Alles nicht schön. „Alles nicht schön“, so der Betroffenheitskommentar der ARD-Tagesthemen-Kommentatorin Hanni Hüsch zur krachenden Ablehnung der Impfpflicht im Bundestag: „Feixende AfD, ein düpierter Kanzler, ein sorgenzerzauster Gesundheitsminister, Parlament fatal. Alles nicht schön.“ Deutsche Leitmedien tragen tiefe Trauer. Zeit des plötzlichen Abschieds von einem Lieblingsgedanken medialen Träumens. Wären nicht aber die Traumsequenzen Notfallzulassung und Impfpflicht allein ausreichend für Albtraumhaftes? Vehement fragt stattdessen Tim Szent-Ivanyi, tätig als Redakteur im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), in die ministerielle Fassungslosigkeit: „Welche Druckmittel stehen noch offen?“
Nochmals zum langsamen Lesen: Notfallzulassung und Impfpflicht!
Ein zum Bestseller taugender Buchtitel dieser Wochen lautet einigermaßen provokant: „Wer schweigt, stimmt zu“. Ein Schweigen und Zustimmen ist gemeint zu diesem — seit über zwei Jahren andauernden — politischen, diesem medialen Geschehen, zu diesem: „Mehr Diktatur wagen“. Zudem will das Buch der Frage nachspüren: Wie wollen wir denn eigentlich leben? Vielleicht ist sehr grundsätzlich überhaupt aber erstmal zu klären, ob wir denn (noch) leben wollen. Denn wer willens ist, um sich zu blicken, resümiert für sich: Die Mehrheit der Zeitgenossen schweigt und verharrt in Deckung. Aber wer will seinen Pelz riskieren, wenn ehemals harmlose Worte genügen, eine Lawine der Bestürzung, Beschimpfung, Diffamierung hervorzurufen? Wer also mag Worte wie Freiheit, Menschenrechte, Verfassung oder gar Schweden im Munde führen? Ein Geschehen-Lassen somit, ein Patiens. Kein Agens mehr auf Seiten des Bürgers, des Nachbarn, des Mitmenschen.
Die Mehrheit wurde durch die Merkel-Jahre — nicht erst durch eine halluzinierte Pandemie — beinahe geräuschlos zum Patienten. Pati: erleiden, erdulden; passio: das Leiden. Gut, damals lebten wir auch noch im „besten Deutschland aller Zeiten“, jedenfalls wurde es uns bundespräsidial so vermittelt, das Leiden war ein stilles, und irgendwie verhalten. Nun steht er aber da, in maskierter Vollendung — der Erleidende. Spätestens mit dem ersten Lockdown wurde erlitten, was Medien und Politik bereithielten. Ein paar Irritationen dann noch in den ersten Wochen, noch gab es fragende Blicke, noch durfte man sogar Gesicht zeigen. Was mag aus dieser gleichnamigen linken Initiative geworden sein?
Für ein weltoffenes Deutschland warb und wirbt man. Die Offenheit für alle Welt darf immerhin als gelungen gefeiert werden. Zeigen jedenfalls wollte man bald sein Gesicht nicht mehr, immer scheeler und leerer wurden die Blicke, bis man anzublicken sein Gegenüber ganz vermied und deshalb lieber die Bundesmaskerade initiierte, die dann zügig verpflichtend für uns alle wurde. Nach gut zwei Jahren scheint dieses Erleiden in Außenbetrachtung beinahe als Form des Genusses, wird selbst den Jüngsten mit verklärtem Blick vermittelt. Sollten Eltern hier noch zögerlich sein, müssen Medien und Politik keine Sorge haben, die Angst-Gesellschaft wächst an ihren Grundschullehrern.
Von Viren, Spatzen und Kanonen
„Wir sind im Krieg gegen ein Virus“. Der Edeljournalismus hat(te) unbändige Lust aufs Abenteuer, witterte Tag und Stunde und trieb und treibt die politische Zunft vor sich her. Schon länger plagen die Leitmedien den Bürger mit unumstößlichen „Wahrheiten“, traktieren ihn regelrecht. Klima, Energie, Gender, Rassismus, Rechtsextremismus und weiterer Zinnober befinden sich als bedrängende Dauerkrisen unablässig im Fokus medialer Aufmerksamkeit. Links-grüne Apokalypse(n), soweit das Auge reicht und lesen mag. Zutage trat diese ganze Vertracktheit in ihrer Wucht natürlich mit dem Corona-Wahn. Denn nun endlich ist Schluss mit lustig. Krieg gegen ein Virus, das ist keine Bagatelle, das ist schließlich kein Spatz, dem man wenigstens mit der Kanone drohte, hier ist er erforderlich, der „Ausnahmezustand“. Der Süddeutsche Beobachter, ach nein, die Süddeutsche Zeitung war’s, die dann am 9. Februar 2021 auch forsch titelte: „Mehr Diktatur wagen“. Wozu sich waschechte Demokraten doch so versteigen können?
