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Nützliche Angstmacher

Nützliche Angstmacher

Die angebliche Terrorzelle „Sauerland-Gruppe“ könnte ein Fake gewesen sein.

Am 4. September 2007 überfiel die Antiterroreinheit GSG 9 ein Ferienhaus in Oberschledorn im Sauerland und verhaftete drei junge Männer, die von den Behörden verdächtigt wurden, einen Terroranschlag zu planen (1). Es waren Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Adem Yilmaz. Ein vierter mutmaßlicher Komplize, Attila Selek, wurde im November 2007 in der Türkei, in Konya, verhaftet (2) und später nach Deutschland überführt (3). Alle vier wurden angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Diese Gruppe erhielt bald die Bezeichnung „Die Sauerland-Gruppe.“

Schon vor der Jahreswende 2006/7 sind mehrere Dutzend – laut einigen Quellen sogar mehr als einhundert – „Experten“ der CIA nach Deutschland eingereist, um die vier jungen Männer zu observieren. Darunter sollen nahkampferprobte Ex-Soldaten der Elitetruppe Navy Seals gewesen sein. Sie sollen im nordrhein-westfälischen Neuss untergebracht worden sein, wo schon seit Jahren eine Kommandozentrale für ein geheimes Spionageprogramm von CIA, BND und Verfassungsschutz, „Projekt 6“, betrieben wurde (4). Über die Anwesenheit der CIA-Teams seien nur das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium unterrichtet gewesen. Deutsche Behörden wollten diese Meldungen nicht kommentieren. Der Neusser Bürgermeister Herbert Napp, CDU, sagte nur, er hätte davon „nicht den Hauch einer Ahnung“ (5).

Presseberichten zufolge hatte die Sauerland-Gruppe über eine Zeitspanne von acht Monaten 720 kg 35-prozentiges Wasserstoffperoxid in zwölf 60-Liter-Behältern gekauft und die Behälter, zwei Stück auf einmal, in einem Mietwagen vom Händler in Hannover nach Freudenstadt in Baden-Württemberg transportiert (6). Diese wurden in einer gemieteten Garage gelagert (7). Am 31. August 2007 mieteten sie ein Ferienhaus in Oberschledorn, um dort ihre Bomben zu basteln. Die bärtigen jungen Männer konnten keinen besseren Ort finden als ein verschlafenes Dorf, um aufzufallen (8).

Kurz nach der Verhaftung behaupteten die Behörden, dass die Gruppe ihre Bomben in Kneipen, Restaurants, Diskotheken und Flughäfen detonieren lassen wollten (9), unter anderem in Stuttgart, München, Köln, Frankfurt, Dortmund, Düsseldorf und in Ramstein, wo die USA eine riesige Militärbasis unterhalten (10). Statt die Gruppe auf Grund des dringenden Verdachts schon früher zu verhaften, hatte die Polizei, laut eigenen Angaben, die Garage in Freudenstadt heimlich besucht und das Wasserstoffperoxid durch eine harmlose Lösung von nur drei Prozent ersetzt (11).

Die Gruppe war vor ihrer Verhaftung monatelang von hunderten Ermittlern aus mehreren deutschen und amerikanischen Diensten rund um die Uhr überwacht worden (12). Die Telefongespräche der einzelnen Mitglieder wurden abgehört und ihre Wohnungen und Autos wurden verwanzt (13). Die Überwachungsmaßnahmen der Gruppe sollen von der US-amerikanischen NSA initiiert worden sein (14).

US-Beamte sollen auch „subtilen Druck“ auf ihre deutschen Kollegen ausgeübt haben, damit diese die Gruppe als sehr gefährlich einstuften. Michael Chertoff, damaliger Chef des US-Heimatschutzministeriums, besuchte zu diesem Zweck den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble in seiner Residenz in Gengenbach (15). Auch Präsident Bush soll Kanzlerin Angela Merkel beim G-8-Treffen seine Sorge über die Sauerland-Gruppe zum Ausdruck gebracht haben (16).

