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linksunten.indymedia kehrt bald zurück

linksunten.indymedia kehrt bald zurück

Darüber, wer Gewalt befürwortet und wer sie tagtäglich praktiziert.

Am 25. August 2017 wurde die Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ verboten und „abgeschaltet“. Der Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration des Landes Baden-Württemberg, Thomas Strobl, erklärte hierzu:

„Die baden-württembergische Polizei war heute Morgen ab 5.30 Uhr im Einsatz: Das Bundesministerium des Innern hat die linksextremistische Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ verboten, das Vereinsverbot wurde durch unsere Polizei vollzogen. In diesem Zusammenhang fanden in fünf Objekten Durchsuchungen und Beschlagnahmen statt; unter anderem im ‚Kulturtreff in Selbstverwaltung‘ (KTS) in Freiburg im Breisgau, wo sich die Mitglieder von ‚linksunten.indymedia‘ regelmäßig treffen. Insgesamt wurden rund 250 Polizeikräfte der Landespolizei eingesetzt.“

Das deutsche Innenministerium, in Gestalt des IM Thomas de Maizière begründete diese Zensur- und Repressionsmaßnahme damit, dass „linksunten.indymedia“ zu Gewalt aufgerufen habe und so strafbare Handlungen befürwortet bzw. gedeckt habe. Ganz besonders hebt de Maizière hervor, dass dort „Bekennerschreiben“ publiziert worden seien, bis hin zu Bauanleitungen für Molotowcoctails.

linksunten.indymedia

Wer diese Plattform öfters besucht hat, der kann bestätigen, dass gemäß dem Motto von „linksunten“ berichtet wurde - ganz sicher gegen den Mainstream von „obenrechts“.

Diese Plattform war für viele linke Gruppen ein geeigneter Publikationsort – manchmal sogar der einzige, wo über linke Aktivitäten unzensiert berichtet wurde.

Das Spektrum der Themen war breit, es reichte von Neonazismus, über „Kriegsschauplätze“, über staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus, über Arbeitsstreiks bis hin zu „innerlinken“ Debatten, in Form von ausführlichen Positionspapieren.

Auf dieser Plattform wurde auch ausführlich – und oft nur dort – über staatliche Repressionsmaßnahmen, über Polizeiübergriffe berichtet, über enttarnte Spitzel, die in linke Zusammenhänge eingeschleust wurden, über (illegale) Überwachungsmaßnahmen und –techniken, aber auch darüber, wie man sich dagegen schützen kann.

Und man fand dort, gerade nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 und der staatlichen Version von einem „Trio“ zahlreiche Recherchen, die das tatsächlich existierende NSU-Netzwerk ausleuchteten.

Zu den besten Publikationen gehörte dabei eine exzellente Recherche über einen Neonazi, der zum NSU-Netzwerk gehörte, und als V-Mann tätig war. Ein detailliert vorgebrachter Beweis, dass staatliche Stellen im NSU-Netzwerk integriert waren, nicht selten an prominenten Positionen.

Kurzum, all das, was politische Parteien und ihre Medien, was das Innenministerium bis hin zu den Geheimdiensten leugneten und als Hirngespinste abtaten, wurde auf dieser Plattform z.T. sehr eindrucksvoll dargelegt.

Und selbstverständlich fanden sich dort auch Aufrufe, sich nicht nur zu empören, sondern aktiv dagegen etwas zu unternehmen.

Und selbstverständlich wurden dort auch Bekennerschreiben veröffentlicht, wenn z.B. Autos von Neonazi-Kadern zerstört wurden oder wenn, wie zuletzt im Vorfeld des G20-Gipfels, Glasfaserkabelnetze unterbrochen wurden.

Wer die Argumente, wer den politischen Hintergrund und die Mittel solcher Aktionen verstehen wollte, hatte meist nur die Plattform „linksunten.indymedia“ zur Verfügung. In fast allen anderen Medien begnügt man sich seit Jahren damit, die Bekennerschreiben nur satzweise zu zitieren bzw. ausschließlich die Polizeiversion zu dokumentieren.

