Beginnen wir also mit einer kurzen Rückschau auf die neuere Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Technik im Zuge der industriellen Revolution: Zweimal wurde die Menschheit bereits Opfer des technischen Fortschritts in Gestalt einer sich verselbständigenden Maschinerie: 1914 bis 1918 und noch einmal 1939 bis 1945.
Die Reaktion der zivilisierten Welt war der Ruf nach Ablösung imperialer Staatsformen, nach Demokratisierung, nach Revolution. Den radikalsten Entwurf legte Rudolf Steiner mit seinen Ideen zur Entflechtung des staatlichen Einheitsstaates durch eine Dreigliederung des sozialen Organismus vor. Diese Ideen, vorgestellt in seiner 1919 erschienenen Schrift „Die Kernpunkte der sozialen Frage“, rückten die Selbstverwaltung des wirtschaftlichen und des geistigen Lebens durch den selbstbestimmten Menschen in den Mittelpunkt, insbesondere die Befreiung geistiger und kreativer Kräfte von der Vormundschaft des ökonomisch dominierten Staates (1).
Beachten wir, womit Steiner die „Kernpunkte“ einleitete: Mit der Notwendigkeit, den von der Maschine entwürdigten Proletariern ihre Würde als Mensch zurückzugeben, um sie zu befähigen, ihrer historischen Aufgabe nachzukommen, auf neuer Entwicklungsstufe die Menschheit zu befreien. Der freie, mündige Mensch war das Ziel dieser Vorstellungen.
Die Frage der Beziehung von Mensch und Maschine war auch in den Folgejahren bis zu seinem Tode eines der zentralen Themen Steiners. Dem „Zusammenschmieden des Menschen mit der Maschine“ könne die Menschheit nicht ausweichen, erklärte er, das liege im Gang der Evolution. Wörtlich:
„Diese Dinge dürfen nicht so behandelt werden, als ob man sie bekämpfen müsste. Das ist eine ganz falsche Anschauung. Diese Dinge werden nicht ausbleiben, sie werden kommen. Es handelt sich nur darum, ob sie im weltgeschichtlichen Verlaufe von solchen Menschen in Szene gesetzt werden, die mit den großen Zielen des Erdenwesens in selbstloser Weise vertraut sind und zum Heil der Menschen diese Dinge formen, oder ob sie in Szene gesetzt werden von jenen Menschengruppen, die nur im egoistischen oder im gruppenegoistischen Sinne diese Dinge ausnützen.
Darum handelt es sich. Nicht auf das Was kommt es in diesem Falle an, das Was kommt sicher; auf das Wie kommt es an, wie man die Dinge in Angriff nimmt. Denn das Was liegt einfach im Sinne der Erdenentwickelung. Die Zusammenschmiedung des Menschenwesens mit dem maschinellen Wesen, das wird für den Rest der Erdenentwickelung ein großes, bedeutsames Problem sein“ (2).
Mit dieser Sicht unterschied sich Steiner noch keineswegs prinzipiell von seinen Zeitgenossen, auch er war durchaus offen für technische Erneuerungen, die das Leben erleichtern, gesünder und interessanter machen konnten wie etwa die Entwicklung des Automobils, elektrische Bühnenbeleuchtung und so weiter. Darauf muss hier nicht weiter eingegangen werden. Notwendig sei aber, so betonte Steiner, dass der technische Fortschritt als Herausforderung zur grundlegenden geistigen und sozialen Erneuerung begriffen und ergriffen werde, nicht nur als Impuls zu Reform oder Eroberung des herrschenden nationalen Einheitsstaates. Und er dürfe nicht auf nationalstaatliche Interessen beschränkt sein.
Steiners damalige Sicht beinhaltete auch die Hoffnung, dass Maschinen entwickelt werden könnten, die vom Menschen direkt, durch seine moralische Energie impulsiert und nicht von außermenschlichen Energien angetrieben würden. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den amerikanischen Tüftler John Worrell Keely, der Ende des 18. Jahrhunderts einen Motor entwickelte, der von keiner anderen Energiequelle gespeist wurde als der seiner eigenen Person. Keelys Vorführungen wurden damals als Betrug beiseitegeschoben. Heute kann man diese Erfindung mit anderen Augen betrachten. Darauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein (3).
Wer mehr zu diesen Fragen von Steiner lesen will, möge bei Paul Emberson nachschauen. Er hat die Entwicklungsgeschichte der „künstlichen Intelligenz“ (KI) auf den Spuren Steiners unter dem Titel „Von Gondishapur bis Silicon Valley“ (4) detailliert aufgearbeitet.
Einige Sätze von Emberson, die er dem ersten Band seiner Untersuchung vorausgeschickt hat, sollen jedoch in die weiteren Ausführungen mitgenommen werden: „In der modernen Physik“ schrieb er,
„beginnt sich bereits eine in der Geisteswissenschaft wohlbekannte Wahrheit zu etablieren, nämlich: Grundsätzlich ist die Materie eine Erscheinung, die auf dem Zusammenwirken von Grundkräften basiert. Der Wirkung dieser Kräfte liegt eine universelle Intelligenz — ein universelles wesenhaftes Bewusstsein zugrunde. Selbstverständlich wirkt diese Weltintelligenz nicht nur auf allgemeine Weise. In organisierten Erscheinungen und komplexen Systemen wird sie differenziert und nimmt dadurch einen spezifischen Charakter an.
Je höher der Entwicklungsgrad eines komplexen Systems ist, desto mehr bekommt in ihm die zugrundeliegende Intelligenz Eigencharakter. Das eindrucksvollste Beispiel ist der Mensch selbst. Aber das Prinzip gilt nicht nur für organische Wesen; dieselben Betrachtungen gelten auch für alle anorganischen Systeme, inklusive der Produkte der Technik — Maschinen, elektrische Geräte und Ähnliches. Je komplexer und vielseitiger die Maschine wird, desto stärker nimmt die universelle Intelligenz einen spezialisierten und höher entwickelten Charakter an“ (5).
Es komme darauf an, führt Emberson, gestützt auf Steiner, in seinen Büchern dann aus, sich über aufbauende und abbauende Kräfte dieser Intelligenz vorurteilslose Klarheit zu verschaffen, um die aufbauenden Kräfte moralisch stärken, die anderen zurückdrängen zu können.
Die Geschichte hat leider gezeigt, dass solche Rufe nach einer moralisch geführten Technik weitgehend ungehört blieben. Im Westen wie im Osten wurden die technischen Erneuerungen unter rücksichtslosem Druck einer Zwangsindustrialisierung vorangetrieben. Unbedingter Fortschritt, wissenschaftlich gestützt, war wieder in aller Munde, erneut auch eingebunden in nationale Interessen. Millionen Menschen wurden in der Folge ein weiteres Mal von einer hochgerüsteten Kriegsmaschinerie zermalmt.
