Beginnen wir mit einem Zitat. Die Schweizer Psychologin mit polnisch-jüdischen Wurzeln, Alice Miller, hat über Adolf Hitler das Folgende gesagt (1):
„Hitler kam, wie jedes Kind, unschuldig zur Welt, wurde von seinen Eltern, wie viele andere Kinder damals, destruktiv erzogen, und später hat er sich selbst zum Monster gemacht. Er war Überlebender einer Vernichtungsmaschinerie, die im Deutschland der Jahrhundertwende ‚Erziehung‘ genannt wurde und die ich als das verborgene KZ der Kindheit bezeichne, das nie erkannt werden darf.“
Über diese „Vernichtungsmaschinerie“, der Adolf Hitler und mit ihm eine ganze Generation unterworfen war, die das Kind im Menschen tötete, um es zu drillen, habe ich in den beiden ersten Teilen dieser Artikelreihe geschrieben. Diese Vernichtung an der Seele eines Menschen, so sie keine Aufarbeitung und nicht ein Mindestmaß an Heilung findet, schlägt irgendwann auf die Umwelt zurück, wenn der Betroffene sich nicht selbst auslöschen will.
Kinder wurden von Anfang an zu Soldaten erzogen. Sie wurden erzogen, um für etwas außerhalb von ihnen zu funktionieren. Damit wurde ihnen die jedem Menschenkind innewohnende Einzigartigkeit ausgetrieben und durch eine Normierung ersetzt. Von Anfang an lernten Kinder, sich ihre Identifikation, ihren Selbstwert, nicht etwa aus der Einzigartigkeit des Ichs zu entnehmen, sondern von vorgegebenen Idealen, von ethisch-moralisch aufgepeppten Handlungsanweisungen.
Hinter dieser künstlich geschaffenen Ethik und Moral konnten die größten Schweinereien, die schlimmsten Abgründe menschlichen Handelns versteckt werden. Der unbedingt einzuhaltende Kodex, der durch die Autoritäten als anerkannte Vertreter dieser fremdbestimmten Moral vorgegeben wurde, machte die Selbstverleugnung möglich. Menschen mit gleichgesinnter Fremdbestimmung fanden sich auf diese Weise als Opfer verbunden wieder und bildeten so äußerst fragile soziale Gemeinschaften.
Soziale Gemeinschaften sind ein Muss, sonst stirbt der Mensch. Menschen aber, die nicht gelernt haben, autonom zu denken und zu handeln, denen das bereits als Kind ausgetrieben wurde, bilden diese Gemeinschaft nicht konstruktiv selbst, sondern suchen Gruppen, denen sie sich anschließen können. Ein Hauch von Wärme und Zuneigung innerhalb dieser Gruppe kann rasch Abhängigkeiten erzeugen. Angst vor dem Verlust dieser ersehnten Wärme und Schuld in Unterwerfung bestimmt das Leben.
Oder aber es gelingt die Führerschaft innerhalb der Gruppe und damit die Akzeptanz durch die Masse. Auch das ist eine Art Liebe, besser ein Ersatz dafür. Herrschen oder beherrscht werden, darum geht es und beide Gruppen leiden darunter. Beide Gruppen bestehen in der Regel aus Individuen, die gut sein möchten, gut zu sich und gut zu anderen.
Führer — nicht zwangsläufig gleichstellbar mit Psychopathen! — entstehen dadurch, dass sie von Menschengruppen als solche wahrgenommen werden. Es ist also eine Frage der Perspektive. In Führern erkennen Menschen, mitsamt ihren Schuldgefühlen, einen Idealtypus. Sie schauen auf zu Menschen, die für sie praktisch ohne Fehler, vor allem den subjektiv an sich selbst wahrgenommenen Fehlern sind. Die Angehimmelten werden zu Übermenschen stilisiert — zu Göttern. Darin liegen aber auch die nicht erfüllbaren und logischerweise später enttäuschten Erwartungshaltungen der die Führung Suchenden.
