Fake News und andere Formen der Desinformation
„Fake News“ sind in letzter Zeit zum Top-Thema geworden, meist in Zusammenhang mit dem neuen US-Präsidenten Trump, „den Russen“ und den sogenannten Sozialen Medien. Die öffentlich-rechtlichen Medien und die großen Medienkonzerne reagieren mit der Gründung von Abteilungen für „Faktencheck“. (1)
Unter „Fake News“ werden dabei meist nur frei erfundene oder stark verfälschte Nachrichten, also Falschmeldungen oder Falschnachrichten im engeren Sinne verstanden, die politisch motiviert und gezielt auf Täuschung angelegt sind. Sie werden zudem nur in den sogenannten Sozialen Medien verortet, sowie in den Nachrichtenportalen gegnerischer Staaten. Geht es nach dem politischen Mainstream, so könnte man „Fake News“ als die Falschmeldungen und Unwahrheiten definieren, die nicht von den etablierten Medien selbst verbreitet werden. Angesichts des Glaubwürdigkeitsverlusts, den sie in den letzten Jahren erlitten, sind ihre Einrichtungen zur Faktenprüfung daher auch ein Mittel, die Definitionshoheit darüber, welche Informationen noch innerhalb eines als seriös anerkannten Spektrums liegen, zu bewahren.
Kriegslügen — die verhängnisvollsten Fake News
Nun steht natürlich außer Frage, dass die „Sozialen Medien“ einen besonders guten Nährboden für „Fake News“ bilden, wo sie sich leicht säen und sehr schnell verbreiten lassen, bei Bedarf durch Computerprogramme, den sogenannten Social Bots auch automatisiert.
Wenn wir aber in der Geschichte zurückblicken, müssen wir feststellen, dass die Falschmeldungen, die die schlimmsten Schäden anrichteten, aus der Politik und etablierten Medien selbst kamen beziehungsweise von ihnen verbreitet wurden. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel dafür ist die sogenannte Brutkasten-Lüge, die von einer Werbeagentur kreierte Story über Babys, die irakische Soldaten 1990 in Kuwait aus Brutkästen gerissen hätten. Sie wurde damals von den meisten Medien weiter verbreitet und auch von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Sie trug damals maßgeblich dazu bei, die öffentliche Meinung in den USA zugunsten des ersten US-Krieges gegen den Irak zu drehen. Weitere berühmte Beispiele sind die angeblichen Belege über irakische Massenvernichtungswaffen, die 2003 der damalige Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat vorlegte, oder die angeblichen Massaker im Kosovo und der „Hufeisenplan“, den Rudolf Scharping der jugoslawischen Regierung angedichtet hatte, um den NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Noch gut in Erinnerung sind sicherlich auch die Propagandameldungen über afrikanische Söldner und angeordnete Massenvergewaltigungen in Libyen, mit denen Stimmung für den Libyenkrieg gemacht wurde.
Weit häufiger als mit eindeutigen Falschmeldungen wird jedoch mit sehr einseitigen oder stark übertreibenden Beiträgen versucht, die gewünschte Stimmung für ein politisches Anliegen zu schaffen. Auch wenn es nicht so gewertet wird und auch leicht abzustreiten ist, ist das Weglassen essentieller Teile einer Geschichte, die zum Verständnis und zu ihrer Einordnung nötig sind, letztlich ebenfalls Fake, das heißt eindeutige, klare Desinformation. Im Folgenden wird es daher um alle Formen von Desinformation gehen.
Aleppo und Mossul — Beispiele für Doppelmoral und Propaganda
Wie stark solche Desinformationen zur Durchsetzung herrschender Politik hierzulande eingesetzt werden, lässt sich sehr gut am Umgang von Politik und Medien mit den Kämpfen um Mossul und Aleppo zeigen. Beide zählen zu den schlimmsten Schlachten in jüngster Zeit. Sie stehen aber nicht nur als drastische Beispiele für die Brutalität der Kriege in Syrien und dem Irak, sondern auch für eine extreme Doppelmoral in ihrer Bewertung und für eine Berichterstattung, die weit mehr an den strategischen Interessen der herrschenden Kreise im eigenen Land, als am tatsächlichen Kriegsgeschehen ausgerichtet sind.
„Die Berichterstattung über den Syrienkrieg wird als eine der schändlichsten Episoden in der Geschichte der US-amerikanischen Presse eingehen“, schrieb der renommierte Journalist und Autor Stephen Kinzer in der US-Zeitung Boston Globe. Die Reportagen über Aleppo seien die jüngsten Beispiele dafür, so der einstige langjährige Auslandskorrespondent der New York Times.(2) Wer Berichte über Mossul und Ost-Aleppo vergleiche, könne sehr viel über die Propaganda lernen, die wir konsumieren, meint auch der erfahrene Nahost-Korrespondent des britischen Independent, Patrick Cockburn. (3)
Ein Vergleich der beiden Militäroffensiven zeigt zudem auch große Unterschiede im Vorgehen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten und dem der US-geführten Allianz in Syrien und im Irak.
Die Ausgangslage war in den beiden großen Metropolen ähnlich: Sowohl Ost-Aleppo als auch Mossul standen unter Kontrolle radikaler islamistischer Kräfte. Beide wurden von Regierungstruppen mit ausländischer Unterstützung belagert, bombardiert und schließlich gestürmt. Die Darstellung von Politik und Medien hätte jedoch unterschiedlicher kaum sein können.
Die Schlacht um Mossul, wo sich nach Schätzung westlicher Geheimdienste 7.000 bis 10.000 Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staat (IS oder arabisch despektierlich Daesch) unter rund eineinhalb Millionen Einwohner verschanzt hatten, wurde durchgehend als Feldzug für die Befreiung begrüßt. Die Offensive zur Rückeroberung Ost-Aleppos hingegen, wo noch 150.000 bis 250.000 Bewohner verblieben waren, aus den Händen von rund 8.000 islamistischen Kämpfern, als ungerechtfertigter, grausamer, verbrecherischer Angriff auf die „Opposition“, die „Rebellen“ oder gar die gesamte Bevölkerung der Stadt verurteilt.
Aleppo — „Inbegriff des Schreckens“
Den Charakter dieser „Opposition“ oder „Rebellen“ im Ostteil Aleppos blendete man dabei völlig aus, wie auch ihr tatsächliches Verhältnis zur Bevölkerung der Stadt. Man ließ so den Eindruck entstehen, es handele sich um fortschrittliche Kräfte und um Stadtviertel, die von der Mehrheit der Einwohner als „befreit“ angesehen würden. Ausgehend von diesem Narrativ entwickelte sich die wohl größte Propagandaschlacht im Rahmen des Krieges in und gegen Syrien. „Aleppo!“ — der Name wurde in deutschen Medien, so Daniela Dahn, geradezu zum „Synonym für einen mythischen Kampf zwischen Gut und Böse.“ (4)
Schlagzeilen zu Aleppo und Mossul
Stimmungsmache gegen strategische Wende im Syrien-Krieg
Der Hintergrund für das Getöse war die enorme strategische Bedeutung, die der Kampf um die Hoheit über die zweitgrößte Stadt Syriens hatte. Wäre es den Milizen gelungen, die gesamte Metropole unter Kontrolle zu bringen, hätte die „Regime Change“-Allianz eine gute Basis gehabt, den Krieg gegen die Assad-Regierung zu intensivieren. Aleppo und das umgebende Gebiet bis zur türkischen Grenze wären auch eine ausreichend große und gewichtige „befreite Zone“ gewesen, um als Basis für eine ernstzunehmende Gegenregierung zu fungieren, analog zu Bengasi in Libyen 2011.
Die Niederlage der dortigen Milizen hingegen bedeutete faktisch das Ende des Regime-Change-Projektes und damit auch eine empfindliche Niederlage der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten. Diese suchten daher den Preis für die syrische und russische Regierung so hoch wie möglich zu treiben, indem sie deren militärisches Vorgehen auf allen möglichen Ebenen skandalisierten. Mit Beginn der Offensive im September 2016 hatte die Berichterstattung im Westen nahezu einhellig nur noch den einen Tenor: Regierungstruppen und russische Luftwaffe lassen die Stadt in einem Inferno untergehen.
Aleppo wurde im Westen zum Inbegriff des Schreckens des Krieges in Syrien und für alle diejenigen, die ein direkteres Eingreifen des Westens anstreben, zum Symbol für eine hilflose internationale Gemeinschaft. (5) So überschrieb der Spiegel einen Artikel über eine Talk Show von Anne Will zum Thema „Ist Aleppo verloren?“ mit „Aleppo, Chiffre für moralisches Totalversagen“. (6)
Lauteten die Schlagzeilen zum Sturm auf Mossul „Die Offensive kommt schnell voran“, „die Befreiung steht bevor“ oder „Im Nordirak feiern die Menschen: der IS wird zurückgedrängt“, so titelte man über die syrische Offensive beispielsweise „Blut im grauen Staub Aleppos“ (Süddeutsche Zeitung (7)), „Außenminister Steinmeier: „Die Bilder aus Aleppo sind an Grausamkeit kaum zu überbieten‘“ (Spiegel Online (8)) oder „Grünen-Chef Özdemir: ‚Assad und Putin bomben Syrien zurück in die Steinzeit‘“ (Spiegel Online (9)).