Ging nicht einmal um das Wort über die Medien, „Wächter der Demokratie“ zu sein? Wurde nicht gar ein Blatt einmal „Sturmgeschütz“ eben dieser genannt? Wie zu sehen, nicht nur geldwert ist der Vorteil an medialer Quelle. Einfluss und Macht und ein recht gut abgeschottetes soziales, links-grünes Umfeld — Schule, Universität, Verlage, Sendeanstalten — lassen die Phantasmen des Mainstreams ungebremst sprudeln. „Wir“ machen Meinung! Mehr Selbstbewusstsein geht nicht. Nun aber endlich die Gelegenheit, um solche Träume unbeschadet auszuleben.
Ein Virus macht’s möglich. Nur neuartig, neuartig musste das Virus unbedingt sein, und ein Killer dazu. Also behauptete man unablässig diese Neuartigkeit, bald schon schob man Varianten nach, die freilich nun noch tödlicher als das zuvor schon „tödlichste“ Virus waren.
Das „Killervirus“ und seine „Killervarianten“, wie Karl der Verwirrte es schon fast unnachahmlich flötet und trötet, beinahe mit Filmtitelqualität für das Serienformat.
Tagtäglich wird da nachgereicht, die Staatsgeschichte munter erzählt. Das Panikorchester bedarf unentwegter Steigerung, sonst wird’s dann wie beim alten Joseph Haydn und seiner 45. Sinfonie: Still nämlich, die Musiker schleichen von dannen, einer nach dem anderen. Bilder brauchte man zudem, das wissen die Medien, sie kennen sie lange schon, diese Macht der Bilder. Bilder, die nun Tod, Leid und unendliche Not suggerieren. Bergamo — ein Zauberort, mithin ein Zauberwort. Tote wird es geben, hunderttausende, halt, es wird millionenfacher Tod sein, ein bisschen Steigerung muss möglich sein, ob dann zwei- oder dreistellige Millionenzahl wird man noch sehen, das sagen die Modelle, das sagen die Experten, das sagt die Wissenschaft! Es gilt jedenfalls den Medien und der Politik das alte sportliche Motto — „Höher, schneller, weiter!“
Medialer Zirkus auf allen Kanälen — ein Dauerbrenner
Einer scheint besondere Freude an dieser Sportlichkeit zu entwickeln, es ist der derzeit — noch immer — amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Kein medialer Happen, kein medial zugeworfenes Zuckerstück scheint ihm billig genug zuzuschnappen. Ein Festtag, nicht nur dem Namen nach, für ihn, der Ostersonntag, nach den gescheiterten Impfpflicht-Spielen im Parlament dringend nötig. Denn da war sie aus ihm geboren, die „absolute Killervariante“. Das Auferstehungserlebnis schlechthin. Tödlich wie Mutante Delta und mindestens so ansteckend wie Omikron.
Die Medienwelt verlor sich in Begeisterung, schließlich hatte auch sie schwer zu schlucken und wusste sich einig mit Jeanne Turczynski, der Redakteurin aus der Redaktion Bildung und Wissen beim Bayerischen Rundfunk: „Keine Impfpflicht — Ein Fest für das Virus“. Der Minister nun wieder in seinem Element von Angst und Panik. Durch Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt wurde denn auch zuvor dem Publikum schon versichert: „Karl Lauterbach ist einer der fachlich besten Gesundheitsexperten, die wir haben.“ „Gute Nacht, Deutschland!“ wäre wohl mit Thorsten Stelzner treffsicherer zu kommentieren.
Virologen zeigten sich jedenfalls einigermaßen erstaunt, denn was „absolute Killervarianten“ eigentlich sind, blieb wissenschaftlich ohne Befund. Vielmehr bietet der geistige Zustand dieses Mannes Anlass zur Sorge. Julian Reichelt etwa twittert: „Karl Lauterbach redet jetzt von ‚Killervarianten‘ und ‚Staatsfeinden‘. Der Mann radikalisiert sich. Er gehört in kein Kabinett und auch in kein Interview mehr, sondern in Therapie.“ Was sollte man dieser Anregung auch noch hinzufügen wollen?! „Eine Impfpflicht macht bei SARS-CoV-2 so wenig Sinn wie bei Grippe“, tönte Lauterbach seinerzeit als Abgeordneter. Als frisch bestallter und betuchter Minister „werbe ich ja (…) vehement für die Impfung“, wird er predigen. „Seit zwei Jahren nehmen wir große Rücksicht auf die Ungeimpften“, stammelt er auch. Vor zwei Jahren — es wäre der Januar 2020 gewesen. Ein pharmazeutisches Präparat zur Einspritzung war jedoch erst im Herbst 2020 verfügbar.
