Mut zur Stille
Zur Kommunikation gehört wesentlich auch die Kunst des Zuhörens.
Kommunikation ist ein Austausch, der das Schweigen ebenso braucht wie das Reden. Meistens jedoch vergessen wir das Zuhören und laufen zu sportlichen Höchstleistungen auf: Wir schlagen uns im Meinungs-Pingpong die Bälle um die Ohren oder benutzen die Darstellung des anderen als Trampolin, um uns selbst darauf emporzuschwingen. Doch Begegnung braucht vor allem Raum, ein offenes Ohr und Präsenz.
Wir kommunizieren, was das Zeug hält. Emojis, Fotos, Bildchen und GIFs umkreisen in Sekundenschnelle den Planeten und teilen der Welt mit, was wir gerade erleben, denken, fühlen, glauben. Raus damit! Ob in virtuellen oder in privaten Gesprächsrunden: Vor allem zählt, wie ich die Dinge sehe. Wie ist meine Meinung zu den Geschehnissen? Wie würde ich mich in dieser oder jener Situation verhalten? Wo sehe ich Recht und Unrecht?
Mein Gegenüber bietet mir die Grundlage für meine Argumente. Wenn jemand spricht, lege ich mir im Geiste zurecht, was ich auf das Gesagte erwidern kann — und vergesse darüber das Zuhören. Denn beides zusammen funktioniert nicht. Ungeduldig trippele ich in Diskussionen vor mich hin und kann es kaum erwarten, dass der andere ausredet.
Wettkampf der Argumente
Bei Brennpunktthemen laufe ich zu sportlichen Höchstleistungen auf: Ich fange das Stichwort auf, das der andere mir zuwirft und schlage den Ball zurück, indem ich seine Darstellung als Trampolin für meine eigenen Ausführungen benutze. Ich bekomme Herzklopfen, rote Wangen und heiße Ohren, schnappe nach Luft und schlage gelegentlich mit der Faust auf den Tisch.
In diesem Wettkampf begegnen wir einander nicht wirklich. Ein offenes Miteinander kann nur dann entstehen, wenn ich es lerne, dem anderen zuzuhören und mir ins Bewusstsein zu rufen, dass Kommunikation ebenso viel aus Reden wie aus Schweigen besteht. Ein Sender macht keinen Sinn, wenn es keinen Empfänger gibt und niemand seine Antennen nach ihm ausrichtet.
Die Schwierigkeit, das Wort zu ergreifen
In meinem südfranzösischen Dorf gibt es eine rege Gesprächskultur. Nordlichter finden sich oft nur schwer in ihr zurecht, nicht nur wegen der Sprache. Alles redet laut durcheinander. In dem Wirrwarr der Stimmen habe auch ich Probleme, zu Wort zu kommen. Ich brauche Blicke, die mir zugewandt sind und eine gewisse Stille. Doch die gibt es bei meinen temperamentvollen Nachbarn nicht.
Um erhört zu werden, gibt es verschiedene Strategien: Mancher versucht es mit einer durchdringenden Stimme, ein anderer redet unerschrocken einfach so lange weiter, bis man ihm zuhört. Das Resultat macht Lärm. Als es wieder einmal besonders lebhaft zuging, griff sich jemand den erstbesten Gegenstand, den er zwischen den Gläsern fand, hielt ihn triumphierend in die Höhe und rief „Hibou“! Seitdem ist die Eule aus Messing zum geflügelten Wort geworden und sorgt auch dann für Gehör, wenn sie nicht greifbar ist.
Begegnung in der Stille
Lange funktioniert das mit dem Zuhören jedoch nicht. Doch ich habe einen Plan. Vor ein paar Jahren habe ich mich zur Begleiterin kranker Menschen ausbilden lassen. Dabei gab es eine Übung, die mich sehr beeindruckt hat: Es wurde ein Redeanlass gegeben — ein Text, ein Bild, ein Film, eine Situation — und in Kleingruppen darüber ausgetauscht. Jeder bekam drei Minuten Zeit, sich zu äußern.
Die Anweisung war nicht nur, dass alle anderen während dieser Zeit schweigen und sich für das Gesagte öffnen. Jeder sollte außerdem ausschließlich über das sprechen, was das Thema mit ihm machte, was er dazu empfand, welche Gedanken in ihm hochkamen. Keine Argumente, keine Analysen, kein Pingpong. Es kam nur darauf an, präsent für die eigene Wahrnehmung und die Äußerungen der anderen zu sein.
Ich war überrascht, wie lang drei Minuten sein können. Es ist leicht, sich auf die Worte eines anderen zu stützen oder sie zu widerlegen. Doch an Reaktionsketten gewöhnte Menschen tun sich schwer damit, aus sich selbst heraus zu schöpfen. Wenn der erste Schwall heraus ist, entsteht oft eine verunsichernde Pause. In der Stille jedoch und in der Gewissheit, nicht unterbrochen zu werden, formen sich neue, manchmal unerwartete Gedanken.
Vom Duell zum gemeinsamen Spiel
So erlebte ich, dass das, worauf es mir im Austausch mit anderen ankommt, nicht das Hochleistungsargumentieren ist, sondern der wirkliche Austausch, die Nähe, das gegenseitige Berühren. Meinungsduelle, in denen man sich gegenseitig seine Argumente um die Ohren schlägt, Diskussionen, aus denen man als Sieger hervorzugehen versucht und Standpunkte, auf denen man beharrt, machen eher einsam als Spaß.
Mehr als andere plattzureden gefällt es mir, zusammen mit ihnen weiterzukommen und aneinander zu wachsen. Dieser gemeinsame Prozess braucht nicht nur den Mut zur Stille und zum Zuhören, sondern ebenfalls Präsenz und den Zugang zu der eigenen Wahrnehmung: Wie fühle ich mich in dieser Situation, mit dieser Information? Was macht das Ereignis mit mir? Welche Ängste, Hoffnungen, Freuden werden berührt?
Nur wenn wir das wagen, können wir zusammenkommen und eine kreative Gemeinschaft entstehen lassen, in der wir uns nicht gegenseitig über das Spielfeld jagen, sondern Regeln vereinbaren, die auch die Leisen schützen. So macht das Spiel erneut Spaß. So können wir einander in unserer Menschlichkeit begegnen und so kann es uns gelingen, aus der Zerstörung herauszufinden und gemeinsam etwas aufzubauen, von dem alle etwas haben.