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Offen für Kritik

Offen für Kritik

Im Exklusivgespräch mit Tom-Oliver Regenauer stehen die Vertreter der Technokratie-Bewegung aus den USA Rede und Antwort zu ihrer beängstigenden Ideologie. Teil 1/2.

Im Jahr 1919 gründeten 15 Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker unter der Leitung von Howard Scott in New York City die „Technical Alliance“, um zunächst die Verschwendung des kapitalistischen Systems zu dokumentieren. Kapitalismuskritik passte jedoch nicht zum Zeitgeist und die Gruppe löste sich zwei Jahre nach ihrer Gründung wieder auf.

Doch Howard Scott gab nicht so einfach auf. Getrieben vom Gedanken, die ultimative Lösung zu finden, gründete er 1933 gemeinsam mit Marion King Hubbert die „Technocracy Incorporated“. Die technokratische Bewegung war geboren.

Beide veröffentlichten ihr Konzept unter dem Titel „Introduction to Technocracy“. Es ist bis heute das Fundament, auf dem die Bewegung fußt. Nach dem Börsencrash von 1929 fielen die Ideen von Scott und Hubbert nun auch auf fruchtbaren Boden. Die vom „Schwarzen Donnerstag“ ausgelöste Weltwirtschaftskrise hatte das Vertrauen gegenüber dem kapitalistischen System nachhaltig zerstört. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lechzten nach neuen Ideen und Lösungen für das sozioökonomische Elend. Die Technokratie-Bewegung erlebte einen Boom.

Überall in den Vereinigten Staaten gründeten sich Ortsgruppen, die regelmäßige Treffen organisierten. In der Hochphase zählte die Bewegung allein an der Ostküste der USA über eine halbe Million offizielle Mitglieder. Die Ideologie expandierte nach Kanada, Deutschland und viele andere Länder. Nach 1948 flaute die Begeisterung für das Thema ab. Dennoch betreibt die „Technocracy Incorporated“ bis heute eine eigene Webseite, gibt einen monatlichen Newsletter heraus und organisiert Konferenzen.

Anhand dieser Geschichte könnte man annehmen, es handele sich beim Konzept der Technokratie um die Ausgeburt von ein paar avantgardistischen Wissenschaftlern und Utopisten, die außer ein paar netten Theorien nichts zustande gebracht haben. Doch weit gefehlt. Denn die Ideologie hatte Anhänger in den höchsten Kreisen gefunden. Hochfinanz und Geostrategen in der US-Politik realisierten sehr früh, dass ihnen mit der technokratischen Ideologie ein Werkzeug an die Hand gegeben wurde, mit dem sie ihre totalitären Visionen von Monopolismus, Hegemonie und Bevölkerungskontrolle auf globaler Ebene umsetzen konnten.

So beschlossen die Finanz-Oligarchen der US-Hegemonie schon in den 1930er Jahren, China zum Versuchslabor für das Modell einer technokratischen Gesellschaft zu machen.

Während der Nixon-Administration wurde intensiv an der Öffnung Chinas gen Westen gearbeitet. Vorgeblich, um das Land in seiner ökonomischen Entwicklung zu unterstützen.

Wie weit das Pilotprojekt der Technokraten in der Volksrepublik gediehen ist, zeigen aktuelle Bilder aus China, wo die Bevölkerung mit immer neuen Corona-Lockdowns und totalitären, technologischen Übergriffen gefügig gehalten wird. Das Smartphone dient den Machthabern als Fußfessel. Wer den erlaubten Bewegungsradius verlässt, Test-Zyklen nicht einhält oder kritische Nachrichten verfasst, muss mit staatlichen Sanktionen rechnen. Automatisiert.

Wer bei Lockdowns zu viel Zeit auf seinem Balkon verbringt, bekommt Besuch von einer Drohne, die den Freigänger unter Androhung von Sanktionen auffordert, sich in den Innenräumen aufzuhalten. Auf den Straßen patrouillieren Roboter. Widerstand ist zwecklos und verhallt in anonymen, zunehmend digitalen Räumen einer nicht greifbaren Bürokratie.

Sinnbildlich für dieses dystopische System ist der Umstand, dass Delinquenten und Kriminelle in China künftig von einem virtuellen Richter verurteilt werden sollen.

Dieses groteske Beispiel systematischer Entmenschlichung führt zum Kern der technokratischen Ideologie — denn die Technokraten vertraten von Beginn an den Standpunkt, dass Regierungen, Staaten, Währungen und auch unprofitable Menschen in einem perfekten System obsolet sind. Die Steuerung der Welt müsse primär über den Energieverbrauch erfolgen, da nur dieses Vorgehen eine optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen garantiere. Zudem, so die Überzeugung der Technokraten, ist Technologie nicht bestechlich, weniger fehleranfällig und frei von humanen Störfaktoren wie Moral, Ethik oder Empathie, die einem effizienten Energie-Management im Wege stehen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erscheinen die omnipräsenten UN-Nachhaltigkeitsziele, die Reduktion des individuellen CO2-Fußabdrucks sowie die postulierte Klima-Apokalypse in einem anderen Licht. Denn während diese Themen vordergründig den Eindruck erwecken, zum Wohle der Allgemeinheit verfolgt zu werden — um die Welt zu retten — sind sie im Kontext technokratischer Ideologie nichts weiter als totalitäre Kontrollwerkzeuge.

Natürlich ist die heutige „Technocracy Incorporated“ wenig mehr als ein Verein, der sich der Nachlassverwaltung und Mitgliederpflege widmet, die ursprünglichen Ziele der Bewegung aber werden mit mehr Nachdruck verfolgt als jemals zuvor.

All dies beschrieb Tom-Oliver Regenauer in einem ausführlichen Artikel, den er zu seiner eigenen Überraschung auf der Website ebendieses Vereins, den er kritisierte, in englischer Übersetzung entdeckte. Er kontaktierte die Organisation und zu seiner noch größeren Überraschung erklärten sie sich zu einem Gespräch bereit.

Da waren sich beide Parteien also schon einmal einig:

Anstatt nur übereinander zu schreiben, ist es wichtig, miteinander zu sprechen und gemeinsam zu debattieren.

Fazit dieser Unterhaltung: „Jedes System ist wertlos, wenn es keine Moral gibt.“


Tom-Oliver Regenauer im Gespräch mit Justin Lazarra und Charmie Gilcrease von Technocracy Inc.

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