Wir alle leben ungefragt darin. Jeden Tag, mit größten Auswirkungen auf unser aller Leben. Doch selbst Berufspolitiker, Professorinnen und Journalisten wissen oftmals nicht, was das ist: Kapitalismus?
Angesichts der ewigen Krise fordern sie geistig-moralische Wenden der einen oder anderen Art. Sie wollen eine Abkehr von der Gier oder die Entfaltung von kraftvoller Eigeninitiative; sie schwören auf „grünes“ Wachstum oder freiwilligen Verzicht; sie halten viel von der Besinnung auf sich selbst oder der Verfolgung des Glücks.
All das ist Humbug. Das ökonomische System, in dem wir leben, ist der Kapitalismus. Er funktioniert so, dass die Menschen in Kapitalisten und Lohnabhängige eingeteilt sind (1).
Kapitalisten müssen innerhalb dieses Systems danach streben, ihr Eigentum und Geldguthaben zu erweitern, alle anderen müssen ihre Zeit und ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben. Beide Seiten gehen früher oder später unter, wenn sie es nicht tun.
Die einen müssen deshalb darüber bestimmen, was produziert wird, um Gewinne zu machen, die anderen müssen sich unterordnen und um Jobs bewerben, in denen sie sich verdingen können.
So läuft der Laden
Damit das immer und überall genau so bleibt, hat der bürgerliche Staat seine Gesetze und seine Polizei aufgestellt, die diese Ordnung im Land mit aller Gewalt des Rechtsstaates durchsetzen. Im historischen Maßstab sorgen große und weit entwickelte Länder wie Amerika, Frankreich und England, aber auch eher zweitrangige Länder wie Deutschland, Russland und Spanien oder Bündnisse wie die EU und die NATO für die Durchsetzung der Kapitalinteressen.
Dieses weltweite Herrschaftsstreben des Kapitalismus nennt man Imperialismus. Der Imperialismus kann sich sowohl gegen ältere rückständige Adels- oder Kirchenherrschaften richten, als auch gegen — zumindest formalhistorisch — fortschrittlichere sozialistische Länder. Die beiden anderen Formen werden im Imperialismus Diktaturen oder Totalitarismus genannt. Die imperialistischen Länder nennen sich selbst meist bürgerliche Demokratien oder beziehen sich darauf.
Im Kapitalismus wird alles zur Ware gemacht, auch die Menschen selbst. Ware bedeutet, dass alles einen Preis bekommt, also ein Wert in Geld zugeordnet wird, der es innerhalb des Systems selbst auf dem Markt austauschbar machen soll.
Unter kapitalistischen Bedingungen muss die Ware oder der Mensch entweder billiger, schneller oder besser sein, als jene Waren oder Menschen, zu denen es, er oder sie in Konkurrenz gestellt wird. Auch Güter, die bislang keine Waren waren, bekommen einen Preis; ein Beispiel dafür ist die Kommodifizierung der Gastfreundschaft in der eigenen Mietwohnung durch Airbnb.
Gefangen im Wachstumszwang
Der Kapitalismus muss beständig wachsen. Wenn er nicht immer mehr und zusätzliches Geld für Waren aufhäufen kann (2), gerät er sofort in eine Krise. Weil Geldvermehrung (Profit) das einzige Systemziel ist, gerät er ins Wanken, wenn dieses Ziel des Profits gefährdet oder auch nur in Frage gestellt wird.
Denn wenn das Wachstum aufhört, sinkt im Schnitt der Profit der Unternehmer; Investitionen werden tendentiell unprofitabel. Deshalb kommt Panik auf, wenn sich eine Rezession ankündigt. Die Produktion wird nicht einfach weniger, sondern kann teilweise oder ganz zusammenbrechen wie ein Kartenhaus.
Diese Verlustangst ist durchaus begründet und logisch — also wissenschaftlich und folgerichtig —, genauso wie die Investitionen und das Interesse an Gewinnen durch Geldvermehrung im Kapitalismus begründet und logisch sind, wenn es positive Wachstumsraten gibt. Produziert wird, wenn Gewinn zu erwarten ist. Das hat viele Vorteile in Boomzeiten und Nachteile in Stagnationsszenarien; es kommt darauf an, in welchem Entwicklungsstadium sich eine Volkswirtschaft befindet.
