Schauen Sie mit mir gemeinsam bitte einmal durch den ganz großen Weitwinkel: Dieses Objektiv bietet uns nicht nur einen geografischen Überblick über den gesamten Globus, sondern auch den totalen historischen Überblick über die Geschichte der menschlichen Zivilisation. Können Sie schon was erkennen? Gut, dann ziehen wir gleich noch einen soziologischen und einen kybernetischen Polarisationsfilter drauf:
Was wir sehen, sind viele, viele Menschen. Vor allem seit dem Beginn der Landwirtschaft wurden es explosionsartig mehr. Vor 10.000 Jahren, als die ersten Familien sesshaft wurden und begannen, Haustiere zu halten und Nutzpflanzen anzubauen, gab es auf der Erde etwa 5 Millionen Menschen, schätzen Wissenschaftler. Heute sind es mehr als tausendmal mehr. Insgesamt wurden auf diesem Erdenrund bislang schätzungsweise 100 Milliarden Menschen geboren, davon sind heute etwa 7 Prozent am Leben.
All diese Menschen haben nie eine homogene Gruppe gebildet, sie haben sich immer von ganz alleine in Gruppen und Untergruppen zusammengeschlossen: Familien, Dorfgemeinschaften, Zünfte, Armeen, Schiffsmannschaften, Schützenvereine, Kirchengemeinden, Unternehmen, Behörden, Gewerkschaften, Feuerwehrmannschaften, Fußballteams, Chöre, Herrenclubs, Parteien, Schulen, Fürstentümer, Länder, Bünde, Religionen, Staaten und so weiter und so weiter, es gibt eine unüberschaubare Zahl von verschiedensten Gruppen und Organisationen.
Wenn Sie jetzt die Linse scharf stellen und nach Mustern und Gemeinsamkeiten innerhalb dieser Organisationen fahnden, dann entdecken Sie sofort ein Phänomen, das so vertraut wie erstaunlich ist: In so gut wie jeder dieser Organisationen gibt es genau ein Individuum mit einer fest zugeordneten Sonderrolle. Und die heißt: Chef, Leiter, Führer, Meister, Oberhaupt, Direktor, Kanzler, Präsident, Vorsitzender, Oberbefehlshaber, Premierminister, Kapitän, Papst, Zar, Obmann, Pharao, König, Gott ...
Es gibt also einen Herrscher und alle anderen sind die Beherrschten, einen Regierenden und alle anderen sind die Regierten, einen Mächtigen, der entscheidet, und all jene, über deren Wohl und Wehe entschieden wird, einen, der sagt, was die anderen tun sollen. In der Bibel wurde dieses Prinzip in einer bildmächtigen Sprachformel ausgedrückt: „Der Herr ist mein Hirte.“
Und weil dieses Sprachbild immerhin bis an die Anfänge der menschlichen Zivilisation zurückreicht, als der Mensch nämlich damit begann, behütete Herden von Ziegen oder Schafen oder Rindern zu bilden, um zum Nahrungserwerb nicht auf die aufwendige und gefährliche Jagd gehen zu müssen, habe ich diese zutiefst eingängige Rhetorik aufgegriffen und nenne diese uralte, hierarchische Organisationsform: das Hirten-Prinzip.
Fast jede dieser zig menschlichen Organisationen konstituiert sich reflexartig nach dem Vorbild einer Herde, die einen Hirten hat. Der Hirte wurde entweder gewählt oder ernannt oder er hat das Amt geerbt oder er wurde von Gott auserwählt — wie man behauptet — oder er hat es sich einfach mit einer List oder dem Recht des Stärkeren angeeignet.
Wie auch immer, jedenfalls ist es nicht zu leugnen, dass sich seit vielen Generationen Mitarbeiter, Mitglieder, Bürger, Spieler, Untertanen, Wähler von einem guten Hirten leiten ließen und damit zufrieden waren. Kam einmal ein bösartiger oder unfähiger Hirte an den Stab, gab es natürlich Stress. Bis hin zu Weltkriegen. Aber die Grundkonstellation „Wir Herde — du Hirte“ stand im Verlauf der Menschheitsgeschichte kaum je zur Debatte.
Doch das ändert sich gerade!
Denn zwei unaufhaltsame Tendenzen kriechen in unserem Land, auf unserem Kontinent, ganz fies aufeinander zu. Auf der einen Seite werden wir immer liberaler, die Möglichkeiten werden immer größer, die Lebensentwürfe immer individualistischer, die Gesellschaft wird immer komplexer. Ich könnte zusammenfassend sagen: Die individuelle Freiheit nimmt zu, die Macht der Hirten nimmt ab. Auf der anderen Seite greifen die verschiedensten Hirten immer stärker in unser Leben ein.