Im Januar 2021 wurde die „Impfkampagne“ losgetreten. Irren freilich ist menschlich. Doch bei einem Politiker im Dauermodus? Und was meinte er wohl mit der großen Rücksicht? Der Bürger auf der Parkbank mutierte doch zum Staatsfeind, und nun der Spaziergänger erst, der einzelne Jogger wird polizeilich ermahnt, den öffentlichen Raum zu meiden, Tracing- und Tracking-Apps werden in millionenteuren Kampagnen medial beworben. 1G, 2G, 3G werden zum Dauerbrenner in Talkshows, beim Parlamentspalaver, und den Journalisten zum tauglichen Mittel der Hetzorgien gegen Ungeimpfte.
„Jeder, der stirbt, ist einer zu viel“, tönt es durch Funk und Presse und aus manchem Funktionär, und geschürt wird Angst und pathologische Angst und Todesangst. Faszinierend ist den Medien dann auch die Umwertung vielleicht nicht aller, aber doch vieler Werte. Solitäres Vegetieren heißt nun Dienst an der Gemeinschaft, die Verfolgung ist Befreiung, Angst verwandelt sich in Glück, Hausarrest in Freiheit, Irrational ist das neue Rational. Was allein jedoch zählt, ist der Schutz. Jeder schützt jeden, du mich, ich dich, du ihn, er dich oder mich oder sonst wen oder überhaupt.
Wenn Aufklärung Selbstanzeige bedeutet
„Werden wir in Sachen Corona einen Moment der Wahrheit erleben?“, so fragt Milosz Matuschek sehr nachdrücklich in seinem Beitrag „Aufklärung muss erzwungen werden, sie fällt nicht vom Himmel“. Es scheint sehr bezweifelbar. Die nötige Aufarbeitung bedeutete in diesem Falle „Aufklärung ist Selbstanzeige“. Wer von den Politikern, wer von der journalistischen Propagandameute wollte hier von selbst aktiv werden? Wer wollte da den — ach so notwendigen — „Transparenz-Prozess initiieren“ und/oder gar „anführen“? Hier nun wäre freilich gut, gäbe es ein Zündeln im Blätterwald, das dann ein Feuer entfachen würde und zur Katharsis der Medien führte.
Ein zartes Glimmen wurde in Dänemark sichtbar, es zeigt immerhin, Aufklärung und Selbstkritik sind möglich. Die dänische Zeitung Ekstra Bladet verlautbarte ihren Lesern, sie habe die Regierung nicht kritisch genug hinterfragt und zumindest die offiziellen Corona-Zahlen nicht verifiziert. Ein Anfang eben. Das fast vollständige Versagen der Jurisprudenz ist zudem eine Erschwernis besonderer Güte. Auch hier bedeutete Aufklärung die Selbstanzeige.
Was nützt etwa ein Verfassungstext, wenn ihm nicht eine Verfassungswirklichkeit korrespondiert?
Dann wären da noch die zahlreichen NGOs, die das rot-grüne Staats-Horn mit Verve blasen, dass einem die Ohren schmerzen. Die Kirchen sind hier einmal mehr federführend, immerhin: „Impfen ist Nächstenliebe.“ Gut, hier laufen die Menschen derzeit zuhauf von dannen, der Nachhall ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Deshalb sind eben auch die Edelfedern und Edelkommentatoren — trotz rückläufiger Auflagenzahlen wie Einschaltquoten — nicht zu verharmlosen, der medial abgefeuerte Dauerbeschuss verfehlt seine Wirkung — noch — nicht. Die (a)sozialen Kanäle tun das Übrige.
„Eine Gesellschaft, die einen Angriff auf sich selbst nicht erkennen kann, verarbeiten kann oder beenden kann, sondern sich wie in einem schlechten Theaterstück als Real-Statisten beliebig verschieben lässt, ist nur noch Objekt, nicht aber Subjekt oder Gestalter der Wirklichkeit“, stellt der Jurist Matuschek klarsichtig heraus. Sollte es dennoch Gründe zur Hoffnung geben? Die uns vorgegaukelten Bauernopfer fallen samtig weich, da ist nicht mal ein Schütteln nötig. Runde Tische somit als ein gangbarer Weg aus dem politischen Irrlichtern? 1989 hatte es funktioniert, lange freilich blieb der Prozess der Erneuerung nicht in Gang, runde Tische wurden alsbald zur Mangelware. Vielleicht aber hilft gerade im Frühling die Einsicht des Johann Gottfried Seume: „Das beständige Leben im Zimmer wird bald zur kränkelnden Vegetation. Wer Kraft und Mut und Licht mehren will, gehe hinaus in die Elemente.“
Alles nicht schön. Seien wir dennoch getrost: Das Märchen aber lebt…