In der im Mai 2017 stattgefundenen Stichwahl zur französischen Präsidentschaftswahl hat der „self made man“ Emmanuel Macron die meisten Stimmen bekommen. Ein Präsident, der nun weiter en marche ist, also auf dem Vormarsch, im Kommen.
Nun, dass er keine Partei hinter sich hat, heißt nicht, dass es sich dabei um einen lonely man handelt. Er hatte das Wichtigste auf seiner Seite, die Wirtschaftselite des Landes und die EU.
Und wie schnell man eine Partei aus dem Boden stampfen kann, hat Macron auch bewiesen. Um als Präsident das umzusetzen, wonach sich die französische Wirtschaftselite schon lange die Finger leckt, brauchte er eine parlamentarische Mehrheit, die er nicht hatte.
Was macht man in einer solchen Situation? Man gründet mal ganz schnell eine Partei. In wenigen Wochen wurde aus einem Sammelbecken von UnterstützerInnen die Partei „La République en Marche (REM)“ und im Juni 2017 wurde dann gewählt:
Bei dieser gähnend langweiligen Wahl blieben über 45 Prozent zuhause. Am Ende wurde die „La République en Marche“ stärkste Partei, mit mehr als 300 von 577 Abgeordneten im Parlament.
Bemerkenswert ist auf den ersten Blick etwas sehr Ermutigendes: Man kann in einer parlamentarischen Demokratie aus dem „Nichts“ heraus die etablierten Verhältnisse durcheinanderbringen, das gesamte klassische Parteiensystem hinter sich lassen.
In den Macron-freundlichen Medien ist von einem Erdrutsch die Rede, manche bemühen gar ungebändigte Naturgewalten und sprechen von einem politischen Tsunami.
Dass „Macron“ dies konnte bzw. ihm dies gelang, verweist auf drei Gründe:
Erstens war das herrschende Parteienestablishment, i.w. ein langweiliges und abgekartetes Spiel zwischen „Republikanern“ und „Sozialisten“, am Ende seiner Selbstdelegitimierung. Niemand wollte noch etwas von ihm wissen, es schon gar nicht wählen.
Zweitens, und das ist erstaunlich: Eigentlich ist das System am Ende. Niemand glaubt mehr an die Integrität und die Glaubwürdigkeit von „Volksvertretern“. Die allermeisten politischen Gegensätze sind simuliert bzw. schmelzen wie Schnee dahin, wenn’s um die Teilhabe an der Macht geht. Eigentlich ein guter Zeitpunkt, außerhalb des Parlaments die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern.
Aber genau das ist nicht passiert. Abseits des maroden Parteiensystems gab es ja noch Hoffnungen zu wählen, also abzugeben: Für Nationalisten und Postfaschisten gab es den Front National, für die Linke La France insoumise, das rebellische Frankreich.
Immerhin, La France insoumise hat sich wacker geschlagen und kam auf ca. 19 Prozent der Stimmen.
Für das marode System entscheidender war jedoch, dass es eine im „nationalen Interesse“ gute und notwendige Ablöse gab, eine Staffelübergabe, vor allem eine gelungene Inszenierung eines soundsovielen „Hoffnungsträger“, der alles anders und spannend macht.
„Er leiht ihr den Anschein von Frische und Neubeginn …“ erklärt uns die Europakorrespondentin der Deutschen Welle Barbara Wesel. Mit „ihr“ meint sie die deutsche Bundeskanzlerin Merkel, also das Europa Merkels.
Mit Macron gelang es, die massenhafte Enttäuschung wieder an das Urnen-System zu binden, die Enttäuschung systemoptimierend zu transformieren.
Dass dies die alten Eliten nicht in Freudentaumel versetzt (hat), ist klar. Aber sie verschwinden ja nicht im Bodenlosen. Die brauchbaren und willigen Teile sind in die Partei „La République en Marche“ aufgenommen worden und haben sich dort ein politisches Fortleben gesichert.
Drittens: Bevor jemand auf die Idee kommt, dass dies jede/r machen kann, der sei hier frühzeitig und kräfteschonend gewarnt: Das geht nicht mit jeder Partei, nicht mit jeder Idee so. Dieses Märchen gelingt nur, wenn hinter dem Märchen die ganze Macht der Nichtwählbaren steht, also vor allem das jeweilige Kapital.