Die US-Botschafterin Samantha Power verglich das Geschehen in Ost-Aleppo gar mit Ruanda und Srebrenica und übernahm dabei fast eins zu eins die Propaganda der Dschihadisten-Truppe Ahrar al Sham, die in ihren Medien mit denselben Vergleichen um Unterstützung warb. (10)
Al Qaida als „letzte Hoffnung“?
Zahlreiche hochrangige westliche Politiker nutzten die Berichte über Aleppo, um ihre Forderungen nach „Flugverbotszonen“ zu intensivierten, das heißt ausgedehnte Gebiete, die durch Androhung eines NATO-Krieges gegen Syrien, den Kampfjets der US-Allianz vorbehalten bleiben sollten. (11)
Oft wurde nicht einmal erwähnt, dass sich die Offensive nur auf den Ostteil Aleppos richtete, in dem höchsten noch 15 Prozent der Einwohner lebten, und so der Eindruck erweckt, die ganze Stadt stehe vor dem Untergang, wie einst im Zweiten Weltkrieg ‒ so ein häufig verwendeter Vergleich ‒ Dresden.
Dabei war es kein Geheimnis, dass die heroisierten Verteidiger (über die der SWR im November noch einmal den Propagandastreifen „Die letzten Männer von Aleppo“ zeigte (12)) überwiegend aus radikal islamistischen und dschihadistischen Milizen bestanden, unter denen der syrische al-Qaida-Ableger, die in „Fatah asch-Scham“ umbenannte Al-Nusra Front, und Ahrar al Scham die dominierenden Kräfte waren. Gruppen also, die dem Daesch in Bezug auf reaktionäre islamistische Ideologie und Brutalität nicht viel nachstehen.
Westliche Medien scheuten sich jedoch nicht, sich ungeachtet dieses allgemein bekannten Hintergrunds offen hinter die al-Qaida-nahen Kräfte zu stellen. So gab der Spiegel in einem Artikel durchaus an, dass die kampfstärksten Milizen „für einen syrischen Staat kämpfen, in dem ihre fundamentalistische Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia“ gelten soll, bezeichnete sie aber dennoch als „Aleppos letzte Hoffnung“. (13)
Al Qaida als „letzte Hoffnung“?
Im Unterschied zu hiesigen Medien sah wohl kaum ein Bewohner Aleppos die von den Islamisten und Dschihadisten beherrschten Viertel als befreites Gebiet an. Die Enklave entstand auch keineswegs in Folge eines Aufstands in der Stadt selbst. In Aleppo hatte es 2011 keine nennenswerten Proteste gegen die Regierung gegeben. Die zweitgrößte Stadt Syriens galt als Assad-Hochburg und blieb auch über ein Jahr lang von Unruhen verschont. Zum Verhängnis wurde ihr schließlich die Nähe zur Türkei. In der Grenzregion formierten sich die islamistischen Milizen und eroberten von dort aus den Osten der Stadt, bis zum Schluss über die nahe türkische Grenze gut versorgt. Das Gros der Bevölkerung der von ihnen besetzten Stadtteile flüchtete, die meisten in die von der Armee gehaltenen Viertel im Westen.
Allen Berichten von Betroffenen zufolge, die nicht mit den Islamisten sympathisieren — jüngst auch in der New York Times nachzulesen (14) — errichteten die Milizen ein islamistisches Terrorregime mit allem, was dazugehört: vom Schleierzwang bis zu Scharia-Gerichten. Sie nutzten es als Basis, um unter Einsatz von Mörsern und Raketen, Autobomben und Selbstmordkommandos in die benachbarten Viertel vorzustoßen zu versuchen. Die Mehrheit in Aleppo betrachtet daher, die „Vertreibung der Terroristen“, wie sie in den Kommentaren und Interviews von Leuten aus Aleppo meist genannt werden, durchaus „als Befreiung“. (15)
Nachrichtenhoheit der Dschihadisten
Die romantisierende Darstellung der Dschihadisten als „Verteidiger der Freiheit“ der gesamten Stadt führte dazu, dass Quellen aus ihrem Umkreis eine enorme Glaubwürdigkeit zugebilligt bekamen. Nicht nur bei den Medien, die ohnehin gerne bereit sind, alles dankend anzunehmen, das das gewünschte Bild unterfüttert, sondern auch bei Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW). Beide führten umfangreiche Kampagnen zur De-Legitimierung der Assad-Regierung durch, die fast vollständig auf den Informationen oppositioneller Organisationen beruhten.
Dies führte beispielsweise dazu, dass HRW mehrfach Bilder zerstörter Gebäude und Straßenzüge zeigte, die die Auswirkungen von Fassbombenabwürfen demonstrieren sollten, die ganz woanders aufgenommen worden waren. Eines stammte zum Beispiel aus dem kurdischen Kobani und eines sogar aus Gaza. (16)
Egal ob es sich um Berichte über „Fassbomben-Abwürfe“, „Angriffe auf Krankenhäuser“ oder ähnliche Vorwürfe handelte, primäre Quellen waren in den meisten Fällen ausschließlich oppositionelle Gruppen, wie das „Aleppo Media Center“, die mehr oder weniger eng mit den Milizen verbandelt waren.
Unabhängige Journalisten hingegen konnten kaum in die von Regierungsgegnern kontrollierten Gebiete vordringen. In dieser Situation haben ausländische Medien — aus Naivität oder Eigeninteresse — zugelassen, wie früh schon Patrick Cockburn kritisierte, dass Leute, die nur mit dem Segen von al-Qaida-nahen Gruppen, wie Al Nusra-Front und Ahrar al-Sham vor Ort aktiv sein konnten oder gar direkt bei ihnen mitarbeiteten, die Berichterstattung dominieren.
Das hat nicht nur die antisyrische, konfliktverschärfende Propaganda befördert, sondern nebenbei auch die Gefahr für Auslandskorrespondenten in Syrien massiv erhöht, die aus den umkämpften Gebieten berichten wollen. Denn die Dschihadisten setzten nun alles daran — von Entführungen bis zur Ermordung — um sicherzustellen, dass Berichte aus ihren Gebieten ausschließlich von sogenannten lokalen Aktivisten und „Bürgerjournalisten“ kommen, die mit ihnen sympathisieren oder von ihnen kontrolliert werden.
Die positive Erfahrung der Milizen in Aleppo mit ihrer „Medienpolitik“ wird, so steht zu befürchten, Nachahmer in anderen Konflikten finden.
Professionelle PR-Arbeit
Es wäre allerdings blauäugig anzunehmen, dass die ansprechende, professionelle und erfolgreiche PR-Arbeit allein das Werk der Milizen und verbündeter „zivilgesellschaftlicher Gruppen“ wäre. Arabische und westliche Regierungen haben von Beginn an ziemlich offen eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung und Ausbildung regierungsfeindlicher Medieninitiativen gespielt. Häufig war, was als spontane Gründung eines unabhängigen Medienbüros durch lokale Journalisten, Bürgerrechtler, Hobbyfotographen und Medienaktivisten wirkte, von syrischen Exiloppositionsgruppen und westlichen NGOs in enger Zusammenarbeit mit westlichen Regierungsstellen aufgebaut worden.
So wurde das Radio-Projekt Syria Radio Network (Syrnet) von der Berliner Organisation Media in Cooperation and Transition (MICT) mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes entwickelt — kofinanziert unter anderem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem belgischen und französischen Außenministerium und der Friedrich-Ebert-Stiftung. (17) Die damalige US-Außenministerin Hilary Clinton rühmt sich in ihrem Buch „Hard Choices“, ihr Ministerium hätte über tausend Aktivisten, Studenten und Journalisten für die erforderliche Medienarbeit ausgebildet. (18)
Die Mitarbeit in solchen Initiativen musste auch nicht aus reinem Idealismus erfolgen: Ein syrischer Journalist hat Cockburn zum Beispiel erzählt, ihm seien 17.000 US-Dollar im Monat angeboten worden, wenn er in einem von der britischen Regierung finanzierten PR-Projekt mitarbeiten würde. (19)
Innerhalb der NATO und der EU werden solche und andere Maßnahmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung auch offen diskutiert. (20) Man gibt sich dort zwar meist defensiv und redet von „Gegenmaßnahmen im Informationskrieg“ sowie vom Schutz davor, dass die eigenen Militäreinsätze diskreditiert werden, indem zum Beispiel zu viel über zivile Opfer berichtet wird. Konkret benannt werden dabei aber auch Maßnahmen, um im „gegnerischen Informationsraum“, wie es im militärischen Neusprech heißt, „unabhängige Medienunternehmen, Denkfabriken und nichtstaatliche Organisationen, insbesondere in der Muttersprache der Zielgruppe“ zu unterstützen.
