Die literarische Fiktion geht aus der schöpferischen Einbildungskraft hervor, „die den wirklichen Boden der Erde nicht verlässt und mit dem Maßstab des Wirklichen und Erkannten zu geahnten, vermuteten Dingen schreitet“ (Goethe zu Eckermann). Die utopische Information hingegen geht vom Wirklichen und Erkannten aus und strebt mit dem Maßstab der Ausgewogenheit zur zweckdienlichen Täuschung. — Romane und Gedichte tragen mehr zur Wahrheitsfindung bei als Zeitung, Rundfunk, Fernsehen und sämtliche Daten-Highways.
Das Pendant zur utopischen Berichterstattung ist die authentische Literatur. Während der Journalist im Namen der Objektivität Ereignisse und Tatbestände wiederaufbereitet und damit zwangsläufig verfälscht, ist der Schriftsteller einer radikalen Subjektivität verpflichtet, die seine Aussagen echt und glaubwürdig macht. Wirklichkeit kann mittels utopischer — das heißt unwirklicher — Information nicht gültig beschrieben werden. Ohne authentische Literatur ist die Welterkenntnis fragwürdig geworden. Die literarische Fiktion ist authentischer als die utopische Information.
Der Schriftsteller hat eine Gesinnung, der Kritiker eine Meinung und der Journalist eine Meldung.
Der Journalismus
Das von der Verfassung garantierte Grundrecht der Medien zur Beschaffung und Verbreitung von Informationen und zur freien Meinungsäußerung wird durch den neoliberalen Fast-Food-Journalismus pervertiert. Bilderflut und Info-Mix sind verantwortlich für die heutige Amnesie der Medien. Wenn derart oberflächlich über alles Mögliche berichtet wird, bleibt nichts Wesentliches haften: Wir sehen, hören, lesen – und vergessen. Der Journalismus, wie er meist praktiziert wird, ist kein Instrument der Wahrheitsfindung mehr, sondern im Gegenteil ein Mittel der Mächtigen, die Wahrheitsfindung zu erschweren. Die Ausgewogenheit der Berichterstattung steht im Dienst einer zynischen Unverbindlichkeit und schützt unser Gesellschaftssystem, den utopischen Kapitalismus, vor grundlegenden Veränderungen.
Was der Journalismus leistet, genügt nicht mehr:
Die Medien, allen voran die elektronischen, sind trotz ihres demokratischen Anspruchs weitgehend zu tragenden Stützen des selbstmörderischen Systems verkommen.
Die Bilder ziehen an uns vorbei, die Meinungen sind gemacht und dienen nur noch dem Zweck der Unterhaltung. Wir sehen nicht weg, doch wir schauen auch nicht hin. Wir lesen, doch wir verstehen nicht. Wir denken, aber wir fühlen nichts. Alles geht seinen Lauf, wir stehen stumm und verängstigt, überzeugt von der eigenen Bedeutungslosigkeit, von der eigenen Machtlosigkeit, und handeln nicht mehr. Das ist der Fatalismus des heutigen Menschen, das ist sein Zynismus. Und dieser Zynismus ist bloß das Feigenblatt seiner abgrundtiefen Resignation. Die globalisierte Seele ist eine gebrochene Seele. Du musst dir den globalisierten Menschen als einen unglücklichen Menschen vorstellen.
Die Zeitung — der blinde Fleck der Zeit. Sie gleicht einem schonungslosen Spiegel und ist doch nur ein Ablenkungsmanöver. Aber hin und wieder blinkt ein Licht redaktionellen Verantwortungsbewusstseins im düsteren Einerlei der Epoche. Und wir erahnen die Würde des Menschen.
Die Würde des Schriftstellers ist seine geistige Unabhängigkeit. Niemand kann sie ihm nehmen, denn er allein bestimmt über sie: Würde und Freiheit bedingen einander. Zieht der Schriftsteller andere — Verleger, Kritiker, Leser — für seine Existenz zur Verantwortung, so hat er aufgehört, ein freier Künstler zu sein. Nur wenn er den Mut aufbringt, sich seine geistige Unabhängigkeit den eigenen Zweifeln zum Trotz zu bewahren, lebt er in Würde.