Sie nehmen uns auf pfeilgeraden oder verschlungenen, krummen Pfaden ein immer größeres Quantum unseres selbst verdienten Geldes weg, sie bestimmen sehr genau, wie wir einfachste Tätigkeiten zu tun haben, sie schreiben uns mehr und mehr vor, was wir denken und öffentlich sagen dürfen, sollen und können, sie nehmen auf vielfältigste Weise Einfluss auf unsere Lebensentwürfe und üben in immer mehr Lebensbereichen Macht auf uns aus. Ich könnte zusammenfassend sagen: Die individuelle Freiheit nimmt ab, die Macht der Hirten nimmt zu.
Die individuelle Freiheit nimmt zu. Und sie nimmt ab. Die Macht der Hirten nimmt ab. Und sie nimmt zu. Paradox — beides stimmt! Beides lässt sich belegen und begründen. Keines von beiden kann leugnen, wer einigermaßen bei Sinnen ist. Aber beides auf einmal geht eben nur bis zu einem gewissen Grade gleichzeitig. Ich befürchte, dass das am Ende nicht gut ausgeht. Ja, ich kann das bereits kommen sehen.
(…)
Mit dem Zweiten sieht man besser …
Zum Beispiel bezieht sich dieses Gefühl auch auf die Rundfunkgebühr. Nur ein Beispiel! Natürlich verstehe ich, was das Ganze mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll: Verschreckt von der frischen Erfahrung, was ein totalitär gesteuerter und gleichgeschalteter Rundfunk in einer Bevölkerung anzurichten vermag, errichteten die Nachkriegsregierungen in Bund und Ländern ein Gegenmodell, ein möglichst regierungsunabhängiges, möglichst pluralistisches Radio- und Fernsehprogramm.
Es sollte dennoch irgendwie staatlich, also von der Allgemeinheit getragen werden, um die sehr hohen Infrastrukturkosten zu stemmen. Außerdem sollte es für jedermann zugänglich sein. Der hehre Anspruch der Rundfunkvordenker war es, ein redaktionell buntes Programm zu senden, das ohne Marktdruck vielfältigen Geschmäckern gerecht wird und auch über Nischen berichtet, insbesondere zur politischen und kulturellen Grundbildung beiträgt.
Der Marathonlauf lief und der Rundfunk funktionierte. Jeder zahlte brav seine GEZ-Gebühr der Gebühreneinzugszentrale pro Fernseher oder Radiogerät.
Doch irgendwann waren alle Läufer samt Besenwagen vorbeigelaufen — der Rundfunkmarkt hatte sich verändert. Private Anbieter hatten sich trotz der erdrückenden Marktmacht der von Gewinnstreben befreiten öffentlichen Sender etabliert. In allen Autos waren ab Werk Radios eingebaut. Fast jeder Haushalt hatte mindestens einen Fernseher. Und dann kam auch noch das Internet dazu: Plötzlich war jeder Laptop, jedes Smartphone eine Art Rundfunkempfänger. Plötzlich wurde der Markt hochkomplex, weil es Millionen Sendequellen gab und jeder sich seine Inhalte jederzeit selbst zusammenstellen konnte, ohne an die zeitlich unflexiblen Programmschemata der Rundfunksender gebunden zu sein.
Mit ARD, ZDF und Deutschlandfunk zu konkurrieren war plötzlich sehr günstig und sehr einfach geworden. Sendungen mit Werbung zu finanzieren, war auf einmal für jeden jederzeit möglich geworden. Und niemand musste mehr „rundfunken“ — die Funksender, die Sendefrequenzen, die Sendemasten und all der Funktechnikkram aus vordigitaler Zeit waren obsolet geworden. Das Internet kommt flächendeckend in die kleinste Hütte, das Netz ist einfach da, extra Infrastrukturkosten für Radio und TV gibt es nicht mehr.
Dann könnten wir leicht zu dem Schluss kommen, dass die Zeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schlichtweg vorbei ist.
