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Nicht von ungefähr

Nicht von ungefähr

Die AfD kann ihre Heilsversprechen nicht einlösen — wenn sie dennoch im Osten reüssiert, liegt das auch am Versagen links-liberaler Kräfte.

„Die von drüben“

Im Osten ist die Stimmung anders als „drüben“. „Die von drüben können mich mal, die reiten uns nur immer tiefer rein“, sagt ein Mittfünfziger wenige Tage vor Wahl im Gespräch mit der Autorin. Seine Frau stimmt ihm zu und ergänzt: „Das ist viel schlimmer als früher.“ Wahlen brächten sowieso nichts. „Sonst wären sie verboten“, ist sie sicher. Man könne „denen da oben“ nur „einen Denkzettel verpassen“. Als „Denkzettel“ betrachten beide, nicht zum ersten Mal, die Wahl der AfD. Klar sei die „auch schon ein Teil der kapitalistischen Einheitsfront“, betont sie. „Aber die tun wenigstens was und sind noch auf der Straße.“

Das Paar lebt in einem Plattenbau am Rande einer Kleinstadt nahe Magdeburg. Er lernte zu DDR-Zeiten Schlosser, arbeitete in einem VEB, wie er berichtet. Die Firmen, in denen er nach dem Anschluss an die BRD malochte, kann er nicht mehr zählen. Zu Beginn von Corona habe er seinen Job bei einem Automobilzulieferer verloren. Seither ist er krankgeschrieben: die Bandscheiben, der Rücken. Seine Frau hat eine Teilzeitstelle in einem Supermarkt. Ihr Job sei sicher, sagt sie, aber mies bezahlt.

„Die von drüben“ seien „gierige Abzocker“, wettert er. Sie nickt. Dass auch das AfD-Personal mit bezahlten politischen Ämtern vorwiegend aus dem Westen stammt, sei dennoch „erst mal Nebensache“. Ob denn die AfD die Abzocke beseitigen könne und wolle? „Die treten den Etablierten zumindest auf die Füße“, findet sie.

Und ihr Mann fügt das Unvermeidliche an: „Die holen wenigstens nicht immer mehr Ausländer ins Land, die uns dann auf der Tasche liegen.“ Ob er glaubt, dass die Politik sein Krankengeld erhöhen würde oder es bessere Arbeitsplätze gäbe, wenn „die Ausländer“ nicht da wären? Er gerät in Rage: Er habe „keineswegs was gegen alle Ausländer“. Und: „Dann müssen wir Deutschen eben danach eine Revolution machen.“ Was seiner Meinung nach vor dem „Danach“ konkret passieren soll, blieb vage im Gespräch. Man müsse erst mal „den Corona-Schwachsinn beenden“ und „ein bisschen Ordnung schaffen“, überlegt er. Und er versteht nicht, warum weiterhin so viele CDU wählen.

Schwarze Aufstiegsversprecher

Die „Versager von der CDU“ haben in der Tat ein starkes Standbein im Osten. In Sachsen-Anhalt stiegen sie am 6. Juni sogar unerwartet wieder auf, griffen über 37 Prozent der Stimmen ab. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, ist ein Blick in die Geschichte nötig.

Die West-CDU, damals unter Helmut Kohl, witterte ihre Chance sehr früh. Kaum war die Mauer gefallen, standen ihre lächelnden Mitglieder in adretten Anzügen, die Blockflöten-CDU aus der DDR im Schlepptau, auf den Montagsdemos Spalier. Auf Transparenten versprachen sie „Wohlstand für alle“ und priesen die D-Mark an. Endlich shoppen wie in Hamburg oder Köln! Endlich reisen, wohin das Herz begehrt – sofern das Konto voll ist. Ihr politisches Personal stieg mit der ersten bundesweiten Wahl 1990 schnell auf. Doch das Bruder-Schwester-Feeling ließ rasch nach.

Die Landschaften blühten, aber die Mieten stiegen schneller als die Löhne. Wer konnte, verließ den Osten mit seinem überteuert aufgeschwatzten, schrottreifen Gebrauchtwagen, um sich in Hannover oder Frankfurt am Main für 1.000 D-Mark mehr zu verdingen. Familien zerbrachen, Frauen wurden an den Herd verbannt, während ihre Männer auf Montage im Ruhrpott malochten. Und die NPD? Die übernahm in den Provinzen die Jugendarbeit. Die Gewalt auf den Straßen gegen ausländische Vertragsarbeiter und Punks eskalierte.