Selbst linke Medien mieden aus strafrechtlichen Gründen eine unzensierte Dokumentation.

Nicht nur die Dokumentation solcher Aktionen war und ist wichtig, um sich mit den Beweggründen auseinandersetzen zu können. Meist schlossen sich auf „linksunten.indymedia“ lange „Debatten“ über das Für und Wider solcher Aktionen an, in zum Teil über 500 Kommentaren, als Antwort auf ein Bekennerschreiben. Diese zu dokumentieren und einzuordnen, war und ist genauso wichtig, um halbwegs einschätzen zu können, wie diese Aktionen und ihre Begründungen aufgenommen wurden. Wer so manche „Debatten“ mitverfolgt hat, weiß, dass sie meist sehr kontrovers geführt wurden, dass z.B. eine „blinde“ Rechtfertigung für strafbewehrte Handlungen (wie Sabotagehandlungen) nicht einfach durchgewunken wurden.

Es ist kein Geheimnis, dass vorneweg der Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ seit Langem „linksunten.indymedia“ im Visier hatte. Man überwachte Personen und Gebäude, die man damit in Verbindung brachte. Man versuchte die „Anonymisierung“ der Beitraggeber und der KommentatorInnen zu durchbrechen, um so weitere Verfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Das ist ganz offensichtlich nicht gelungen, denn sonst hätte man die Plattform wie einen „Honigtopf“ behandelt, um über die abgeschöpften Kommunikationsdaten an weitere „Verdächtige“ heranzukommen.

Und es gibt noch einen weiteren Grund, nach über acht Jahren „linksunten. indymedia“ zum Schweigen zu bringen.

Die technischen Fähigkeiten, die NutzerInnen dieser Plattform zu schützen, schließen meist auch die Fähigkeit ein, „technische Barrieren“ zum Beispiel im NSU-Netzwerk zu überwinden, um so das aufzudecken, was die Spatzen schon lang vom Dach pfeifen: Ohne das neonazistische Netzwerk, ohne die über 40 namentlich bekannten V-Leute in deren Mitte, gäbe es keinen NSU.

Da man auf „linksunten.indymedia“ in der Regel mehr über den NSU-VS-Komplex erfahren konnte, als von einem Geheimdienst, dessen Aufgabe bis heute hauptsächlich darin besteht, das Gewährenlassen bis hin zur Beihilfe zu terroristischen Handlungen zu vertuschen, ist natürlich ein überragender Grund, diese „Störerquelle“ zu beseitigen.

„Während #Verfassungsschutz Akten und Infos schredderte, veröffentlichte #linksunten Infos über #NSU und dessen Umfeld. #linksunteninfos — (((KatharinaKönig))) (@KatharinaKoenig) August 25, 2017.“ (25. August 2017 |Till Eckert |ze.tt)

Dass man genau diese „Gefahrenquelle“ nicht als Begründung des Verbots anführt, liegt auf der Hand.

Verteidigungs- und Angriffslinien: Reden wir über Gewalt.

Es gehört zu den wenig schmeichelhaften Reflexen auf staatliche Zensurpolitik, wenn man diese Maßnahme (gegen links … unten) mit dem ungestörten Betreiben von neonazistischen Plattformen vergleicht. Davon gibt es Hunderte und sie könnten in aller Seelenruhe zu Hass und Gewalt aufrufen, so der Einwurf und Aufruf zur „Gleichbehandlung“.

