Norbert, du hast für das Wahljahr 2017 ein Filmprojekt geplant. Unter dem Titel „Mutti forever?“ gibt es einen Trailer, in denen du mit einem Double eine Parodie auf Angela Merkel zeigst, die nur ein Ziel zu verfolgen scheint: Unter allen Umständen Regierungschefin bleiben zu wollen. In Einblendungen von Schlagzeilen weist der Film dann auf politische Fakten hin, die Merkels beschönigenden Darstellungen widersprechen. Das lässt vermuten, dass der geplante Film eine Abrechnung mit der deutschen Politik der letzten 12 Jahre erwarten lässt. Warum dieses Unterfangen?
Wenn man sich die Ausgangslage der diesjährigen Bundestagswahl ansieht, hat man schnell den Eindruck, dass eigentlich alles so bleiben und weiter gehen soll, wie es eben ist. Weder die erneut antretende Bundeskanzlerin, noch der erneut kandidierende CSU-Chef Horst Seehofer, geschweige denn die aufgestellten Gegenkandidaten von SPD und Grünen deuten irgendwie darauf hin, dass eine Kursänderung der deutschen Politik auch nur im entferntesten beabsichtigt wird. Aus allen Medienkanälen schallt uns tagtäglich die Botschaft "Deutschland geht es so gut wie noch nie" entgegen.
Eine Botschaft, die ankommt. Kürzlich habe ich erlebt, wie eine Schülerin eben diesen Satz anbrachte, und zwar im Sinne einer Tatsachenbehauptung. Sie erntete volle Zustimmung von Lehrern und Schülern, niemand schien an dieser Feststellung etwas Falsches zu empfinden. Was würdest du dieser Schülerin sagen?
Man müsste ihr als erstes die Frage stellen, wem es denn genau gut geht. Es ist ja richtig, dass die Wirtschaft in diesem Lande brummt, die Steuereinnahmen sprudeln und die Exporte steigen. Doch mit einer anhaltenden Niedriglohnpolitik werden die Volkswirtschaften der restlichen EU lahm gelegt und auch die sogenannte deutsche Mittelschicht bekommt diese Politik zu spüren.
Bei uns droht inzwischen jedem zweiten Einwohner die Altersarmut! Die Obdachlosigkeit wächst rasant, die Verschuldungsquote der Privathaushalte steigt unaufhaltsam.
Besonders krass ist, dass Vollbeschäftigung keine Garantie mehr für angemessenen Lebensstandard ist. In Cottbus hat man erstmals bei der Tafel, die gespendete Lebensmittel an Arme verteilt, spezielle Öffnungszeiten für voll berufstätige Niedriglöhner einführen müssen. In München gibt es bereits einige Angestellte in Vollzeit, die von ihrem Lohn nicht einmal die allereinfachste Bleibe finanzieren können.
Diese Leute wohnen im wahrsten Sinne des Wortes unter der Brücke, waschen sich frühmorgens in einer Tankstellen-Toilette, um dann acht bis zehn Stunden lang unauffällig ihrer Arbeit nachzugehen, und danach verkriechen sie sich wieder unter ihrer Brücke. Zustände, in einem Land, das als eines der reichsten auf der gesamten Welt gilt.
Eigentlich eine Entwicklung, die größten Protest in der Bevölkerung hervorrufen müsste. Doch laut Umfragen scheint das Vertrauen in die jetzige Regierung kaum zu sinken.
So ist es. Dabei ist diese alarmierende Armutsentwicklung ja nicht die einzige Bedrohung, der die Deutschen ausgesetzt sind. Die Bundesregierung steuert unbeirrt und in vollem Galopp gemeinsam mit den USA auf den dritten Weltkrieg zu. Da wird mal eben der Verteidigungshaushalt verdoppelt, was Deutschland auf Platz Vier der mächtigsten Militärmächte auf diesem Planeten katapultiert, Bundeswehrsoldaten marschieren an der russischen Grenze auf, keine 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerorten wird Wladimir Putin als der zentrale Bösewicht der gesamten "Freien Welt" gebrandmarkt, während das westliche Militär im Nahen und Mittleren Osten täglich das Völkerrecht bricht.
Wenn man allerdings in einer durchschnittlichen deutschen Stadt auf der Straße Menschen ansprechen und danach fragen würde, was ihrer Meinung nach das größte Problem im Lande sei, werden höchstwahrscheinlich acht von zehn Leuten antworten, die Flüchtlinge seien unser größtes Problem.
