeinte Staaten, nicht einmal mehr der sogenannte Islamische Staat hat noch Bestand. Dennoch benötigt ihre Ideologie Feinde. Sie brauchen etwas, worauf sie ihren Hass fokussieren können, ebenso wie auch die Menschen im Westen solche Objekte benötigen.
Dieses Objekt des Hasses ist nicht etwa „unsere westliche Freiheits- und Wertegemeinschaft“, wie uns Minister und Medien zu verkaufen versuchen. Ich bin mir sicher, die meisten dieser Menschen würden sich über das Maß unserer Freiheit freuen, wenn sie es selbst errängen.
Nein, es sind wir mit unserer zerstörerischen Lebensweise, die ihre eigenen Lebensgrundlagen vernichtet hat. In ihrer Aussichts- und Hoffnungslosigkeit richten sie sich gegen die Ursache ihres eigenen Elends. So rekrutieren diese Gruppen auch ihre Mitglieder. Sie schüren den Hass, lenken ihn in eine bestimmte Richtung und bieten dann das Gegenmittel, nämlich den bewaffneten Kampf an. In dieser Hinsicht sind auch sie vom Westen als ihrem Feind abhängig und brauchen den Krieg.
Warum mache ich mir nun die Mühe, ein fiktives Werk mit der Realität zu vergleichen, noch dazu ein so altes wie ‚1984‘?
‚1984‘ wird vor allem in jüngerer Vergangenheit oft zitiert, jedoch immer nur in Bezug auf den Überwachungsstaat. Dieser ist ohne den beständigen Krieg und klare Feindbilder überhaupt nicht denkbar. Hätte unsere Gesellschaft keine Feindbilder etabliert, würde niemand dieses Maß der Überwachung dulden, da keine Gefahr für „unsere Sicherheit“ vermittelbar ist. Es ist also wichtig, den Zusammenhang aufzuzeigen. Weiterhin lässt sich anhand von Orwells Werk verdeutlichen, dass gewisse Tendenzen und Entwicklungen nicht aus der Luft gegriffen sind. Schon Orwell hat sie, obwohl er den (‚Islamistischen‘) Terrorismus nicht erlebt hat, vorausahnen können und sie in seinem fiktiven Werk angemahnt.
Die Fiktion ist ein wunderbares Mittel, über das Zustände und Vorgänge verständlich vermittelt werden können. Dadurch, dass der Leser weiß, dass es sich um ein fiktives Werk handelt, lässt er sich auf die Logik der fiktiven Welt, ihre Funktionsweise und Ereignisse ein, es entstehen keine Abwehrreflexe gegen das Beschriebene.
So können Tatsachen und Geschehnisse, die, würde man sie in der nüchternen Form eines Sachtextes präsentieren, zu reflexhaftem Unglauben, verpackt in empörten Ausrufen wie „Verschwörungstheorie“, führen würden, einem breiten Publikum vermitteln, da diese Reflexe in Rahmen der Fiktion verhindert werden.
Unter der Voraussetzung der Fiktion lassen wir uns also auf Dinge ein, die uns in der Wirklichkeit undenkbar erscheinen. Das einzige, was vom Leser erwartet werden muss, ist, die Transferleistung zu erbringen und das Gelesene auf die Wirklichkeit zu übertragen. Von daher kann ich nur jedem raten, Orwell zu lesen, und sich auch anderen dystopischen Romanen zu widmen.
Die Fiktion lehrt einen manchmal mehr über die Wirklichkeit, als die Nachrichten das vermögen.
Quellen und Anmerkungen:
(A) Eine Übersicht über die anderen Artikel dieser Serie finden Sie hier.