Der Marathonlauf dürfte spätestens an dieser Stelle vorüber sein. Die Gründe, aus denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk einst aus der Taufe gehoben wurde, sind Vergangenheit. Alle Ziele sind auch so erreicht: Die Vielfalt ist größer denn je, die flächendeckende Informationsfreiheit ist gegeben, die Gleichschaltung durch einen bösen Staat ist nicht mehr denkbar, die Demokratie in Deutschland ist seit 70 Jahren gefestigt und entwickelt sich weiter, die Bürger brauchen keine starren, zentral gelenkten Informations- und Unterhaltungsprogramme mehr. Wir könnten die Straßen freigeben und die Leute laufen lassen.
Aber da ist noch dieser Typ mit der grellgelben Weste, mit der drohenden Stimme, mit der ausladenden Gestik und der dominanten Mimik. Er hält die Straßensperre aufrecht! Er erhält die Macht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um des Machterhalts willen!
Wer ist dieser Typ?
Und wie macht er das?
Nur um gleich hier gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich zahle für die Wohnung in Deutschland meine Rundfunkgebühr — wenn auch zähneknirschend. Sie ist nicht das wichtigste Problem, an dem wir uns im deutschsprachigen Raum derzeit die Zähne ausbeißen. Und dies ist auch kein Buch für oder gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber seine problematische Existenz ist ein interessantes und durchaus beispielhaftes Phänomen unserer Gesellschaft, an dem sich die Wurzeln eines Grundkonflikts ausgraben, anschauen und verstehen lassen. Würden Sie hier darum mit mir einmal einen Schritt zurücktreten und auf das Gesamtbild schauen, bitte?
Was lebt, das will wachsen
Zunächst haben sich die Rundfunkanstalten finanziell massiv gestärkt. Wie das? Zum Beispiel dadurch, dass jetzt nicht mehr Gebühren pro Rundfunkempfänger gezahlt werden, was immer das Schlupfloch offenließ, keinen Fernseher und kein Radio zu besitzen. Nein, heute muss jeder Haushalt zahlen, weil er ein Empfangsgerät besitzen könnte. Jedes Unternehmen auch, weil seine Angestellten während der Arbeit Radio und TV konsumieren könnten. Und zwar saftig: Ein kleines Unternehmen mit unter 20 Mitarbeitern muss pro Jahr über 200 Euro für die bloße Möglichkeit bezahlen, dass seine Mitarbeiter, die privat bereits Rundfunkgebühr zahlen, auch im Büro Radio hören könnten. Und zusätzlich zur Verbreiterung der Zahlerbasis kamen regelmäßig durchgesetzte Gebührenerhöhungen hinzu.
In den fünf Jahrzehnten zwischen 1975 und heute stiegen so die Einnahmen der Sender aus der Rundfunkgebühr von umgerechnet etwa 1,2 Milliarden Euro auf rund 8 Milliarden Euro. Während sich die Sendereinnahmen aus Gebühren also knapp versiebenfachten, stiegen die durchschnittlichen Bruttogehälter in Deutschland laut Statistischem Bundesamt im gleichen Zeitraum von gut 900 Euro auf gut 2700 Euro nur um etwa das dreifache. Sogar die ebenfalls überproportionale, dem Bruttoinlandsprodukt davonlaufende Steigerung der staatlichen Steuereinnahmen in diesem Zeitraum — nämlich um das Vier- bis Fünffache — wurde durch das Wachstum der Rundfunkfinanzen locker getoppt. Und das will etwas heißen.
Das Verfahren der Beitragsfestsetzung über den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag scheint also rein empirisch gesehen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer finanzkräftiger zu machen, weit über das Wachstum der Geldmittel von Staat und Bevölkerung hinaus.
Warum das so ist, können Sie leicht nachvollziehen, wenn Sie sich die personelle und strukturelle Verflechtung der Rundfunkanstalten mit den Regierungsparteien der Bundesländer anschauen. Regierungssprecher werden fröhlich Intendant und Geschäftsführer der ARD, Nachrichtensprecher werden ungehemmt Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamts, hui, Bäumchen wechsle dich! Auf die wichtigen Posten hüben wie drüben werden den Regierungsparteien wohlgesinnte Politiker-Journalisten platziert.
Und das mögliche Korrektiv durch die den rundfunklichen Finanzbedarf prüfende KEF — der „Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“? Die Mitglieder dieses Clubs werden von den Ministerpräsidenten der Länder berufen. Jedes Bundesland bekommt sein eigenes Mitglied. Sie dürfen davon ausgehen, dass kein Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks jemals Zugang zu diesem Gremium erhalten wird. Auch hier, bei der Prüfung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten hat also der Staat das Sagen.