Allein das Pentagon leistet sich zudem eine Armee von 27.000 Beratern aus diversen PR-Agenturen, die sich für die Aufgabe, die öffentliche Meinung im Sinne Washingtons zu beeinflussen, einen Etat von über vier Milliarden US-Dollar teilen. Den bisher lukrativsten Auftrag konnte sich hier die britische PR-Agentur Bell Pottinger ergattern, die 500 Millionen US-Dollar für gefälschte Propaganda-Videos des Terrornetzwerks Al-Qaida im Irak erhielt. (21)
Auch der Einsatz von „Fake-News“ und „Fake Accounts“ in Sozialen Medien zur Manipulation der öffentlichen Meinung gehört offensichtlich mittlerweile zum Arsenal westlicher Geheimdienste. So enthält das von Edward Snowden geleakte Material auch Originaldokumente über die Einheit Joint Threat Research Intelligence Group (JTRIG) des britischen Geheimdienstes GCHQ, dem britischen Pendant zur NSA, in der das Einspeisen von Desinformationen in die Sozialen Medien beschrieben wird, unter anderem auch um Gegner in Misskredit zu bringen. (22) In Syrien scheinen alle Methoden im Einsatz zu sein.
Natürlich wird in allen Kriegen Desinformation betrieben, werden übertriebene Gräuelgeschichten produziert etc.. In Syrien aber, so das Fazit von Cockburn, der in den letzten Jahrzehnten viele Kriege und Konflikte beobachten konnte, haben solche fabrizierten und absolut einseitigen „Nachrichten“ die Berichterstattung zu einem Grad dominiert, wie vermutlich nie zuvor seit dem Ersten Weltkrieg.
Nur durch diese breite, massive Beeinflussung der internationalen Öffentlichkeit — insbesondere der westlichen, war es den NATO-Staaten möglich, die aggressive Regime-Change-Politik so lange fortzusetzen.
Propaganda durch Einseitigkeit, Aufbauschen und Filtern
Im Fall Aleppo wurde hauptsächlich durch extreme Einseitigkeit und Weglassen wesentlicher Aspekte des Geschehens, Stimmung gegen das Vorgehen der syrischen und russischen Streitkräfte gemacht. Dies begann schon mit dem großen Raum, der ihrer Offensive — im Verhältnis zu sonstigen Kriegsereignissen in der Welt — von den Medien eingeräumt wurde, und wurde dadurch verstärkt, dass die Folgen mithilfe der Berichte, Bilder und Videos oppositioneller Gruppen massiv aufgebauscht wurden. Die Angriffe der sogenannten Rebellen auf den Westen Aleppos blieben unerwähnt, oft sogar die Präsenz bewaffneter Milizen generell. Auf diese Weise entstand zwangsläufig der Eindruck, die Angriffe der Regierungstruppen und ihrer russischen Verbündeten würden sich durchweg auf zivile Ziele richten. [Während die Zahl der Menschen, die in Mossul eingeschlossen waren, oft sehr niedrig angesetzt wurde, wurde sie im Falle Ost-Aleppo hochgespielt. Man sprach meist von über 350.000, tatsächlich lag die Zahl zwischen 40.000 und maximal 150.000. (23)
Wie üblich wurden alle Opfer und alle Kriegsschäden der syrischen und der russischen Regierung angelastet, so als würden diese allein Waffen einsetzen. Es wurde auch kein Gedanke darauf verschwendet, dass bei einer Einstellung der Unterstützung für die Islamisten und Dschihadisten durch NATO-Staaten und ihren regionalen Verbündeten sich ein Großangriff erübrigt hätte oder dass ohne den Aufbau und Ausrüstung dieser Kampverbände, Aleppo sogar vom Krieg ganz verschont geblieben wäre.
„Fakes“ in etablierten Medien
Unter dem Material, das die regierungsfeindlichen Gruppen den Medien lieferten, und das auch AI und HRW überwiegend als Basis für ihre Regime-Change-Kampagnen diente, konnte vieles aber auch direkt als Fälschung oder Irreführung entlarvt werden. Wer „Fake News Aleppo“ in seine Suchmaschine eingibt, wird schnell fündig. Wobei selbstverständlich auch hier Vorsicht angebracht ist, da Kritiker der westlichen Interventionspolitik gerne zu vorschnellen Schlüssen neigen oder ebenfalls Propaganda-Interessen verfolgen können.
Wenn man die Berichterstattung zu Aleppo überfliegt, so wird offensichtlich, dass ein wesentlicher Teil rein auf Emotionalisierung zielte. Und was wäre dafür besser geeignet als Geschichten mit Kindern. Kein Wunder also, dass viele nachgewiesene oder mutmaßliche Fakes mit Kindern arbeiteten.
So machte im Dezember 2016 das Bild eines tapferen kleinen Mädchens in den „Sozialen Medien“ die Runde, das in den Ruinen von Aleppo zwischen Leichen herumirrte. Das scheinbar aktuelle Foto entstand jedoch bereits 2014 im Libanon und stammt aus einem inszenierten Videoclip der libanesischen Sängerin Hiba Tawaji über den „Arabischen Frühling“.
„Twitter-Mädchen“ Bana Alabed
Eine besonders große Popularität erreichte ein damals siebenjähriges Mädchen, das über Twitter aufrüttelnde Berichte, Apelle und Videos verbreitete. Man konnte auf Videos sehen, wie die Kleine zwischen Trümmern umherging oder selbst gemalte Plakate in die Kamera hielt, auf denen sie ein Ende der Angriffe forderte. Die Videos vermittelten das Gefühl, direkt dabei zu sein, wenn Bana und ihre Familien im Bombenhagel ausharrten.
Auf ihrem Account erschienen vom Start im September 2016 an auf Anhieb 20 Tweets am Tag. Dies steigerte sich manchmal auf über 100. Mehr als 300.000 Twitter Accounts „folgten“ nach wenigen Wochen ihren Einträgen, darunter Stars wie die Harry Potter-Autorin Joanne K. Rowling. Fast alle großen Medien haben sich darauf gestürzt und sich um Interviews mit ihr bemüht. Für einige, wie Die Welt oder die New York Times wurde sie zur „Anne Frank von Aleppo“ (wozu vielleicht ein Twitter-Bild beitrug, das sie in einer ähnlichen Pose zeigt wie Anne Frank auf einem bekannten Foto.)
Obwohl noch ein Kind, schrieb man den Erzählungen der kleinen Bana ohne jegliche Prüfung auf Plausibilität völlige Authentizität zu. Banas Tweets „hätte ihnen — in Abwesenheit von Journalisten — einen Einblick“ in das Geschehen und in den Alltag von Aleppo geboten — rechtfertigten sich die Redaktionen gegenüber Kritikern. [„Kindermund tut schließlich Wahrheit kund – und wenn ein Kind dazu noch im Video zu sehen ist, dem Medium, das wie kein zweites Realität vorgaukelt, ist dies quasi authentisch hoch zwei. Noch näher dran geht nicht,“ so Katrin Hörnlein von Die Zeit, eine der wenigen kritischen Stimmen. (24)]
Bana hatte jedoch noch mehr zu bieten als Bilder und Tweeds über Bombenhagel, Zerstörungen und tote Freunde. Sie wandte sich häufig sehr gezielt mit Forderungen an Spitzenpolitiker der Anti-Assad-Koalition, nicht selten mit markigen Sprüchen wie: „Liebe Welt, es ist besser, den 3. Weltkrieg zu starten, als Russland und Assad einen Holocaust in Aleppo begehen zu lassen.” — Hashtag „#HolocaustAleppo“
Wer die Tweeds überfliegt, merkt an sich schnell, dass sie nicht von einem siebenjährigen Kind kommen können, schon gar nicht einem, das in einer Fremdsprache schreibt. Sie sind in einem perfekten, absolut fehlerfreien britischem Englisch, so sicher in der Wortwahl, dass sie nach Ansicht von Experten nur von einem gebildeten Briten kommen können. (25) Einige wenige Medien, die die Story distanzierter betrachten, wie zum Beispiel Die Zeit, äußerten daher die Vermutung, dass alles allein von der Mutter formuliert wurde. Sie wollten deswegen aber nicht den Twitter-Auftritt an sich anzweifeln.“ [Wahrscheinlich glaubten auch die anderen Medien nicht, dass die Zeilen tatsächlich von einem kleinen Mädchen getippt wurden, wollten sich aber eine so gut ausbeutbare Story nicht vermiesen lassen.]
Dass der kleine Star tatsächlich noch kein Wort Englisch konnte, wurde bald durch erste Interviews bestätigt. Doch auch das Englisch ihrer Mutter erschien dabei ziemlich dürftig, sodass auch sie die Tweeds nicht allein verfasst haben kann. Da der Vater überhaupt kein Englisch kann, muss sie jemand anderes formuliert haben.
Nachforschungen über das Umfeld der Eltern erhärten den Zweifel an der Authentizität der Geschichte. Beide pflegten offensichtlich enge Verbindungen zu den radikalen islamistischen Gruppen, die Ost-Aleppo kontrollierten. Der Vater arbeitete in dieser Zeit als Rechtsgelehrter in einem Stadtrat, das heißt einem Rat, den die Milizen eingerichtet haben, die gleichzeitig auch die Scharia zur Rechtsgrundlage gemacht hatten.