Heute treiben wir in eine, wie es heißt, dritte industrielle Revolution, in der technischer Fortschritt und ökonomisches Wachstum erneut zum Credo erhoben werden. Zum dritten Mal wird von „der Wissenschaft“ versprochen, das uralte Problem der Suche des Menschen nach immerwährendem Wohlstand, nach Glück und nach langem, wenn nicht sogar ewigem Leben mit technischen Mitteln lösen zu wollen, dieses Mal mit Anspruch auf endgültige Erlösung des Menschen von seinen natürlichen Abhängigkeiten, indem der Mensch technisch optimiert, vielleicht gar ersetzt wird durch die intelligente Maschine.
Kurzweil, KI-Papst
Mit dieser Feststellung sind wir beim Transhumanismus. Seine Vertreter sind führende WissenschaftlerInnen, bezeichnenderweise mehr Männer als Frauen der mit der Computer-Revolution der 60er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts aufgewachsenen Generation. Sie versprechen die „conditio humana“ über die Entwicklung computergestützter Bio-Technologie so aufzubessern, dass Armut, Krankheit — und tendenziell auch der Tod — der Vergangenheit angehören werden.
Bekanntester Vertreter, gewissermaßen der Papst der Szene, ist der Österreich-Amerikaner Ray Kurzweil, 72: musisches Elternhaus, nach eigenen Angaben selbst Maler und Musiker, von Kindheit an Erfinder, heute Direktor der technischen Abteilung bei Google im Silicon Valley. Also wirksam im Zentrum der KI-Revolution und des Internet.
Kurzweil gilt als Prophet der technischen Unsterblichkeit und der Optimierung des Menschen in Richtung eines übermenschlichen Maschinenwesens. Er betont dabei, dass dieses Wesen das Menschliche nicht hinter sich lassen, auch die Körperlichkeit des Menschen die Optimierung nicht mitmachen werde. Vielmehr werde die beschränkte Intelligenz des Menschen im Zuge der Fähigkeiten der KI zur Selbstverbesserung und in ihrer Verbindung mit Gen-, Nanotechnologie und Robotik, auf eine höhere Ebene einer effektiven Superintelligenz angehoben und so die höchst mögliche Stufe der Evolution erreicht — die, wie er es nennt, „Singularität“. So der Untertitel seines programmatischen Hauptwerkes „Menscheit 0.2, Die Singularität naht“ (6).
Für die, die es nicht wissen: Nanotechnologie wird die technische Manipulation auf atomarem Niveau genannt, in der kleinste Teile von atomarer Abmessung zu neuen Wirkungen kombiniert werden können. Das Zusammenwirken von Gen-, Nanotechnik und Robotik fasst Kurzweil unter dem Kürzel GNR zur Zukunftstechnik zusammen.
Skizzieren wir Kurzweils Weltbild: Er nennt sich einen „Patternisten“, der die Welt durch die „Macht der Ideen“ — so die Überschrift in der Einleitung des genannten Buches über die „Singularität“ — neu modellieren und neu schaffen wolle. Die Welt, erklärt Kurzweil, baue sich auf Mustern auf, die sich im Laufe der Evolution zu immer komplizierteren Kombinationen verbunden hätten. Der Mensch sei die bisher komplizierteste Verbindung.
Das beschreibt er strukturell ähnlich wie Emberson, nur aus einem entgegengesetzten Blickwinkel, nämlich dem, dass die Welt sich durch Übertragung seiner Gehirnmuster in die Programme der künstlichen Intelligenz zur „Superintelligenz“ steigern lasse. So werde der jetzige Mensch als organische Entwicklungsstufe für die Maschinenintelligenz dienen, werde dann aber gegenüber der neuen Stufe der Evolution als „Organwesen“ zurückbleiben.
Der Mensch würde auf diese Weise, folgt man Kurzweil, zum Intelligenzspender für die Maschine. Das klingt plausibel — es wäre ja auch nur eine konsequente Fortsetzung der gegenwärtigen Praktiken der Organspende. Eine Spaltung der Menschheit in eine kleine Schar Begünstigter und die große Masse von tendenziell überflüssigen „Organwesen“ wird in dieser Konzeption von Zukunft wissentlich in Kauf genommen.
Was ist das: Provokation? Wahnsinn? Verbrechen? Die Antwort muss offenbleiben.
Widerstand gegen diese Perspektive erwartet Kurzweil nur in „scheinbaren Kontroversen“ mit „fundamentalistischen“ und „luddistischen“ Kräften. Unter Fundamentalisten versteht er Menschen, die einer „überholten Version des Humanismus“ anhängen. Unter Luddisten, zu Deutsch Maschinenstürmern, dürfte die Masse der zurückbleibenden „Organwesen“ zu verstehen sein. Kurzweil macht dazu keine weiteren Ausführungen. Der Widerstand werde mit steigender Fortschrittsrate natürlich stärker. Doch werde — Seite 347 — „der Gewinn an Gesundheit, Wohlstand und Ausdrucksmöglichkeit, Kreativität und Wissen nicht zu leugnen sein.“
Aber folgen wir weiter Kurzweils Grundpositionen: Die Evolution vollziehe sich exponentiell, erklärt er. Heute werde sie durch ökonomisches Wachstum angetrieben. In der sich inzwischen selbst entwickelnden KI beschleunige sich die Wachstumskurve noch einmal zur Superintelligenz. Schon 2020 werde daher menschliche Intelligenz teilweise, 2045 bereits gänzlich in die entstehende Superintelligenz integriert sein, wobei, wie gesagt, eine Organik zurückbleiben werde. Auf diese Weise werde der Mensch seine Sterblichkeit überwunden haben. Die Superintelligenz werde schließlich den an sich „dummen“ Kosmos mit Intelligenz fluten. Dies könne man letztlich auch als den Weg zu Gott verstehen — wörtlich:
„In gewisser Weise könnte man sagen, dass die Singularität das Universum mit Geist erfüllen wird. (…) Evolution bewegt sich unaufhaltsam in Richtung des Gottesbegriffs, ohne dieses Ideal je ganz erreichen zu können. Wir können die Befreiung unseres Denkens aus den engen Banden seiner biologischen Form somit als spirituelles Unternehmen auffassen“ (7).
Kein Kommentar. Kurzweil selbst hofft übrigens, diese Grenze zur Unsterblichkeit noch erleben zu können. Dafür hält er seinen Organismus nach eigenen Angaben, unter anderem durch die Einnahme von täglich 250 Zusatzstoffen, fit.