Die verzögerte Festnahme war angeordnet, um den Fall politisch so gut wie möglich auszuschlachten. Nur nachdem die Möchtegern-Terroristen ihre Bombenbrühe zu kochen begannen, konnte Generalbundesanwältin Monika Harms die Verhaftungen als einen Erfolg bei der Vereitelung „eine[r] der bislang aus unserer Sicht schwerwiegendsten terroristischen Anschlagsplanungen in diesem Land“ bezeichnen (17). Die Medien sprachen vom „gefährlichsten Terroranschlag in der deutschen Geschichte,“ der nur dank der Polizei, der Geheimdienste und der US-amerikanischen Freunde verhindert wurde (18).

Nachdem die Beschuldigten im Gerichtsverfahren lange schwiegen, beschlossen sie plötzlich, einer nach dem anderen, „ihre Motive zu erklären“ und ihr Vorhaben zu „beichten“ (19). Gelowicz bestritt die Motivation, „einfach Ungläubige töten zu wollen.“ Er habe auch keinen Hass auf die westliche Kultur empfunden. Er soll dem Gericht gesagt haben, „Kernproblem [sei] die Palästina-Frage“ und die „Amerikaner als Schutzmacht Israels“ gewesen (20). Von seinem Interesse für die Rechte der Palästinenser hat niemand zuvor etwas bemerkt.

Die vier Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt (21). Ein nicht identifiziertes Mitglied der Gruppe, das ihnen Sprengzünder geliefert haben soll, wurde zu einer 5-jährigen Haftstrafe verurteilt, aber schon im Jahr 2012 freigelassen (22). Attila Selek und Daniel Martin Schneider sind ebenfalls wieder auf freiem Fuß (23). Noch Fragen?

Wer sämtliche Berichte über die Sauerland-Gruppe gelesen hat, kann nicht so seelenruhig zur Tagesordnung übergehen, denn sogar etablierte Medien äußerten Zweifel über die offizielle Darstellung der Fakten (24). Waren weitere Komplizen im Spiel? Waren die vier Angeklagten wirklich fanatische Islamisten? Welche Rolle spielten die Geheimdienste hinter den Kulissen? Und ganz besonders: Warum agierten die Angeklagten so arglos, sogar nachdem sie sich ihrer Überwachung bewusst waren?

Auffällig und provokant

  • Am 31. Dezember 2006 – also nach der Einreise der CIA-Einsatzkräfte nach Deutschland – fuhren Fritz Gelowitz, Attila Selek, Ayhan T. und Dana Boluri (25) nach Hanau-Lamboy, wo das 18. US Corps Support Battalion stationiert ist (26). Seit ihrer Abreise aus Frankfurt wurden sie von deutschen Agenten beschattet (27). Im Observationsprotokoll, aus dem Der Spiegel zitiert, heißt es: Die Verdächtigen „umfahren mehrfach, dabei unter anderem auch im Schritttempo, das dortige Gelände der US-Armee. Dabei schauen sie aufmerksam in das Innere der Liegenschaften. Sie interessieren sich insbesondere für die Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten“ (28). Sie sollen auch zur Identitätskontrolle von der Polizei angehalten worden sein.
  • Laut der taz und anderer Medien soll Attila Selek etwa am 5. Januar 2007 seinen Wagen an einer roten Ampel plötzlich verlassen und die Reifen des Polizeiwagens, der ihm folgte, aufgeschlitzt haben (29). Laut der Süddeutschen Zeitung war es Gelowicz, der so agierte: Einmal, das berichtete Gelowicz in seiner Aussage, seien ihnen die Leute vom Staatsschutz mit ihren Autos derart dicht auf die Pelle gerückt (sic), dass sie einem der staatlichen Verfolger den Reifen zerstochen hätten (30).
  • Am 6. Januar 2007 wurden die Wohnungen von Attila Selek, von Fritz Gelowicz und dessen Vater durchsucht (31). Und im April 2007 durchsuchten Ermittler erneut Gelowicz’ Wohnung (32). Im Mai 2007 berichtete das Magazin FOCUS ausführlich über diese Durchsuchungen. Nur die Namen der Verschwörer wurden nicht genannt (33). Die Gruppe ließ sich aber nicht von solchen Enthüllungen abhalten.
  • Im Mai 2007 – so Der Spiegel – soll ein Beobachtungsteam bemerkt haben, wie Adem Yilmaz und seine Freunde eine Schlägerei vor einer Disco in Darmstadt beginnen wollten. Als ihr Versuch scheiterte, liefen sie davon und begannen, die Reifen von amerikanischen Fahrzeugen aufzuschlitzen, bis eine Polizeieinheit eingriff (34). Von einer Festnahme ist nichts bekannt.
  • In der Annahme, dass die Verschwörer FOCUS nicht gelesen hatten, musste Gelowicz’ Beharrlichkeit noch einmal getestet werden: Im Juli 2007 soll ihn der Journalist Rainer Nübel von der Zeitschrift STERN besucht haben (35). War Gelowicz deutschen Medien schon als „Möchtegern-Terrorist“ bekannt?
  • Am Tag vor ihrer Verhaftung geriet die Gruppe in eine Verkehrskontrolle, bei der ihre Papiere überprüft wurden. Als der Polizist ihre Namen im Computer fand, soll er laut den Angeklagten gemurmelt haben: „Das BKA ist nochmal dran“ und ließ sie weiterfahren (36). Fand der Polizist einen Vermerk, wonach die Männer nicht belästigt werden sollten?