Opfer und Täter zugleich
Innerhalb des Kapitalismus können weder Kapitalisten noch Arbeiter etwas für ihre Position im System; Kapitalisten hätten allenfalls die Möglichkeit, ihr Geld und Eigentum zu verschenken, dann werden sie selbst zu Lohnabhängigen; Lohnabhängige können allenfalls in den Generalstreik treten, dann werden sie zu Revolutionären und müssen sich selbst organisieren.
Andere Möglichkeiten gibt es im Kapitalismus nicht, auch nicht die auszusteigen oder sich zu reformieren, weil der Kapitalismus überall, wo er vorherrscht, immer die gleiche rationalistische Logik mit sich bringt. Es kann keinen „lieben“ Kapitalismus geben, sondern nur unterschiedliche Entwicklungsstadien ein und desselben.
Es gibt zwar Nischen innerhalb des Kapitalismus, in denen eine Zeit lang langsamer gewachsen werden kann oder in denen die Verluste aus Erbschaften, Steuern oder direkt aus anderen Industrien bezahlt werden. Die Warenproduktion muss aber insgesamt wachsen und schließt dabei expansiv alle anderen Weltregionen an, die sich am Freihandel beteiligen wollen oder müssen.
Marktwirtschaft ist keine Lösung
Wenn der Wert einer einzelnen Ware sinkt, ist das Kapital daran interessiert, größere Massen dieser Waren abzusetzen. Wenn Massenware nicht mehr abgesetzt werden kann, bricht der Wirtschaftskreislauf an dieser Stelle zusammen. Der Kapitalismus kann nicht auf Nachhaltigkeit umgestellt werden, ohne zusammenzubrechen. Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit schließen sich damit aus.
Nachhaltigkeit bedeutet, Waren nicht mehr so herzustellen, dass sie in immer kürzerer Zeit für immer weniger Geld geliefert werden — und möglichst immer schneller ersetzt werden müssen. Nachhaltigkeit ist in der Wirtschaft das Gegenteil von profitabler Warenwirtschaft.
Eine profitable Nachhaltigkeit kann es nicht geben, weil bei Nachhaltigkeit alle ökologischen und sozialen Kosten eingepreist werden. Nachhaltigkeit wird oft mit der Nischenökonomie der Bio- und Ökosiegel verwechselt. Gegen die grünen Siegel ist nichts einzuwenden, nur nachhaltig sind sie eben nicht. Sie können es nicht sein.
Bedürfnisbefriedigung
Bei der Nachhaltigkeit wird davon ausgegangen, dass Güter dazu da sind, Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Die Güter müssen sehr lange halten, mit wenig Ressourceneinsatz hergestellt werden und dürfen den Planeten mittel- und langfristig nicht schädigen. Sie müssten deshalb hergestellt werden, ohne dass dabei Profite erwirtschaftet werden können. Denn Profite werden in einem Konkurrenzsystem (Marktwirtschaft) wie dem Kapitalismus nur dann erwirtschaftet, wenn eben möglichst günstig und schnell produziert und Planet und Menschen ausgebeutet werden, ohne dass das eingepreist würde. Waren werden ins Eigentum übergeben, Güter bereitgestellt.
Ein „grüner“ Kapitalismus, also eine Marktwirtschaft, die innerhalb bestimmter Grenzen die ökologischen Folgekosten etwa durch Ökosteuern einpreist, ist nicht möglich, weil die Unternehmer anderer kapitalistischer Länder immer dazu neigen werden, günstigere konventionelle Waren zu produzieren und die Waren der teureren „grünen“ Länder im Preis überall zu unterbieten — auch auf deren eigenen Terrain.
Die „grünen“ Länder fallen beim Export zurück, können nicht mehr wachsen und brechen schließlich ökonomisch ein, bevor sie überhaupt „grünes Wachstum“ zu Ende buchstabiert haben. Dies ist etwa der deutschen Solarindustrie widerfahren (3).
Konventioneller Kapitalismus wird immer günstiger sein als der „grüne“ — deshalb hat er sich ja bis heute so ausentwickelt und ist noch immer nahezu ungebremst dabei, weltweit die Umweltzerstörung voranzutreiben. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Scharlatan (4), spielt also bewusst falsch, oder ist besten Willens, aber wissenschaftlich nicht orientiert.