Gut möglich. Vielleicht würden einige aber auch sagen, unser größtes Problem seien die Rechtsextremen und Neurechten, die Flüchtlingen mit Rassismus begegnen.
Das zeigt ja auch, dass man die Probleme im Umfeld der Flüchtlingskrise nicht aus den Augen lassen darf. Vor allem sollte man niemanden von vornherein pauschal als Rassisten bezeichnen, nur weil er z. B. an einem Kriminalitätsschwerpunkt wohnt und von sich sagt, dass er Angst vor den Fremden hat.
In sogenannten strukturschwachen Gebieten, etwa in den ländlichen Regionen von Sachsen, haben viele Menschen erlebt, dass man sich jahrzehntelang nicht um den Verfall ihrer Gemeinden gekümmert hat. Dass die das Gefühl bekommen, Flüchtlinge seien ihrer Regierung wichtiger als die eigene Bevölkerung, hat ja reale Gründe. Trotzdem ist es auch wichtig, zu zeigen, dass die Flüchtlinge aus Nordafrika nicht unser größtes Problem sind.
Unser größtes Problem sind ganz andere Flüchtlinge - die Steuerflüchtlinge, also jene Reichen und vor allem Nutznießer der Billiglohnpolitik, die ihre Gewinne und ihr Vermögen illegal vor dem Fiskus in Sicherheit bringen. Der Schaden beträgt pro Jahr ein Vielfaches von dem, was unser Land für Flüchtlinge aufwenden muss.
Steuerflucht und Steuervermeidung durch die Finanz-Eliten sind sicher ein Thema, das viele Wähler interessieren wird. Welche Themen wirst du noch ansprechen?
Wie schon erwähnt geht es auch um die Erhöhung des Wehretats.
Weder CDU noch SPD werden ihre Wähler klipp und klar fragen: Wollt ihr wirklich die viertstärkste Militärmacht auf dieser Welt sein? Wollt ihr von euern Steuergeldern wirklich mehr Waffen, Panzer und Raketen finanzieren als das gesamte, riesige Russland besitzt?
Ich glaube kaum, dass die Bevölkerung dann noch CDU oder SPD wählen würde. Man muss ihnen aber erst einmal klar machen, dass eine Wahl der heutigen Regierungsparteien auf nichts anderes hinaus laufen wird.
Dabei gäbe es dringend Probleme zu lösen, die von CDU und SPD gern unter der Decke gehalten werden. Etwa der wirtschaftliche Schaden, der in Deutschland durch Wirtschaftsspionage entsteht. Dabei tun sich gerade die US-amerikanischen Geheimdienste hervor, indem sie unter dem Deckmantel der Terror-Abwehr deutsche Firmen ausspionieren.
Geheimdienste sind ein wichtiges Thema in meinem Film.
Denn offenbar besteht da ein Ungleichgewicht in der Ahndung von illegaler Spionage durch ausländische Dienste. Wenn zum Beispiel die Türkei hierzulande mehrere Spitzel einschleust, um ihre Landsleute auszuspionieren, ist das ein Riesen-Aufreger in den Medien!
Wenn jedoch die US-Geheimdienste, dank Wikileaks inzwischen quasi offiziell, von einer diplomatischen Niederlassung in Frankfurt aus den Internetverkehr im gesamten Land mitschneiden und abfischen, passiert so gut wie nichts. Wir wissen, dass es sich dabei um Hunderte, wenn nicht sogar Tausende, Geheimagenten handelt, und wir können annehmen, dass höchstwahrscheinlich Selbiges auch von der Berliner US-Botschaft aus geschieht. Doch wo ist hier die bundesdeutsche Justiz?
Sie lässt die Amerikaner gewähren und nimmt dabei wissentlich einen immensen Schaden für unsere Wirtschaft in Kauf. Der wird immerhin auf eine hohe zweistellige Milliarden-Summe pro Jahr geschätzt.
Wirtschaftsspionage als Thema im Wahlkampf? Viele Menschen denken bei den US-Geheimdiensten wohl eher an Terror-Abwehr und nehmen sie deshalb auch billigend in Kauf.
Inwieweit unsere Geheimdienste Terror abwehren, dürfte äußerst fraglich sein. Sowohl der NSU-Untersuchungsausschuss als auch Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die deutsche Salafistenszene lassen eher das Gegenteil befürchten.