Auch wenn es, wie so oft, nicht endgültig bewiesen werden kann, liegt es nahe, dass die Geschichte konstruiert ist und der Twitter Account professionell für gezielte Propaganda gemanagt wurde. Die kleine Bana lieferte dafür nur das liebliche Cover. Doch selbst wenn der Inhalt der Tweets wirklich nur von ihr und ihrer Mutter stammen würde, wäre der Umgang der Medien mit der rührseligen „Bana Alabed“-Story reine Stimmungsmache — unabhängig davon, ob es der Verkaufswert der Rührgeschichte war, der sie veranlasste, ihr so breiten Raum zu geben, oder politisches Interesse.
[Die Geschichte ist noch nicht zu Ende: Auch nach Übersiedlung in die Türkei sind Bana und ihre Mutter in den Medien präsent. Die britische Regierung zitierte sogar Tweets von ihr, um im UN-Sicherheitsrat Stimmung gegen Russland zu machen. Im April 2017 war sie mit ihrem Dank an Trump für das Bombardement des syrischen Luftwaffenstützpunkt Al-Schairat wegen eines angeblichen syrischen Chemiewaffeneinsatzes wieder ganz vorne in den Nachrichten der großen Medien. Mittlerweile kam auch schon ihr erstes Buch heraus: „Dear World - A Syrian Girl’s Story of War and Plea for Peace”. Laut Verlag soll bis auf einige wenige Beiträge ihrer Mutter alles O-Ton von Bana selbst sein.]
Omran – der Junge von Aleppo
Ein ähnlich lehrreiches Beispiel ist die Geschichte um das rührende Bild von Omran, dem „Jungen von Aleppo“, ein Bild, das wie es Michael Lüders mal beschrieb, „an emotionaler Wucht kaum zu überbieten“ ist. Es wurde im August 2016 geradezu zur Ikone der Schlacht um Aleppo. Es gab kaum eine Zeitung, die das Bild nicht veröffentlichte, oft sogar mehrfach. (26) Omran sei, so der Fotograf, durch einen syrischen oder russischen Luftangriff verletzt, von Helfern der sogenannten Weißhelme aus den Trümmern geborgen und in ein Krankenhaus gebracht worden. Sein Vater, Mohammad Daqneesh, bestritt allerdings die Geschichte umgehend: Sein Sohn sei nur leicht verletzt gewesen und dies keineswegs durch einen Luftangriff. Er beschuldigte die „Weißhelme“ und die internationalen Medien, seinen Sohn für Propagandazwecke missbraucht zu haben.
Über das Interessanteste an der Geschichte wurde auch später kaum berichtet: Der Fotograf, Mahmud Raslan, hatte kurz vor diesem Foto ein Selfie gepostet, das ihn grinsend mit Angehörigen der berüchtigten Dschihadistenmiliz „Harakat Nur ad-Din as-Sanki“ zeigte. Unter diesen wiederum waren zweifelsfrei auch zwei Männer, die vier Wochen zuvor den zwölfjährigen Jungen Abdallah Isa für ein Propagandavideo geköpft hatten.
„Aleppo Media Center“ — zentrale Informationsquelle westlicher Medien
Dieser Raslan arbeitete im „Aleppo Media Center“ (AMC), das zu den wichtigsten Informationsquellen der westlichen Medien in Aleppo zählte. Gehandelt wird es als „unabhängiges Netzwerk“ sogenannter Bürgerjournalisten — es steht jedoch fest im Lager der Regimegegner und ist eng vernetzt mit den Dschihadisten. Gegründet wurde es mit Hilfe der „Syrian Expatriates Organisation“ (SEO), die ihren Sitz in einer Straße Washingtons hat, in der sich die PR- und Lobbyfirmen in der US-Hauptstadt konzentrieren, und wohl auch erhebliche Summen von US-amerikanischen Regierungsstellen erhält. (27) Laut ihrer Selbstdarstellung ist sie neben der finanziellen Hilfe seit Oktober 2012 auch für die Koordinierung des AMC und für die Bereitstellung technischer und logistischer Hilfe verantwortlich. (28) Weitere Geldgeber sind Paris und Brüssel, die das AMC über den „Syrian Media Incubator“ des „Canal France International“, ein Organ des französischen Außenministeriums, unterstützen. (29)
Die „Weißhelme“ — das erfolgreichste PR-Unternehmen
Noch besser ausgestattet und wesentlich prominenter als das AMC ist die zweite Organisation, die bei der Inszenierung von Omran als Bomben-Opfer mitwirkte, die „Weißhelme“. Auch sie versorgen die westlichen Medien fleißig mit Berichten und Bild-Material aus den Kampfgebieten. Sie nennen sich selbst „syrischer Zivilschutz“, allerdings gibt es eine Organisation dieses Namens schon seit langem. Sie ist die offizielle Feuerwehr und Rettungsorganisation des Landes, die man unter der Telefonnummer 113 erreichen kann. In Aleppo zählt sie in ihren Reihen 150 Freiwillige.
Die „Weißhelme“ bezeichnen sich als politisch neutral. Auf ihrer Webseite www.whitehelmets.org wird man jedoch sofort mit der Aufforderung empfangen, ihre Petition für die Einführung von Flugverbotszonen zu unterzeichnen. Internationale Lobbyarbeit für diese Forderung gehört offensichtlich zu den wichtigsten Punkten auf ihrer Agenda, die ihre Vertreter unter anderem bei Treffen mit UNO- und EU-Vertretern und Auftritten vor Parlamentsausschüssen voranzutreiben suchen. (30)
Entgegen ihrer Selbstdarstellung handelt es sich bei den „Weißhelmen“ nicht um eine originär syrische Organisation. Sie wurde von einem ehemaligen britischen Offizier, James Le Mesurier, gegründet, der zuvor in mehreren Kriegen in der Grauzone zwischen Spezialeinheiten und Geheimdiensten sowie bei privaten Militärdienstleistern tätig war und heute unter anderem als Militärberater für Katar arbeitet. (31)
Ihren Hauptsitz hat sie in Großbritannien. Das Geld kam zunächst aus den Golfstaaten, anschließend überwiegend aus Washington und London, die ihr jeweils bereits über 30 Millionen zukommen ließen. (32). Auch das deutsche Auswärtige Amt hatte Ende letzten Jahres schon 12 Millionen Euro überwiesen, knapp ein Zehntel der deutschen — im Haushalt als „Stabilisierungsmittel“ ausgewiesenen — Gelder für die Umsturzbemühungen in Syrien im Höhe von 141 Millionen Euro. (33)
Während etablierte Hilfsorganisationen mit sinkender staatlicher Unterstützung zu kämpfen haben, hat diese seltsame Zivilschutztruppe in den letzten 4 Jahren insgesamt schon weit über 100 Millionen Euro erhalten — ein Vielfaches dessen, was zum Beispiel der Rote Halbmond in Syrien zur Verfügung hat.
Einen großen Teil der Gelder investieren sie offensichtlich in die professionelle Medienarbeit. Betreut wird sie dabei von der „Syria Campaign“, einer finanzstarken PR-und Lobby-Gruppe, die sehr eng mit der US-Agency for International Development (USAID), der Entwicklungshilfe-Behörde der US-Regierung, zusammenarbeitet. (Die damit betraute politische Abteilung, das „Office of Transition Initiatives“, betreut auch die Umsturz-Bemühungen in Kuba, Venezuela und anderen Ländern. (34))
Unabhängig davon, wie dramatisch ihre Einsätze auch sein mögen, sie finden offenbar immer noch Zeit, um sie ausführlich zu filmen. Experten vom echten syrischen Zivilschutz zweifeln jedoch bei vielen Aufnahmen, dass es sich dabei um echte Rettungseinsätze handelt. So würde die Art, wie mit schwerem Gerät nach Verschütteten gesucht wird, Überlebende eher töten als retten. Sie scheinen aber geradezu hellseherisch zu wissen, wo sie ihre großen Baggerschaufeln in die Trümmer stoßen können. (35) Auch die medizinische Versorgung scheint zum Teil verfehlt, beziehungsweise auch nur für Videos inszeniert. (36)
Die „Weißhelme“ helfen natürlich auch Verletzten. Nach eigenen Angaben haben sie bereits Zehntausenden das Leben gerettet, Ende 2017 sollen es laut Aufmacher ihrer Web-Seite 99.200 gewesen sein. Überprüfbar ist die Zahl nicht. Klar ist jedoch, dass sie nur in den Gebieten aktiv sind, die unter Kontrolle regierungsfeindlicher Milizen stehen. Und auch hier fühlen sie sich wohl nicht für die gesamte Bevölkerung zuständig. Dr. Bassem Hayak, der Arzt, der im Ärzteverband von Aleppo für die Versorgung der Flüchtlinge verantwortlich war, die über die humanitären Korridore der syrischen Armee in den Westen gelangten, berichtete, dass weder seine in Ost-Aleppo verbliebene Familie, noch sonst jemand, mit dem er gesprochen hat, etwas von den „Weißhelmen“ mitbekommen hätten, auch nicht seine als Chirurgin dort arbeitende Cousine. (37) Der schwedische Konfliktforscher Jan Oberg fand bei seinen Vorort-Recherchen unmittelbar nach der Befreiung von Ost-Aleppo ebenfalls keine Spur von ihnen. Sie kümmerten sich nicht um die Versorgung derer, die auch nach Ende der Kämpfe und der langen Belagerung dringend auf Hilfe angewiesen waren, sondern hatten sich zusammen mit den Kämpfern evakuieren lassen. (38)
Gut vertraut sind die geisterhaften Zivilschützer hingegen mit den dschihadistischen Gruppen vor Ort, mit denen sie auch personell eng verflochten sind. Ihr Hauptquartier in Aleppo lag Berichten zufolge dem der Al Nusra Front direkt gegenüber und auf zahlreichen Bildern und Videos sind sie mit Al Nusra Fahnen zu sehen, wie sie zusammen mit islamistischen Kämpfern Erfolge gegen Regierungstruppen feiern oder mit „Victory-Zeichen“ über erschossenen Soldaten posieren. (39) Zudem kann man einige ihrer Aktivisten, die in Videos beim Einsatz in ihren weißen Uniformen zu sehen sind, auf anderen Fotos auch als bewaffnete Kämpfer erkennen. (40)
Die „Weißhelme“ scheinen sogar bei Hinrichtungen und Folter zu assistieren. So zeigt ein im Internet kursierendes Video, wie einige von ihnen der Exekution eines Mannes durch Al Nusra-Kämpfer beiwohnen und anschließend seine Leiche wegtragen. (41) Ein Medienaktivist der Organisation, Muawiya Hassan Agha, filmte die Folterung zweier gefangener Soldaten, die anschließend ermordet wurden.