Unter der lockeren Überschrift: „Die lästige Bewusstseinsfrage“ zollt Kurzweil in seinem Buch zur „Singularität“ aber schließlich auch der „schwierigen“ Frage des Bewusstseins ein ganzes Kapitel. Die Frage nach dem Bewusstsein erklärt er auf Seite 386 ff, sei die wichtigste „ontologische Frage“, der man Beachtung schenken müsse. Er streift sogar das Wort „Liebe“ — lässt die Klärung dessen, was „Bewusstsein“, „Liebe“, „Ich“ sein könnte, dann allerdings mit einem bemerkenswerten Trick in seiner Werkstatt verschwinden: Indem er nämlich an seinem eigenen Beispiel die Frage durchspielt, ob er, wenn er geklont würde, noch ICH, Ray oder ICH 2 ein anderer Ray, oder ICH 1 und ICH 2 zugleich wäre, wo dann sein Bewusstsein von sich selber wäre und so weiter (8).
Er findet keine Antwort, aber statt das Nichtwissen zu konstatieren und die Klärung als Forschungsfrage zu formulieren, wechselt er kurzerhand zu der Prognose über, dass das Bewusstsein, da es ja, wie alles in der Welt, aus Mustern bestehe, mit Hilfe der künstlichen Intelligenz potentiell weiter effektiviert und dann auch erkannt werden könne. „Trotz dieser Dilemmata beruht meine persönliche Philosophie“, schreibt er, „weiterhin auf Patternismus: Ich bin ein über die Zeit hinweg beständiges Muster. Ich bin ein sich entwickelndes Muster und ich kann die Richtung meiner Entwicklung beeinflussen“ (9).
Was erst entstehen soll, die Superintelligenz, wird so als Initiator ihrer Entstehung schon vorausgesetzt. Was als Argument zur Leugnung des Problems gedacht ist, lässt genau dieses Problem als ungelöste Frage unfreiwillig, aber desto deutlicher hervortreten. Nämlich: Was ist das ICH? Wie kommt es in die Maschine?! Oder auch nicht (10)?
Boström, der Ethiker
Ein anderer Zeuge des Transhumanismus ist Nick Boström, 45 Jahre alt, Professor in Oxford. Boström ist nicht Praktiker, sondern führender Vertreter für ethische Technikfolgeabschätzung, Kritiker, könnte man erwarten (11).
In der Tat kritisiert Boström Kurzweils überbordenden Optimismus — aber nur, was dessen Einschätzung der Nano-Technologie betrifft, die er für gefährlicher hält als die Entwicklung der „künstlichen Intelligenz“. Im Übrigen erwartet er jedoch nicht nur die Entwicklung der KI zur Superintelligenz, sondern gleich eine ganze „Intelligenzexplosion“. Mit dieser Erwartung steht er auf dem gleichen Boden wie Kurzweil.
Boströms Frage ist die Kontrolle. Er entwirft umfangreiche Szenarien, wie die „Intelligenzexplosion“, bevor sie stattgefunden haben wird, sachlich, ethisch und moralisch geführt und „lebensdienlich“ gezähmt werden könnte. Er kommt zu dem Schluss, dass es dafür keine Garantie gäbe. Auch ihm stellt sich die Frage nach dem ICH in den Weg. Aber — allem ethischen Ansatz zum Trotz — umgeht er die Frage noch radikaler als Kurzweil, indem er sie kurzerhand als metaphysische Kategorie auslagert, die nicht Gegenstand seiner Betrachtungen sei (12).
Ähnlich großzügig geht auch er, im gleichen Geiste wie Kurzweil, mit Folgeproblemen um. Da kommt er zu geradezu monströsen Spekulationen: Genannt sei beispielhaft nur die von ihm gestellte Frage, welche Folgen die „Intelligenzexplosion“ für die Ökonomie, konkret für die Arbeiterschaft haben werde. Seine Antwort: Es könnte sein, dass unter den Bedingungen der „Intelligenzexplosion“ das Wohlergehen der Maschine gegenüber den zurückgebliebenen „Arbeitstieren“ zum wichtigsten Faktor werden könnte.
Dies sei ausnahmsweise, weil es sonst vielleicht niemand glaubt, direkt zitiert: „Verfügen diese Maschinen jedoch über Bewusstsein (…)“, schreibt Boström, „dann muss man überlegen, was das Leben in solch einem Szenario für sie bedeutet, ja, aufgrund ihrer potentiell riesigen Zahl könnte das Wohlergehen der Maschinen dann sogar zum wichtigsten aller Faktoren werden“ (13).
Boströms Lösung: Die Superintelligenz so schnell wie möglich voranbringen, damit sie, weil sie klüger sei als wir, die Entwicklung schädlicher Entwicklungen verhindern könne.
Und auch dies, weil ebenfalls fast nicht zu glauben, im Originaltext:
„Da sie allgemein fähiger wäre als wir, würde sie weniger Fehler machen, sie würde eher erkennen, wann Vorsichtsmaßnahmen angebracht wären, und diese auch richtig umsetzen. (…) Es kommt darauf an, die Superintelligenz zu haben, bevor (so im Text, Anmerkung des Verfassers) andere gefährliche Technologien wie etwa die fortgeschrittene Nanotechnologie, existieren“ (14).
Auch bei Boström also der gleiche Salto: Das Ausweichen vor der Frage nach dem ICH in die technische Machbarkeit.
Kräfte im Hintergrund, Finanziers
Nun möge aber niemand glauben, Ray Kurzweil oder Nick Boström seien isolierte Spinner. Kurzweil ist, wie schon gesagt, Leiter der technischen Abteilung von Google. Er ist Träger von 20 Ehrendoktorwürden und wurde von drei US-Präsidenten mit Orden versehen. Mit seinen Publikationen und Auftritten ist er einer der wichtigsten Stichwortgeber der internationalen KI-Szene. Aus seiner Arbeit gingen der Flachscanner, gingen Übersetzungsprogramme, gingen Prothesen hervor, die indirekt vom Gehirn bewegt werden können, gingen Hörgeräte zur Übersetzung akustischer Signale für Blinde und noch Einiges hervor, das geeignet ist, das Alltagsleben technisch zu erleichtern und zu bereichern.
Boström ist führende internationale Autorität auf dem Gebiet der ethischen Technikfolgeabschätzung.
Hinter ihnen steht eine große Mehrheit der heutigen KI-WissenschaftlerInnen, finanziert von den Giganten im Silicon Valley, Google, Amazon, Facebook und so weiter, gefördert von diversen internationalen Konsortien, vom Pentagon und vergleichbaren Kräften. Billiarden werden heute in diese und ähnliche Forschung gesteckt. Mit dem 2013 auf zehn Jahre angelegten „Human Brain Projekt“ in der Schweiz ist auch die EU mit dabei. In diesem Projekt soll versucht werden, ein menschliches Gehirn bio-technisch vollständig zu rekonstruieren (15).
Als Ultima Ratio der Politik im gegenwärtigen globalen Patt gilt heute der Satz: „Wer die KI beherrscht, beherrscht die Welt.“ Entsprechend spitzt sich die Forschung zum dritten Mal auf nationale Konkurrenz zu.