Übermenschen werden also aus einer Gemeinschaft heraus geboren. Es ist ein Tun und Tun lassen — und dieses Tun läuft auf unterbewussten Ebenen ab. Die Angst sowohl der Einen als auch der Anderen, das eigene Unterbewusste durch Reflexion bewusst werden zu lassen, versperrt auch die Erkenntnis der sich daraus ergebenden Abhängigkeiten.
Wenn Ideologien ausschließlich sind — und das sind sie immer — dann bekämpfen sie zwangsläufig jede Abweichung von dieser, egal ob sich die Abweichung in einer weiteren Ideologie manifestiert oder nicht. Von Machtsystemen vereinnahmte Menschen sind schnell bereit, sich „attraktiven“ Ideologien anzuschließen. Erschaffen aber tun sie diese Ideologien nicht.
Im Gegensatz dazu besitzt jeder Psychopath seine ureigene Ideologie als einzig objektiv Wahre und sieht mit dieser alle seine Mitmenschen aus der Überhebung heraus. So wie er für ihre Unvollkommenheit eine Berufung zur Fürsorge verspürt.
Hitler ist — meiner Ansicht nach — auch deshalb kein Psychopath gewesen, weil er eben keine eigene Ideologie entwickelte, sondern sich bestehenden Ideologien unterwarf, freilich, um sie dann radikal und rücksichtslos auszuleben. Das waren nun wieder eindeutig psychopathische Züge, aber zwischen ihnen und dem Psychopathen selbst gibt es einen deutlichen Unterschied.
Was also waren das für Ideologien, die Hitler Halt gaben? Stellen wir diese erst einmal zurück. Hitler benannte zuerst die aus eigenem Erleben bekannten sozialen Missstände der Habsburger Monarchie, was da waren: „Hunger“, „abstoßende Armut“, „Wohnungselend“ (2).
Hitler benennt also — in seiner Vorgehensweise glaubwürdig autobiografisch vorgehend — im ersten Ansatz keine Schuldigen und das finde ich interessant. Er benennt die Mängel, richtet sich nicht gegen Personen. Die Mängel zeichnet er unscharf, sie wiederspiegeln den Dissenz zu den Idealen, an denen er sich seit der Kindheit festgehalten hat. Ideale, die — was ihnen eigen ist — realitätsfern sind; eine märchenhafte Gesellschaft fleißiger, edler Menschen mit gerechten Herrschern. Die Mängel heißen denn „nationale Gleichgültigkeit“, „staatsfeindliches Verbrechertum“, „grundsätzliche Mängel im Wirtschafts- und Kulturleben“ (3).
Ebenso unscharf benennt er dann die Schuldigen; zuerst und grundsätzlich die „gedankenlose Mitwelt“ und ihre „Mitmenschen“ (3). Als mit Schuldkategorien sozialisierter Mensch tat Hitler im ersten Anlauf damit das, was heute gleichermaßen sozialisierte Menschen ganz genauso tun. Sie versuchen das auf dem eigenen Ego lastende Schuldgefühl zu verlagern und suchen also im Außen nach Schuldigen.
Dafür spähen sie bei den Betreffenden ganz gezielt deren — subjektiv so wahrgenommenes — Fehlverhalten aus und reduzieren die Komplexität jener Persönlichkeit auf den Mangel. Aber sie sind dabei unpräzise, sowohl bei der Beschreibung des vorgeworfenen Fehlverhaltens als auch bei der Gruppe oder Person, die sie beschuldigen. Wie gesagt, ist das zeitloses Verhalten. Es drückt sich aus in „die da oben“, „die Herrschenden“, „die Regierung“ oder — im allgemeinsten Fall, der gern verwendet wird, einfach im „die“. Die Pauschalisierung gibt die emotional getrübte Stimmung wieder und ersetzt die mühselige Differenzierung.
In Schuld gefangen, sind wir dazu verdammt, immer wieder (andere) Schuldige zu finden und ansonsten die Schuld abzutragen, auszugleichen, zu bezahlen, zu büßen! In solch einem Denken verhaftet, können wir nicht glücklich etwas hinnehmen, annehmen, weil in uns sofort die Pflicht zu einer Wiedergutmachung aufsteigt. Und so wie wir Menschen in dieser Art und Weise denken, so funktioniert dann logischerweise auch die Matrix, das systemische Konstrukt der Gesellschaft.