Die Mitglieder der Gruppe wussten, dass sie überwacht wurden (37). Dass sie sich nicht vor einer Festnahme fürchteten und dass die Polizei sie auch nicht verhaftete, deutet auf ein gutes Zusammenspiel hin.

Die offenkundige Unbekümmertheit der Verschwörer veranlasste die New York Times zu folgendem Kommentar: „Es ist schwer sich vorzustellen, wie Herr Gelowicz, nach so viel Aufmerksamkeit durch die Polizei, immer noch denken konnte, erfolgreich zu sein“ (38).

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) fragte ihrerseits „Waren die angeblichen Terroristen rücksichtslos, dumm oder haben sie weiterhin ihre Handlung trotz der Überwachung fortgesetzt, um von anderen Aktivitäten abzulenken“ (39)? Auch die Bild-Zeitung fragte, warum die angeblichen Terroristen – die sich ihrer Überwachung bewusst waren – ihre Verschwörung fortsetzten (40). Das waren gute Fragen, auf die die Journalisten aber keine Antworten geben konnten oder wollten.

Die V-Leute im Umfeld der Sauerland-Gruppe

Nachträglich gehörten mit Sicherheit zumindest drei V-Leute ins Umfeld der vier Mitglieder der Sauerland-Gruppe.

Yahia Youssif

Ab 2003 soll Dr. Yehia Youssif, ein charismatischer Hassprediger in Neu-Ulm, die Mitglieder der Gruppe für den „Heiligen Krieg“ radikalisiert haben (41.) Er soll nicht nur „der Hirnwäscher für etliche Angehörige der Sauerland-Gruppe“, sondern auch für deren Dunstkreis „von vierzig, fünfzig jungen Leuten“ gewesen sein, von denen viele „inzwischen in Terrorcamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet“ landeten (42).

Dr. Youssif trug aber noch einen zweiten Hut. Zumindest zwischen 1995 und 2002 arbeitete er als V-Mann für den baden-württembergischen Verfassungsschutz (43). Nach Angaben des CDU-Politikers Edwald T. Riehtmüller vertrat Dr. Yousif sogar das Amt auf einer internationalen Tagung in London (44). Es wäre peinlich gewesen, wenn Dr. Yousif im Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe hätte einräumen müssen, dass er für den Verfassungsschutz Mitglieder der Gruppe zum Dschihad verführte. Für die deutschen Behörden ein glücklicher Umstand: Vor dem Prozess zog Dr. Yousif von Deutschland nach Saudi-Arabien (45).