Dieser Vergleich war schon vor 30 Jahren falsch und ist es auch heute. Denn nach so vielen Jahrzehnten an Erfahrungen und Wissen sollte es Gemeingut sein, dass es bei staatlichen Repressionsmaßnahmen nicht um die Verhinderung von Hass, Gewalt und/oder Straftaten geht, sondern darum, gegen wen sie sich richten. Es ist eben nicht dasselbe, ob Flüchtlinge, MigrantInnen oder unliebsame Staaten Ziel von staatlicher und/oder nicht-staatlicher Gewalt und Drohungen sind oder ob sich diese „Gewalt“ gegen Repräsentanten dieses Staates richtet (in welcher Form auch immer). Im ersten Fall führt das in der Regel zu Verharmlosungen und Rechtfertigungen, bis hin zur Sabotage der Aufklärung und Unterlassung der Strafverfolgung (wie im NSU-Komplex oder im Fall völkerrechtswidriger Angriffskriege). Im zweiten Fall überbieten sich Politiker und Medien in dem Ruf nach „der ganzen Härte des Gesetzes“.

Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière will keine Plattformen der Gewalt und des Hasses dulden. Das ist an Hohn und Irrsinn schwer zu überbieten. Kaum hat er diese Sätze ausgesprochen, läßt er seine Untertanen wissen, dass man durchaus mit Diktaturen und despotischen Regimen zusammenarbeiten kann, wenn man gemeinsame Ziele teilt. So will er die Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung bei der „gemeinsamen Terrorbekämpfung“ ganz und gar nicht beenden, was nichts anderes bedeutet, als den innerstaatlichen Terrorismus „in Kauf zu nehmen“, was im politischen Sinne einer Unterstützungsleistung gleichkommt:

„Im BamS-Interview räumte er ein, all das mache die Zusammenarbeit zwar schwierig, doch die Bundesregierung nehme solche Schwierigkeiten in Kauf.“ (Zeit Online vom 27.8.2017)

Nicht weniger gewaltorientiert und gewaltbereit sind Sinn und Zweck des berüchtigten „Flüchtlingsdeals“ mit dem türkischen Regime. Er dient am aller wenigsten den Flüchtlingen, sondern vor allem jenen Staaten, die für die Fluchtursachen mitverantwortlich sind und es kalten Herzens zulassen, dass Menschen, die Schutz suchen, in die Hände eines Regimes fallen, das Krieg gegen seine eigene Bevölkerung führt.

Und wer das Befürworten von Gewalt verabscheut, der sollte zuvor alles unternehmen, damit die Ausüben von Gewalt und Terror ein Ende hat – auch im „vom Westen befreiten“ Libyen, das seitdem von marodierenden Warlords „regiert“ wird, mit denen ebenfalls ein „Flüchtlingsabkommen“ geschlossen wurde.

Wenn also der Verdacht „Aufruf zur Gewalt“ und/oder deren Billigung zu einem Vereinsverbot und zur Schließung eines Medienportals reichen, stellt sich, wenn der Gleichheitsgrundsatz noch Geltung hat, die Frage: Welche Maßnahmen sind geboten und notwendig, um jene zu sanktionieren, die Zehntausende, Hunderttausende Verhungernde, Flüchtende, Ertrunkene und Ermordete mit zu verantworten haben?

"Wir sind bald wieder zurück!"

Am 26. August 2017 haben in Freiburg laut Zeit Online etwa 200 Menschen gegen das Verbot der linksunten.indymedia-Plattform demonstriert. Es gibt auch zaghafte Stimmen, die die Verhältnismäßigkeit der Mittel anmahnen. Noch überwiegt das Wegducken, das Schweigen, das Hinnehmen, die Resignation – auch wenn die „linksunten.idymedia“ verbotenerweise angekündigt hat: „Wir sind bald zurück.“ Die kurze Rückmeldung endet mit dem Satz: „Misère für De Maizière“.

Wenn wir nicht baldin großer Zahl gegen „rechtsoben“ aufstehen, egal, wie wir zu „linksunten“ stehen, werden auch diejenigen bald alleine sein und verstummen, die mit „linksunten“ nichts zu tun haben wollen.

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