In Griechenland sollte auch ein solches „Märchen“ stattfinden und es begann zauberhaft:
Die Oligarchie wurden 2015 bei den Wahlen abgewählt, ein neues Parteienbündnis „Syriza“ betrat mutig und aufrecht die politische Bühne und bildete schließlich die neue Regierung. Auch ein im Juli 2015 abgehaltenes Referendum über die Annahme bzw. Ablehnung des Troika-Diktats führte zu einem beeindruckenden Ergebnis: Über 60 Prozent stimmten gegen das Troika-Diktat. Aber die Wahlergebnisse spielten bei dem, was folgte, keine Rolle. Die Antwort auf die Wahlen war auf Seiten der Troika die Macht des Kapitalismus, ein finanzpolitisches Waterboarding, bis die gewählte Regierung, im wahrsten Sinne des Wortes, keine Luft mehr bekam und kapitulierte.
Wenn Wahlen etwas (Grundlegendes) ändern würden, wären sie verboten.
Dieser anarchistische Spruch aus den 70er Jahren wirkt keck und überheblich. In Griechenland hat er sich bewahrheitet.
Und viertens: Der Wahlsieg von Macron und seiner aus dem Boden gestampften Partei wird als Erneuerung, als Sieg der Demokratie gefeiert.
So spricht die Frankfurter Rundschau gar von einer „Revolution“, die in Frankreich stattgefunden habe. Nun kann man sich beruhigt zurücklehnen: Wenn die Frankfurter Rundschau (FR) einer „Revolution“ zujubelt, kann es so revolutionär nicht zugehen. In der Tat, die FR meinte, ein bisschen konkret werdend, eine „Revolution von oben“ (FR vom 4.7.2017)
Dass eine „Revolution von oben“ im besten Fall ein innerer Staatsstreich ist, im Normalfall nackter Unsinn, wird dann am ehesten greifbar, wenn man versteht, wo sich Macron historisch, imperial und symbolisch einordnet: Am 4. Juli lud er die Abgeordneten nach Versailles ein, ins Schloss des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. Mélenchon wirft ihm nicht zu Unrecht vor, sich „wie ein Pharao aufzuführen“.
Dass auch in Deutschland die Macron-Welle inszeniert wurde, ist geradezu linientreu. Denn Macron stand und steht für eine Wirtschaftspolitik, die den Konzernen mehr Profite und den ArbeiterInnen und Arbeitern mehr Arbeit, weniger Schutzrechte und weniger Lohn garantiert, also die Übernahme des „Modells Deutschland“.
Charmant asozial
Für die ersten Schritte will Macron die anstehenden Sommerferien nutzen, wenn alle weg sind. Das ist ein Bekenntnis zur Demokratie im Urlaub, passend zum weiterhin bestehenden Ausnahmezustand.
Es geht vor allem um die Beseitigung des jetzigen Arbeitsrechts und die Schaffung eines Arbeitsmarktes à la Patron. Der Titel dieses Gesetzesvorhabens hat jedenfalls bereits jetzt Anspruch darauf, von George Orwell adoptiert zu werden:
"Gesetzesprojekt für neue Freiheiten und neuen Schutz von Unternehmen und Angestellten".
Dazu schreibt Stephan Kaufmann von der Frankfurter Rundschau:
„Was verspricht Macron? Vor allem den Unternehmen sinkende Kosten. Er will Tarifverhandlungen auf die betriebliche Ebene verlagern, sprich: den Unternehmen erlauben, unter den bislang geltenden Standards zu bezahlen. Er will den Kündigungsschutz abschwächen, was den Unternehmen leichtere Entlassungen ermöglicht und den Druck auf die Beschäftigten erhöht. Gefordert wird auch eine Senkung des Mindestlohns sowie eine Abschaffung der 35-Stunden-Woche, was gleichbedeutend wäre mit der Abschaffung von Überstundenzuschlägen. Die Franzosen sollen billiger werden. Die Börsen feierten Macrons Sieg daher mit Kursaufschlägen.“ (FR vom 30.6.2017)
Seinem Leitartikel hat er die Überschrift gegeben: Charmant asozial.
Macron will also, wie einige Präsidenten samt politischem Personal vor ihm, den Arbeitsmarkt „entkrusten“, das Arbeitsrecht „lockern“. Das klingt entspannt und ist genau das glatte Gegenteil. Das Credo ist so einfach wie gehabt: Wenn Unternehmer nicht genug Profit machen, dann sind sie beleidigt und verlassen die Grande Nation. Wenn Unternehmer nicht Leute rausschmeißen können, wann es ihnen passt, dann fühlen sich diese in ihrer unternehmerischen „Freiheit“ eingeschränkt und erklären sich zu den „Gefangenen des Jahres“.