Mevlüt Kar

Bereits 2004 soll der Bundesnachrichtendienst über die Geheimdiensttätigkeit des deutsch-türkischen Mevlüt Kar informiert gewesen sein (46). Laut Gerhard Piper war es Yehia Youssif zu verdanken, dass Mevlüt Kar sich der türkischen Gruppierung Beyyiat El-Imam, deutsch: Imam-Einheit, anschloss, die ihrerseits in Verbindung zur al-Qaida stand (47).

Kar war gleichzeitig Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT und der CIA (48). Er lieferte Fritz Gelowicz, der zurück nach Deutschland zog, überwiegend defekte Sprengzünder.

Eric Breininger

Einer der V-Männer wohnte sechs Wochen lang mit Daniel Schneider zusammen und leitete „unter anderem“ Details über dessen Tagesablauf von seinem Laptop an die Behörden weiter. Er habe „wertvolle Informationen zu Schneider und seinen Kontaktpersonen“ geliefert, heißt es in einem Vermerk der Ermittler (49). Dieser V-Mann war Eric Breininger, der vor der Verhaftung der Gruppe aus Deutschland ausreiste. Er erschien danach in dschihadistischen Propagandavideos, die deutsche Medien genüsslich präsentierten(50).

Am 30. April 2010 soll Breininger, laut Berichten einer nicht näher identifizierten Kampforganisation in Waziristan ums Leben gekommen sein. Ob er überhaupt starb und wenn ja, wie und wo, ist nicht bekannt. Deutsche Medien berichteten jedoch ausführlich über seinen mutmaßlichen Tod. Dass Breininger als ein V-Mann der Geheimdienste agierte, wurde zwar nicht öffentlich eingeräumt, aber die CIA zeigte sich ungewöhnlich besorgt über die Recherchen des NDR-Journalisten Stefan Buchen.

Er soll gesagt haben, dass der Fall Breininger ihn „nachdenklich gemacht“ hätte und er wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass sich „Propaganda eines Islamisten und Propaganda der Dienste seltsam ergänzt“ hätten. Die CIA soll daraufhin versucht haben, sich mit Hilfe ihrer deutschen Partnerdienste intensiv nach Buchen zu erkundigen. Kam Buchen Informationen über die wahre Rolle Breiningers etwas zu nahe (51)? Die CIA jedenfalls wusste genau, in welchem Gebäude in Pakistan deutsche Rekruten Breiningers lebten, um sie mit einer Drohne „auszuschalten“ (52).

Weitere V-Leute

Die Verteidiger von Adem Yilmaz und Attila Selek erklärten in einer Pressemitteilung, V-Leute der Nachrichtendienste würden in einer Weise an die Gruppe herangeführt, dass diese teilweise zu eigentlichen Akteuren geworden seien. So sei ein V-Mann die „treibende Kraft“ bei der erwähnten Ausspähfahrt der Gruppe an Silvester 2006 in Hanau gewesen (53). Rechtsanwalt Manfred Gnijdic, Strafverteidiger von Fritz Gelowicz, sagte in einem Interview in der Wochenzeitung Freitag, dass die „Kontakte von Geheimdiensten zu Gelowicz und seinen drei Mitstreitern [...] eine sehr hohe Dichte“ hatten, ohne dies näher zu erläutern (54).

Es war für die deutsche Justiz sehr praktisch, dass die V-Leute, die sich um die Sauerland-Gruppe tummelten, aus Deutschland rechtzeitig wegzogen und damit für eine Zeugenaussage nicht mehr zur Verfügung standen.

Die Arglosigkeit der Gruppe und ihr dilettantisches Vorgehen legen nahe, dass ihre „Terrorführer“ von ihnen nicht einen tatsächlichen Terroranschlag erwarteten, sondern dass sie diese damit beauftragten oder köderten, um eine nützliche Terrorlegende aufzubauen. Dieser Verdacht beruht unter anderem auf dem Ersatz des Wasserstoffperoxids und die Lieferung von defekten Sprengzündern.