Diese Verflechtungen von Spitzenpolitik und Medien ist merkwürdig, denn eigentlich war doch der durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gesteuerte Rundfunk des Dritten Reichs das absolute Antibild.
Deswegen sollte doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Bundesrepublik möglichst staatsfern betrieben werden.
Und doch ist es so: Wenn die Regierungen in Bund und Ländern wollen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziell stärker wird, dann wird er das auch, denn sie können durch das Finanzierungsverfahren und die Personalentscheidungen aktiv dafür sorgen. Und da die Finanzen der Rundfunkanstalten ja tatsächlich dauerhaft und kräftig überproportional steigen, haben offenbar die Regierungen ein erhebliches Interesse an einem starken, immer stärkeren öffentlichen Rundfunk.
Und natürlich hat der öffentliche Rundfunk selbst auch ein Interesse an seiner eigenen Existenz. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Was lebt, das will wachsen. Und dieses Existenz- und Wachstumsinteresse kann der öffentliche Rundfunk mit diesem merkwürdigen, mit den Regierungen in Bund und Ländern kurzgeschlossenen, von externen Referenzen abgekoppelten Finanzierungsverfahren und mit den personellen Verstrickungen in die Spitzenpolitik offensichtlich auch wunderbar durchsetzen. Jedenfalls stimmt für ihn das Ergebnis.
Mit diesen immer dickeren Geldspeichern kann alleine die ARD heute 23.000 fest angestellte Mitarbeiter, 100 Korrespondenten an 30 Orten der Welt, 11 Fernsehprogramme, 55 Hörfunkprogramme, 16 Orchester und 8 Chöre bezahlen. Wenn sich die Chefs der Rundfunkanstalten und die Regierungen in Bund und Ländern einig sind, dass es noch mehr Angestellte, Programme oder Orchester werden sollen, dann wird in der nächsten Runde eben ein höherer Finanzbedarf angemeldet, der dann — natürlich ein wenig zurechtgeschliffen — von den Landesregierungen genehmigt wird. Und sowohl die Politiker der Regierungsparteien als auch die Angestellten im öffentlichen Rundfunk sind damit sehr, sehr zufrieden. In der Biologie nennt man so ein Verhältnis symbiotisch.
Wenn nun die Regierungen in Bund und Ländern über das Finanzierungsverfahren dafür sorgen, dass es den Rundfunkanstalten finanziell blendend geht, worin könnte dann das Interesse der Rundfunkanstalten bestehen, kritisch über die Regierungen zu berichten? Wer würde schon die Hand beißen, die ihn füttert? Es ist systemisch einfach nur logisch, dass jeder Akteur in den Redaktionen immer mitdenkt, ob er sich mit dem aktuellen Beitrag wirklich gegen die Regierungen stellen will, was ihn im Zweifel zumindest dazu antreibt, die Kritik nicht zu laut werden zu lassen.
Vor Wahlen besonders. Parteien, die sich gegen den Erhalt des Rundfunkbeitrags wenden, werden von den Redaktionen sicher nicht vorrangig behandelt werden. Natürlich wollen sich die Redaktionen einem solchen Vorwurf nicht so gerne aussetzen, aber natürlich setzen sie ihren Gestaltungsspielraum zur Existenzsicherung ein. Sie wären ja auch schön blöd, wenn sie das nicht täten. Jedes soziale System strebt nach Stabilität, um fortzuexistieren.
Dabei gehöre ich gewiss nicht zu denen, die sich die Naivität leisten zu glauben, dass der Rundfunkrat den Intendanten direkt sagt, was er senden soll und was nicht. Das glaube ich nicht. Darum halte ich Staatsfunk als Bezeichnung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch für reichlich abstrus. Aber die politische Referenz ist in einem solchen System selbstverständlich trotzdem immer da.
Das ist wie in einem Meeting in einem Unternehmen, in dem der Chef mit drinsitzt. Selbstverständlich überlegt sich jeder Mitarbeiter da, was er sagt, weil der Chef ja zuhört. Selbstverständlich entsteht durch diese Referenz eine gewisse Abhängigkeit und eine gewisse Erwartungshaltung, die die Kommunikation beeinflusst. Wer wollte das bestreiten? Nur der Chef.
Machen Sie keine Anstalten!