Was aber hat das mit der bevorstehenden Wahl zu tun? Viele Wähler werden denken, dass sie von dieser Thematik gar nicht betroffen sind.
Das stimmt aber nicht. Die individuellen Freiheitsrechte der Bevölkerung und der Medien werden ja nach Belieben zusammen gestrichen. Man denke nur an Frankreich, wo im Namen der Terrorabwehr der Ausnahmezustand schon im zweiten Jahr besteht.
Eine Maßnahme, die von der deutschen Regierung nie infrage gestellt wurde. In Deutschland denkt man über Strafen für die Verbreitung sogenannter Fake-News nach, damit wird einer restriktiven, halbstaatlichen Zensur Tür und Tor geöffnet – obwohl das klar gegen Artikel 5 unseres Grundgesetzes verstößt.
Es ist ein einziges Fiasko für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in unserem Land.
Im Rahmen der sogenannten Terror-Abwehr können konservative Politiker immer wieder noch stärkere Überwachungsmaßnahmen gegen die Bevölkerung durchdrücken, wie aktuell die automatische Gesichter- und Autokennzeichenerkennung.
Die Tatsache, dass ab Juli jede Prepaid-Karte für ein Mobiltelefon ausspioniert werden kann, ist eine Katastrophe für den persönlichen Datenschutz.
Fassen wir zusammen: Anstelle des Schwerpunktes Flüchtlingsdebatte soll es in deinem Film um den Verlust von Staatsvermögen durch Steuerflucht gehen, um die Bedrohung demokratischer Grundrechte durch massive Überwachung, um die wachsende Kriegsgefahr. Das sind alles wichtige Themen, aber was ist mit dem ureigensten Interesse der meisten Wähler, ihr persönlicher Wohlstand? Viele werden wohl lieber den Versprechen einer Angela Merkel glauben wollen, dass es ihnen weiter „so gut wie nie“ gehen wird, als sich von einer Armutsstatistik beeindrucken lassen, von der sie glauben wollen, dass sie davon niemals betroffen sein werden.
Und damit das auch so bleibt, tut Angela Merkel alles, was sie tun kann, um die Wogen schön glatt zu halten. Sie betreibt Schönfärberei. So haben wir zum Beispiel tatsächlich 3,7 Millionen Arbeitslose, und nicht, wie die Arbeitsagentur behauptet, 2,7 Millionen. Eine Million Menschen verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik, weil sie entweder gerade umschulen oder krank sind.
Außerdem gibt es über eine Million sogenannter Aufstocker, die trotz voller Erwerbstätigkeit das Existenzminimum nicht erreichen.
Dabei sind alle Leistungsbezieher dem strengen Regelwerk der Behörden unterworfen.
Über Unrecht bei Hartz-IV kann man schon ganze Bücher füllen, am schlimmsten sind aber die Sanktionen, die von den Betroffenen als reine Schikane empfunden wird, der sie hilflos ausgeliefert sind.
Die „Agenda 2010“ war mit Abstand die schlimmste und entwürdigendste Reform, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde – unter großem Applaus der CDU, die heute behauptet, Deutschland ginge es genau wegen dieser Rot-Grünen Reform „so gut wie noch nie“.
Dabei ist längst widerlegt, dass die Wirtschaftskrise wegen zu hoher Ausgaben für Arbeitslose entstanden ist. Wirtschaftsexperten machen die Einführung des Euro und die falsche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verantwortlich.
Die Arbeitslosigkeit war also nicht deshalb so hoch, weil zu viele Leute zu faul in der sozialen Hängematte lagen, sondern, weil der Euro eingeführt wurde. Seitdem sind die maßgeblichen Wachstumsfaktoren in Deutschland steigende Exporte und die Ausweitung des Niedriglohn-Sektors. Da ist schon klar, wem es immer besser geht und wem nicht.
Eine Frage, mit der sich zurzeit auch kaum ein regierender Politiker beschäftigt, ist die bereits heute zu beobachtende, grundlegende Wandlung des Arbeitsmarktes. Es ist kein Geheimnis, dass allerorten in den Fabriken zunehmend Roboter die Arbeiten übernehmen, die früher von einfachen Arbeitern ausgeführt wurden. Die Mitarbeiter, die damit überflüssig werden, schickt man zum Arbeitsamt.
