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Ohne mich!

Ohne mich!

Wenn das, was man für sein Leben gern macht, zum täglichen Albtraum wird, bleibt einem keine Wahl — man muss aussteigen. Ein Lehrer berichtet.

von anonym

„Ich wünsche dir ein gerades Leben“, sagte mir meine Großmutter wenige Tage vor ihrem Tod, als ich die fünf Stunden aus der Großstadt in die Heimat gefahren war und ahnte, dass ich sie zum letzten Mal sehen würde. Es sind Worte, die mich auf immer begleiten werden, wohl auch, weil sie so kryptisch klingen. Ebenso wie die tiefe Dankbarkeit, dass ich mich noch einmal von ihr verabschieden durfte. Meine Großmutter hat mich geprägt, meine Anschauungen, meine Überzeugungen, wuchs ich doch als kleines Kind in der Küche des Bauernhofes auf, wo sie sich um mich kümmerte, während meine Eltern arbeiteten.

Es mag seltsam erscheinen, einen Text über den Abschied aus dem Schulwesen mit einer solchen Erinnerung zu beginnen. Doch in den vergangenen Monaten musste ich oft an die Worte meiner Großmutter denken. „Ein gerades Leben.“ Anfangs hielten diese Worte mich davon ab, mir überhaupt den Gedanken an eine Kündigung zu erlauben. Den unerhörten Gedanken. Den unmöglichen Gedanken.

Ich war Deutschlehrer an einer Grundschule und liebte es, den Kindern Begeisterung fürs Lesen zu vermitteln. Ich liebe die Freude und den Stolz in den Augen der Kleinen, wenn sie einen Text mitlesen, begreifen oder vortragen können. Zu Stundenbeginn las ich stets eine kurze Geschichte vor, und hier lauschten selbst die Wildesten. Geschichten schlagen uns in ihren Bann. Viele davon bringen uns zusammen.

Und dann gibt es Geschichten, die haben die Macht, uns zu spalten.

Ich erinnere mich noch an den Augenblick, als mich der Gedanke an eine Kündigung das erste Mal durchzuckte. Es war auf einer dieser unendlich drögen Dienstbesprechungen im Herbst 2020. Natürlich gab es wieder einmal nur ein Thema: Corona. Das Virus. Die Angst. Die Gefahren durch die Schüler. Die bedrohten Risikogruppen. Fast das halbe Kollegium zählte sich dazu. Ich hatte gelernt, mich zu verstellen. Kein Kollege, keine Kollegin ahnte, dass ich zu den verrückten „Verschwörungstheoretikern“ gehören könnte, die all die Lockdown-Maßnahmen für Wahnsinn hielten.

Ich hatte mich seit April 2020 in ein inneres Exil begeben. Ich ging den anderen aus dem Weg, wo immer ich konnte. Mein Platz im Lehrerzimmer war verwaist. Morgens kam ich zur Schule und ging direkt in den Klassenraum. Als Klassenleiter nichts Außergewöhnliches. Und viele glaubten wohl, ich hätte Angst, mich im Lehrerzimmer anzustecken.

Mir fehlte der Austausch mit den Kollegen. Fast alle von ihnen sind hochkompetente und erfahrene Lehrkräfte, die ihren Beruf mit großer Leidenschaft ausüben. Trotz allem habe und hatte ich größten Respekt vor der Schulleitung, die im Wochentakt auf die unablässig wechselnden Vorgaben der Verwaltung reagieren musste. Stundenpläne wurden über den Haufen geworfen und neu erstellt. Hygienekonzepte erarbeitet. Neue Vorschriften verkündet. Der Druck von oben war enorm. Man spürte die Überforderung und Verzweiflung und die Angst, bloß keinen Fehler zu machen.

Auf jener Dienstbesprechung, bei der ich zum ersten Mal ans Kündigen dachte, stand der Maskenzwang auf der Tagesordnung. Bislang war das Tragen von Masken freiwillig gewesen, und da hatte man alle Varianten gesehen: Schal unter der Nase, medizinische Maske, aufwendiges FFP2-Tuch, bunte Stofflappen. Manchem war die Maske bereits zum Talisman geworden. Aus dem fünfzigköpfigen Kollegium taten nur eine Handvoll offen ihren Widerwillen kund. Ein paar weitere schwiegen sicherlich, so wie ich, weil sie wussten, dass die Schulleitung den „Kurs der Vorsicht“ fuhr und unbedingt positive Fälle an der Schule vermeiden wollte. Auf dieser Dienstbesprechung offenbarte sich nun ein Geist, der mich am Verstand der Kollegen zweifeln ließ. Fast alle bestanden auf einem absoluten Maskenzwang auf dem gesamten Schulgelände. Zu jeder Zeit. Auch für die Kleinsten, die teilweise gerade mal sechs Jahre alt waren.