Böse Zeiten erfordern gute Bücher.
Die Stimme
Niemand kann dem Schriftsteller raten, ihn hinführen zu sich selbst. Er muss es allein schaffen, er muss sich selbst vertrauen und es sich zutrauen. Wichtig ist die eigene Stimme und die kann nur er ergründen, finden und erheben. Der Literaturbetrieb und das Publikum — die literarische Öffentlichkeit ist belanglos. Wichtig ist nur die eigene, persönliche Stimme.
Mit der Unschuld eines Kindes und der Kaltblütigkeit des Weltmannes nennt der Schriftsteller die Dinge beim Namen.
Wer ist das Publikum? Ist das eine Schar Pubertierender mit Pickeln im Gesicht oder ein Schwarm junger Novizinnen? Ist das eine Horde von Rohkost-Anhängern oder eine Bande von Skinheads? Ist das eine Clique lustloser Senioren oder eine Herde von Kirchgängern am Palmsonntag? Ist das eine Handvoll Rezensenten oder die Zunft der Germanisten? Oder ist das Publikum am Ende gar das vervielfachte Ich? Für mich ist das Publikum nicht fassbar. Zum Glück kenne ich es nicht, denn so bin ich wirklich frei und brauche auf nichts und niemand Rücksicht zu nehmen.
Ein Text ist ein Angebot. Wird er gelesen, findet er seine Form. Denn wer liest, schreibt um. Lesen heißt neu schreiben.
Ein Buch ist erst dann vollendet, wenn es gelesen wird — es muss veröffentlicht werden.
Literatur ist ein Selbstgespräch, das öffentlich geführt wird.
Die Öffentlichkeit
Ist das Schreiben nicht ein Wagnis und jedes Buch ein Scheitern? Da sind Ängste, Skrupel und Enttäuschungen, Niederlagen und Verletzungen. Du kämpfst mit dem Engel, der ein Dämon scheint. Du kämpfst vor allem gegen dich selbst. Schließlich überschreitest du deine Grenzen, du überwindest dich. Das Buch erscheint. Du bist am Ende, erschöpft und versehrt. Das Buch wird gelesen, das Buch wird kritisiert. Dann folgt das nächste Wagnis.
Wie immer, wenn ich mich dazu entschließe, ein neues Buch zu veröffentlichen, tue ich es mit dem irritierenden Gefühl der Verunsicherung, ja der Angst. Tue ich das Richtige? Da es auf diese Frage keine gültige Antwort gibt, begnüge ich mich mit der schlichten Wahrheit, dass im Tätigsein ein gewisser Trost liegt.
Kurz vor der Buchvernissage lebe ich wie im Wahn. Ich funktioniere und stehe dennoch außerhalb der Gesellschaft. Durchlässig und verletzlich wie in der Schaffensphase. Ich kann mich gegen andere nicht mehr abgrenzen, gegen ihre Eigenarten und Ansprüche. Dumpf und doch aufgeregt gehe ich herum. So unruhig wie ängstlich. Geplagt von Nesselfieber, blind für die Schönheiten des Lebens — ein Maulwurf, der die Krätze hat.
Der Schriftsteller fällt aus der Wirklichkeit und irrt durch die Öffentlichkeit.
Nonkonformismus ist selten, denn der Druck der öffentlichen Meinung ist groß.
Die opportunistische Handlungsweise ist Mainstream. Opportunisten verschachern ihre Verantwortung an den Meistbietenden. Auch bei den Schriftstellern gibt es die schweigende Mehrheit der Opportunisten. Diese Leute machen Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack, im Künstlerischen wie im Politischen.
Sie legen sich ethisch und ästhetisch niemals fest. Pragmatiker durch und durch, halten sie sich an Herbert Spencers Losung „Survival of the Fittest.“ Dieser Haltung verdanken sie Erfolg und Ansehen, bisweilen sogar zeitgenössischen Ruhm. Aber werden sie literarisch überleben?
Die Öffentlichkeit ist eine Pfahlgrube, getarnt als Bühne. Betrittst du sie, richten sich die Scheinwerfer auf dich und machen deinen Fall zum Fall.