Wohl dem, der sich in die Selbstvermarktung seiner Arbeitskraft rasch einfuchste. Noch wohler dem, der schnell sein Fähnchen drehte und es verstand, sich bei den neuen schwarzen Vortänzern genügend anzubiedern. Wer etwas werden wollte, trat in die CDU ein. Sie war die neue „Mitmachpartei“.

Als Belohnung für CDU-Treue gab es Grillfeste, Anerkennung und den einen oder anderen lukrativen Arbeitsplatz. Letztere waren Mangelware in der neuen Zone, insbesondere für Ex-DDR-Bürger. Und wer nichts wurde, weil ihn das Arbeitsmarktgerangel überforderte, fand zur Not ein offenes Ohr bei der NPD, die mehr Verfassungsschutz enthält als Mohnkuchen Mohn. Die NPD-Kader aus dem Westen trugen Anzüge statt Springerstiefel. Sie hatten sich fix günstige Immobilien zwischen Elb- und Oderstrand gesichert.

„Mitmachparteien“ mit Zielgruppen

Die Westdeutschen, die sich die Rosinen aus der ausverkauften DDR-Wirtschaft herausgepickt, politische und behördliche Posten übernommen hatten oder beides, haben die Optik des Ostens verändert. An den Rändern von Städten wie Magdeburg, Dresden, Potsdam oder Leipzig verdrängten ihre Eigenheim-Siedlungen die blühende Landschaft. Sie besetzten die Verwaltungen bis ins kleinste Dorf mit ihren Günstlingen, Dienstwagen inklusive.

Die CDU spielte vorne. Wer beißt schon in die Hand, die ihn füttert? Die neuen echten oder nur gefühlten Aufsteiger wählten schwarz. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die Plattenbaugebiete, in denen früher Chef und Arbeiter Tür an Tür lebten und abends ein Bier zusammen tranken, verkamen zu „sozialen Brennpunkten“. Ihre Bewohner, die „Zurückgebliebenen“, lernten in der harten Schule des Marktes ihre neue Freiheit kennen: Zum Beispiel, dass man einen Kapitalisten nicht mal eben wie einst den VEB-Betriebsleiter absetzen kann, wenn er Malocher schikaniert. Das ist das Ding mit dem Eigentum an Produktionsmitteln: Jeder DDR-Beschulte weiß, wovon die Rede ist.

Trotz ausgedehnter Mitmachangebote von NPD und Co für deutsche Abgehängte liefen die „kleinen Leute“ dabei keineswegs im Übermaß ins braune Lager ab. Die kruden Thesen des Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU), wonach die „Ossis“ „teilweise in einer Form diktatursozialisiert“ und „auch nach 30 Jahren noch nicht in der Demokratie angekommen“ seien, sind schlichtweg bürgerliche Propaganda.

Zwar fanden die ultrarechten, verschmähten kleinen Schwestern des rechten Mainstreams um die CDU herum schon lange vor der AfD vor allem bei Arbeitern und Erwerbslosen einen gewissen Anklang. Die NPD zog beispielsweise 2004 mit 9,2 Prozent in den sächsischen Landtag ein, in Mecklenburg-Vorpommern kam sie 2006 auf 7,2 Prozent. Die DVU schaffte es 1998 mit fast 13 Prozent ins sachsen-anhaltische Parlament.

Zugleich jedoch erlebte die Partei Die Linke beziehungsweise ihre Vorgängerin die PDS im Osten einen Höhenflug. Noch vor zehn Jahren punktete sie in Sachsen-Anhalt mit fast 24 Prozent. Das waren mehr als doppelt so viele Stimmen wie am 6. Juni 2021. Im Jahr 2004 erreichte sie in Brandenburg 28 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 24 Prozent. In Sachsen wählte sie zwischen 1999 und 2009 rund ein Fünftel aller Urnengänger. In Thüringen vereinte sie sogar noch vor zwei Jahren fast ein Drittel der Stimmen bei sich. Es gab tatsächlich eine Zeit, in der auch die PDS sich bemühte, „Mitmachpartei“ für die „Verlierer“ zu werden.