Und wieder können wir die Parallelen zur Gegenwart ziehen. Wenn es darum geht Menschen zu manipulieren, wird auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts mit solchen diffusen Schlagworten hantiert, die „gut klingen“, etwas in uns ansprechen, vor allem Unzufriedenheit, um dann emotionale Befindlichkeiten zu wecken, die sich in eine Richtung weg von der Macht bewegen sollen. Es sind die Begriffe, die uns, wie ich es gern zu sagen pflege, „über das Stöckchen springen lassen“.
Auf jeden Fall wird Hitler im Falle „der Schuldigen“ dann doch recht schnell konkret und „nebenbei“ erfahren wir, dass es zumindest auch in der Hauptstadt der Habsburger Monarchie eine offenbar mitgliederstarke und gut organisierte Sozialdemokratische Partei wie auch Gewerkschaftsbewegung gab, welche der Autor von „Mein Kampf“ — vorerst — in Symbiose verknüpft sah. Als 17jähriger kam er damit erstmals in Berührung. Man kann nun wirklich nicht sagen, dass Hitler Zeit seines Lebens unpolitisch gewesen wäre.
Hitlers soziale Einstellung, die ich im vorigen Teil beschrieb, fließt in den Namen der Partei ein, zu deren Führer er sich aufschwingt. Er sieht diese Partei sozialistisch und grenzt dieses „sozialistisch“ hart von „sozialdemokratisch“ ab. Das war anfangs nicht so, weshalb er erklärt:
„So war mir im Alter von siebzehn Jahren das Wort ‚Marxismus‘ noch wenig bekannt, während mir Sozialdemokratie“ und Sozialismus als identische Begriffe erschienen.“ (4)
um fortzusetzen:
„Hatte ich bis dorthin die sozialdemokratische Partei nur als Zuschauer bei einigen Massendemonstrationen kennengelernt, ohne auch nur den geringsten Einblick in die Mentalität ihrer Anhänger oder gar in das Wesen der Lehre zu besitzen, so kam ich nun mit einem Schlage mit den Produkten ihrer Erziehung und ‚Weltanschauung‘ in Berührung“ (5).
Zu jener Zeit schlug Hitler sich als Bauhelfer durch und die Umstände, von denen er direkt betroffen war, hätten eigentlich eine Empfänglichkeit für die Inhalte der Gewerkschaftsbewegung vermuten lassen können:
„Es war schon von Anfang an nicht sehr erfreulich. Meine Kleidung war noch etwas in Ordnung, meine Sprache gepflegt und mein Wesen zurückhaltend. Ich hatte mit meinem Schicksal noch so viel zu tun, daß ich mich um meine Umwelt nur wenig zu kümmern vermochte. Ich suchte nur nach Arbeit, um nicht zu verhungern, um damit die Möglichkeit einer, wenn auch noch so langsamen, Weiterbildung zu erhalten“ (6).
„Noch in Ordnung“ — noch — war sie es, seine Kleidung. Hitler muss in jenem Jahr — 1906 — ziemlich heruntergekommen gewesen sein. Er teilte das Schicksal unzähliger ungelernter Hilfskräfte, die sich von einer erbärmlich bezahlten Anstellung zur nächsten schleppten. Allerdings griffen die damals erstaunlich agilen Agitatoren der Gewerkschaftsbewegung genau die Ideale Hitlers an, an die er sich klammerte, mit denen er sich identifizierte. Diese Agitatoren warben ziemlich offensiv um neue Mitglieder. Erfahrungsgemäß sind junge Menschen besonders begeisterungsfähig. Dummerweise trafen aber die Gewerkschaftsaktivisten auf einen jungen Mann, der schon ziemlich fest ideologisiert war. Zumal das, was ihm da angeboten wurde, weit über sozialdemokratische Ideen hinausging:
„Jedenfalls war das, was ich so vernahm, geeignet, mich aufs äußerste aufzureizen. Man lehnte da alles ab: die Nation, als eine Erfindung der „kapitalistischen“ — wie oft mußte ich nur allein dieses Wort hören! — Klassen; das Vaterland, als Instrument der Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiterschaft; die Autorität des Gesetzes als Mittel zur Unterdrückung des Proletariats; die Schule, als Institut zur Züchtung des Sklavenmaterials, aber auch der Sklavenhalter; die Religion, als Mittel der Verblödung des zur Ausbeutung bestimmten Volkes; die Moral, als Zeichen dummer Schafsgeduld usw. Es gab da aber rein gar nichts, was nicht in den Kot einer entsetzlichen Tiefe gezogen wurde“ (7).