Es gibt kein „grünes“ Wachstum
Alle relevanten Kurven steigen an, viele exponentiell. Kein einziger wichtiger Indikator der Umweltzerstörung sinkt (5). Ein Versuch, die ökologischen Krisen weltweit zu bearbeiten, sind die sogenannten COP-Klimagipfel.
Beim 21. seiner Art im Jahr 2016 in Paris haben die Regierungen der imperialistischen Länder plus sehr vieler weiterer Länder beschlossen, wie sie den Kapitalismus bewahren und trotzdem etwas mehr Ökologie wagen wollen. Die Ziele sind nach Ansicht aller WisenschaftlerInnen, die sich mit der ökologischen Krise befasst haben, absolut lächerlich — und werden von der Bundesrepublik noch nicht einmal eingehalten.
Dabei mangelt es nicht an Bewusstsein für das Problem. Seit „Die Grenzen des Wachstums“, dem Bericht des Club of Rome aus den Jahren 1971/72, ist fast alles über das Umweltproblem des Menschen auf dem Planeten Erde bekannt.
Man könnte auch andere Studien nennen, die danach kamen und auch einzelne Untersuchungen, die bereits davor angefertigt worden waren. Wir wissen, dass der Mensch — also wir alle — den einzigen Planeten, den wir haben, durch die marktwirtschaftliche Produktionsweise zerstört und dabei ist, ihn früher oder später für sich selbst unbewohnbar zu machen.
Das findet wider besseres Wissen statt, wie auch wider besseres Wissen soziale Krisen ausgelöst werden — man könnte fast auf die Idee kommen, ein Kaptalismustribunal einzurichten (6).
Fortgesetzter Wahnsinn wider besseres Wissen
Dieses Wissen ist 2019 seit fast fünf Jahrzehnten vorhanden. Jeder Mensch mit Zugang zu höherer Schulbildung hat Kenntnis davon. Die Studie des Clubs of Rome wurde damals übrigens von Kapitalisten bezahlt, die WissenschaftlerInnen mit Geld ausstatteten, damit sie diese Arbeit unabhängig machen konnten.
Seither hat der Kapitalismus eine Vielzahl von Krisen durchlaufen und konnte sich nur dadurch aufrecht erhalten, dass er „nach innen und außen“ Kriege führte.
„Nach innen“ bedeutet Privatisierung von staatlichen Unternehmen, Ausverkauf von Wohnungen und Grundbesitz, und es bedeutet, dass die Lohnabhängigen immer verdichteter und schließlich auch länger für stagnierende und schließlich in realer Kaufkraft sinkende Löhne arbeiten müssen — oder ganz aus der Produktion ausgeschlossen werden (Arbeitslosigkeit, Hartz IV, sogenannte Bullshitjobs und so weiter).
„Nach außen“ bedeutet, dass der Imperialismus andere Weltregionen überfallen und unterworfen hat, um auf dortige Ressourcen für die eigene Produktion, wie Erdöl oder billige Arbeitskräfte, aus weniger entwickelten Ländern zugreifen zu können.
Für die jüngeren Generationen in Europa bedeutet das, dass sie zu halben Konditionen arbeiten müssen, dafür aber länger und zudem nach verkürzter und verschulterer Ausbildungszeit. Arbeit wird immer häufiger als sinnlos empfunden, weil sie nicht mehr dazu beiträgt, dass sich die Welt materiell verbessert.
Wohnungen werden kleiner und teurer, alles wird knapper und enger. Dabei müsste doch alles immer besser werden, weil Menschen ja arbeiten — bauen, forschen, verbessern, schmücken — und seit 1945 bislang keine kontinentalen Kriege oder große Naturkatastrophen in Europa dazwischen gekommen sind.
Beliebte Sündenböcke
Der Volksmund sagt: „Die Zeiten werden schlechter!“. Diese Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, die allzugern auf Ausländer, Juden, Frauen, Schwule, Hedonisten, Kranke, Kinder und Alte abgeschoben wird, auf die vermeintliche „Dekadenz“ der Schwachen oder in Enge Getriebenen also, ist bei jahrzehntelang insgesamt steigender Produktivität der Ökonomie AUSSCHLIESSLICH auf den Kapitalismus zurückzuführen. Der hat sich nämlich alles einverleibt, was das Leben hätte verbessern können (und müssen).