Schon in absehbarer Zukunft ist mit noch viel mehr Arbeitslosigkeit aufgrund von Automatisierung in Produktion und Dienstleistung zu rechnen, und auf diese Fragestellung brauchen wir dringend eine Antwort, denn diese Entwicklung passiert gerade JETZT.
Das Problem kann letztlich nur durch eine Umverteilung des Profites gelöst werden, der dabei erwirtschaftet wird. Fließt er in eine Stärkung der Sozialstruktur des Staates zurück? Wenn ja, in welcher Form? Dazu findet man im Parteiprogramm der CDU nichts.
Zum Thema Einkommen und Armut gehört aber auch, dass der Staat seit Jahrzehnten eine falsche Wohnungsbaupolitik betreibt: Jahrzehnte lang hat man bei der Instandhaltung und dem Neubau von Wohnraum den privaten Baulöwen und Immobilienkonzernen den Vorzug gegeben. Mit dem Ergebnis, dass die Mieten sich, vor allem in den Großstädten, in teils schwindelerregende Höhen entwickelt haben.
Für die Armen in unserer Gesellschaft bedeutet dies, dass sie in die städtischen Randgebiete verdrängt werden, wo sich soziale Brennpunkte bilden. Wo Tür an Tür mehrere Generationen von Arbeitslosen wohnen, wo die Abgehängten der Gesellschaft häufiger erkranken als Besserverdiener, nicht selten auch an Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Als Polizei- und Gerichtsreporter habe ich selbst immer wieder gesehen, wie genau in diesen Milieus kriminelle Karrieren entstehen, anfangs durch kleine Diebstähle, dann Schlägereien, bis hin zu Raub oder Tötungsdelikten.
Arme Menschen, das sagt eine amtliche Statistik, sterben in Deutschland durchschnittlich zehn Jahre früher als Reiche. Sie verfügen also nicht lediglich über weniger Geld, sondern auch über weniger persönliche Lebenserwartung.
In diesen sozialen Brennpunkten gibt es auch deutlich mehr Schulabbrecher als in besseren Gegenden. Schüler aus Duisburg-Marxloh wechseln nach der Grundschule seltener ans Gymnasium als solche, die in Hamburg-Harvestehude residieren. Bildung wird wieder stärker als zuvor Herkunftssache in diesem Land.
Wohlhabende Eltern können sich für ihre Kinder mehr Nachhilfe-, Trainings- oder Musikstunden leisten. Wenn in einem Land bald drei Mal so viel für Rüstung wie für Bildung ausgegeben werden soll, wird sich daran auch nicht viel ändern.
Mit der Politik von CDU/CSU bewegen wir uns immer stärker auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu, und immer mehr Bürger werden zur untersten Schicht gehören. Das muss den Leuten klar werden.
Sprechen wir über dein Filmkonzept. Zunächst: Du bist heute freier Journalist, hast aber zuvor bei der Chemnitzer/Dresdner Morgenpost und sogar der Dresdner Bild-Zeitung gearbeitet. Beide Blätter, vor allem letzteres, muss man ja als populistisch bezeichnen. Das lässt vermuten, dass du in diesen Jahren zumindest Erfahrungen darin gesammelt hast, welche journalistischen Standards bei einer breiten Bevölkerung ankommen. Gleichzeitig bist du Parteimitglied der Linken, hast also einen ganz klar Kapitalismus-kritischen Ansatz, wie ja deine bisherigen Ausführungen schon zeigen. Kann man sagen, dass diese vielfältigen Erfahrungen und Voraussetzungen dein Filmprojekt beeinflussen?
Selbstverständlich, das ist auch gut so. Um es mit Albrecht Müller von den „Nachdenkseiten“ zu sagen: Wenn man etwas verändern will, muss man bei der öffentlichen Meinung den Hebel ansetzen. Da halte ich es für einen großen Vorteil, wenn man Berufserfahrung bei Boulevardzeitungen einbringen kann.
Ich war sogar eine Zeit lang der „Aufreger-Mann“, also einer, dessen Spezialgebiet es war, die Story der Titelschlagzeile zu bearbeiten. Denn jeden Tag soll ja auf Seite Eins eine Schlagzeile stehen, die die Leser zum Kauf am Kiosk veranlasst. Das Titelthema muss aber nicht nur Aufregung und Interesse verursachen, sondern es muss vor allem hieb- und stichfest recherchiert sein, denn nicht selten geht zum Beispiel ein als kriminell entlarvter Unternehmer hinterher auch vor Gericht gegen die Zeitung, die ihn beschuldigt.