Mir wurde innerlich übel. Die Äußerungen verrieten panische Angst. Jemand hatte von einem Corona-Fall gehört, Krankenhaus, Beatmung. „Lieber einen Fetzen im Gesicht als einen Zettel am Zeh“, rief jemand, als ein Kollege Bedenken anmeldete und sagte, dass man den Kindern doch nicht zumuten könne, stundenlang mit Masken dazusitzen.

Ich habe den Mund nicht aufgemacht. Bis heute schäme ich mich dafür. Ich mag keine Konflikte. Ich gehe Auseinandersetzungen aus dem Weg und suche die Harmonie. Hier jedoch wurde mir klar, dass es keine Harmonie geben konnte. Entweder man war dafür oder dagegen. Freund oder Feind.

Seit diesem Tag konnte ich nicht mehr gut schlafen. Ist das ein „gerades Leben“?, fragte ich mich Nacht für Nacht. Ich beruhigte mich anfangs, indem ich mir sagte, dass ich kein Kind zwingen würde, eine Maske aufzusetzen. Dann merkte ich, dass ich das gar nicht musste: Es gab drei, vier Kinder in der Klasse, die laut losschrien, sobald ein Mitschüler oder eine Mitschülerin die Maske nicht über der Nase hatte. Und sie fühlten sich im absoluten Recht. Verschämt zogen die Adressaten die Maske hoch. Ein paar bekamen Kopfschmerzen. Ich sagte einer Schülerin: „Geh doch auf den Gang hinaus, dort bist du allein und kannst die Maske runternehmen.“ Sie blickte mich völlig entgeistert an: „Das ist doch verboten.“ Sie hatte Ibuprofen dabei.

Am nächsten Tag kam sie zu mir und flüsterte leise: „Ich soll von meinen Eltern danke sagen. Wenn ich Kopfweh kriege, gehe ich gern auf den Flur raus.“

Dann folgte vor Weihnachten der harte Lockdown, der für die Schulen angeblich nur bis Anfang Januar dauern sollte. Doch keiner im Kollegium glaubte ernsthaft, dass die Bildungseinrichtungen im neuen Jahr wieder aufmachen würden. Und so kam es auch: Das Homeschooling wurde verlängert. Und wieder verlängert. Für alle war offensichtlich, dass die Kinder dabei nichts lernten. Einige nahmen an den Online-Besprechungen kein einziges Mal teil. Es gab kein wirkungsvolles Mittel, dagegen vorzugehen. Im Nachhinein erfuhr ich, dass manche mit ausländischen Wurzeln während dieser Zeit in die Heimat gereist sind, in südlichere Gefilde. Und ich kann es ihnen nicht verdenken.

Als ich mich im Dezember 2020 von der Klasse verabschiedete und den Kindern einen guten Rutsch wünschte, ahnte ich noch nicht, dass ich mehrere Schüler und Schülerinnen nicht mehr sehen würde. Drei von ihnen haben die Option gewählt, dank der ausgesetzten Präsenzpflicht nicht mehr zur Schule zu kommen. Kein Unterricht ab Dezember bis zum heutigen Tag.

Werden diese Kinder eines Tages gut lesen können? Wurden ihnen in den vergangenen Monaten Geschichten vorgelesen?

Auf das Homeschooling folgte im März das sogenannte „Wechselmodell“. Unterricht für die halbe Klasse, mal die eine Hälfte, mal die andere. Für mich war das stundenlange Maskentragen — und das Sprechen mit Maske — eine Tortur. Ich fühlte mich matt und abgeschlagen. Eine Krankschreibung kam für mich nicht in Frage. Ich spürte, dass ich als Klassenlehrer für viele Kinder ein fester Anker war. Sie merkten, dass ich keine Angst hatte. Bei mir durften sie sogar Gruppenarbeit machen, mussten im Klassenraum nicht weit auseinandersitzen, und wir gingen ganz oft ins Freie, auf „Exkursionen“, und hier konnten sie die Masken ablegen.