Die Kritik
Ein Autor, der vor Agenten und Verlegern, Sponsoren und Lektoren, Feuilletonisten und Germanisten nicht kuscht, stört den Literaturbetrieb. Entwickelt er darüber hinaus Fantasie und Eigeninitiative, wird er lästig. Denn seine subkulturellen und subversiven Tätigkeiten brechen das Machtmonopol der offiziellen Literaturverwalter. Ich bin immer der Meinung gewesen, innovative und avantgardistische Erkundungen sollten nicht den anerkannten Literaten und ihren Verlegern vorbehalten sein.
Wer unkonventionelle Wege geht, muss mit verdeckten oder offenen Anfeindungen rechnen. Denn wer das Alte infrage stellt und Neues ausprobiert, stellt die bestehende Ordnung infrage. Der Mensch bewältigt die Existenz — vermeintlich oder nicht — dank seiner Gewissheiten, sie geben ihm Halt. Wer diese Gewissheiten erschüttert, wird zur Gefahr, die bekämpft werden muss. Wie überall menschelt es auch im Literaturbetrieb. Seine ungeschriebenen Gesetze sind zahlreich und die Beteiligten unterwerfen sich ihnen mehr oder weniger freiwillig. Wer gehorcht, gehört dazu; wer nicht gehorcht, wird ausgegrenzt. Ein ungeschriebenes Gesetz des Verlagswesens beispielsweise verbietet ernsthaften Autoren, ihre Werke im Selbstverlag zu publizieren.
Wer sich dennoch für diese unliebsame Konkurrenz entscheidet, bekommt die Peitsche von Vertrieb, Buchhandel und Feuilleton zu spüren: ungenügende Vertriebsmöglichkeiten, geringe Buchverkäufe, schlechte Kritiken, undotierte Literaturpreise. Autoren, die ihre eigenen Gesetze aufstellen und befolgen — das sollte meiner Meinung nach jeder schöpferische Mensch tun —, werden in die Einsamkeit gestoßen. Sie sollen sich elend und verloren fühlen: ohne Öffentlichkeit, ohne Publikum, ohne Geld.
Das Gros der Literaturkritiker mit ihrer pennälerhaften Art, Rezensionen als Streiche zu inszenieren, ist im Grunde nie erwachsen geworden. Diese Kritiker haben über alles eine Meinung, aber vor nichts Achtung. Ihr geistiges Niveau reduziert sich bei genauerer Lektüre auf den Bildungsstand eines Germanistikstudenten im dritten oder vierten Semester. Das wäre verzeihlich, wenn sich der Student bewusst wäre, dass er noch viel zu lernen hat — von den Autoren nämlich.
Die Literaturkritik ist meist ein Missverständnis, sie sagt mehr über den Kritiker aus als über das kritisierte Werk. Literaturkritiker kommen mir vor wie jene Sexualtherapeuten, die sämtliche Stellungen des Kamasutra kennen, aber keine Freundin haben.
Heute müssen sich mitunter sogar Schriftsteller von Weltrang Banalität vorwerfen lassen, denn manche Literaturkritiker sind nicht in der Lage, stilistische Einfachheit als eine bedeutsame Eigenschaft der Qualität zu erkennen.
Der Prüfstein der Kunst ist nicht die Mitwelt, sondern die Nachwelt. Darum wirkt das Urteil der Zeitgenossen wenig inspirierend. Meine Selbstkritik ist bestimmt größer als die bösartigste Kritik, die ich je erhalten habe.
Der Misserfolg
Als Schriftsteller schreibe ich aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus. Schreibend ergründe ich mich selbst, die anderen und die Gesellschaft. Ich enthülle und entlarve — nicht nur Missstände — und gelange dadurch zu Macht, die abschreckt und eine Ablehnung bewirkt, die mich in die Ohnmacht zurückstößt. Oft empfinde ich diese fortwährende Umwandlung von menschlicher Ohnmacht in literarische Macht und von literarischer Macht in menschliche Ohnmacht als das Werk eines Engels, der mich davor bewahrt, in eine unproduktive Selbstzufriedenheit abzugleiten. Mein literarischer Code könnte durchaus die wohldurchdachte List eines schützenden Engels sein. Im Talmud gibt es einen dunklen Satz, den ich immer besser begreife: „Gott aber bewahrt die, die er liebt, vor der Erreichung ihrer Ziele.“
Erfolg: Du folgst dem Fremden, du wirst zu dem geformt, was andere formt. Misserfolg: Du folgst dem Vertrauten, du machst, was dich ausmacht. Erfolg oder Misserfolg, du kannst es dir nicht aussuchen — es ist Schicksal.