Wer die Armen verachtet ...

Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Linkspartei ist angekommen im System. Kein Wunder: Ihr Spitzenpersonal kennt Arbeiter und Arbeitslose bestenfalls aus Büchern und den Nachrichten. Es rekrutiert sich aus der besser verdienenden Mittelklasse. Und die verteidigt vor allem ihren bürgerlichen Habitus und ihre ganz speziellen Jobs in NGOs und Universitäten, sogar in Gewerkschaften und Sozialverbänden mit großen „Wasserköpfen“, deren Hauptaufgabe inzwischen die folgenlose Entrüstung über Missstände ist.

Die Kritik am Sozialabbau der Linken kommt gerne paternalistisch mit erhobenem Zeigefinger daher. Die Moralkeule hat politische Kategorien wie Klassenunterschiede, Ausbeutungs- und Eigentumsverhältnisse längst ersetzt.

Den bösen Nazi verortet sie nicht mehr oben, von wo Faschismus immer finanziert wurde, sondern in den Plattengettos. Es ist nur folgerichtig: Wer die Armen verachtet, wird von den Armen verachtet.

Gelernt bei der NPD

Der steile Aufstieg der AfD im Osten ist mit einem angeblichen „Hang zur Diktatur“ der „Ossis“ nicht erklärt. Zumal sie auch Jüngere sie wählten, die die DDR nur aus Erzählungen kennen. Zwar hat die AfD in Sachsen-Anhalt ihren vorläufigen Zenit mit über 24 Prozent im Jahr 2016 hinter sich gelassen. Aber fast 21 Prozent sind eben auch kein Pappenstiel.

Ja, die AfD hat inzwischen ihre festen Stammwähler bei den Ärmeren. Laut einer *MDR-*Umfrage votierten 39 Prozent der Arbeiter für sie und sogar 42 Prozent der Erwerbslosen. Die CDU indes punktete vor allem bei Rentnern mit 47 Prozent und Beamten mit 42 Prozent.

Das Know-how für ihren Erfolg holte sich die AfD bei der geschrumpften Sonderabteilung des Verfassungsschutzes namens NPD: Ab in die Provinzen, raus auf die Straße, Stammtische mit Freibier und kräftig die Angst der „kleinen Leute“ vor „Krümeldieben“ triggern. Um kapitalfreundlich zu bleiben, darf der Schuldige nur eines nicht sein: reich und spendabel. Das Kapital und sein Markt waren den Rechten schon immer heilig. Darin sind sich AfD und CDU, NPD und FDP, Grüne und SPD erstaunlich einig.

Verteilungskampf statt Klassenkampf

Viele selbsterklärte Linke meinen, dem ostdeutschen Arbeiter mangele es an Klassenbewusstsein. Die wenigsten sind in der Gewerkschaft, statt SPD wird AfD gewählt. Doch aus Gesprächen geht auch anderes hervor. Geht man durch ein Plattenbauviertel und fragt nach, was Lohnarbeit für sie bedeute, ist das Wort „Ausbeutung“ sehr oft zu hören, bei Leuten über 40 fast ausnahmslos. Man wisse doch, „dass die Bonzen uns am liebsten das letzte Hemd klauen würden“, ruft mir eine Gruppe Bauarbeiter zu.

Und wenn dann der eine oder andere ergänzt, dass die AfD „als Einzige etwas tut“, meinen sie vor allem die Asylpolitik, heute auch Corona.

Die in verschiedenen Varianten immer wiederkehrende Erzählung der AfD geht so: Wenn „die Ausländer“ nicht wären, könnten sich die Staatskassen wieder füllen. Dann seien höhere Löhne und Sozialleistungen für deutsche Arbeiter drin.

Die Geschichte lehrt freilich anderes: Immer schon hielten die Herrschenden die arbeitende Klasse so kurz und knapp es ging. Um es hart auszudrücken: Das Proletariat soll gerade genug haben, um sich zu reproduzieren und Nachschub für den Bedarf an Humankapital zu liefern. Dafür hat der Staat zu sorgen.