Hararis verwirrte Warnung
Eine besondere Variante, transhumanistisches Denken zu verbreiten, tritt uns aktuell in der Person des israelischen Historikers Yuval Noa Harari entgegen. Er warnt vor einem Untergang der Menschheit in einer biotechnischen Daten-Herrschaft.
Harari ist 44 Jahre alt, Veganer, bekennender Homosexueller, verheiratet, Tierfreund; als bekennender Buddhist erklärt er öffentlich, ohne intensive tägliche Meditation und regelmäßige „retreats“ alle zwei Jahre hätte er das Thema überhaupt nicht bewältigen können. Und er fordert seine Leserschaft dazu auf, seinem Beispiel zu folgen.
Harari veröffentlichte zwei Weltbeststeller, die in 40 Sprachen übersetzt wurden: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „Homo Deus“, in denen er die Geschichte der Menschheit vom „Urknall“ bis zum Übergang ins Zeitalter der zu erwartenden Maschinenherrschaft beschreibt. Inzwischen ist er mit einem dritten Buch unter dem Titel „21 Regeln für das 21. Jahrhundert“ weltweit als Vortragender auf diversen Foren unterwegs. Unter anderem wurde er auch vom deutschen Ethikrat eingeladen (16).
Harari zeichnet ein umfassendes Bild der Bedrohung, die aus der Bewusstseins- und Bio-Industrie auf die Menschheit zukommt. Indem er dies noch mit der Entwicklung von „BIG-Data“ verbindet, bekommt sein Bild wahrhaft monumentale Dimensionen einer drohenden KI-Diktatur. Seine Botschaft rüttelt auf — dafür ist ihm zweifellos zu danken!
Zugleich kommen seine Warnungen allerdings auf einer geistigen Basis und in einer Diktion daher, in der er selbst den Menschen, bei ihm kühl „Homo sapiens“ genannt, auf ein von Genen, Algorithmen und neuralen Mustern gesteuertes Programm reduziert, das in Zukunft technisch optimiert werden könnte — und werde.
Was bleibt, ist ein irritierender Destruktivismus, ja, Nihilismus: Harari beschreibt den Menschen als höher entwickeltes Tier, das sich vom Affen nur durch seine Fähigkeit unterscheide, „Erzählungen“ zu erfinden, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine kollektiven Kräfte so zu bündeln, dass er sich dadurch zum Herrscher über die „übrigen Tiere“ machen konnte. „Erzählungen“ — das sind für Harari Mythen im Sinne geschickter Erfindungen, Religionen, Zeitströmungen wie die Aufklärung, Geschäftsideen, Fakes, Welterklärungen aller Art bis hin zum Humanismus, den er als Anbetung des Menschen durch den Menschen versteht, als anmaßende Vergottung des „homo sapiens“.
Mit Blick auf die neuere Geschichte kommt Harari so zu dem Wahn, die „Erzählungen“ des Sozialismus/Kommunismus, des Liberalismus und des Faschismus gleichermaßen als „humanistische Sekten“ zu beschreiben, die ihre Rolle heute an die „Religion des Dataismus“ als neue „Erzählung“ verlören.
Wobei Harari, was noch mehr irritiert, dem Faschismus, obwohl er dessen Brutalität verurteilt, den besonderen Charakter eines „evolutionären Humanismus“ zuschreibt, insofern dieser an der Entwicklung des Menschen zum Übermenschen orientiert gewesen sei. Das „oberste Ziel der Nationalsozialisten“, schreibt Harari in der „Kurzen Geschichte“, so wörtlich, „bestand darin, die Menschheit vor dem Verfall zu bewahren und ihre Entwicklung zu fördern. (…) Biologen haben die kruden Rassentheorien der Nationalsozialisten längst widerlegt. (…) Nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand des Jahres 1933 waren die Vorstellungen der Nationalsozialisten keineswegs absurd“ (17). So etwas kann nur ein Israeli schreiben, der sich vom Judentum gelöst hat.
Zu diesen Positionen Hararis wie zu seinem Geschichtsbild generell gäbe es viel zurechtzurücken. Das soll hier unterbleiben. Als Provokation, die das Wesen, die Aktualität, die verführerische Suggestion und die Gefahr der transhumanistischen Herausforderung offenbaren, sind Hararis Bücher jedoch zweifellos eine nützliche Lektüre.
Mehr noch lassen Hararis Bücher die Angriffe auf das ICH, die bei Kurzweil und Boström beiläufig weggedrückt werden, glasklar und offen als das hervortreten, was sie sind — als plattesten biologistischen Materialismus, ungeachtet aller idealistischen Verbrämungen, wie man sie bei Kurzweil findet, wenn er von der „Macht der Ideen“ spricht oder den Weg in die Superintelligenz als Weg zu Gott beschreibt, und ungeachtet der Meditationspraktiken und Aufrufe bei Harari selbst.
Ein kurzer Blick auf Positionen, die sich durch Hararis Veröffentlichungen ziehen und die er penetrant als allgemeine Wahrheiten hinstellt, mag das noch etwas weiter verdeutlichen:
- Gefühle seien Produkt biochemischer Reaktionen.
- „Die Wissenschaft“ habe keine Seele finden können.
- Das ICH sei eine Erfindung, eine Illusion, nicht existent.
- Entscheidungen würden von Algorithmen diktiert.
Aber andererseits wieder:
- Bewusstsein gebe es, es lasse sich nur nicht beschreiben
- Geist gebe es auch. „Wir“ hätten ihn nur noch nicht erforschen können.
Dabei versteht Harari die Kunst, seine Positionen zwischen Wiedergabe dessen, was „Wir“ oder „die Wissenschaft“ heute denken, zwischen Kritiken an diesem Denken und eigenen Sichtweisen locker in der Schwebe zu halten. Zwei Beispiele mögen ausreichen, diesen Stil zu demonstrieren:
„Zu Beginn des dritten Jahrtausends unserer Zeitrechnung ist die Zukunft des evolutionären Humanismus unklar (…)“, schreibt er.
„Heute spricht zwar niemand mehr davon ‚minderwertige Rassen und Völker‘ ausrotten zu wollen, doch viele denken darüber nach, mithilfe neuester biologischer Erkenntnisse Übermenschen zu züchten. Gleichzeitig tut sich ein immer größerer Graben zwischen den Glaubenssätzen des liberalen Humanismus und den neuesten Erkenntnissen der Biowissenschaften auf, der sich nicht mehr ignorieren lässt.
Der liberale Rechtsstaat und die liberale Demokratie gehen von der Überzeugung aus, dass jedem Menschen eine heilige, unteilbare und unveräußerliche menschliche Natur innewohnt, die der Welt Sinn und Bedeutung verleiht und von der alle moralische und politische Macht ausgeht. Das ist nichts anderes als die christliche Vorstellung von der freien unsterblichen Seele, wenngleich in anderem Gewand. Doch in den vergangenen Jahrhunderten haben die Biowissenschaften diese Vorstellung zunehmend in Frage gestellt.