Anstatt die ansteigende Produktivität — das bedeutet, dass ein Teil in kürzerer Zeit von weniger Menschen und in höherer Zahl mit demselben oder sinkenden Aufwand hergestellt werden kann — in die Verbesserung des Lebens zu investieren, ging der Mehrwert nicht nur in das Portemonnaie der Kapitalisten.
Die haben damit in den vergangenen fünf Jahrzehnten eine wahnwitzige Sphäre aufgezogen, die mit dem Begriff „entrückte Parallelwelt“ viel zu freundlich beschrieben ist und für schlichtere und boshaftere Gemüter allerlei Anlass zu Sündenbocktheorien von Freimaurern bis Aliens bietet. Darin besteht aber noch kein struktureller Unterschied zu älteren Phasen des vor rund 250 Jahren entstandenen Kapitalismus.
Für die in der Gegenwart Lebenden ist viel schlimmer als eine in dieser Spaltung faktisch nie zuvor dagewesene fanatische Klassenherrschaft über alle anderen Menschen auf der Erde, dass diese Form der kapitalistischen Produktionsweise in ihrer Spätform in Westeuropa und Nordamerika eine extraktive Logik (7) hervorgebracht hat.
Das Kapital spekuliert letztlich mit dem eigenen Untergang und macht auch damit Gewinne. Es hat in Europa und Nordamerika, der sogenannten Ersten Welt eine Deindustrialisierung zur Folge und ein rauschhaftes Wachstum in China und Fernost, das sozial und ökologisch kaum gebremst wird.
Wetten auf den Untergang
Das weitverbreitete Aufkommen apokalyptischer Gedanken, bis hin zu der Überzeugung, dass die Gesellschaft demnächst zusammenbrechen werde, hat also durchaus realökonomische Gründe, selbst wenn diese nur „gespürt“ und falsch kanalisiert werden. Das Kapital hat begonnen, seine Ausgangs- und Trägergesellschaften zu kannibalisieren, und ist dabei recht weit fortgeschritten.
In der Hochphase der Neoliberalen Epoche (8) werden soziale Errungenschaften zurückgebaut und der allgemeine Lebensstandard sogar im gesellschaftlichen Mittelwert verschlechtert. Ökonomische Krisen gehen einher mit sinkenden Geburtenraten, gestiegener und weiter steigender Aggressivität im Alltag, Verrohung und Verflachung der Sprache, der Musik, der Architektur und Literatur sowie massenhaften Ohnmachtserfahrungen, die für menschenfeindliche und rückwärtsgewandte Ideologen — also für Rechte und Religiöse — ein ersehntes Feuchtbiotop bilden.
Denn jeder weiß, dass es früher einmal besser war, zumindest für sehr viele. Es hat einmal eine Welt gegeben, die in vielerlei Hinsicht für die Mehrheit der Menschen im Alltag schöner, entspannter, freier und weniger überwacht gewesen war, in der beim Wohnen, Essen, Urlaub und der Kultur nicht gespart wurde, sondern tendentiell immer etwas mehr zur Verfügung gestanden hatte.
Ja, früher war es objektiv etwas besser
Das hat sich seit der sogenannten Finanzkrise ab 2007 umgekehrt. Die Finanzkrise stellte sich damit als Kürzungsprogramm gegen die Lohnabhängigen heraus. In einigen Ländern sanken sogar kurzzeitig die umweltschädlichen Emissionswerte, danach sprangen sie wieder in die Höhe und steigen weiter (9).
Die Krisenerfahrung betrifft mittlerweile Menschen in West- wie Ostdeutschland sowie in ganz West-und Südeuropa. Wenn der Einzelne dadurch nicht mehr systematisch denken kann oder nicht die entsprechende Bildung als Einstieg bekommt, erscheint die Gegenwart wie ein unverdientes Schicksal und in einem nächsten Schritt die Vergangenheit erstrebenswert.
Wer weiterhin an die liberalen Versprechungen glaubt — in welcher bürgerlichen Färbung auch immer — muss sich in einer immer engeren Karrierewelt trimmen und immer fanatischer gegen seine Mitmenschen durchboxen. Ein Krieg erscheint schließlich als „reinigendes Gewitter“, in dem überschüssige Energien eines als kärglich oder sinn- und ziellos wahrgenommenen Lebens abgebaut werden.