Und wenn der Staat nicht weitere Sanktionen auf dem Feld des Sozialrechts beschließt, gibt es keine „Anreize“ für Arbeitslose, auch die beschissensten Arbeiten anzunehmen.
Nur wenn all dies geschieht, so der nun befreit aufsingende Chor der französischen Wirtschaft, entstehen neue Arbeitsplätze, noch mehr Lust zum Ausbeuten und ein noch größeres Unternehmerherz, auch mal etwas Wohltätiges springen zu lassen.
Dieses Ammenmärchen ist längst aktenkundig und in allen Strophen und Suren widerlegt. Es handelt sich um nicht anders als um den Nachbau der „Agenda 2010“ in Deutschland Anfang der 21. Jahrhundert, incl. Hartz I – IV als flankierendes staatliches Sanktions- und Schleusersystem.
Dass das Zusammenstauen sozialstaatlicher Sicherungen das Leben nicht reicher, sondern ärmer gemacht hat, muss hier nicht nachgerechnet werden.
Dass diese „Arbeitsmarktreform“ neue Jobs generieren würde, stimmt, wenn man dazusagt, wie diese neugeschaffenen Jobs aussehen und welche bestehenden Arbeitsverhältnisse dafür beseitigt wurden. Im Großen und Ganzen ging es nicht um neue, schöne Jobs, sondern um die Beseitigung von Arbeitsplätzen mit Schutzrechten (also sogenannte „garantierte“ Arbeitsverhältnisse), um dieselbe Arbeit in prekäre (also, in Form von Leih- und Kurzarbeit, in mit weniger Schutzrechten ausgestattete) Arbeitsverhältnisse zu verwandeln.
Für diesen erneuten Versuch, den Arbeitsmarkt nach „Made in Germany“-Vorgaben zurechtzustauchen, sind nicht nur die Sommerferien gut. Der neue Hoffnungsträger will auch gleich deutlich machen, wie viel Demokratie dabei zum Zuge kommt: Nur das Nötigste.
Die amtierende Regierung beabsichtigt, die neuen Gesetze in Form einer präsidialen Verordnung durchzusetzen, also auf das Parlament, auf lästige Diskussionen zu verzichten. Dass das Parlament bei dieser Selbstentmachtung mitspielt, ist sicher, dank der absoluten Mehrheit für die Regierungspartei.
Damit setzt Macron genau das fort, was mit Hollande abgewählt wurde: Die Entmachtung des Parlaments per Dekret. Mehr noch: Diese Politik liefert der neofaschistischen Partei Front National genau das, was diese zum vorgetäuschten „Systemwechsel“ braucht: einen Beweis mehr, dass der Parlamentarismus eine teure und überflüssige Schaubühne darstellt.
Es bleibt dabei an den Soziologen Didier Eribon zu erinnern, der kurz vor der Stichwahl zwischen Macron und Le Pen folgendes prognostizierte:
„Heute appelliert man an uns, Macron zu wählen, um damit ein Phänomen einzudämmen, für das Leute wie er doch maßgeblich verantwortlich sind! Wenn Macron im Mai zum Präsidenten gewählt wird, dann bekommt Le Pen beim ersten Wahlgang in fünf Jahren wahrscheinlich über 40 Prozent. Dynamisch gesehen wählt man also mit Macron schon heute Le Pen.“ (faz.net vom 18.4.2017)
Das heißt aber nicht, dass es so kommen muss. Es gibt in Frankreich kaum einen besseren Zeitpunkt, die Nationalversammlung als teure Requisitenkammer hinter sich zu lassen und die Auseinandersetzungen dort zu führen, wo sie hingehört: in und vor den Betrieben, in und vor den staatlichen Institutionen.
Das wäre ein guter Zeitpunkt, nicht länger an eine „gute“ Partei zu glauben, nicht länger sich selbst zu täuschen und zu enttäuschen, und andere Formen der Repräsentanz, der Selbstermächtigung auf den Weg zu bringen. Statt des Systems Macron, eine Commune 2.0.
Und wenn die Partei „La France insoumise“ ihre 19 Prozent nicht im Parlament vergeudet, sondern mit in diese Kämpfe einbringt, dann wird es sozial und charmant zugleich.