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist also ein System, das in einem Umfeld existiert, das sich so stark verändert hat, dass es im Prinzip und grosso modo mit guten Gründen als obsolet betrachtet werden kann. Sie können anderer Meinung sein. Ich bin jedoch sicher: In einem freien Normalzustand von Medienmarkt, in dem Tausende private Anbieter via Internet alle Unterhaltungs-, Bildungs- und Informationsnischen in der von den Kunden nachgefragten Qualität füllen, würden wir jedenfalls niemals auf die Idee kommen, einen staatlich per Zwangsabgabe finanzierten öffentlichen Rundfunk in gigantischer Größe zu installieren, der immer weiter hypertrophiert und sich in inniger Verflechtung mit der Spitzenpolitik an seine eigene Existenz klammert. Aus dieser Perspektive eine absurde Idee.
Die Referenzen, die dafür sorgen, dass dieses System heute existiert und sehr stark wächst, stimmen jedenfalls nicht überein mit der ursprünglichen Idee, nämlich Programmvielfalt, Staatsferne und politische Unabhängigkeit.
Hinzu kommt, dass der mittlerweile entstandene freie Medienmarkt durch diesen nicht gewinnorientierten und überfinanzierten Klops einer erheblichen Verzerrung ausgesetzt ist. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen einen Privatsender bei Sportrechten überbieten, dann ist dieses Geschäftsfeld für die freie Privatwirtschaft einfach weg. Die öffentlichen Sender treiben die Preise für Lizenzen und für am Markt eingekaufte Leistungen nach oben, und sie können sich das durch die üppige Gebührenfinanzierung auch leisten. Das macht es noch schwerer für die Privaten, sich mit Qualität durchzusetzen, denn Qualität kostet Geld. Die Privaten haben eindeutig einen Nachteil im Markt. Diese Wettbewerbsverzerrung behindert Fortschritte und lähmt die Kreativität der Medienwirtschaft.
Und klar ist auch:
Die 8 Milliarden Euro, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedes Jahr einzieht, stehen den Bürgern nicht zur Verfügung, um sie für andere Medien, für Theaterbesuche, Bücher oder was auch immer auszugeben.
Der entscheidende Punkt für mich ist aber ein individualistischer: Mich interessiert fast nichts von dem, was im TV oder im Radio gesendet wird. Aber ich muss es dennoch bezahlen. Ja, ich schaue gern mal ARD-Dokus in der Mediathek oder Satiresendungen an, „Die Anstalt“ zum Beispiel. Das ist zwar nicht meine politische Richtung, aber ich lache bisweilen herzlich, denn ich finde die Sendung wenigstens intelligent gemacht.
Das ab und zu mal anzuschauen, dafür wäre ich aber auch bereit, etwas mehr Werbung über mich ergehen zu lassen oder wie bei Amazon Prime für einen guten Woody-Allen-Film vier Euro zu bezahlen. Was mich ärgert, ist dieses Zwangsgefühl, ein Abo für gut 50 Euro im Quartal bezahlen zu müssen, das ich nicht bestellt habe. Dieses Gefühl ist scheußlich. Es ähnelt dem Schraubzwingengefühl, das ich an der Straße in Barcelona hatte, als ich mich dem Typen in der grellgelben Weste unterwarf.
Und ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender richten sich hauptsächlich an ein Publikum mit einem Durchschnittsalter von über 60 Jahren. Und so sind die Sendungen zum größten Teil auch gemacht. Ich bin Ende 40. Für mich ist das in vielen Fällen eine Zumutung. Außerdem fühle ich mich beim Fernsehen gucken vielfach intellektuell unterfordert, gerade bei den politischen und den nachrichtlichen Sendungen. Selbst der Tatort kommt nicht mehr ohne politisch-pädagogische Botschaften aus. Das ist doch irre.
Und ständig belehren mich genau diese Medien und die an ihnen interessierten Politiker, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft dringend notwendig und nur das Beste für mich sei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass die Finanzierung per Zwangsgebühr rechtens sei und alles geht so weiter: Die Kosten tragen alle, den Nutzen trägt aber nur eine Teilmenge der Gesellschaft, eine Wahl gibt es nicht.
Wenn man sich einmal aus gesellschaftlicher Notwendigkeit so ein kollektivistisches System eingefangen hat, dann muss es sich für immer am Leben erhalten. Dann kann man einfach nicht mehr zurück. Koste es, was es wolle. Und je größer die Diskrepanz zwischen erlebtem Nutzen und realen Kosten wird, desto straffer werden die Zügel angezogen, desto autoritärer wird das System verteidigt und desto verbissener wird es ausgebaut. Die Hirten lassen sich die Butter nicht so einfach vom Brot nehmen!