Der „Aufreger-Mann“ sollte also messerscharf argumentieren können und Themen bearbeiten, die große Resonanz erzeugen. Und einer von denen war ich. Könnte ich es mir noch einmal aussuchen – wahrscheinlich würde ich einen anderen Weg wählen. Aber zu der Zeit, als mir ein Job bei der Morgenpost angeboten wurde und später bei der Bild, war ich sehr froh, trotz meiner „politischen“ Bauchschmerzen. Man kann auch sagen: Ich war jung und brauchte das Geld.
Von Vorteil ist, dass ich während meiner Arbeit viele Leser dieser Zeitungen kennengelernt habe und auch viel in sozialen Brennpunktgebieten in Sachsen herumgekommen bin. Ich glaube, dass ich dabei ein Gefühl dafür entwickelt habe, wie man diese Leute ansprechen sollte.
Und ich habe gelernt, was gründliche Recherche bedeutet. Diese ist selbstverständlich auch Grundlage für den geplanten Film, in dem jede einzelne Aussage mit Quellen belegt sein wird.
Dabei ist es aber zusätzlich, genau wie bei meinem Film über die Ramstein Air Base, ein sehr wünschenswerter ‚Nebeneffekt‘, dass die Zuschauer sich darüber empören, was sie zu sehen bekommen.
Nur der, den man auch emotional erreicht, wird sich am Wahltag an die soziale Ungerechtigkeit und die Kriegsgefahr erinnern, die er zuvor im Film gesehen hat.
Mindestens sollen sie aber auch mal herzlich lachen können – dem Inhalt nach handelt es sich ja um eine staubtrockene, politische Materie. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir für witzige Elemente, kurze satirische Einspieler, die wohl beste Merkel-Parodistin gewinnen konnten, die es in Deutschland gibt: Marina Tamássy aus Kaiserslautern ist als Aushängeschild ihrer Kabarettgruppe „Die UNTIERE“ eine bekannte und gefeierte Größe in der Szene. Sie ist eine ausgezeichnete Sängerin und Schauspielerin, mit der wir viel Spaß beim Dreh haben.
Gerade mit dieser Parodie hängt sich der Film ja stark an der Person Angela Merkel auf, obwohl du eigentlich gerade ziemlich deutlich gemacht hast, dass Angela Merkel für dich bei Weitem nicht die einzige Entscheiderin auf dem politischen Weg von Deutschland ist. Warum diese Fokussierung auf ihre Person? Auch ein Ansatz, um mehr Leute zu erreichen?
Gewissermaßen ja. Es ist eine Art goldene Regel im Boulevard, aber auch im Mainstream und bei den Öffentlich-Rechtlichen, dass man sich bei der Beschreibung von Vorgängen oder Handlungszusammenhängen mit vielen Beteiligten immer auf denjenigen konzentriert, der die Verantwortung trägt. Die Formel lautet: Wer-entscheidet-was? Das ist immer die zentrale Frage. Und daran sind die meisten Zeitungsleser und Fernsehzuschauer auch gewöhnt.
Natürlich weiß ich, dass Frau Merkel nicht höchstpersönlich dafür sorgt, dass Arme früher sterben als Reiche. Aber sie ist die Regierungschefin in diesem Staat, sie hat die sogenannte Richtlinienkompetenz inne, SIE entscheidet letztlich, in welche Richtung sich das Land entwickeln soll: Stärken wir den Sozialstaat und die Löhne, oder senken wir lieber die Steuern für Wohlhabende? Verstärken wir die Konfrontation mit Russland, oder wollen wir partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit den Russen zusammen leben?
Es sind genau solche grundlegenden Fragen, die schon immer im Bundeskanzleramt entschieden wurden. Das ist der Grund, warum wir uns stilistisch auf die Person Angela Merkel konzentrieren.
Dein Film soll über Crowdfunding finanziert werden. Was hast du hier für Erfahrungen gemacht?
Ich habe schon über fünfzig Spender gefunden. Das genügt aber noch nicht. Leider fehlt die Unterstützungsbereitschaft manchmal gerade bei denen, die eigentlich am meisten von meinem Film profitieren könnten.