Abu Jaber Shaykh, der Chef des von der Al-Nusra Front angeführten Bündnisses Hai’at Tahrir asch-Scham, scheint daher nicht übertrieben zu haben, als er die „Weißhelme“ anlässlich des sechsten Jahrestages des Krieges als „verborgene Soldaten der Revolution“ pries. (42)
All dies schadete jedoch ihrer Popularität bisher so wenig, wie der häufige Nachweis, dass Bilder, die sie verbreiten, nicht das zeigen, was sie vorgeben. (43) Sie erhielten dennoch den Alternativen Nobelpreis und eine Kurz-Doku über sie einen Oscar. Im Dezember letzten Jahres, neun Monate nach ihrer Ehrung durch Dschihadisten-Führer Abu Jaber, überreichte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihrem Chef Raed al-Saleh den „Deutsch-französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“. (44)
Die zahlreichen Preise verschafften den „Weißhelmen“ enormes Prestige und ihrer Öffentlichkeitsarbeit erhebliches Gewicht. Da sie einen Großteil der Fotos, Videos und Berichte aus Aleppo beisteuerten, prägten sie dadurch auch entscheidend die westliche Berichterstattung über die Kämpfe in Aleppo.
Vorsätzliche Angriffe auf Krankenhäuser
Auf ihr Material stützten sich zum guten Teil die zentralen Vorwürfe gegen die syrischen und russischen Streitkräfte: der Einsatz von „Fassbomben“ auf zivile Ziele und vorsätzliche syrische und russische Luftangriffe auf Krankenhäuser. Ob tatsächlich „Fassbomben“, das heißt primitive Bomben aus mit Sprengstoff gefüllten Metallfässern, in einem Ausmaß eingesetzt werden, wie Regierungsgegner und diverse westliche Menschenrechtsorganisationen behaupten, ist mehr als fraglich. Die damit verbundene Behauptung, der Einsatz einfacher konstruierte Bomben sei tödlicher für die Zivilbevölkerung als die „smarten“ Hightech-Bomben der NATO-Staaten lässt sich mit Blick auf die Auswirkungen der NATO-Kriege nicht halten. (45)
Berichte über Angriffe auf Krankenhäuser sind selbstverständlich nicht per se unglaubwürdig, weil sie von Seiten der Opposition kommen. Es ist recht wahrscheinlich, dass Bombardierungen immer wieder auch medizinische Einrichtungen trafen, so wie auch die der US-geführten Koalition — beispielsweise am 29. Juli 2017 das Aisha Hospital im ostsyrischen Abu Kamal oder am 8. August 2017 die Frauenklinik Fatima Al-Zahraa in al Mayadin. (46) Belastbare Belege für eine vorsätzliche Auswahl solcher Ziele findet man jedoch nicht. Häufig bleiben zumindest erhebliche Zweifel, ob die Angriffe so stattgefunden haben und ob es sich bei den Zielen tatsächlich um offizielle Kliniken handelte. So steht unter dem Bild eines stark beschädigten Krankenhauses in einem Artikel der New York Times, in dem der syrischen und russischen Luftwaffe erneut vorgeworfen wird, Krankenhäuser bombardiert zu haben, „Aleppo Eye Hospital — von Rebellen als militärisches Hauptquartier genutzt“. (47)
Mehr in die Kategorie „Fake“ fällt auch der prominenteste Fall: die angeblichen Luftangriffe vom 27. April 2016 auf das „Al Quds-Hospital“, das von der französischen Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) unterstützt wurde. Auch hier sind die Angaben darüber äußerst widersprüchlich, wie Rick Sterling in einem offenen Brief an die MSF, verbunden mit der Bitte um Aufklärung, darlegte. (48) Die Berichte der Hilfsorganisation lassen das Hospital als etabliertes Krankenhaus erscheinen. Ärzten im Westteil der Stadt war es jedoch nicht bekannt. Tatsächlich wurde es auch erst 2012, nach der Besetzung durch die islamistischen Milizen, eingerichtet. Die Bilder von ihm zeigen ein gewöhnliches, mehrstöckiges Wohngebäude. Dieses war keineswegs, wie MSF meldete, Ende April nur noch ein „Trümmerhaufen“, sondern nur teilweise beschädigt. Dieselben Schäden sind aber auch schon auf einem Foto von Oktober 2015 zu erkennen. Auf die Frage, welche Zerstörungen von den neuen Angriffen verursacht wurden, bekam Sterling keine Antwort. Nachforschungen nach der Befreiung des Stadtteils erhärten den Eindruck, dass die Schäden am Hospital durch Treffer in einem Nachbargebäude verursacht wurden. Nur wenige Meter entfernt fand man auch eine Haubitze. (49)
Insgesamt macht das „Al Quds-Hospital“ eher den Eindruck eines Lazarettes, das vorwiegend der Behandlung verwundete Kämpfer diente. MSF steht ohnehin in der Kritik, in Syrien nur medizinische Einrichtungen in den Gebieten zu unterstützen, die unter Kontrolle der bewaffneten Opposition stehen. Der Ärzteverband Aleppos wirft der Hilfsorganisation und den Medien zudem vor, die Folgen der Angriffe auf die Al Nusra Front und ihre Verbündete aufzubauschen, gleichzeitig aber kein Wort über die Zerstörungen mehrerer großer, etablierter Kliniken durch Raketen- oder Autobombenangriffe im Westteil zu verlieren.
Auch Einseitigkeit ist Propaganda
Eine parteiische Herkunft von Meldungen ist natürlich kein Beweis dafür, dass sie falsch sind, aber ein guter Grund für starke Zweifel, der durch die vielen Fälle offensichtlicher Fakes noch verstärkt wird. Sofern es sich nicht um offenkundige Fälschungen handelt, ist es jedoch meist nicht möglich, sich ein abschließendes Urteil über die Echtheit umstrittener Meldungen zu bilden. Dazu wären unabhängige Untersuchungen vor Ort nötig.
Doch selbst wenn ein Großteil der Berichte und Vorwürfe stimmen würde, kann man das Gros der Berichterstattung als Propaganda bezeichnen, da sie völlig einseitig bleibt und weit mehr auf Emotionen als auf Informationen ausgerichtet ist. Als Propaganda kann man auch die krasse Doppelmoral in Bezug auf die Berichte über Aleppo und Mossul bewerten, wo völlig konträre Maßstäbe an die Angriffe der westlichen Allianz im Vergleich zu den syrischen und russischen angelegt wurden.
Das reale Kriegsgeschehen in Aleppo
Auch wenn man die gesicherten Erkenntnisse über das Kriegsgeschehen in Aleppo betrachtet, so war die Offensive auf den Ostteil Aleppos mit Luftangriffen, Artilleriebeschuss und Straßenkämpfen für die verbliebene Bevölkerung selbstverständlich ein Horror, der große Verwüstungen in dieser Stadt mit ihrer Jahrtausende alten Geschichte anrichtete und Tausende tötete. Horror waren aber auch die pausenlosen Raketen- und Mörserangriffe der vom Westen unterstützten „Rebellen“ auf die Stadtviertel im Westen gewesen.
Nach Einschätzung der UNESCO waren nach Ende der vier Jahre andauernden Kämpfe 60 Prozent der Altstadt, durch die die Front verlief, schwer beschädigt und bis zu 30 Prozent völlig zerstört. (50) Es ist jedoch bewusste Irreführung, wenn dafür ausschließlich die syrischen und russischen Streitkräfte verantwortlich gemacht werden. So wurde bei den vielen anklagenden Bildern über die Zerstörungen in Aleppo völlig verschwiegen, dass ein erheblicher Teil der Schäden bereits im Sommer 2012, beim Eindringen der islamistischen Milizen nach Ost-Aleppo verursacht wurde. Teile der Altstadt waren damals bereits durch Feuer verwüstet und der berühmte Souk, das weltgrößte überdachte Marktviertel, von den Islamisten geplündert und gebrandschatzt worden. (51) Die berühmte Große Moschee wurde dabei ebenfalls schon stark beschädigt, als islamistische Kämpfer die Mauern der Moschee mit Panzerabwehrraketen zu durchbrechen versuchten. (52) Auch außerhalb der Altstadt wurde Vieles, wie verbliebene Bewohner berichteten, durch die Milizen selbst verwüstet, die großflächig Wohnungen und Industrieanlagen geplündert und sich dabei auch gegenseitig bekämpft hatten.