Im Inneren des Menschen haben sie keine Seele gefunden, sondern nur Organe. Unser Verhalten wird nicht vom freien Willen gesteuert, sondern von Hormonen, Genen und Synapsen, wie sie auch Schimpansen, Wölfe und Ameisen haben. Unser Rechtsstaat und unsere Demokratie kehren diese unbequemen Wahrheiten gern unter den Teppich. Wie lange wird es noch dauern, bis wir die Mauer zwischen der biologischen und der juristischen Fakultät einreißen“ (18)?
Und noch dies dazu; das mag dann genügen:
„Sobald wir jedoch akzeptieren, dass es keine Seele gibt und dass Menschen keinen inneren Wesenskern namens ‚Selbst‘ oder ‚Ich‘ besitzen, kann man nicht mehr sinnvoll fragen: ‚Wie wählt das Ich seine Wünsche aus?‘ Das wäre so, als würde man einen Junggesellen fragen: ‚Wie wählt deine Frau ihre Kleider aus?‘ In Wirklichkeit gibt es nur einen Bewusstseinsstrom, und innerhalb dieses Stroms entstehen Wünsche und vergehen wieder, aber es gibt kein permanentes Ich, das die Wünsche besitzt, weshalb es sinnlos ist, ob ich meine Wünsche deterministisch, zufällig oder frei wähle“ (19).
Was in diesen Texten ist Harari? Wer hat keine Seele gefunden? Wer sind „Wir“? Für diejenigen, die solche und ähnliche Aussagen genauer verfolgen möchten, hier ein kleiner Wegweiser durch die 1.500 Seiten seiner Texte (20).
Hararis Bücher müssen so gewissermaßen als doppelte Warnung gelesen werden: An ihnen wird deutlich, wie tief selbst ein Warner wie er noch in dem Geist befangen ist, vor dem er die Welt retten will, wenn er das ICH, die Seele, die Möglichkeit freier Entscheidungen leugnet und zugleich zur Meditation aufruft, um den Geist in sich zu finden, den die Menschheit noch nicht gefunden habe.
In seiner doppelten Botschaft tritt das Paradoxon krass hervor, dass die Frage nach dem ICH, indem und gerade weil sie durch das transhumanistische Credo heute beiseitegeschoben wird, umso klarer als Herausforderung ins Zentrum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit rückt (21).
Schnittstellen von ICH und „intelligenter“ Maschine
Damit sind wir bei der Frage nach den Schnittpunkten angekommen, in denen sich transhumanistische Fantasien und gegenwärtige Realität begegnen, und bei der Frage, welche Herausforderungen daraus für gegenwärtiges Denken und Handeln folgen können.
Drei Grundfragen drängen sich auf, wenn man die Visionen Kurzweils, Boströms und die bedrohlichen Bilder Hararis Revue passieren lässt.
Zur Frage des ICH:
Können „intelligente“ Maschinen ewig leben?
Die Frage ergibt sich aus der Polarität des sterblichen ICH und der nicht sterblichen Maschine, aus deren Dauer Menschen wie Kurzweil und andere ihre Hoffnung auf ewiges Leben mit Hilfe der Maschinen beziehen.
These:
Nein, die Maschinen müssen „sterblich“ werden. Statt Unsterblichkeit von der Maschine zu erhoffen und das ICH zu leugnen, geht es darum, das Bewusstsein des ICH zu pflegen und die Maschinen „sterben“ lassen.
Zur Frage der Freiheit:
Kann und darf die „intelligente“ Maschine von ihrer Bindung an begrenzte Zwecke gelöst werden, wie es die Transhumanisten anstreben? Diese Frage ergibt sich aus der grundsätzlichen Polarität von Sinn und Zweck, die sich zwischen Mensch und Maschine stellt.
These:
Nein, die Bindung an einen Zweck gibt der Maschine erst ihren Sinn. Ihr Sinn liegt darin, dem Menschen die Möglichkeit zu geben, seine eigene Zweckfixierung zu überwinden und seinen Freiheitsraum zu erweitern. Eine Verselbständigung der Maschine würde den Menschen in die Passivität und Ohnmacht drücken.
Zur Frage der Kontrolle:
Können „intelligente“ Maschinen sich selbst korrigieren, wie die KI-Entwickler meinen?
These:
Nein, sie müssen moralisch geführt werden. Wie könnte eine solche moralische Führung aussehen? Welche Fähigkeiten brauchen wir dafür? Gehen wir noch ein bisschen ins Detail.
ICH, Freiheit, Kontrolle
Zur ersten These, der Frage nach den ICH:
„Intelligente“ Maschinen müssen „sterblich“ werden — dieser Satz ist selbstverständlich nicht wörtlich zu nehmen. Aber der Sachverhalt ist klar: Der Mensch ist sterblich und sich seiner Sterblichkeit bewusst. Die „intelligente“ Maschine dagegen, zumindest ihr „intelligenter“ Kern, also der Speicher, ist auf Dauer angelegt, wenn nicht gar auf Ewigkeit, vorausgesetzt, ihr geht die Energie nicht aus oder wird ihr nicht entzogen. Sie ist sich ihrer Dauer aber nicht bewusst — die findet einfach nur statt.
Auf jeden Fall aber stehen Mensch und Maschine auf entgegengesetzten Polen in der Frage ihrer Dauer. Interessanterweise hat unsere Sprache für Mensch wie Maschine hierzu bisher nur das gleiche Wort — Lebensdauer, Lebensdauer eines Menschen oder auch Lebensdauer einer Maschine. Es ist aber gerade die Erkenntnis seiner Sterblichkeit, die das ICH im Menschen wachsen und es zum Umpolungsraum zwischen Welt, Kosmos, Geist und der organischen Naturgebundenheit des Menschen werden lässt. Das Bewusstsein einer Kontinuität des ICH ergibt sich aus der Erkenntnis des Menschen von seiner Rolle als vorübergehendem Glied in einer Kette ewiger, zeitloser Metamorphosen. Schmerz, Freude, Mitleid, Gefühle, soziale Fantasie haben ihren Ursprung in der bewussten Wahrnehmung dieser Tatsachen, die in gestaltendem Denken ihren höchsten Ausdruck findet.
Die „intelligente“ Maschine dagegen ist auf eine Existenz angelegt, in der Einzelinformationen ebenso wie komplexe Zusammenhänge — für den Menschen würde man sagen: Individuelles und Kollektives — gleichermaßen in der Anonymität des gemeinsamen Speichers aufgehoben werden. In Speicherung und Nutzung dieser auf Dauer angelegten Anonymität sind die „intelligenten“ Maschinen dem Menschen zweifellos überlegen. Aber sie haben keinen Zugang zu Zwischentönen, selbst dann nicht, wenn sie in der Lage sind, ihr Ausgangsprogramm zu optimieren — sie müssen die „Erlaubnis“ zur Korrektur ihrer Grundprogrammierung vom Menschen erhalten.