Nehmen wir zum Beispiel den Bundesverband der Tafeln in Deutschland. Von denen wollte ich nichts weiter als eine Drehgenehmigung und ein Interview, über die sich zuspitzende Notlage der Tafeln. Nachdem ich dort seitenweise das Projekt geschildert hatte, man mich wochenlang warten ließ, erhielt ich eine Absage-E-Mail: Man freue sich zwar, dass ich einen Film über soziale Ungerechtigkeit drehen wolle, gleichzeitig teilten sie mit: „Leider stehen wir für Ihr Format nicht zur Verfügung“ und baten dafür „um Verständnis“. Dafür habe ich allerdings nicht das geringste Verständnis. Bei solchen Reaktionen könnte ich mich jetzt auch abwenden und sagen: Na, gut, wenn ihr nicht wollt, dass jemand ausführlich über eure Nöte berichtet, dann eben nicht.
Das mache ich aber nicht, allein schon wegen der Menschen, die von den Tafeln versorgt werden. Ich werde also trotzdem versuchen, mit Tafel-Kunden zu drehen. Und dann muss ich eben den nachrichtlichen Teil aus der Tagesschau hinein schneiden, über die notleidenden Tafeln, einen Zweiminüter, der denen bislang offenbar ausreicht - warum auch immer.
Und natürlich hoffe ich auf weitere Unterstützung. Zum Beispiel hat sich bislang noch immer keine alleinerziehende Hartz-IV-Bezieherin bereit erklärt, trotz angebotenem Honorar, mir vor der Kamera zu berichten, was es konkret für sie und den Nachwuchs bedeutet, vom Jobcenter sanktioniert zu werden.
Noch ein Wort zum Online-Kanal NuoViso, für den du als Redakteur arbeitest und wo der Film voraussichtlich auch erscheinen soll. NuoViso veröffentlicht so wichtige Dokumentationen wie den bereits erwähnten Film über die US-Militärbasis Ramstein oder auch die Dokumentarfilme von Mark Bartalmai aus der Donezker Volksrepublik. Es gibt aber auch das Format „Stoner“, das sich mit spirituellen und esoterischen Themen beschäftigt und z.B. so etwas wie Alien-Mythen verfolgt. Das hat euch den Ruf der Verschwörungstheoretiker, esoterischen Spinner etc. eingebracht. Wie siehst du das?
Als Redakteur dieses Mediums teile ich nicht automatisch die Meinung von anderen Personen, die auch von NuoViso publiziert werden. Habe ich zu verantworten, was andere, bei NuoViso erscheinende Leute dort oder andernorts von sich geben? Nein, das habe ich nicht. Genauso wenig, wie ein Redakteur vom ARD-Magazin „FAKT“ sich einverstanden erklären muss mit den Inhalten der „Tagesschau“ oder dem „Musikantenstadl“. Was für ihn wichtig ist, ist, dass sein Arbeitgeber ARD seine eigenen Inhalte gut genug produziert – und dass er ansonsten nicht in irgendwelche krummen Dinger verwickelt ist.
Was NuoViso betrifft, kann jeder auf der Webseite nachlesen, dass unsere Grundsätze darin bestehen, dass wir uns zum Grundgesetz und den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland bekennen, außerdem, im Gegensatz zur ARD übrigens, zum Deutschen Pressekodex, und, dass Aufrufe zu Gewalt und Hetze gegen Minderheiten sowie links- oder rechtsextremes, sexistisches oder religiös-fundamentalistisches Gedankengut im Programm nicht stattfinden.
Aliens, UFOs oder Esoterik kann man sich heutzutage auch im Nachtprogramm bei n-tv oder N24 anschauen. Wenn mich so ein TV-Angebot nicht interessiert, schalte ich es eben nicht ein, anstatt mich zuvörderst anderswo zeitaufwändig darüber zu echauffieren. Genau so sollte man es meiner Meinung nach auch mit NuoViso.TV halten.
Von dem Begriff „Verschwörungstheoretiker“ halte ich nichts. Meiner Meinung nach ist er hierzulande schon fast ein Synonym für Oppositionelle geworden. Und das wird auch immer mehr Leuten klar.
Fakt ist doch: Ein gewichtiger Teil des Internetpublikums sieht seine Interessen und Ansichten heute nicht mehr von ARD und ZDF vertreten, deshalb laufen sie in Scharen zu den Neuen Medien wie NuoViso, Nachdenkseiten oder KenFM über. Und wir, die Alternativen Medien, tun im Grunde nichts anderes, als eben jene Meinungsfreiheit mit Leben zu erfüllen, die in den herkömmlichen Medien offenbar zu kurz kommt.