Warten auf die nächste „Stunde Null“?
Wenn danach alles in Schutt und Asche liegt, kann wieder eine Boomzeit ausgelöst werden. Es gibt viel zu tun und viel Platz. Aber das gäbe es auch so, wenn man den Fetisch der produktiven Arbeit zurückdrängen würde — und Menschen einfach soziale und kulturelle Tätigkeiten machen könnten.
Ein ästhetischer Ausdruck der sich erhitzenden Sozialpsyche ist der seit zwanzig Jahren grassierende Stadtjeep, der SUV, eine panzerartige Beleidigung aller anderen anwesenden Fußgänger, Fahrradfahrer und Kleinwagenfahrer im geteilten öffentlichen Raum.
Schuld am Klimawandel ist er allerdings nicht. Und auch seine Ersetzung durch massenhaft neu-zu-produzierende Stromautos wäre kaum ein Tropfen auf den heißen Stein gegen die menschengemachte Klimaschädigung, denn auch die Elektrokutschen müssen energieaufwendig hergestellt werden.
Im Kapitalismus kann das E-Auto nur dann profitabel sein, wenn es teurer ist oder massenhafter und in kürzeren Intervallen abgesetzt wird als das Auto mit Verbrennungsmotor. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Am Ende könnte es wieder nur unausweichlich heißen: „Wir wollten das Beste, aber es kam wie immer“ (Viktor Tschernomyrdin).
Was tun?
Es gibt keinen „grünen“ Kapitalismus. Eine Verbesserung der selbstmörderischen Ökobilanz des Menschen ist aber möglich. Dafür muss von der Warenproduktion — viele Stromautos für viele Verbraucher — auf die Bereitstellung von Gütern umgestellt werden, wie öffentlicher und für die Benutzung kostenlos bereitgestellter Personenverkehr.
Die Stromtaxis, Busse und vor allem Bahnen werden als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge auf extreme Langfristigkeit hin produziert, instandgehalten und betrieben. Dafür wird die Automobilindustrie verstaatlicht und umgebaut. Die ÖPNV-Stromtaxis „Berlkönig“ in Berlin sind ein gutes, digitalgestütztes Beispiel, das in einem riesigen Maßstab zentral gesteuert ausgebaut werden muss!
Immer mehr Bereiche werden nach ökologischen und sozialen Kriterien der kapitalistischen Verwertung entzogen, einer nach dem anderen und das recht schnell: Das Wohnen in den Städten, der Flugverkehr, die Bahn, die Post, die Krankenhäuser, die Spekulation mit Agrarprodukten und last but not least: die Banken. Recht schnell muss es gehen, weil die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der wichtigsten Dienstleistungen zur Daseinsvorsorge im Krisenmodus nicht lange bestehen können.
Weil das so ist, drucken die Notenbanken in Nordamerika und Europa seit 2007 kontinuierlich Geld, das sie den Banken schenken, damit diese den Geldkreislauf aufrecht erhalten können und zumindest noch ein paar Investitionen stattfinden, auch wenn diese immer unrentabler oder extraktiver werden. Das Wort extraktiv ist auf mehreren Ebenen verwendbar, zum Beispiel auch bei der kaum regenerierbaren Ausbeutung von Meeren und Böden.
Es gibt mit konventionellen Mitteln keinen Weg aus dieser Spirale heraus. Und er ist auch nicht unter der Doktrin des Freihandels umsetzbar: Der ökologische Umbau erfordert notwendigerweise zunächst nationale Maßnahmen, in welcher Skalierungsstufe auch immer, anders ist er nicht möglich.
Die EU könnte unter erheblich veränderten Umständen ein Instrument dafür sein, aber auch eine ökologisch autonome Regionalwirtschaft, solange sie unter lebensmäßig liberalen — also universalistischen — Kriterien errichtet wird. Auf eine geschwächte UN kann nicht einmal mehr gehofft werden; diese wurde nicht gegen Kapitalinteressen errichtet und kann sich ja nichteinmal im Sinne der absurd geringen COP-Klimaziele durchsetzen.
Die große Reise
Es hat auch keinen Sinn, sich von Spiritualität oder persönlichen Beschränkungen gesellschaftliche Linderung zu erhoffen. Es geht nicht darum, ob Sie persönlich statt sechs Interkontinentalflügen im Jahr nur noch zwei im Jahr machen. Es geht darum, ob wir noch zwei Interkontinentalflüge im ganzen Leben machen können und wie wir uns diese Möglichkeit möglichst klimaschonend erhalten.