Wir können unschwer erkennen: Die Probleme der Gesellschaft aus der Existenz ausbeutender und ausgebeuteter Klassen zu erklären, kam bei Hitler äußerst schlecht an, standen sie doch diametral zur eigenen verfolgten Ideologie, die ja sein Halt war. Er fühlte sich geradezu persönlich angegriffen. Er hasste diese Ideen, die sein Weltbild zu zerstören drohten und er hasste die Menschen, die es vertraten. Hitler neigte zu Jähzorn und entsprechend hoch her muss es in den „Diskussionen“ gegangen sein, die er mit den klassenbewussten Genossen führte. Vergessen wir nicht, dass er gerade mal 17 Jahre alt war, als er sich mit ihnen anlegte. Ein Spiel, das sich — seinen eigenen Aussagen zufolge — mehrfach wiederholte:
„Am Bau aber ging es nun oft heiß her. Ich stritt, von Tag zu Tag besser auch über ihr eigenes Wissen informiert als meine Widersacher selber, bis eines Tages jenes Mittel zur Anwendung kam, das freilich die Vernunft am leichtesten besiegt: der Terror, die Gewalt. Einige der Wortführer der Gegenseite zwangen mich, entweder den Bau sofort zu verlassen oder vom Gerüst hinunterzufliegen. Da ich allein war, Widerstand aussichtslos erschien, zog ich es, um eine Erfahrung reicher, vor, dem ersten Rat zu folgen“ (8).
Hitler begann von da an, sich intensiver mit der Sozialdemokratie, dem Sozialismus und dem Marxismus zu beschäftigen. Er arbeitet im Buch — selbstredend voreingenommen und daher selektiv herangehend — deren inhärenten Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Worten und Taten heraus. Dass er seine eigene Ideologie auf die prinzipiell gleiche Weise — nur eben wohlgesonnen — "behandelt", ist ihm dabei nicht bewusst. Seine Kritik ist hoch emotional, unterstellt dem sozialdemokratischen Gegner niedere Beweggründe und berechtigt ihn schon deshalb, diese erbarmungslos zu bekämpfen. Diese Entmenschlichung seiner ihn in seinem Selbst bedrohenden Gegner wird uns noch sehr oft begegnen.
Doch ist ihm die soziale Schieflage bewusst und er sieht ohne Zweifel die Notwendigkeit, die zu beseitigen; allerdings im Rahmen „seines“ Systems:
„Millionen von Arbeitern waren sicher in ihrem Inneren anfangs Feinde der sozialdemokratischen Partei, wurden aber in ihrem Widerstande besiegt durch eine manches Mal denn doch irrsinnige Art und Weise, in der seitens der bürgerlichen Parteien gegen jede Forderung sozialer Art Stellung genommen wurde. Die einfach bornierte Ablehnung aller Versuche einer Besserung der Arbeitsverhältnisse, der Schutzvorrichtungen an Maschinen, der Unterbindung von Kinderarbeit sowie des Schutzes der Frau wenigstens in den Monaten, da sie unter dem Herzen schon den kommenden Volksgenossen trägt, half mit, der Sozialdemokratie, die dankbar jeden solchen Fall erbärmlicher Gesinnung aufgriff, die Massen in das Netz zu treiben. Niemals kann unser politisches „Bürgertum“ wieder gut machen, was so gesündigt wurde“ (9).