Die meisten neueren Schäden waren den Beobachtungen des schwedischen Konfliktforschers Jan Oberg zufolge, der die befreiten Gebiete nach Abzug der Milizen in Augenschein nahm und fotografierte, während der Straßenkämpfe entstanden. Er schätzt, dass — entgegen dem durch die Medien vermittelten Eindruck — höchsten 10 Prozent der Zerstörungen auf das Konto von Luftangriffen gehen.
Das Ende der Kämpfe hat bis Dezember 2017 bereits rund 500.000 aus Aleppo geflohene Einwohner zur Rückkehr bewegt. Über 300.000 wechselten auch wieder in den Ostteil. Die Ruinen sind dort zwar noch allgegenwärtig, die Infrastruktur ist aber genügend wiederhergestellt, sodass sie mit der Instandsetzung ihrer Häuser und Wohnungen beginnen konnten. Hunderte Fabriken haben ihre Produktion wieder aufgenommen, als sich die Stromversorgung stabilisierte. (53) Ein erster, kleiner Teil des zerstörten Souk wurde wieder hergestellt und Mitte November eröffnet. (54)
Das Gegenstück: die „Befreiung Mossuls“
Von einer so raschen Rückkehr können die früheren Bewohner des Westens Mossul nur träumen. Das Ausmaß der Verwüstung ist wesentlich größer als in Ost-Aleppo. Hier wurden beim Sturm der Stadt bis zu 80 Prozent zerstört. (55) Video-Aufnahmen und Fotos zeigen westlich des Tigris eine einzige Trümmerlandschaft. (56)
Für denjenigen, der die Massivität der Angriffe auf die Millionenstadt, die etwa so groß wie Hamburg ist, verfolgte, erstaunt dies nicht. Der Chef des für Europa und den Nahen Osten zuständige U.S. Central Command General Joseph Votel bezeichnete den Sturm der Metropole als die „tödlichste urbane Schlacht“ seit dem Zweiten Weltkrieg. (57) Mag sein, dass ihm dabei ein paar Schlachten in Korea und Vietnam entfallen sind, im Nahen Osten war es mit Sicherheit die verheerendste.
Nach Einschätzung der UNO stellt das Ausmaß der Zerstörungen jedenfalls alles Bisherige im Irak in den Schatten. Von den 54 Wohndistrikten Westmossuls wurden 15 völlig dem „Erdboden gleichgemacht“ und dabei fast 32.000 Häuser komplett zerstört. In den 23 mittelschwer und 16 leicht beschädigen Distrikten kommen weitere 16.000 vollständig zerstörte Gebäude hinzu. Insgesamt wurden dadurch vermutlich Wohnungen für weit mehr als eine halbe Million Menschen zertrümmert. Die Lage in der einstigen Metropole, die wie Aleppo auf eine Jahrtausende lange Geschichte zurückblickt, sei „die größte Herausforderung, der sich die UNO je gegenüber sah, so Lise Grande, die Humanitäre Koordinatorin der UNO im Irak. (58)
Zerstörungen und zivile Opfer durch US-Allianz
Der größte Teil der Zerstörungen dürfte Berichten zufolge auf den Artillerie-Beschuss mit Mörsern und Raketen durch die irakischen Truppen zurückzuführen sein. Ein weiterer geht auch hier – wie in Aleppo – auf das Konto der Dschihadisten. Ein erheblicher Teil der betroffenen Gebäude war aber, wie Aufnahmen der betroffenen Viertel zeigen, eindeutig durch Bombardierungen aus der Luft zerstört worden. (59) Die US-geführte Allianz aus NATO-Staaten, Australien, Jordanien und Marokko hatten den Bodentruppen in den letzten Wochen den Weg Meter für Meter regelrecht freigebombt — ohne Rücksicht auf die Hunderttausenden Bewohner, die in den dichten Stadtvierteln eingeschlossen waren. Viele konnten erst in den letzten Tagen aus dieser Hölle entkommen. Insgesamt wurden im Laufe des fast neun Monate dauernden Angriffs über eine Million Menschen aus der Stadt getrieben.
Die Trump-Regierung eskalierte den brutalen Luftkrieg weiter, indem sie Mitte Mai das „Einkreisen und Auslöschen“ des Daesch als neue Taktik anordnete. In den NATO-Staaten gilt mittlerweile generell die Rückkehr ausländischer Kämpfer von Terrortruppen wie dem Daesch als größtes Sicherheitsrisiko. Durch eine sogenannte Auslöschungskampagne, das heißt durch gezielten Abschuss vor Ort, will Washington dieses Risiko minimieren. (60)
Die Zahl der Opfer in Mossul ist schwer zu schätzen. Irakisch-kurdische Geheimdienste gehen von mindestens 40.000 Zivilisten aus. Einer Untersuchung der UN-Menschenrechtskommission zufolge wurde mindestens jeder vierte Zivilist, der bei den Kämpfen starb, durch Luftangriffe der US-geführten Koalition getötet. (61)
Während rund 200.000 Flüchtlinge aus dem bereits im Januar zurückeroberten und nicht so stark zerstörten Ostteil der Stadt mittlerweile zurückkehren konnten, sitzen noch über 750.000 Mossulaner in Zeltlagern fest — und das auf unbestimmte Zeit. (62) Die flächendeckende Zerstörung von Wohnungen, Geschäften, Krankenhäusern, Schulen etc., so IOM, macht eine baldige Rückkehr unmöglich. (63) Allein die Wiederherstellung der lebensnotwendigen Infrastruktur Mossuls wird über eine Milliarde US-Dollar kosten und Monate dauern. Die Kosten des gesamten Wiederaufbaus der Stadt werden auf zig Milliarden Dollar geschätzt. (64)
Desinformation zu Mossul
Betrachtet man die Berichterstattung zu Mossul, so fällt hier das völlige Fehlen von Mitgefühl für die Eingeschlossenen auf, deren Zahl meist recht niedrig angesetzt wurde. Aus Mossul kamen so gut wie keine Bilder und Berichte über die Verwüstungen, die die massiven Bombardierungen anrichteten, keine Leidensgeschichte Betroffener und keine Bilder von toten oder verwundeten Kindern. Eingebettete Journalisten gaben meist nur die Erfolgsmeldungen beim Vorrücken weiter. Bilder zeigen feiernde Soldaten und schiitische oder kurdische Milizionäre.
Kaum erwähnt wurden die Konflikte zwischen der sunnitischen Bevölkerung in Mossul und Umgebung, die es dem Daesch überhaupt ermöglichte, sich festzusetzen und die daraus resultierende Abneigung gegen die „Befreier“, insbesondere gegen die schiitischen und kurdischen Milizen. Absolut unkritisch wurde die Schlacht um Mossul als Kampf einer demokratisch gewählten Regierung gegen den Daesch dargestellt, für den sie völlig zu Recht die uneingeschränkte Unterstützung der US-geführten Anti-IS-Koalition erhalten habe. Trotz zahlreicher glaubwürdiger Berichte der UNO und Menschenrechtsgruppen war keine Rede davon, dass dieser Kampf von schiitischen Kräften, die die Regierung dominieren und das Gros der Truppen stellten, durchaus als Kampf gegen die unbotmäßigen Sunniten generell geführt wurde. Weitgehend ignoriert wurden auch die im Windschatten der Rückeroberung durchgeführten Vertreibungen von Sunniten aus ethnisch und konfessionell gemischten Gebieten. (65)
Die Berichterstattung war stattdessen —
mit wenigen Ausnahmen — so ausgerichtet, dass eine Alternative zum Sturm Mossuls um jeden Preis — wie es AI bezeichnete — schlicht nicht denkbar war.
US-Allianz: rücksichtsloser und verheerender
Vergleicht man die Kämpfe um Aleppo und Mossul so stellt man fest, dass bei der unterschiedlichen Beurteilung der Kriegsführung die tatsächlichen Verhältnisse geradezu auf den Kopf gestellt wurden. Auch wenn die syrischen und russischen Streitkräfte sicherlich nicht besonders zurückhaltend vorgingen und selbstverständlich nicht alle Vorwürfe über Zerstörungen ziviler Einrichtungen Propaganda sind, gingen sie, wie das Ausmaß der Verwüstungen zeigt, im Vergleich zur US-geführten Allianz und ihren irakischen Bodentruppen deutlich rücksichtsvoller vor.