Immerhin haben wir dann von dieser einen großen Reise in die fernsten Fernen wirklich etwas zu erzählen, eine Sprache gelernt, Freunde gefunden und dem kulturellen Austausch ein bisschen geholfen. Zurück zuhause wird man uns lauschen und alles wissen wollen. (Einmal schnell Thailands Strände angucken können wir noch am Bildschirm, nicht per Flugzeug.) — Das sind in etwa die Maßstäbe, von denen wir sprechen müssen, nicht von veganer Eiscreme aus Los Angeles.
Es wird entweder zu einem großen Krieg kommen — deshalb war die Kriegstreiberei gegen Libyen, Russland und so weiter in den Jahren nach der sogenannten Finanzkrise auch folgerichtig und letztlich nur ein „kleines Vorspiel“ für das, was in der kapitalistischen Logik noch kommen wird — oder zu einem sozialökologischen Umbau — den es ohne konsequenten Sozialismus nicht geben kann, was zu beweisen war.
Letzteres ist letztlich für alle Menschen mit Kindern oder einem Herz für Kinder rational und wünschenswert — selbst für jene, die von der derzeit noch bestehenden Marktwirtschaft eher profitieren.
Sitzen Sie bequem? Oder gar fest im Sattel?
Ist so ein sozialökologischer Umbau eine bequeme Sache? Erstmal nicht, so ehrlich sollte mensch sein. In den Siebzigern wäre die Transformation unter den Kriterien einer noch einigermaßen prosperierenden und stabilen Ökonomie möglich gewesen und die besten unter den echten Grünen in West (10) und Ost (11) setzten sich dafür ein.
Ihnen entgegen standen dieselben Karrieristen und andere Sesselfurzer aller Parteien, die sich bereits mit Ende 20 auf die eigene Rente vorbereiteten. Von jenen ist auch heute wenig zu erhoffen, allerdings unter weitaus krisenhafteren und aus ihrer Sicht gefährdeteren Bedingungen, zum Beispiel bald ein Jahr jeden Samstag revolutionäre Gelbwestenproteste in Frankreich. Sie sitzen nicht mehr fest im Sattel.
Die reale Aussicht heute ist aber nicht nur negativ. Die gute Seite eines sozialökologischen Umbaus besteht darin, viel weniger arbeiten zu müssen und gelassener oder heiterer leben zu können. Die psychischen und körperlichen Energien, die nicht mehr im fanatischen Gelderwerb und künstlichen Überlebenskampf aufgewendet werden, können für Kinder, Kunst, Faulheit, interessante Architektur und überhaupt all jenes aufgewendet werden, das gegenwärtig als überflüssig gilt, aber die höchste Qualität des Menschseins ist (12).
So oder so
Bereits in den 1930er Jahren wurde nachgewiesen, dass mit einer 20-Stunden-Woche alle reproduktionswichtigen Arbeiten auf hohem Niveau erledigt werden können (13). Seither ist die Produktivität noch sehr viel weiter gestiegen.
Bei vernünftiger Organisation der Produktion müsste sich kein Mensch auf der Erde ernste Sorgen machen — weder um sein eigenes Überleben noch um das Überleben der ganzen Menschheit in der Zukunft.
Beides ist gegenwärtig bedroht. Und das auch noch unter den Bedingungen einer 40-Stunden-Woche und eines sinkenden Lebensstandards. Das ist absurd und wird nicht aufrecht zu erhalten sein — so oder so.
Quellen und Anmerkungen.