Der politische Nutzen

Mit der Enthüllung der mutmaßlichen Verschwörung sollten Medien gefüttert werden, um die Fiktion der Terrorbedrohung weiter zu pflegen. Politiker erhielten erneut einen Anlass, die polizeilichen Befugnisse zu erweitern und den Rechtsstaat auszuhöhlen. Der Fall der Sauerland-Gruppe gab außerdem einen weiteren Anstoß für eine noch engere Zusammenarbeit zwischen deutschen und US-amerikanischen Sicherheitsdiensten.

Laut Paul Schreyer verlief die Einführung neuer Gesetze in Deutschland zügig:

Noch in der Woche der Festnahmen von Gelowicz und Co. im September 2007 berief Wolfgang Schäuble eine Sondersitzung der Innenminister ein. Er hatte konkrete Forderungen: man brauche nun endlich die Online-Durchsuchung und außerdem müsse bereits der Aufenthalt in Terrorausbildungslagern Straftatbestand werden. Nur wenige Tage später einigten sich die Innenminister auf eine Verschärfung der Antiterrorgesetze. Mission accomplished (55).

Die Rolle der Justiz

Schon drei Tage nach ihrer Festnahme unterstellte Ministerialrat August Henning Fritz Gelowitz, der noch als unschuldig galt, „eine enorme kriminelle Energie.“ Er wäre „mit Hass gefüllt“ (56). Die Sauerland-Gruppe war von der ersten Minute an in der Öffentlichkeit vorverurteilt. Damit gaben die Behörden dem Gericht die Marschrichtung vor.

Das Gericht versuchte weder die Wahrheit über den Tatverlauf herauszufinden, noch Gerechtigkeit zu sprechen, sondern ein politisch gewünschtes Urteil zu konstruieren. Um diese Konstruktion glaubhaft zu machen, ignorierte das Gericht wichtige Zeugen und Tatbestände, schenkte den Aussagen der Angeklagten volles Vertrauen und unterließ es, unbewiesene Sachverhalte zu prüfen:

  • Die Rolle der V-Leute im Umfeld der Angeklagten und die Rolle der CIA wurden vom Gericht völlig ausgeklammert.
  • Das Gericht unterließ es festzustellen, wie die Angeklagten ihre zahlreichen Reisen nach Saudi-Arabien, Syrien, Türkei, Iran und Pakistan und ihren Aufenthalt in diesen Ländern finanzierten.
  • Das Gericht verließ sich gänzlich auf die Aussagen der Angeklagten über ihre persönliche Entwicklung, Radikalisierung und ihren mutmaßlichen Aufenthalt in Saudi-Arabien, der Türkei, Syrien, Iran und Pakistan.
  • Das Gericht verließ sich auf die einseitigen Bewertungen des IJU, einer mutmaßlichen „Terrororganisation“, der sich drei der Angeklagten angeblich angeschlossen hatten.
  • Verheimlicht wurden die Namen der beisitzenden Richter; die Urteilsbegründung; die Aussagen der Angeklagten, die einen „tiefen Einblick in die Terrorszene“ ermöglichten (57); die Aufzeichnungen ihrer Telefonate und die Namen der Schleuser, die sie durch den Iran nach Waziristan brachten.
  • Obwohl die Angeklagten in Waziristan konspiratives Verhalten gelernt haben sollen, verhielten sie sich während der Vorbereitung ihrer mutmaßlichen Anschläge in Deutschland so auffällig und provokativ, dass sie mehrmals von der Polizei gestoppt wurden. Hatten sie ihre Ausbildung vergessen, oder gab es andere Gründe für ihr argloses Verhalten? Das Gericht konnte dafür keine plausible Erklärung bieten.
  • Die Angeklagten äußerten allerlei Gründe für ihre terroristischen Pläne: Man wollte viele „Ungläubige“ töten; es sollten hauptsächlich Amerikaner sein; dann sollte eine Autobombe am Düsseldorfer Flughafen detonieren; mittels eines Anschlags sollte Deutschland gedrängt werden, seine Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen; auch eine Solidaritätsaktion mit den Palästinensern sollte es geben. Das Gericht versuchte nicht zu klären, wieso die Möchtegern-Terroristen nicht einmal den genauen Grund ihrer Aktionen nennen konnten.
  • Das Gericht klärte nicht, von wem die Angeklagten eine Garage gemietet hatten und wem das Fahrzeug gehörte, von dem sie das Autokennzeichen gestohlen hatten. Wegen dieses Diebstahls wurden sie übrigens nicht angeklagt.
  • Merkwürdig war die Art, in welcher Gelowicz sich zur Frage der Geheimdienste ausdrückte. Er sagte unter anderem vor Gericht: „Ich habe die Tat nicht gemacht, weil ein Geheimdienst es wollte.“ Es sei auch niemand „vom Geheimdienst ferngesteuert“ worden (58).
  • Gelowicz soll nach seiner Aussage den vorsitzenden Richter gefragt haben, ob er „was ausgelassen“ habe (59). Hatte er seine Aussage mit der Staatsanwaltschaft und dem Richter im Voraus abgestimmt?