Bei der Rückeroberung aller Städte, inklusive Aleppo, bemühten sie sich durch Verhandlungen, Entscheidungsschlachten in urbanen Zentren bis zum letzten gegnerischen Kämpfer zu vermeiden, indem sie allen Straffreiheit anboten, die bereit waren, ihre Waffen abzugeben und freien Abzug für die, die nicht aufgeben wollten. Auch in Aleppo erlaubte Damaskus Tausenden Dschihadisten, unbehelligt mit ihren leichten Waffen und ihren Familien aus den umkämpften Stadtvierteln abzuziehen.
Im Irak hingegen gab es keinerlei Anstrengungen, die verheerenden Endkämpfe durch Verhandlungen zu vermeiden. In der Folge wurde eine ganze Reihe von Städten nahezu vollständig verwüstet, neben Mossul sind auch Falludscha und Ramadi — eine Stadt so groß wie Stuttgart, seither zum großen Teil unbewohnbar. Der von der US-Allianz mit Hilfe kurdischer Milizen geführte Angriff auf die Daesch-Hochburg Raqqa im Osten Syriens folgte demselben Muster und endete mit einem ähnlichen Ergebnis.
Der französische Militärhistoriker Michel Goya kommt in einer im September 2017 in der „Le Monde“ veröffentlichten Vergleich des Militäreinsatzes Russlands und der US-Allianz zu ähnlichen Ergebnissen. Das Vorgehen der russischen Streitkräfte ist seiner Analyse zufolge effektiver und schonungsvoller gegenüber der Zivilbevölkerung. Entscheidend sei das zielgerichtete Vorgehen verbunden mit „militärischer Diplomatie“: Durch Luftangriffe auf zentrale Punkte der Gegner konnten sie diese häufig so unter Druck setzen, dass sich diverse Fraktionen zu Verhandlungen gezwungen sahen. Einen wichtigen Beitrag leistete Goya zufolge das im Februar 2016 gegründete Zentrum der Wiederversöhnung, über das geschützte Transfers feindlicher Kämpfer unter Begleitung der UNO und Hilfsorganisationen organisiert werden konnten. (66)
In Aleppo kam es bei der Übernahme der Kontrolle zu keinen größeren Racheaktionen von Seiten der Regierungskräfte. Insgesamt wurden zwar dennoch 85 Regierungsgegner ermordet, jedoch nicht von der Armee, sondern von Angehörigen zweier Milizen aus persönlicher Rache, zum Teil als Folge von Clan- beziehungsweise Stammeskonflikten. Die Vorfälle wurden gerichtlich verfolgt.
Im Irak hingegen folgten der Rückeroberung jeder Stadt Racheaktionen an der verbliebenen Bevölkerung, Plünderung und Brandschatzung. Die Täter waren in erster Linie die berüchtigten schiitischen Milizen, Vorwürfe von Einheimischen und Menschenrechtsorganisationen richten sich jedoch auch gegen reguläre Einheiten und kurdische Peshmerga. In vielen konfessionell gemischten Gebieten nahmen, wie UNO, Human Rights Watch und Amnesty International (AI), immer wieder berichten, Verschleppungen, Exekutionen bis hin zu Massakern oft den Charakter ethnischer Säuberungen an den ansässigen sunnitischen Familien an — und dies bei vollständiger Straflosigkeit. (67)
Vergleicht man den Zerstörungsgrad und die Zahl der Opfer der Luftangriffe der beiden Seiten, so zeigt dies recht deutlich, dass die Behauptung, die von der syrischen Luftwaffe eingesetzten, einfacheren, ungelenkten Bomben oder auch die oft berichteten ominösen „Fassbomben“ wären für die Zivilbevölkerung verheerender als die von den NATO-Staaten eingesetzten, perfektionierten Hightech-Waffen, nicht zu halten ist. Schließlich haben die aufwendig optimierten modernen Sprengköpfe selbstverständlich eine wesentlich stärkere Wirkung und die beste Präzision nützt nichts, solange die Ziele — wie in Mossul, Falludscha oder Raqqa — nur per Fernaufklärung ausgewählt werden können, oder wenn sie auf Gebäude in dichten Altstadtvierteln abgeworfen werden. (68)
Fazit
Es geht nicht darum, die Offensive der syrischen Streitkräfte und ihrer Verbündeter auf Ost-Aleppo oder andere, von regierungsfeindlichen Milizen kontrollierte Städte oder Stadtteile zu verharmlosen. Statt hier jedoch einseitig Syrien und Russland anzuklagen, wäre es vernünftiger, auf politische Lösungen zu drängen die ein Ende des Krieges in Syrien ohne solche Feldzüge ermöglichen können. Solange er ununterbrochen von außen befeuert wird, bleiben die Möglichkeiten der syrischen und russischen Führung selbstverständlich beschränkt. Nötig wäre vielmehr, dass die NATO-Staaten ihre Umsturz-, Destabilisierungs- und Teilungspläne aufgeben und für ein Ende der Unterstützung und Aufrüstung islamistischer und dschihadistischer Milizen sorgen.
Im Gegensatz zu Moskau und Damaskus hatte die US-geführte Allianz wesentlich mehr Möglichkeiten, den „Islamischen Staat“ zu zerschlagen, ohne ganze Städte in Trümmer zu legen. Schließlich konnte sich dieser nur aus zwei Gründen in Mossul und den anderen, mehrheitlich sunnitischen Städten im Irak halten: die Feindschaft der örtlichen Bevölkerung gegenüber der Zentralregierung und der fortgesetzte Nachschub an Waffen, Ausrüstung und Kämpfern aus beziehungsweise über die mit den NATO-Staaten verbündeten Länder.
Das erste ist ein politisches Problem, das durch Anerkennung der berechtigten Forderungen der Sunniten nach mehr Autonomie und eine angemessene Repräsentation in der Regierung zu lösen wäre. Nötig wäre hier gewesen, entsprechenden Druck auf Bagdad auszuüben, statt ein rein militärisches Vorgehen zu fördern und vorbehaltlos die schiitisch-islamistischen und kurdischen Kräfte zu unterstützen.
Gleichzeitig hätten von Beginn an mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, die Versorgungs- und Finanzierungswege des Daesch zu kappen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Fakten, Fakten, Fakten! Medienhäuser gründen neue Factchecking-Einheiten, c’t, 21.07.2017
(2) Stephen Kinzer, The media are misleading the public on Syria. Boston Globe, 18.2.2016
(3) Patrick Cockburn, Compare the coverage of Mosul and East Aleppo and it tells you a lot about the propaganda we consume, Independent, 21.10.2016
(4) Karin Leukefeld, Aleppo: Medien nach Scheitern des "syrischen Bengasi-Plans" verstummt, RT Deutsch, 26.1.2017
(5) Gudrun Harrer, Der Fall von Aleppo: Nicht das letzte Kapitel, Der Standard, 13.12.2016, Rolle des Westens im Syrien-Krieg
Dominic Johnson, Nicht dieses Foto ist schrecklich, Das Bild vom kleinen Omran, ausgebombt in Aleppo, geht um die Welt. Es hält uns den Spiegel unseres eigenen Nichtstuns vor. taz, 19.8.2016
(6) "Anne Will" zum Syrienkrieg: Aleppo, Chiffre für moralisches Totalversagen, Spiegel Online, 10.10.2016
(7) Syrien-Krieg: Blut im grauen Staub Aleppos, Süddeutsche Zeitung, 26.9.2016
(8) Außenminister Steinmeier "Die Bilder aus Aleppo sind an Grausamkeit kaum zu überbieten", Spiegel Online, 09.08.2016
(9) Grünen-Chef Özdemir: „Assad und Putin bomben Syrien zurück in die Steinzeit“, Spiegel Online, 15.10.2016
(10) Thomas Pany, Aleppo: Das neue "Srebrenica"?, Telepolis, 15.12.2016
(11) zum Beispiel Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags bei Anne Will ("Anne Will" zum Syrienkrieg: Aleppo, Chiffre für moralisches Totalversagen, Spiegel Online, 10.10.2016)
(12) Die letzten Männer von Aleppo, 09.11.2017 | 88 Min. | ARD Mediathek, Verfügbar bis 16.11.2017 | Quelle: SWR
(13) Belagerte Stadt in Syrien: Die Islamisten sind Aleppos letzte Hoffnung, Spiegel Online, 2.8.2016
(14) Aleppo After the Fall -- As the Syrian civil war turns in favor of the regime, a nation adjusts to a new reality, NYT, 24.5.2017
(15) Bischof: „Aleppo ist wieder eine geeinte Stadt“, Radio Vatikan, 14.12.2016
Krieg in Syrien - Teil eines Weltkriegs - Interview mit Erzbischof Joseph Tobji von Aleppo, NRhZ, 26.10.2016, Jan Oberg, Humans in liberated Aleppo - December 11-12, 2016, 29.12.2016
(16) siehe J. Guilliard, „Fassbomben“ in Syrien: parteiische Berichte, einseitige Vorwürfe und Doppelmoral, junge Welt, 26.1.2016
(17) s. „About“ auf der MICT-Homepage www.mict-international.org sowie Radio für Syrien - Der Kasten, der in den Krieg sendet, Süddeutsche Zeitung, 21.10.2015