Der Mensch muss also, wenn sich die „intelligente“ Maschine nicht verirren soll, eine Beziehung zu ihr unterhalten, die ihm durch Kenntnisse des inneren Zustandes der Maschine, das heißt durch Zugriff auf ihre Programmcodes, ermöglicht, sie immer wieder zu erneuern — anders gesagt, der Mensch muss die Möglichkeit haben, den ursprünglich programmierten Zustand der „intelligenten“ Maschine immer wieder aufs Neue „sterben“ zu lassen, wenn er nicht von ihrer Ewigkeit auf ein Nichts reduziert werden will.
Das kann natürlich nur dann geschehen, wenn der Mensch von Grund auf „Verständnis“ für diese Maschine hat, also weiß, dass sie einer anderen Logik folgt als er, nämlich — bisher jedenfalls — einer dualen Logik, auf die er durch seine fließende, nichtduale Denkweise immer wieder neu gestaltend einwirken muss — und kann. ICH — und Nicht-ICH bilden auf diese Weise, wenn es gut geht, eine sich gegenseitig ergänzende Symbiose. Um diese Rolle einnehmen zu können, müssen wir Menschen das Denken in seiner doppelten Form — als Tätigkeit des eigenen ICH und als Ablauf in der „intelligenten“ Maschine — zum zentralen Gegenstand der Bildung machen. Das ist die erste Herausforderung.
Und wir können es auch mit Hilfe „intelligenter“ Maschinen — wenn wir sie richtig nutzen und ihre Zwecke eingrenzen. Damit sind wir bei der zweiten Frage.
Zur zweiten These, der Frage nach der Freiheit:
Die zweite Herausforderung liegt darin, klar zu erkennen, worin sich Mensch und „intelligente“ Maschine in der Frage von Sinn und Zweck grundsätzlich unterscheiden und wo es da gefährliche Schnittmengen gibt.
Der Mensch kann in seinem Leben, wenn er sich selbst und die Welt wahrnimmt, einen Sinn erkennen und ihn durch gestaltendes Denken selbst erweitern, ohne durch Anweisungen dazu aufgefordert oder durch solche behindert zu werden, ja, er kann sogar gegen Anweisungen seinen eigenen Sinn entwickeln. Er ist, um in der Sprache der Wissenschaft zu sprechen, ein offenes, sich selbst korrigierendes System, eben ein lebendiges System.
Die „intelligente“ Maschine ist ebenfalls ein sich selbst korrigierendes System, aber sie ist durch programmierte Zweckmäßigkeit vorbestimmt, die sie nicht aus eigener Kraft korrigieren kann, wie intelligent sie auch immer sein mag. Alle Versuche, der „intelligenten“ Maschine emotionale, ethische oder moralische Verhaltensweisen beizubringen, wie es von den transhumanistischen Theoretikern wie Boström durchgespielt wird, müssen notwendigerweise an dieser Tatsache scheitern. Zwar können der Maschine normative Regeln eingegeben werden, etwa mathematische Regeln, Regeln des Schach, des Go, sogar musikalischer Kompositionsgesetze. Diese Eingaben können auch nach Belieben auf dem Stand des Eingegebenen kombiniert werden, sogar die Zehn Gebote oder bestehende Gesetzestexte.
Aber ohne den Hintergrund der geistigen, kulturellen oder sozialen Gewordenheit, aus der die Regeln entstanden sind, also ohne die lebendigen Veränderungen als Qualität mit aufnehmen zu können, verwandeln sich einmal aufgenommene Regeln, Gebote oder Gesetze in der „intelligenten“ Maschine tendenziell unvermeidlich in Dogmen, die zu einer Schematisierung, Strangulierung, gar Unterdrückung des Lebendigen führen müssen, nicht anders als in der Geschichte der Menschheit, wenn ursprünglich sinnvolle Rituale, Regeln oder Gesetze unter veränderten Bedingungen unverändert beibehalten werden. Insofern ist die Maschine nichts anderes als die in die Technik hinein verlängerte Bürokratisierung des Lebens, die das Leben tendenziell stranguliert, wenn sie nicht korrigiert und begrenzt wird.
Da die Maschine ihre Zweckmäßigkeit nicht überwinden kann, ist es Aufgabe des Menschen, ihrer Zweckgebundenheit einen Sinn zu geben. Ihren Sinn gewinnt sie, indem sie uns aus ihrer Zweckgebundenheit heraus, die darin besteht, dem Menschen Routinearbeiten zu erleichtern oder abzunehmen, die Chance gibt, uns von unserer eigenen Zweckfixiertheit und Routine, unserem immer wieder auftretenden Effektivitätswahn zu lösen und unsere schöpferische Gestaltungskraft freier zu entwickeln. Diese Chance gilt es zu nutzen, statt uns unsererseits in die Routine der Maschine hineinziehen zu lassen.
Zur dritten These, der Frage, ob die „intelligente“ Maschine moralisch geführt werden kann:
Illusionslos muss erst einmal konstatiert werden, dass große Systeme sich schon heute der Kontrolle entziehen, dass sie sogar nicht einfach abgeschaltet werden können, ohne die heute am Netz hängenden Lebensprozesse nachhaltig zu schädigen oder gar einen totalen Zusammenbruch der technischen Zivilisation herbeizuführen. Hierzu muss man nur auf einen der frühen Pioniere der Computerentwicklung verweisen, Josef Weizenbaum, der mit Eliza 1966 den ersten mit Menschen kommunizierenden Computer programmierte. Er warnte in einem seiner letzten Bücher:
„Der Satz ‚Computer tun nur, was man ihnen sagt‘, ist also nicht nur falsch, sondern mehr als gefährlich. Man sollte ihn nicht einfach unwidersprochen akzeptieren. (…) Ich behaupte, dass der größte Teil der aktuellen Computersysteme, der großen weltumspannenden Computersysteme, im Militärbereich zum Beispiel, nicht durchschaubar sind. Ich meine damit nicht nur, dass es niemanden mehr gibt, der sie durchschaut, sondern, dass es dafür überhaupt zu spät ist. Sie können jetzt nicht mehr durchschaut werden“ (22).
Ich selbst kann noch aus eigener Erfahrung ergänzen, was ein langjähriger Freund mir vor ein paar Jahren erzählte, warum er einen attraktiven Job bei Springer hingeschmissen hatte: Er sollte mit Kollegen das Computernetz der BILD-Zentrale einer Überholung unterziehen. Sie konnten es nicht, weil sie die vorangegangen Generationen von Installationen nicht durchschauten — die eh schon alle immer nur angeflickt waren.
Erinnern wir uns auch an die Fehlalarme der Warnsysteme in der Kuba-Krise 1960, im Alltag des Kalten Krieges 1983, um nur die bekanntesten zu nennen, wo nur die Befehlsverweigerung wacher Offiziere vom Dienst eine Katastrophe verhinderte. Weitere Beispiele dazu listet die Plattform der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) auf (23).