Ich habe ihnen nie gesagt, dass diese Exkursionen und die Gruppenarbeit eigentlich verboten waren. Ich hatte beschlossen, dieses Risiko einzugehen. Langsam aber sicher entwickelte ich mich zum Widerständler, noch immer nicht offen nach außen, aber innerlich hatte sich eine zunächst noch wacklige Wand aufgebaut, an der nun vieles abprallte, darunter eine harsche Ermahnung der Schulleitung, als ich einen Schüler nicht nach Hause schickte, weil dieser sich weigerte, in der Schule einen Selbsttest durchzuführen. Er hatte mir glaubhaft versichert, dass er sich zu Hause mit seinen Eltern getestet hatte … Hier folgte mein erster offener Akt des Widerstands: Ich erklärte der Klasse, dass ich eine Testung in der Schule nicht unterstützte und nur gegen meinen Willen durchführte.

Dies hatte eine Wirkung, die ich kaum für möglich gehalten hatte. Sämtliche Schüler und Schülerinnen teilten meine Ansicht. Und auch die Eltern. Die zweimal wöchentlich stattfindende Testorgie in der Klasse wurde zu einer kleinen Feier des Widerstands. Wir öffneten die Testpäckchen, holten die Röhrchen, die Verschlüsse, die Tupfer, die Plättchen heraus … Ich las eine Geschichte vor, und nach den absolvierten Tests warfen wir das Zeug in den Müll. Jeder Schüler war aufgeklärt: Selbst wenn der Test positiv ausfallen sollte, bedeutete das erst einmal gar nichts. Auf diese Weise gelang es, den potenziell sehr belastenden Vorgang des Testens für alle erträglich zu gestalten.

Es gab an der Schule in den Monaten April bis Juli in der Folge zwei „positive“ Fälle, beide erwiesen sich beim anschließenden PCR-Test als Fehlalarm. Krank war ohnehin keiner dieser Betroffenen.

Schon rasch wurde die Impfung dann zum alles beherrschenden Thema. „Was kriegst du?“ „Wann bist du dran?“ Nun wurde es konkret. Ich hatte im März mit vielen aus dem Kollegium gesprochen und wusste, dass sie die experimentellen Injektionen kritisch sahen, trotz ihrer Angst vor dem Virus. Diese Bedenken schienen sich in Luft aufzulösen. Oder war es doch der sanfte, allgegenwärtige Druck? Auf dem schwarzen Brett hing ab April eine Liste, in die sich die bereits geimpften Kollegen eintragen sollten. Sie wurde länger und länger. Bald wurden die Fragen hartnäckiger. „Du stehst ja noch gar nicht drauf? Wann bist du an der Reihe?“

In meinem Bekanntenkreis hatte ich mir die Formulierung angewöhnt, auf diese Frage zu antworten: „Ich finde, Probanden sollten gut bezahlt werden.“ An der Schule war Sarkasmus natürlich fehl am Platz. Ich sagte meistens einfach nichts, lächelte nur.

Kurz vor dem Ferienende mehrten sich Stimmen in der Öffentlichkeit, die eine Aufhebung des Maskenzwangs forderten. Rasch jedoch niedergebügelt von den sogenannten „Experten“. Auch an meiner Schule meldeten sich umgehend jene, die sich „unwohl fühlen würden“, wenn die Kinder keine Masken trügen. Inzwischen wurde von der Landesregierung beschlossen, die „Schutzmaßnahmen“ in den Schulen auch nach den Ferien fortzuführen. Und die anfangs bröcklige Wand in meinem Inneren ist inzwischen zu einer knallharten Betonwand geworden. Ich habe beschlossen, nicht mehr mitzumachen.

Ich habe gekündigt.

Mein tiefes Mitgefühl gilt den Kollegen und Kolleginnen. Ich weiß um ihre Ängste. Viele von ihnen haben sich um die ersten Impftermine gerissen. Doch auch mit dem Piks ist die Panik bei den meisten nicht verschwunden. Sie lesen und hören von Varianten, von nötigen Auffrischungen. Ich weiß nicht, wann für sie ein normales Leben wieder möglich sein wird.

Meine Großmutter würde sagen: „Ich bete für sie.“

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