(18) zitiert nach Rick Sterling, Propaganda for Syrian ‘Regime Change’, Consortium News, 23.8.2016
(19) Patrick Cockburn, There's more propaganda than news coming out of Aleppo this week - Cockburn, Independent, 16.12.2016, Patrick Cockburn, Who supplies the news?: Misreporting in Syria and Iraq, London Review of Books, 2.2.2017
(20) siehe zum Beispiel Krieg im Informationsraum, Bericht vom IMI-Kongress 2017, IMI, 29.11.2017, Jürgen Wagner, 2026: (Informations-)Krieg NATO vs. Russland, IMI-Analyse 2017/44 v. 28.11.2017 und Florian Rötzer, EU-Parlament fordert strategische Kommunikation gegen russische Propaganda, Telepolis, 25.11.2016
(21) Crofton Black and Abigail Fielding-Smith, Fake News and False Flags -- How the Pentagon paid a British PR firm $500 million for top secret Iraq propaganda, Bureau of Investigative Journalism, 2.10.2016
(22) Britischer Geheimdienst : So werden Menschen vernichtet , FAZ, 25.02.2014, Markus Kompa, Das "Twitter-Mädchen" im Syrienkrieg, Telepolis, 8.5.2017
(23) Martin Chulov vom britischen Guardian schätzte nach einem Besuch des Gebietes, Zahl der Verbliebenen auf 40.000 (The worst place in the world? Aleppo in ruins after four years of Syria war, Guardian, 12.3.2015). IRIN, der einstige UNO-Informationsdienst, kommt durch Addition der Zahl frisch in den Westen geflohenen und der nach Idlib evakuierten Menschen auf rund 150.000 (Eastern Aleppo under al-Assad, Irin News, 12.4.2017)
(24) Katrin Hörnlein, Kinder und Politik: Überhaupt nicht süß, Die Zeit, 5.1.2017
(25) Markus Kompa, Das "Twitter-Mädchen" im Syrienkrieg, Telepolis, 8.5.2017, Barbara McKenzie, Bana of Aleppo: the Story So Far, barbaramckenzie.wordpress.com, 6.12.2016, Unravelling “Bana”: a Response to Bellingcat’s Article “Finding Bana”, barbaramckenzie.wordpress.com
(26) Michael Lüders, Der Krieg in Syrien und die blinden Flecken des Westens, Blätter 4-2017, März 2017
(27) Tim Anderson, The Omran Deception, TeleSurTV, 31.8.2016
(28) siehe “Development & Support Committee” auf der SEO-Homepage syrian-expatriates.org
(29) Der Canal France International (CFI, www.cfi.fr), zunächst für Fernsehsendungen im frankophonen Afrika zuständig, kümmert sich heute um den Aufbau von Medien in Afrika und anderen Ländern im Süden. Zur Förderung oppositioneller syrischer Mediengruppen betreibt er den “Syrian media incubator”. Als Basis wurde aufgrund der Nähe zu Aleppo die türkische Grenzstadt Gaziantep gewählt. Sein wichtigstes Projekt ist das AMC (s .Aleppo Media Center set to launch its radio station in northern Syria, CFI, 18.12.2015 und A new generation of journalists in Gaziantep, franz. Außenministerium, 18.9.2015)
(30) Max Blumenthal, How the White Helmets Became International Heroes While Pushing U.S. Military Intervention and Regime Change in Syria, AlterNet, 2.10.2016
(31) Scott Ritter, The ‘White Helmets’ and the Inherent Contradiction of America’s Syria Policy, TruthDig, 5.10.2016 und Jan Oberg, Just how grey are the White Helmets and their backers?, Transnational Foundation TFF, 1.11.2016
(32) Supporting Syrians who are struggling for a future Syria based on democratic governance and respect for human rights., USAID, 12.6.2017 und Conflict, Stability and Security Fund. In: House of Lords Hansard, UK Parliament, Column 720, 2.11.2016
(33) Factsheet – Hilfe für Syrien Stand 2016, Auswärtiges Amt, 30.3.2017
(34) Mehr zur “Syria Campaign” u.a. bei Max Blumenthal, Inside the Shadowy PR Firm That’s Lobbying for Regime Change in Syria, 3.10.2016
(35) Vanessa Beeley, The REAL Syria Civil Defence Exposes Fake ‘White Helmets’ as Terrorist-Linked Imposters, 21st Century Wire, 23.9.2016
(36) White Helmets Video: Swedish Doctors for Human Rights Denounce Medical Malpractice and ‘Misuse’ of Children for Propaganda Aims, The Indicter, 6.3.2017
(37) Vanessa Beeley, The REAL Syria Civil Defence Exposes Fake ‘White Helmets’ as Terrorist-Linked Imposters, 21st Century Wire, 23.9.2016
(38) Jan Oberg, The destruction of Eastern Aleppo, Syria December 2016, 25.12.2016
(39) siehe unter anderem Prof. Marcello Ferrada de Noli (Swedish Professors & Doctors for Human Rights), Should UN consider White Helmets a politically neutral organization, and its allegations as credible sources by UN investigative panels on Syria?, The Indicter, 30.11.2017 und Vanessa Beeley, White Helmets: Hand in Hand with Al Qaeda and Extremist Child Beheaders in Aleppo, 21st Century Wire, 12.3.2017
(40) Double Life of White Helmets: Volunteers by Day, Terrorists by Night (Photos), South front, 29.9.2016
(41) So-called "White Helmets" facilitate.an al Nusra.execution, Liveleak, 6.5.2015
(42) Chef von Al-Qaida in Syrien lobt die Weisshelme als „versteckte Soldaten der Revolution“ (mit dt. u. engl. Untertiteln), antikriegTV, 9.5.2017
(43) siehe unter anderem Jens Bernert, Die Lügen der „Weißhelme“, Rubikon, 12.11. 2017
(44) Reporter ohne Grenzen wollen kritische Pressekonferenz in Genf über syrische Weißhelme verhindern, RT, 28.11.2017
(45) „Fassbomben“ in Syrien: parteiische Berichte, einseitige Vorwürfe und Doppelmoral, junge Welt, 26.01.2016
(46) Reported civilian and ‘friendly fire’ deaths from Coalition airstrikes July 2017 und August 2017, Airwars.org
(47) Aleppo After the Fall, NYT, 24.5.2017
(48) Rick Sterling, Open Letter to Doctors without Borders (MSF) about Bias and Propaganda on Syria, Global Research, 5.5.2016
(49) Al-Quds Hospital, Aleppo, ACLOS (A Closer Look On Syria), last edited 8.10.2017
(50) UNESCO: 30 percent of Aleppo's ancient city destroyed, Associated Press, 20.1.2017
(51) Souk burns as Aleppo fight rages, Irish Times, 29.9.2012, Historische Stadt in Gefahr — Aleppo in Syrien - Feuer vernichtet Schatz der Menschheit,Süddeutsche Zeitung, 1.10.2012
(52) Syria rebels battle army in landmark Aleppo mosque, Agence France Presse, 10.10.2012
(53) "Aleppo rebuilds itself from destruction of war". Irish Times, 25.10.2017
(54) Renovations return bustle to part of Aleppo’s Old City, AFP, 18.11.2017
(55) Mosul’s capture sees ISIS vanquished – but at a terrible cost, Airwars.org, 1.7.2017
(56) Picture Stories: Among the Ruins of Mosul, National Geographic, 14.7.2017
(57) Iraqi forces in Mosul see deadliest urban combat since World War II, USA Today, 29.3.2017
(58) Iraq faces vast challenges in securing, rebuilding Mosul, AFP, 3.8.2017
(59) u.a. Patrick Cockburn, The massacre of Mosul: …, a.a.O., AI, At any cost: …
(60) US plan to 'annihilate IS' raises questions over civilian toll, larger strategy, Deutsche Welle, 21.5.2017
(61) Mehr zum Sturm auf Mossul siehe meine Artikel Befreiung um jeden Preis - Der Irak nach der verheerenden Schlacht um Mossul, Ossietzky, 15/2017, August 2017 und Mossul in Ruinen — Konflikte verschärft, Ossietzky 18/2017, September 2017
(62) UN Migration Agency Identifies Additional Displaced Population from West Mosul, International Organization for Migration, 14.7.2017, UN Migration Agency: Over 830,000 Remain Displaced Outside Mosul, IOM, 28.7.2017
(63) Humanitarian situation dire in 'liberated' Mosul, Level of destruction in Mosul's Old City is almost total, Al Jazeera, 10.7.2017, UNO: Mossul ist ein Schlachtfeld, SWR, 28.7.2017
(64) Mosul execution site found as ,Iraqi forces accused of abuse, Middle East Eye, 19.7.2017
(65) Mehr dazu in meiner ausführlichen Studie: Die Schlacht um Mossul — Der Irak zerrissen durch den Krieg gegen den „Islamischen Staat“, interne Konflikte und äußere Intervention, IMI, 3. Juli 2017, aktualisiert am 9. August 2017
(66) Thomas Pany, Syrien: Warum das russische Militär erfolgreicher vorgeht als die US-Koalition, Telepolis, 14.9.2017
(67) siehe ausführlich dazu meine IMI-Studie: Die Schlacht um Mossul a.a.O
(68) „Fassbomben“ in Syrien: parteiische Berichte, einseitige Vorwürfe und Doppelmoral, junge Welt, 26.1.2016