Seit 2005 habe ich mich auf das Jahr 2021 gefreut. Nun ja, ich hoffte eigentlich, dass 2009, 2013 oder 2017 das Jahr meiner Sehnsucht wird, in dem Merkel endlich weg sein würde. So richtig Freude kommt jetzt aber nicht auf.
Nun also ist Angela Merkel als Kanzlerin Geschichte. Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich könnte schon 2009 einen solchen Abschiedstext schreiben. Als die Frau 2005 Bundeskanzlerin wurde, hatten alle noch ihre Positionen im Kopf, mit denen sie sich etwa anderthalb Jahre zuvor auf dem Leipziger Konvent an ihre Partei richtete. Sie stellte diesem Land eine strikte neoliberale Agenda in Aussicht. Nicht, dass es uns in jenen Jahren an einer solchen Agenda gemangelt hätte. Die SPD und die Grünen paukten zeitgleich ihre Agenda 2010 durch.
Jedenfalls war ich damals jung und naiv genug, um zu glauben, dass Merkel spätestens 2009 abgewirtschaftet haben würde. Das Problem war, dass die Sozialdemokraten parallel dazu auch abwirtschafteten. Es gab also keine Alternative zu Merkel. Sie blieb Kanzlerin. Bis 2013, wie ich meinte. Meine Einschätzung war nicht falsch, bei der Bundestagswahl in jenem Jahr hätten SPD, Grüne und Linke eine Mehrheit gehabt. Sie wollten aber nicht. Also würde Merkel bis 2017 bleiben. Aber auch nach dieser Bundestagswahl verlängerte sie: Aus Mangel an Alternativen, die SPD baute mehr und mehr ab.
Merkel muss weg!
Ich gehöre also zu denen, die seit frühester Stunde sagten, dass Merkel weg müsse. Früher war das der Spruch derjenigen, die etwas gegen neoliberale Politik hatten. Später wurde die AfD gegründet und auch sie machte klar: „Merkel muss weg!“ Wer den Slogan ab diesem Zeitpunkt gebrauchte, galt plötzlich als rechter Hetzer — dabei kam die Losung einst aus dem eher linken Lager, von Leuten, die gewerkschafts- und arbeitnehmernah waren. Von einem Moment auf den anderen, ziemte es sich nicht mehr, Merkel weg haben zu wollen. Niemand sollte so eine Forderung mehr aufstellen, wegen der AfD und all den Rechten und was weiß ich was.
Vor einigen Jahren erklärten einige Menschen aus meinem Umfeld, sie würden jetzt erstmalig Merkel wählen, das hätten sie noch nie zuvor getan und könnten das heute selbst kaum glauben. Warum? Antwort: Um die AfD zu schwächen.
Ich erwiderte, dass ich immer dafür war, dass diese Frau gar nicht erst Kanzlerin hätte werden sollen. Sie muss weg. Da wurde ich mit großen Augen angeschaut, einer sagte: „Du klingst wie Gauland.“
Immer wieder hieß es, dass die Union der Bundeskanzlerin geschwächt sei, weil sich mit der AfD eine Partei etabliert hatte, die teilweise aus ehemaligen Mitgliedern der CDU bestehe und auch die Klientel, die diese Partei wähle, hätte früher eher die Union gewählt. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Als die AfD zum Faktor in diesem Lande wurde, nützte das der Kanzlerin. Alle waren sie plötzlich im Kampf gegen die AfD vereint — und wenn deren Vertreter sagten, dass Merkel weg müsse, sagten alle anderen das Gegenteil. Oder wählten die Frau sogar, damit die AfD nicht gestärkt würde.
Sozialdemokratisiert hat die Kanzlerin ihre Partei auch nie. Das war ein anderes Narrativ, das man den Rezipienten über ein Jahrzehnt auftischte. Sich in gesellschaftlichen Fragen liberal zu geben, woke Themen anzunehmen: Was hat das mit der sozialen Frage zu tun? Die Frau war eine, die sich stets vom Meinungsbild treiben ließ, nebenbei zerstörte sie die europäische Einheit, ließ sich aber als deren Retterin feiern. Rückgrat besaß sie nie, rechtfertigte sogar noch Geheimdienstaktionen der Vereinigten Staaten. Schritt für Schritt verlor sie innenpolitisch die Kontrolle: Aber blieb dennoch im Amt, weil sie sich als Bollwerk der AfD generierte.
Ein Nachfolger ohne rote Linien
Es wurde wirklich Zeit, dass Angela Merkel das Feld räumt. Sie war längst überfällig. Kanzler sollten im Grunde, wie der US-Präsident, maximal acht Jahre im Amt bleiben. Oft habe ich mir in den letzten 16 Jahren vorgestellt, welcher Ballast von diesem Land fallen würde, wenn sie endgültig nicht mehr Kanzlerin wäre. Tja, wie gesagt, ich war naiv. Eigentlich merkt man nun gar nicht, dass sie weg ist. Der kleine Olaf Merkel: Er wirkt ein bisschen wie eine haarlose Kopie seiner Amtsvorgängerin und ehemaligen Chefin.
Seine Rhetorik ist die eines Gefährders. Denn mit das Erste, was er uns Bürgerinnen und Bürger mitteilen wollte, war ja: Seine Regierung kenne keine roten Linien mehr. Im Kampf gegen die Pandemie sei demnach fast alles erlaubt.
Diese offene Drohung wurde von den Berichterstattern nicht weiter kritisiert. Bei manchem Medium hatte man eher den Eindruck, dass so ein harter Hund die Verantwortlichen richtig beeindruckte. Was heißt das eigentlich, wenn es keine roten Linien mehr gibt im Seuchenschutz? Hauskontrollen? Kontaktverbote? Ausgangssperren für bestimmte Bevölkerungsgruppen? Totale Diskriminierung? Quarantänelager? Alles ist denkbar, denn all das, was ich hier nenne, das sind rote Linien. Und über die ist die Regierung unter Scholz hinweg.
Nein, ich wünsche mir sicher nicht die Kanzlerin zurück. Solche Nostalgie macht sich nun echt nicht breit bei mir. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass Angela Merkel gar nicht das Bollwerk gegen eine AfD war, die man gemeinhin als demokratiegefährdend ansieht, sondern eine Art Straßensperre gegen eine SPD, die das mit der Demokratiegefährdung mindestens genauso gut kann.
Man muss ja diesen Olaf Scholz auch ein bisschen verstehen. Seine Partei war tot. Eigentlich ist sie es noch immer. Sie hat das viertschlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren und dennoch die Wahl gewonnen. Da kann man schon mal übermütig werden, sich wie ein Retter fühlen und seine Bezugspunkte verlieren. Vor Größenwahn ist nun echt keiner gefeit. Eigentlich hätte der Mann nicht Kanzler werden dürfen. Wie einst die Kanzlerin schon nicht. Scholz muss weg.
Und wer nun meint, ich sei ein Rechter, weil ich das so fordere, dem sage ich nur: Ich bin das so sehr wie Scholz der Retter der SPD ist.