Dies sei hier nur vorausgeschickt, es ist heute im Detail nicht mein Thema. Aber dies sei noch gesagt: Es kann, soweit es das Problem der rein sachlichen Überwachung der schon tätigen Apparate betrifft, nur um den Versuch gehen, klarer gesagt, nur um den dringenden Appell an alle, die Ohren haben zu hören, die Störanfälligkeit von Abläufen, die von KI gesteuert werden, im kleinen wie im großen Alltag, durch Dezentralisierung so weit wie technisch möglich zu minimieren, um die Apparate, soweit es eben geht, über unmittelbare Kontrolle durch Individuen, Gruppen, Gemeinden, Staaten und so weiter, also auf jeder erdenklichen Ebene eng an ihre Zweckmäßigkeit und technische Funktionsfähigkeit zu binden und regelmäßige Zweckmäßigkeitsprüfungen der Apparate durchzuführen.
Das ist das Erste — um nicht erst da anzusetzen, wo es bereits zu spät ist. Entwickelt werden muss also auch unter diesem Gesichtspunkt ein Bewusstsein für einen Umgang mit der „intelligenten“ Maschine, das nicht nur Anwender, User, Konsumenten, Verbraucher hervorbringt, die über den Bildschirm wischen, sondern Kenner, die Einfluss auf die Arbeitsweise der Maschinen nehmen wollen und darüber hinaus diese nach ihren Vorstellungen zu entwickeln, einzusetzen und zu verändern imstande sind.
Gedanken als Antrieb
Damit sind wir dann bei dem weitergehenden Ansatz einer möglichen moralischen Kontrolle der Maschinen angelangt. Diese Frage ist nicht trotz, sondern gerade wegen des gegenwärtigen unüberschaubaren Standes der Entwicklung von tiefgehendem Interesse.
Hier wird es Zeit, an die bereits angesprochene Erfindung John Worrell Keelys aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zu erinnern.
Verbinden wir diesen bemerkenswerten Vorgang mit heutigen Erkenntnissen im Bereich der KI-Forschung, sogar mit angewandter medizinischer Technik, dann finden wir inzwischen nahezu tagtäglich Berichte über Experimente mit Menschen, deren Gedankentätigkeit ohne physische Verbindung Prothesen in Bewegung zu setzen imstande ist.
Übrigens ist es Ray Kurzweil, der hier als Pionier tätig war.
Bedenken wir weiter: Wir alle wissen, dass wir im Umgang miteinander durch unsere Aura, unser Fluidum, unsere gute oder schlechte „Laune“, durch die energetischen Schwingungen, die von uns ausgehen, uns gegenseitig initiieren, wenn wir es gut meinen, dann aufbauen, kräftigen, wenn wir es schlecht meinen, dann andere Menschen sogar lähmen können.
Bedenken wir darüber hinaus die zunehmende Zahl von Kindern, die heute mit parapsychologischen Fähigkeiten auf die Welt kommen und ähnliche außerordentliche Erscheinungen des heutigen Lebens.
Bedenken wir dies alles, dann gibt es keinen Grund mehr, es nicht für möglich zu halten, dass solche Kraftströme heute oder wenigstens in absehbarer Zeit in unserer Beziehung zu den „intelligenten“ Maschinen aktiviert werden könnten.
Das hat nichts damit zu tun, dass die Maschinen selbst Gefühle hätten, Sympathien oder Antipathien entwickeln könnten. Es bedeutet nur, dass eine gewisse energetische Gestimmtheit als Schwingung auf die Maschine übertragen werden könnte — freundliche Schwingungen als positive Energie, unfreundliche als negative.
Es ist nicht die Maschine, die solche Schwingungen aussendet, die man im weitesten Sinne moralisch nennen kann, sondern der Mensch. Salopp gesprochen: Guter Mensch, gute Schwingungen, schlechter Mensch, schlechte Schwingungen. Bei diesen Sätzen erinnere ich mich persönlich an ein russisches Sprichwort: Guter Chef, gute Arbeit, schlechter Chef, schlechte Arbeit. Es geht, technisch gesprochen, um einen energetischen Initiierungscode, den die Maschine über Sensoren aufnehmen könnte.
Aber noch einmal: Es geht nicht darum, den „intelligenten“ Maschinen Moral, Ethik, Zeichnen, Musizieren, Freude, Schmerz und so weiter beizubringen. Es geht vielmehr darum, unsere eigenen menschlichen Fähigkeiten — geistige, emotionale, moralische — so zu entwickeln, dass wir fähig werden, von uns betreute Maschinen mit positiver Energie zu initiieren, so wie wir uns auch gegenseitig anregen.
Zu sprechen ist hier von der Schaffung geistiger und sozialer Verhältnisse, in denen sich guter Wille und geistige Klarheit zu Energie aufbaut, zu Wärmegruppen verbindet, die in der Lage sind, die Nutzung intelligenter Technik aus ihrer Mitte heraus aktiv zu gestalten, zu nutzen, zu lenken und zu überwachen, kurz, mit den Maschinen zu leben — aber nach unseren Regeln, nicht nach den ihren.
Inspirierende Impulse
Die Frage erhebt sich hier natürlich sofort: Was sind das für Regeln? Woher nehmen wir die Inspiration? Was ist unter moralischen Kräften zu verstehen, die wir brauchen? Sicher kann es da nicht einfach um gut oder böse gehen. Das könnte man — wie ausgeführt — ja auch den Maschinen einprogrammieren. Sicher geht es auch nicht darum, zum Sturm auf die Maschinen aufzurufen, wenn gleich ein Zurückdrängen sinnloser Maschinerie zweifellos wichtig ist.
Im Kern geht es um die Erziehung und Gestaltung des ICH statt seiner Leugnung oder dem Versuch, ein Intelligenzsurrogat des ICH der Maschine einzuprogrammieren, weil sie angeblich potenter ist als wir. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, es geht nicht um ein Aufblähen des Ego, sondern um das ICH in kooperativer Gemeinschaft mit seinem Blick auf seine Eingebundenheit in das kosmische Ganze.
Damit sind wir wieder bei der Notwendigkeit sozialer Transformation, wie sie schon am Anfang des letzten Jahrhunderts auf der Tagesordnung stand, jetzt aber unter dem Druck eines dritten, als final angekündigten Versuches, den Menschen der Maschine unterzuordnen. Hier stoßen wir wieder auf die Idee der Dreigliederung als den bis heute weitestgehenden Impuls zur Dezentralisierung, Demokratisierung und Selbstverwaltung der im sozialen Organismus zusammenwirkenden Bereiche des wirtschaftlichen, rechtlichen und geistigen Lebens. Und wieder geht es vor allem um die Befreiung geistiger und kreativer Kräfte.
Erinnert werden muss deshalb noch an zwei weitere Impulse Rudolf Steiners, die den vorne erwähnten „Kernpunkten“ damals vorausgingen und die als wesentlicher Bestandteil mit in sie eingegangen sind.