Es gibt zwei Arten von Aussenseitern. Die einen werden von der Gemeinschaft der Menschen als Vorbilder und Führer verehrt und mit Erfolg belohnt, die anderen als Nestbeschmutzer und Sündenböcke verachtet und mit Misserfolg bestraft.
Misserfolg erhitzt das Gemüt, Erfolg macht eine Gänsehaut. Misserfolg begünstigt das Alleinsein, Erfolg führt in die Einsamkeit.
Misserfolg beschert echte Feinde, Erfolg falsche Freunde.
Misserfolg ist ein strenger Lehrmeister. Er treibt den Hochmut aus und treibt zur Leistung an. Er verabschiedet die Quantität und begrüßt die Qualität. Er leert das Ego und lehrt das Ich. Er fördert Selbstkritik, Bescheidenheit und Demut und fordert Geduld, Beharrlichkeit und Ausdauer. Misserfolg führt zum wahren Erfolg, der charakterlichen und künstlerischen Entwicklung.
All jene, denen Erfolg wichtig ist, haben noch zu wenig gelitten. Das Leid lehrt Bescheidenheit und Demut, Tugenden, die uns empfänglich machen für die wirklich wichtigen Dinge wie Aufrichtigkeit und Freundschaft. Das Leid entfremdet uns der Oberflächlichkeit, es befähigt zum Blick nach innen. Leidend durchschauen wir die Nichtigkeit der Anerkennung, die immer ein Missverständnis ist, da sie uns niemals absichtslos gezollt wird. Der Lohn ist in uns oder gar nicht.
Der Erfolg
Der Schriftsteller, der sich unter das Joch des Erfolges beugt, verrät sich selbst. Er opfert, was seine Kunst erst ermöglicht: seine Persönlichkeit. Kunst ohne Individualität ist schlechte Kunst, ist ein schwacher Abglanz der wahren Kunst, die immer subjektiv ist. Der Künstler, der Ausgewogenheit anstrebt, das heißt Durchschnittlichkeit, oft auch Kitsch, verspielt seinen künstlerischen Anspruch. Er wird den Weg in den Schund gehen, wo große Worte und hohles Pathos echtes Gefühl und tiefe Erkenntnis ersetzen. Der Schriftsteller, der den Erfolg zum vorrangigen Ziel seiner Arbeit macht, hat sich selbst verraten.
Erfolg ist kein Kriterium für Qualität. Erfolg besagt nur, dass viele Menschen sich mit dir, deinen Ideen oder deinem Produkt identifizieren. Dass die Meinungen und Vorlieben der vielen qualitativ oft auf einem niedrigeren Niveau stehen als jene der wenigen, ist ein Gemeinplatz, der auch oder gerade in der Kunst seine Gültigkeit hat. Da macht die Literatur keine Ausnahme. Gute Literatur ist elitär, denn gute Schriftsteller und gute Leser sind selten.
Die literarische Qualität eines Buches spricht nur die wenigen Leser an, die für sie empfänglich sind, sie entzieht sich der Wahrnehmung der Masse. Das heißt aber nicht, dass Misserfolg ein Garant ist für literarische Qualität. Es gibt auch erfolglose Schriftsteller, die schlechte Bücher schreiben. Kurz, den Schriftsteller soll weder Erfolg noch Misserfolg kümmern. Er höre einzig auf seine innere Stimme und sei selbstkritisch genug, seine Manuskripte so lange zu überarbeiten, bis sie den eigenen Qualitätsansprüchen genügen. Der Rest ist Literaturkritik.
Erfolg zu haben bedeutet nichts weiter, als für den Erfolg, den man hat, geachtet zu werden. Wer Erfolg hat, hat ein Problem.