Obwohl die Journalistin Claudia Wangerin folgende Zeilen nicht spezifisch zum Fall der Sauerland-Gruppe geschrieben hat, treffen sie haargenau auch auf diese Geschichte zu:

Mehr denn je stellt sich jetzt die Frage, wie viele Politiker die Geheimdienste fürchten müssen – und wie groß der ‚tiefe Staat‘ ist, das kriminell-faschistoide Netzwerk im Sicherheitsapparat, das sich in der ausgehöhlten bürgerlichen Demokratie breitgemacht hat wie ein Krebsgeschwür. [...] Die Arbeitsplätze bei den Geheimdiensten sind sicher – notfalls erfinden sie Anschläge, die sie verhindert haben (60).


Quellen und Anmerkungen:

(1) Peter Carstens, Wie’n zweiter 11. September, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2008
(2) Ebd.
(3) Sauerland-Angeklagte planten ‘Massenmord’, Der Spiegel, 2.3.2010
(4) Sven Heymanns, Projekt 6: Geheimes Spionageprogramm von CIA, BND und Verfassungsschutz, WSWS, 13.9.2013; auch: Geheimes Netzwerk der CIA in Neuss aufgedeckt, Die Welt, 8.9.2013
(5) Hatte die CIA eine Kommandozentrale in einer Sparkasse in Neuss? WAZ, 30.6.2013
(6) Peter Carstens, Anm. 1
(7) Prozess Sauerland-Gruppe: Terroristen kaufen monatelang Wasserstoffperoxid, Ruhr Nachrichten,
12.5.2009
(8) Anschläge auf Großstädte geplant, stern, 5.9.2008
(9) Ebd.
(10) Terror-Vorbereitungen mit Hartz IV bezahlt, Welt Online, 6.9.2008
(11) Prozess Sauerland-Gruppe (...), Anm. 7
(12) Nicholas Kulish & Souad Mekhennet, In plot suspect, Germany sees familiar face, The New York Times, 7.9.2007
(13) Christian Rath, Unter den Augen der Polizei, taz, 21.4.2009
(14) Simone Kaiser, Marcel Rosenbach & Holger Stark, Operation Alberich, Der Spiegel, 10.9.2007
(15) Ebd.; auch Peter Carstens, Anm. 1
(16) Ebd.; auch Peter Carstens, Anm. 1
(17) Zitiert in Walter van Rossum, Ein Käfig voller Enten? Recherchen zur Sauerlandzelle, Deutschlandfunk, 12.5.2009
(18) Ebd.
(19) Terror Suspects Will Make Full Confessions, Spiegel Online, 9.6.2009
(20) Ein Deutscher und sein Weg zum heiligen Krieg, Die Welt, 10.8.2009
(21) Yassin Musharbash, Germany Ends Biggest Case Since RAF, Der Spiegel, 4.3.2010
(22) Mitglied der Sauerland-Gruppe lebt in Freiburg – Gefahr für den Papst? Badische Zeitung, 12.7.2012
(23) Holger Schmidt, Gefahr durch entlassene Terroristen? SWR, 18.9.2015
(24) Martin Knobbe, Welche Rolle spielten die Geheimdienste? stern, 4.3.2010
(25) Simone Kaiser et al, Anm. 14,; auch Nicholas Kulish et al, Anm. 12
(26) Peter Carstens, Anm. 1