Das ist die „Philosophie der Freiheit“, veröffentlicht 1894. In ihr geht es genau um die Frage, die jetzt wieder — und immer noch — so krass ansteht: Das Buch beginnt ja mit der Frage: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“, und es endet mit Ausführungen zu einem „ethischen Individualismus“ und der Befreiung der moralischen Fantasie, die das ICH in den sozialen und geistigen Raum einbinden (24).
Die Schrift erschien auf dem Höhepunkt des damaligen naturwissenschaftlichen Aufbruchs, der getragen war von der neu aufgekommenen Evolutionstheorie. Steiner forderte die damalige europäische Welt auf, sich von einem deterministischen Missverständnis der Evolutionstheorie zu befreien, ohne dabei die Evolution zu leugnen. Es gehe vielmehr darum, den Evolutionsgedanken zur „Erkenntnis der geistigen Welt“ weiter zu entwickeln. Ethischer Individualismus, erklärte er, sei „vergeistigte Entwicklungslehre auf die Evolution übertragen“.
Zehn Jahre später, 1904, dann Steiners Schrift „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten?“ (25). In ihr schlägt Steiner einen strengen meditativen Weg der geistigen Erneuerung vor — nicht anders als Harari heute, könnte man denken, und in einer vergleichbaren Situation. Steiners Vorschläge zur Meditation weisen jedoch einen sehr anderen Weg als Harari es heute tut, der unter dem Motto „Einfach nur wahrnehmen“ den Geist in sich selbst aufspüren will, von dem er zuvor gesagt hat, dass er ihn im ICH, in der Seele, in seinen Emotionen nicht finden konnte. Der von Steiner skizzierte Weg führt in die wache Wahrnehmung der Welt, um das ICH, die Seele, das kreative Denken als gestaltende Kraft für die Welt zu öffnen.
In der Idee der Dreigliederung flossen der philosophische, der spirituelle und der soziale Ansatz zu einem Impuls zusammen. Unter dem Druck einer drohenden Zentralisierung durch eine anonyme globale KI-Macht gewinnen diese Ideen heute eine neue Aktualität — nicht in sklavischer Kopie, versteht sich, sondern auf die heutigen Verhältnisse übersetzt. Wenn es damals um die Befreiung des Geisteslebens von der Dominanz der Ökonomie ging, um dem Proletariat ein Leben in Würde zu ermöglichen, so geht es heute um das Überleben und die Würde der Menschheit insgesamt.
Man mag zu diesen Impulsen stehen, wie man will. Jeder Mensch ist da auf seinem eigenen Weg. Aber unabweisbar ist: Was wir heute brauchen, ist ein geistiger Aufbruch, der sich auch vor Konfrontationen mit denen nicht scheut, die Maschinen ohne Rücksicht auf mögliche Folgen in einen sich selbst korrigierenden Lauf treiben wollen. Die „intelligente“ Maschinerie, die in den Lauf der Selbstoptimierung getrieben wird, würde das gegenwärtige Leben zerstören. Das wäre sicher. Sei es, dass sie sich selbst zerstört oder dass sie im Maschinensturm der „Überflüssigen“ zerschlagen wird. Beides wäre gleichbedeutend mit dem Ende der gegenwärtigen globalen Zivilisation.
Wie die Überlebenden nach einer solchen Zerstörung zurechtkämen, darüber soll hier nicht spekuliert werden — mit einem geistigen Aufbruch könnten aber zumindest Keime eines Neuanfangs für die Überlebenden gelegt werden.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen schriftlich gefassten Vortrag im Steinerhaus Hamburg vom 11. September 2019.
Quellen und Anmerkungen:
(1) „Die Kernpunkte der sozialen Frage“, Rudolf Steiner Taschenbücher, 1964
(2) „Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen“, Vortrag vom 25.11. 1917, GA 178, S. 218, zitiert nach Paul Emberson, „Von Gondishapur bis Silicon Valley, S. Band II, S. 575/
(3) Paul Emberson, Band II, S. 612 ff
(4) Emberson, Paul: „Von Gondischapur bis Silicon Valley“, Etheric Dimension Press, 2012, zwei Bände
(5) Ebenda, Band 1, S. 16/7)
(6) Ray Kurzweil, „Menschheit 0.2, Die Singularität naht“, lola books, 2014)
(7) ebenda, S. 400
(8) ebenda, S. 393 ff
(9) ebenda, S. 397
(10) Wer selbst Zitate sucht, die dieses Denken noch am Original illustrieren, der möge auf den folgenden Seiten von Kurzweils „Singulaität“ blättern: Prolog S.1, Gehirn „engineering“ S. 144, Schrittweise Intelligenz Verschiebung S. 202/203, Ich/Bewusstsein S. 386 ff, Gott S. 493, Universum S. 505
(11) Boström, Nick: „Superintelligenz Szenarien einer kommenden Revolution“, Suhrkamp 2014
(12) ebenda, S. 41
(13) ebenda, S. 235
(14) ebenda, S. 324/5, außerdem in längerer Sequenz auf S. 345)
(15) Details hierzu findet sich in: Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus 3/2018,, S. 16
(16) Harari, Yuval Noa, drei Bücher und ein Hörbuch:
„Eine kurze Geschichte der Menschheit“, Pantheon, 2013, 30. Aufl. 2018;
„Homo Deus- Eine Geschichte von Morgen“, C.H.Beck, 2017
„21 Lektionen für das 21. Jahrhundert!,, C.H. Beck, 10. Aufl. 2019,
Hörbuch, hrsg. Von der Hörbuchverlag, Gelesen von Jürgen Holdorf)
(17) Harari, „Kurze Geschichte“: S. 283/84 ff (aber wiederholt in beiden Folgebänden)
(18) „Kurze Geschichte“, S. 31
(19) „Homo deus“, S. 437/8
(20) Aus: „Kurze Geschichte“: S. 133 (Emotion); S. 437 (Seele); 198 ff (ICH); S. 465/6 („Erzählungen“/ICH) Aus. „21 Regeln für das 21. Jahrhundert“: S. 45, (Mustererkennung), S. 81 Illusion des freien Willens), S. 410 bis 417 (Schlussfolgerung: Geist erforschen/Meditation)
(2 ) Siehe dazu Anmerkung 15
(22) Josef Weizenbaum, „Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom?“, zitiert nach Paul Emberson, Band I, S. 15/16)
(23) siehe dazu: https://www.atomwaffena-z.info/geschichte/atomwaffenunfaelle/fehlalarm.html
(24) Steiner, Rudolf: „Philosophie der Freiheit, Grundzüge einer modernen Weltanschauung“, erstmals erschienen 1894, Taschenbücher im Rudolf Steiner-Verlag, Auflage 1977
(25) „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten?“, Rudolf Steiner Taschenbücher, 1964