Doch revidierte er seine ursprüngliche Meinung, dass Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung untrennbar miteinander verknüpft sind, was mich wirklich überraschte:
„Da ich sie [die Gewerkschaften] als einen unzertrennlichen Bestandteil der sozialdemokratischen Partei an sich ansah, war meine Entscheidung schnell und — falsch. Ich lehnte sie selbstverständlich glatt ab. Auch in dieser so unendlich wichtigen Frage gab mir das Schicksal selber Unterricht. Das Ergebnis war ein Umsturz meines ersten Urteils. Mit zwanzig Jahren hatte ich unterscheiden gelernt zwischen der Gewerkschaft als Mittel zur Verteidigung allgemeiner sozialer Rechte des Arbeitnehmers und zur Erkämpfung besserer Lebensbedingungen desselben im einzelnen und der Gewerkschaft als Instrument der Partei des politischen Klassenkampfes“ (10).
Erkennen Sie den Konflikt, den Hitler für sich zu lösen hatte?
Seine Identifikation, seinen Selbstwert machte er am Nationalismus fest, wobei er immer wieder — geradezu neidvoll — vom Habsburger Vielvölkerstaat hinüber zum deutschen Kaiserreich schaute. Seine soziale Schule war vor allem die Wiener Zeit und er kam dort durch eigenes Erleben in Konflikt mit dem System, dass sein Ego aufrecht hielt. Dort sah er deshalb Reparaturbedarf am Sozialsystem und dort fand er deshalb auch einen Platz für die Gewerkschaften. Den Fehler im System selbst zu sehen und es daher zu verwerfen, war ihm unmöglich. Schließlich käme das einem psychologischen Selbstmord gleich. Das ist typisch, auch für Nationalismus, denn der ist ja auch nur ein Ersatz für die eigene authentische, aber verschüttete Identität.
Die soziale Komponente konnte und wollte er nicht ausblenden. Das vermittelt er immer wieder — und aus meiner Sicht auch glaubhaft. Diejenigen aber, welche die soziale Frage am konsequentesten angingen, waren ausgerechnet Jene, die auch seine Werte, vor allem seinen Nationalismus angriffen. Diese Bedrohung war für ihn latent und nicht auflösbar. Was uns bedroht, hassen wir und wenn wir die Zeit vor 1910 betrachten, um die es hier geht, war Hitler mit solch einem Denken überhaupt nicht auffällig. Hass gegen das Fremde gehörte „zum guten Ton“ im Habsburger Reich.
Die Schlussfolgerung des Adolf Hitler war, dass einerseits das System, welches ihm seit seiner Kindheit Halt und Stärke gab, zu verteidigen war. Andererseits musste die soziale Frage geklärt werden, weil sonst eben auch dieses System in existenzielle Gefahr geraten würde.
Sozial war der Kernpunkt für den Sozialismus des Adolf Hitler. National war sein ihm Sicherheit und Stärke gebender Nationalismus. Nationalsozialismus war schlüssigerweise das Ziel der Bewegung. Bewegung stand für die aus seiner Sicht notwendige Veränderung.
Alles aber, was an den Grundfesten seines Nationalismus, seines „Deutschtums“ zu rütteln wagte, wurde von Hitler unbarmherzig und rücksichtslos bekämpft. Er sah sich immer als „reiner“ Deutscher und war gerade auch deshalb leidenschaftlich um den „Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“ (11) bemüht. Denn erst dann würde er — so komisch das auch klingen mag — ein „echter Deutscher“ sein (a1).
Und greifen wir vor: Die jüdischen Gemeinden konterkarierten geradezu den ausgeprägten Nationalismus des Adolf Hitler mit ihrer mehr oder weniger konsequenten Abgrenzung von den jeweiligen Nationalstaaten, aber parallel dazu europaweiten Präsenz. Das dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum ihnen der größte Hass entgegen schlug, größer noch als gegen den „Erbfeind Frankreich“ oder die „Slawen“.
Hitler war Antisemit, bevor es ihm überhaupt bewusst war. Was fehlte, waren nur noch die „richtigen Leute“, in denen er seine diffuse und emotional aufgeladene Weltanschauung, gekoppelt aus „völkischer Gesinnung“ und „sozialer Verantwortung“, wiederfinden konnte — was nicht lange dauern würde (a2).