Denkt man allerdings im Rahmen von Omas Portemonnaie, die ihren Enkeln mehr geben würde, wenn sie mehr hätte, klingt es durchaus plausibel: Weniger Mitesser, mehr für den Rest. Das Problem am Denken in diesen engen nationalen Kategorien in heutiger Zeit hat die „Corona“-Krise deutlich offengelegt: Das Kapital ist längst global organisiert. Riesige Industrie- und Finanzkonzerne arbeiten als Monopole zusammen. Die Großanleger dahinter treffen sich im Geheimen, um die nächste Agenda zu besprechen. Sie scheren sich nicht um Grenzen. Nationalstaaten dienen ihnen nur dazu, die Unterdrückten zu beherrschen und, dank der Digitalisierung, bald rundum zu überwachen.

Die AfD ist dabei durchaus wichtig für das Großkapital. Sie lenkt den Blick von den Herrschaftsverhältnissen und dem permanenten Klassenkampf von oben trefflich ab. Sie teilt in einheimisch und ausländisch, höher- und minderwertig, leitet notwendige Gegenwehr gegen die toxischen Strukturen und wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse in Verteilungskämpfe innerhalb der unteren Schichten um.

Diese Masche der Herrschenden ist so wenig neu, wie die Tatsache, dass die Arbeiterbewegung seit 200 Jahren darüber diskutiert. Schon zu Marx´ und Engels Zeiten stritt sich das englische Proletariat über zugewanderte, „rückständige“ irische Arbeiter. In den 1960er-Jahren erhitzten die südeuropäischen „Gastarbeiter“ die Gemüter ähnlich wie heute die Krisenflüchtlinge. Und während sich die Lohnabhängigen da unten in die Haare kriegen, reiben sich Bill Gates und Konsorten oben die Hände. Denn nur so wird es niemals eine breite Front der vielen gegen die wenigen geben.

Kapitalkrise und Ausbeutung

Doch Migrationskrisen, Corona-Repressionen, Kinder- und Altersarmut sind nur Symptome derselben Ursache. Wie ein kapitalistischer Staat mit den Arbeitern und ihren Familien verfährt, liegt in der ökonomischen Entwicklung begründet. Sprudeln die Profite gerade üppig, etwa in einer Nachkriegsphase des Wiederaufbaus, geht es durchaus schon mal spendabler zu. Dann braucht es viele Arbeitskräfte, die bei guter Laune sind.

Rutscht der Kapitalismus jedoch in die Verwertungskrise, was er regelmäßig tut, schrumpfen die Möglichkeiten für Anleger, ihr Kapital profitabel zu verwerten. Die Folge: Die Löhne sinken, der Staat wird repressiver. Das beste Beispiel dafür ist die Agenda 2010 mit Kürzungen der Rente und Arbeitslosenhilfe und harten Einschnitten in das Gesundheitssystem. Außerdem verschärfen die Industrienationen den Wirtschaftskrieg gegen arme Länder, das Elend wuchert wie „Unkraut bei Regen“.

Migranten und Flüchtlinge sind noch stärker erpressbar als Einheimische. Selbstverständlich benutzen die Herrschenden den Umstand auch dazu, die Löhne für alle zu drücken. Das taten sie nie anders. Nur werden in der modernen, wirtschaftlich globalisierten Welt am Ende alle Lohnabhängigen das Nachsehen haben, wenn sie gegeneinander kämpfen, statt sich gemeinsam gegen ihre Unterdrücker zu wehren. Die Frage bleibt: Welche Schlussfolgerungen daraus sind wirklich nützlich: Spalten oder verbünden?

„Sozialpolitik“ für Reiche

So triggert die AfD durchaus das Klassenbewusstsein der Lohnabhängigen. Doch sie steht für Spaltung, nicht fürs Verbünden. Sie lobpreist, wie auch die CDU, in ihrem Programm für die diesjährige Bundestagswahl die „soziale Marktwirtschaft“. Wobei das Quäntchen „Sozialpolitik“ in dem Pamphlet der Ostflügel der Gesamtpartei abgerungen hatte.

Die AfD „fordert“ etwa „armutsfeste Renten“. Deutschen Rentnern, die mit Sozialhilfe aufstocken müssen, sollten 25 Prozent ihrer Rente nicht auf diese Leistung angerechnet werden. Denn für Erwerbsfähige müsse es sich „lohnen“, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Ein bisschen Klein-Klein also, um dem Markt gewünschte billige Arbeitskräfte zuzuführen.