Erfolgreiche Menschen sehnen sich mit einer alles verzehrenden Leidenschaft nach echter Zuneigung, aufrichtiger Freundschaft und wahrer Liebe. Sie sind sich ein Stück weit abhandengekommen. Erfolgreiche Menschen sind in gewisser Weise Verlierer.
Der Erfolgreiche beginnt zu glauben, was der Erfolg ihm suggeriert: dass er nämlich zu Recht erfolgreich sei. Und wenn ich erfolgreich sage, meine ich außergewöhnlich, schön, kompetent, gut, mutig, dynamisch, intelligent, genial. Für den jungen Menschen ist das fatal, weil dadurch seine Selbstwerdung, die erst durch leidvolle Erfahrungen wirklich wird, verzögert oder verhindert werden kann. Der ältere Mensch tappt in eine ähnliche Falle, wenn er der Versuchung erliegt, den Erfolg als Belohnung für bisher erduldete Leiden zu verstehen. Erfolg kann den jungen Menschen hochmütig, selbstgerecht und letztlich unmenschlich machen, den älteren selbstzufrieden, träge und langweilig.
Erfolg ist eine Fata Morgana — er ist der Traum, nicht die Erfüllung.
Die Tragik
Der schreibende Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, ist dem Publikum verpflichtet. Die Masse giert nach Vorbildern und Helden, die ihr als Projektionsflächen für ihre Sehnsüchte und Träume dienen. Der öffentliche Mensch scheitert wie alle Menschen — privat. Das Scheitern wird verheimlicht und abgespalten vom Ich, das dem öffentlichen Anspruch genügen muss, um bestehen zu können. Mit der Zeit glaubt der Mensch an den selbst geschaffenen Mythos des öffentlichen Menschen. Der Schatten verflüchtigt sich im Scheinwerferlicht und wird auch im privaten Bereich, wo das Licht nicht hin leuchtet, verneint. Der Mythos lebt — mit oder ohne Erfolg — und die Seele nimmt Schaden.
Diese Entwicklung vollzieht sich im Verborgenen, sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Oft vermag erst der Tod den Mythos des öffentlichen Menschen zu zerstören und die dunkleren Aspekte seiner Persönlichkeit offenzulegen: Schwäche, Laster, Schuld. Dann wird das Bild des öffentlichen Menschen demontiert und der ganze Mensch mit all seinen Widersprüchen erscheint posthum im grellen Licht der Öffentlichkeit. Enttäuscht wendet sich die Masse ab und neuen Vorbildern und Helden zu. Das ist die Tragik des schreibenden Menschen, der in der Öffentlichkeit steht.
Schreiben ist ein Risiko, Veröffentlichen ein Fiasko.
Schreibt der Schriftsteller für seine Zeitgenossen? Schreibt er für künftige Generationen? Oder schreibt er womöglich nur für sich selbst? Niemand weiß, für wen er schreibt. Ich sage, ich schreibe für meine Zeitgenossen, aber vielleicht schreibe ich für die Zeitgenossen der Zukunft. Ich sage, ich schreibe für die Gegenwart, aber vielleicht schreibe ich für die Gegenwart der Zukunft.
Es gehört zum Schicksal des Schriftstellers, dass er nur Stückwerk zustande bringt. Habe ich deswegen versagt? In Augenblicken des Zweifelns möchte ich die Frage bejahen. Ansonsten glaube ich, dass das Scheitern zum Menschen gehört wie das Missgeschick zum Clown. In diesem Sinn habe ich nicht versagt. Ich nehme mein Schicksal an.
Der Schriftsteller lebt, um ein einziges Buch zu schreiben. Bei Cervantes war es „Don Quijote“, bei Hemingway „Der alte Mann und das Meer“, bei Grass „Die Blechtrommel“. Habe ich mein Buch schon geschrieben?
Was werde ich einmal hinterlassen? Ein paar Gedichte, ein paar Aphorismen, ein paar Geschichten — mehr nicht. Reicht das aus, ein Leben zu rechtfertigen? Ein Leben rechtfertigt sich nicht durch Literatur. Was zählt, ist die Liebe. Sie allein verleiht dem Leben Sinn. Die richtige Frage lautet: Habe ich genug geliebt?