In welcher Sendequalität wir das tun können, hängt in erster Linie von der Größe des Schwarms ab, der uns mit Premiumabos und Spenden unterstützt.
Das größere Meinungsspektrum der Neuen Medien sollte man nicht als einen Makel, sondern als eine Bereicherung der deutschen Medienlandschaft begreifen! So sehr, wie ich links bin, so wenig dränge ich meine Überzeugung jenen auf, die anderer Meinung sind. Aber ich rede trotzdem mit ihnen, auch wenn sie sich selbst eher rechts verorten. Dieser Umstand unterscheidet mich leider von vielen Mitgliedern meiner Partei. Würde ich nicht mit Leuten sprechen, die andere Ansichten vertreten, wäre das für meinen Job als Journalist wenig hilfreich.
Letzte Frage: Wenn dein Film vor der erneuten Wahl einer CDU-Politik unter Merkel warnt, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Alternative. Was gibst du den Zuschauern mit? Als Linker willst du sie ja vermutlich nicht in die Arme der AfD treiben.
Natürlich nicht. Das wichtigste Ziel besteht für mich darin, den Leuten klar zu machen, um welche Zukunftsthemen es bei der Wahl wirklich geht. Es geht eben nicht um die salopp zugespitzte Frage: „Ausländer rein, oder raus?“, sondern darum, dass die eigene, persönliche Zukunft auf dem Spiel steht, dass Frieden und soziale Gerechtigkeit bei einem „Weiter so“ in größter Gefahr sind.
Wer das verstanden hat, der kann auch die AfD nicht wählen, die im Grunde nur eine verschärfte Form des neoliberalen Kurses von CDU/CSU anbietet.
Ich will wenigstens versuchen, mit Hilfe meiner finanziellen Unterstützer, den Blick der Wahlbevölkerung zu weiten, hin zu lenken auf die wirklichen Probleme. Der Film soll eine ungeschönte Bestandsaufnahme unserer Verhältnisse in diesem Land sein. Er soll die Frage stellen: Wie wollen wir in Zukunft leben? WOLLEN wir dieses oder jenes wirklich? Eine bestimmte Wahlempfehlung wird mein Film nicht aussprechen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder, der ihn vor der Wahl gratis im Netz ansehen kann, hinterher selbst in der Kabine weiß, wo er sein Kreuz zu setzen hat. Die Erfahrung mit meinem Erstlingswerk „Ramstein – Das letzte Gefecht“ hat gezeigt, dass die meisten Zuschauer und auch das Internetpublikum heutzutage sehr wohl noch komplexe Zusammenhänge verstehen können – man muss sie ihnen nur gut genug und eben auch zusammenhängend erklären.
Ich danke Dir für das Gespräch.
Norbert Fleischer, Baujahr ’78, aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz), kennt sich gut mit der Anatomie der Mainstream-Meinung aus. Zu DDR-Zeiten Jung- und Thälmannpionier, erlebte er seine späte Kindheit und die Jugend unter den wechselhaften Eindrücken von Sozialismus, Friedlicher Revolution, Wiedervereinigung, Kapitalismus sowie den Irak- und Jugoslawienkriegen, was seine friedenspolitische Einstellung sehr geprägt hat. An der Hochschule Mittweida studierte er von 1998 bis 2004 Medienmanagement (darunter: Wahlkampfmanagement). Seit Studienbeginn als Freier Journalist tätig, arbeitete er von Anfang 2005 bis Ende 2011 als Journalist und Redakteur für die Chemnitzer- und die Dresdner Morgenpost, BILD Dresden (Ressort: Innere Sicherheit), und diente weiterhin als Themen- und Materialzulieferer für MDR, zdf, RTL und weitere Medien. Heute lebt und arbeitet er freiberuflich als Journalist in Leipzig, wo er gegenwärtig mit dem Ausbau einer Redaktion bei der NuoViso Filmproduktion GbR betraut ist. Im Jahr 2016 veröffentlichte er seinen ersten Informationsfilm „RAMSTEIN – DAS LETZTE GEFECHT“, der sich den illegalen Aktivitäten auf der US-Airbase, sowie dem geopolitischen Kontext widmet. Der Film wurde innerhalb von einem Vierteljahr seit seiner Gratis-Veröffentlichung von insgesamt rund 200.000 Zuschauern auf youtube, DVD und im Kino angesehen (Stand: 27. Februar 2017).