Im Ernst: Da postuliert sogar die SPD noch bessere Ideen, die sie mit der CDU jedoch nicht umsetzt. Obwohl die Christdemokraten auch sehr wohlklingende Geschichten über „soziale Marktwirtschaft“ zu erzählen wissen.

An Hartz IV inklusive dem integrierten Sanktionsregime will die AfD nicht rütteln. Denn es zähle die „Leistung“. Den Mindestlohn will sie nur „beibehalten“, Niedriglöhner nennt sie „schwache Marktteilnehmer“. Und Reichensteuer verabscheut sie wie der Teufel das Weihwasser.

Geht es nach der AfD, sollen nämlich Grund- und Erbschaftssteuer gänzlich fallen und die Vermögenssteuer nie mehr eingeführt werden. Sie fordert auch mehr Bürokratie, um etwa Schwarzarbeit zu verfolgen. Wie sie ihr mickriges „Rentenkonzept“ finanzieren will, bleibt ihr Geheimnis. Mit einer Ausweisung aller Arbeitsmigranten und Flüchtlinge sowie dem Lobpreisen deutscher Familien gelingt das sicher nicht.

Insofern bleiben diverse Forderungen der AfD, etwa Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild oder das „Eindämmen des Lobbyismus“ im Parlament, recht leere Floskeln. Als Köder taugen sie allemal, wie auch die — berechtigte! — Kritik an den repressiven Corona-Maßnahmen des imperialistischen Staates Deutschland. Blöderweise hat die Partei gar nichts gegen Imperialismus, auch wenn sie diesen liebevoll als „Marktwirtschaft“ bezeichnet.

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, der das „Sozialprogramm“ der AfD maßgeblich mit auf den Weg gebracht hat, sieht das alles sehr pragmatisch. Im Gespräch mit der neurechten Postille Sezession erklärte er 2019: „Im Osten gewinnt man Wahlen mit einem ausgeprägten sozialen Profil.“ Im Westen denke man dagegen „wirtschaftsliberal“. Er fügte an: „Wenn wir mehr das Soziale betonen und die Liberalen mehr das Marktwirtschaftliche, so wollen wir beide eine soziale Marktwirtschaft.“ Und da landet man wieder beim Repertoire der CDU.

Konstruierter „Gegenpol“

All die Widersprüche schmälern den Anreiz für viele Arbeiter, die AfD zu wählen, kaum. Denn die meisten nehmen sie als bösen Gegenpol zu den „demokratischen“ Etablierten wahr. Rauf und runter propagieren dies auch die bürgerlichen Leitmedien. Vor der Wahl suggerierten sie ein „Kopf-an-Kopfrennen“, die CDU wird nicht müde, jede Zusammenarbeit mit ihrer angeblichen politischen Gegnerin auszuschließen. Und ja, wer sich von den Etablierten verachtet fühlt, wählt eben „böse“ beziehungsweise das, was medial diesen Part bekommen hat.

Die Konkurrenz zwischen beiden Parteien soll damit nicht geleugnet werden. Die existiert natürlich. Im politischen Showkampf ist, unabhängig von Inhalten, natürlich jeder um seine Futtertröge besorgt. Freilich gräbt die AfD der CDU wie auch der SPD und gar der Linkspartei rege Stimmen ab. Sie verhagelt ihnen reihenweise lukrative Mandate.

Ansonsten stimmt das aber nicht.

Dass CDU und Co nicht weniger unsozial und rassistisch sind, haben sie im täglichen Politikgeschäft bewiesen. Die AfD ist lediglich lauter.

„Ja, wen sollen wir denn sonst wählen?“, fragten die beiden Mittfünfziger aus der Kleinstadt bei Magdeburg am Ende des Gesprächs. Früher, da hätten sie beide die Vorgängerin der Linkspartei gewählt. Aber mit links hätten die schon lange nichts mehr zu tun. „Die interessieren sich doch gar nicht mehr für uns, sondern nur noch für ihre Gendersternchen.“ Das ist vielleicht übertrieben, kann man aber so stehen lassen. Auch das ist Ablenkung vom Klassenkampf, den „die da oben“ eifrig praktizieren.

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