Das Gleiche gilt für die Ideen des Marxismus (in den er bequemerweise die Sozialdemokratie gleich mit einordnete). Sie sollten ebenfalls im Kontext einer grenzübergreifenden, die Nationalstaaten in Frage stellenden Bewegung umgesetzt werden. Solche Ideen waren nachvollziehbar eine Bedrohung für Hitlers Weltbild. Doch das Konglomerat was sich in Hitlers Kopf aus all dem ergab, war Produkt manischer Angst und musste seinerseits Angst einflößen:
„Nur die Kenntnis des Judentums allein bietet den Schlüssel zum Erfassen der inneren und damit wirklichen Absichten der Sozialdemokratie. Wer diese[s] Volk [der Juden] kennt, dem sinken die Schleier irriger Vorstellungen über Ziel und Sinn dieser Partei vom Auge, und aus dem Dunst und Nebel sozialer Phrasen erhebt sich grinsend die Fratze des Marxismus“ (12).
Entfache den Hass, entmensche Deine Gegner, dann kannst du sie auch bekämpfen, ja vernichten. Das haben Demokratien zuvor und danach — und bis in die Gegenwart — genau so getan, wie Hitler es mit seinen Gegnern tat. Sein spezieller Hass richtete sich auf die jüdische Bevölkerung und alles was er in die Schublade Marxismus stecken konnte. Am Ende würde er es jüdischen Bolschewismus nennen.
Wenn uns so etwas Angst macht, dann sollte uns allerdings auch die Entmenschlichung, welche Politiker und Medien unserer wertedemokratischen Gegenwart mit ihren selbst erklärten Feinden betreiben, Angst machen.
Unabhängig davon hatte Hitler tief verinnerlicht, dass er Teil eines Machtsystems war. Um die eigenen Ideen umsetzen zu können, musste er sich mit der Macht anlegen — auch mit jener der Kaste, mit der er sich verbunden fühlte. Er hatte für sich gelernt, dass er nur dann Erfolg haben würde, wenn er die Machtkarte rücksichtslos — und natürlich im Interesse seiner edlen Sache — absolut skrupellos ausspielen würde. Er müsste nur eine Chance bekommen. Als er am Buch „Mein Kampf“ schrieb, war sie ihm bereits gegeben worden.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.
Quellen und Anmerkungen
(a1) Die Verbindung zwischen Sozialismus und National ist dermaßen griffig, dass ich es keineswegs ausschließe, dass hier Hitler durch Spin-Doktoren (ja, so etwas gab es auch damals schon) möglicherweise etwas auf die Sprünge geholfen wurde. Die Verbindung beider Begriffe hatte mit Sicherheit eine enorme unterbewusste Ausstrahlung und war geeignet, den wahren, hasserfüllten Charakter der dahinter wirkenden Ideologie zu verschleiern.
(a2) So wurde Hitler rasch auf den sozial äußerst engagierten Wiener Bürgermeister Karl Lueger aufmerksam — der allerdings auch überzeugter Antisemit war (13). Mehr dazu im nächsten Teil dieser Artikelreihe.
(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Letzte Aktualisierung: 6.4.2019.
(1) Abbruch der Schweigemauer, Die Wahrheit der Fakten; Alice Miller; 1990; Hamburg, Hoffmann und Campe; S. 93; siehe auch: 12.6.2018; https://de.wikiquote.org/wiki/Alice_Miller
(2) Mein Kampf, Erster Band — Eine Abrechnung; Adolf Hitler; 2. Kapitel: Wiener Lehr- und Leidensjahre, S. 27-30; Zwei Bände in einem Band; ungekürzte Ausgabe; Zentralverlag der NSDAP., Frz. Eher Nachf., G.m.b.H., München; 851.–855. Auflage 1943 (im Weiteren kurz als MKAH genannt)
(3) MKAH; S. 28
(4,5,6) MKAH; S. 40
(7) MKAH; S. 41-42
(8) MKAH; S. 42
(9) MKAH; S. 47,48
(10) MKAH; S. 48,49
(11) 13.3.2013; https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7340.html
(12) MKAH; S. 54
(13) 6.9.2018; https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Lueger