(1) Klassisch nennt man die einen Bürgertum/Bourgeoisie und die anderen die Arbeiterschaft/Working Class. Etwa seit dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) kommt es aber zu Verwechslungen, denn immer mehr Lohnabhängige wollen sich Bürger nennen — etwa Staatsbürger —, um damit ihre formale Gleichberechtigung vor dem Gesetz anzudeuten, die sie aber faktisch im Leben nicht haben. Nur etwa fünf Prozent der kapitalistischen Gesellschaft sind wirklich machthabende Bürger, also Kapitalisten. Ein Mercedes und zwei kleine Fachfleischereien reichen für den Status im Monopolkapitalismus der Gegenwart nicht aus. Sie sind, wie alle anderen Lohnabhängige, ebenso alle kleinen und mittleren Dienstleister, Handwerker, Freiberufler, Händler, Angestellten, Arbeiter, Auszubildenden, Arbeitslosen, Schüler, Studenten, abhängige Gattinnen und Gatten, alle Kinder und armen Greise. Das Bürgertum hat zusammen mit aufmüpfigen Arbeitern die Feudalisten, also die Könige und den Klerus, als herrschende Klasse abgelöst. Die bekannteste Revolution dieser Art fand 1789 in Frankreich statt. Die bürgerliche Revolution fiel sehr blutig aus. Viele Adlige wurden einfach massakriert und an Laternenpfählen gehenkt oder unter der Guillotine zur allgemeinen Belustigung auf Marktplätzen grausam enthauptet. Schlösser und Kirchen wurden geschleift oder in Pferde- und Schweineställe umfunktioniert. Die bürgerliche Revolution forderte ungeheuer blutige Opfer ein — das sollte man jenen entgenhalten, die sich heute ostentativ auf das Bürgertum beziehen und der Ansicht sind, den Fortschrittlichen der Gegenwart latente Gewaltneigungen vorzuwerfen. Zumal das Bürgertum mit dem Kapitalismus eine maßlos verlustreiche und gewaltsame Ökonomie hervorbrachte, eine Produktionsweise, deren direkte und indirekte Todesopfer bis heute kaum gezählt sind.
(2) Der Ökonom Karl Marx (geboren 1818 in Trier, gestorben 1883 in London) wählte dafür die berühmte Formel G — W — G‘: Geld wird zur Ware wird wieder zu Geld plus dem Mehrwert. Die Ware wird zum bloßen Vermittler, das Geld wird zum Kapital. Karl Marx: „Das Kapital“, Band 1, Viertes Kapitel. Verlag Otto Meissner, Hamburg 1867.
(3) Vergleiche https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/erneuerbare-energien-warum-trotz-hoher-nachfrage-immer-noch-deutsche-solarfirmen-pleitegehen/24943702.html
(4) Vergleiche https://taz.de/Essay-zum-Linksliberalismus-in-Europa/!5216612/
(5) Zum Beispiel CO2-Emissionen, siehe https://www.heise.de/tp/features/CO2-Emissionen-in-der-Atmosphaere-steigen-weiter-exponentiell-4442035.html
(6) Vergleiche „Das Kapitalismustribunal — zur Revolution der ökonomischen Rechte (Das rote Buch)“, Passagen Verlag, Wien 2016; http://www.passagen.at/cms/index.php?id=62&isbn=9783709202203
(7) Vergleiche Saskia Sassens Werk, Kurzbeschreibung zum Beispiel hier https://www.theaterspektakel.ch/programm19/produktion/saskia-sassen/
(8) Der Autor wird nicht müde, diese in allen seinen Publikationen auch als solche zu benennen, weil die Neoliberale Epoche spezifische kulturelle, ästhetische, ökonomische, soziopsychologische, künstlerische und sogar linguistische Umrisse aufweist, die der Autor auch kulturwissenschaftlich untersucht.
(9) Die Finanzkrise führte zu sinkenden Umweltemissionen in den am meisten betroffenen Weltregionen, eine Hoffnung ist das aber allenfalls für Fatalisten; vergleiche https://www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/emissionen-wirtschaftskrise-liess-co2-ausstoss-kaum-schrumpfen/3514974.html?ticket=ST-11293324-aks3kDF3dthM67hrIIib-ap2
(10) So etwa beispielsweise Rainer Trampert, der sich wie so viele zurückzog, als klar wurde, dass die Grüne Partei niemals in der Lage sein würde, soziale oder grüne Politik durchzusetzen, vergleiche https://de.m.wikipedia.org/wiki/Rainer_Trampert
(11) Vergleiche Wolfgang Harich: „Kommunismus ohne Wachstum — Babeuf und der Club of Rome“. Rowohlt Verlag, Hamburg 1975.
(12) Vergleiche „Sag alles ab! — Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik“. Edition Nautilus, Hamburg 2015.
(13) Vergleiche Bertrand Russell: „In Praise of Idleness“ (Lob des Müßiggangs), Allen and Unwin, London 1935.