(27) Holger Stark, Suspect in German Bomb Plot Tells His Story, part 2, Spiegel Online, 15.11.2007
(28) Der innerste Ring, Der Spiegel, 46/2007
(29) Christian Rath, Anm. 13; auch Peter Carstens, Anm. 1
(30) Hans Leyendecker, Mörderisch und höflich, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010
(31) Peter Carstens, Anm. 1
(32) Peter Carstens, Schlag gegen Terror: Viele Fragen bleiben offen, FAZ, 6.9.2007
(33) Islamisten drehten schon Abschiedsvideos, FOCUS, 12.5.2007
(34) Simone Kaiser et al, Anm. 14
(35) Walter van Rossum, Anm. 17
(36) Irene Geuer & Paul-Elmar Jöris, Terror hausgemacht, Deutschlandfunk, 21.4.2009
(37) Susanne Rost & Annika Joeres, Der Anführer der islamistischen Sauerland-Gruppe legt vor Gericht ein Geständnis ab, Berliner Zeitung, 11.8.2009
(38) Irene Geuer et al, Anm. 36
(39) Peter Carstens, Anm. 1
(40) Nikolaus Blome, Die Merkwürdigkeiten im Fall der deutschen Terror-Bomber, Bild, 9.9.2007
(41) Peter Carstens, Anm. 1
(42) Ebd.
(43) Eren Güvercin, Dubiose Machenschaften des Verfassungsschutzes sind nichts Neues, Telepolis, 17.11.2011
(44) Sebastian Range, Konstrukteure des Terrors, Hintergrund, 27.1.2011
(45) Paul Schreyer, Ferngelenkte Terroristen?, Telepolis, 13.3.2010
(46) V-Mann unter Beschuldigten, Frankfurter Rundschau, 5.8.2009
(47) Gerhard Piper, Das Arbeitsleben des V-Manns Mevlüt Kar in Deutschland, Telepolis
(48) Rainer Nübel, Mutmaßlicher CIA-Mann war ‘der Chef’, stern, 4.2.2009
(49) Geheimdienste unterwanderten früh die Sauerland-Gruppe, Der Spiegel, 6.9.2008
(50) Hamburger Abendblatt, 22.10.2008; Die Welt, 21.10.2008; Tagesspiegel, 20.10.2008; Deutsche Welle, 22.10.2008; Badische Zeitung, 23.10.2008
(51) Hans Leyendecker, Heikle Fragen, Süddeutsche Zeitung, 9.9.2013
(52) Die CIA kannte den Wohnort der Deutschen, Badische Zeitung, 6.10.2010
(53) Yassin Musharbash, Sauerland-Prozess: Verteidiger beklagen unfaires Verfahren, Spiegel Online, 22.4.2009,
(54) Jürgen Elsässer, Unklar: Die Verwicklung der Geheimdienste - Interview mit Rechtsanwalt Manfred Gnjidic, Der Freitag, 11.8.2009
(55) Paul Schreyer, Anm. 45
(56) Nicholas Kulish and Souad Mekhennet, Anm. 12
(57) Ein Deutscher und sein Weg zum heiligen Krieg, Die Welt, 10.8.2009
(58) Zweiter Angeklagter legt Geständnis ab, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010
(59) Hans Leyendecker, Anm. 30
(60) Claudia Wangerin, Krebsgeschwür muss weg, junge Welt, 8.4.2016

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