Kriegsmedien und Medienkriege

Krieg und Medien standen schon immer in einem besonderen Verhältnis zueinander.

Die Kriegsszenarien, die derzeit die Welt heimsuchen, sind von gegensätzlichen Tendenzen geprägt. Es mehren sich die sogenannten chirurgischen Unternehmungen ebenso wie die barbarischen Entladungen. Der Krieg zwischen Staaten ist längst nicht mehr die Norm kriegerischer Auseinandersetzungen. Kriege finden heute weniger zwischen Nationen als vielmehr zwischen unversöhnlichen ökonomischen und kulturellen Gegensätzen statt, die oft nicht mehr national gedeutet werden können.

Die archaischen, irrationalen Fundamente der kriegerischen Auseinandersetzung scheinen mehr denn je wieder sichtbar zu werden. Clausewitzʼ Überlegungen zum Krieg als bloße „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ scheint angesichts der derzeitigen Kriegsszenarien eine sehr europäisch-rationalistische, ja idealistische Idee zur Bändigung archaischer Urgewalten zu sein. Und auch die Beurteilung des Krieges nach seiner ökonomischen Disposition ist bereits ein Ausdruck seiner Rationalisierung.

Mediale Dispositionen haben wohl schon in den ersten kriegerischen Unternehmungen der Menschheitsgeschichte eine Rolle gespielt, insofern jede Form von Waffentechnik, jede Form der organisierten Auseinandersetzung als medialer Ausdruck begriffen werden kann. Medien sind ja Distanzierungsmittel zum Zwecke, Dinge besser in den Blick zu bekommen; und sie sind Orientierungsmittel und damit auch Mittel zur Organisation von Realität, so auch der Realität kriegerisch handelnder Gemeinschaften. Dennoch hat diese mediale Disposition in der Gegenwart eine gewandelte Bedeutung.

Kriege sind selbst mediale Ereignisse geworden: massenmedial und medientechnologisch.

Dass Kriege immer schon mit Weisen propagandistischer Artikulation verbunden sind, ist keine neue Erkenntnis, ebensowenig, dass mediale Techniken, also Beschleunigungs- und Verbergungstechniken, Informations- und Kommunikationstechniken wesentlich die Strategien des Krieges prägen. Neu aber ist, dass Kriege heute selbst mediale Ereignisse geworden sind, und dies in einem doppelten Sinne. Kriege sind zum einen massenmediale und zum anderen medientechnologische Ereignisse.

Die massenmediale Berichterstattung ist ein unabdingbarer Teil der Kriegsstrategie geworden. Nationale und internationale Berichterstattung muss für eigene strategische Ziele genutzt werden. Dies artikuliert sich im Kampf um Massenmedien, also um Rundfunkanstalten etwa, aber auch in der Steuerung und Manipulation von Medien, die dem eigenen Zugriff unzugänglich sind. Manipulation und Steuerung spielen im übrigen auch in pluralistischen Gesellschaften mit kaum kontrollierbaren Presselandschaften eine Rolle. Geheimdienste versorgen die freie Presse mit manipuliertem Material, mit manipulierten Bildern und inszeniertem Filmmaterial, das als dokumentarisch gelten soll.

Zum anderen aber sind Kriege zu medialen Ereignissen geworden, insofern sich die moderne Kriegstechnik mehr denn je auf Medien- bzw. Informationstechnologien stützt. Das heißt natürlich nicht, dass kriegerische Handlungen ihren blutigen Endzweck verloren hätten. Aber in strategischen Überlegungen verschwindet dieser Endzweck hinter anderen Überlegungen. Wie mache ich mein Flugzeug für das Radar, wie meine Waffenproduktionsanlagen für die gegnerische Aufklärung unsichtbar, wie steigere ich die Präzision meiner Waffen, wie kann ich die gegnerische Kommunikation stören oder verunmöglichen, dies sind die entscheidenden Fragen moderner Militärstrategien.

Information Warfare als neues strategisches Feld

Unter dem Begriff Information Warfare bildet sich hier ein neues strategisches Feld heraus. Das Charakteristikum dieser die weltweite Vernetzung von Rechnersystemen nutzenden Strategie ist, dass sie keinen Unterschied mehr zwischen einer strategischen Handlung zu Friedenszeiten und einer Handlung in Kriegszeiten macht. Information Warfare findet immer statt. Man plaziert Computerviren in fremden Rechenanlagen, die jederzeit aktiviert werden können, manipuliert Datenströme, Bilder, Stimmen, versucht in gegnerische Rechner einzudringen. Information Warfare lässt auch kaum mehr Unterscheidungen zwischen kriegerischen und geheimdienstlichen Handlungen zu. Militär- und Wirtschaftsspionage, die informatische Kontrolle und Manipulation von potentiellen Gegnern und Freunden vermischen sich.

In vielerlei Hinsicht nähern sich kriminelle, geheimdienstliche und militärische Strategien an. Als Urheber kriegerischer Handlungen können also längst nicht mehr allein Staaten, Ethnien oder weltanschauliche Gruppen ausgemacht werden. Datenmaterial zur Information über die Kräfteverhältnisse des potentiellen Gegners wie Satelitenbilder lassen sich längst auch auf dem freien Markt erwerben.

Dies bedeutet, dass zunehmend der Organisationsgrad und die Logistik einer kriegführenden Partei gegenüber der waffentechnischen Ausstattung an Bedeutung gewinnen. Noch immer ist der Endzweck einer kriegerischen Handlung auf die Möglichkeit der konkreten Schwächung, Verletzung oder Zerstörung des Gegners gerichtet. Klar ist aber auch, dass informatisch gesehen zunehmend Paritäten zwischen ungleichen Gegnern hergestellt werden können. Das alles bedeutet:

1. Krieg und Medien standen schon immer in einem besonderen Verhältnis. Medien distanzieren und verschaffen Orientierung in der Welt.

Der Krieg ist in gewisser Hinsicht ein distanzierendes Ereignis. Man distanziert den Feind in doppeltem Sinne, man lässt ihn hinter sich als vernichtet oder unterworfen und man hält sich ihn vom Leib. Auch verschafft der Krieg in gewisser Hinsicht Orientierung. Die gegenwärtige Rede vom Krieg gegen den Terrorismus oder vom Heiligen Krieg kann als dezisionistische Äußerung verstanden werden. Wir sind eben das, was der Feind nicht ist, selbst wenn wir das Gleiche tun, die gleichen Mittel wie der Feind anwenden, dann tun wir das aus anderen Gründen und mit anderen Zielen. Die eigene Identität wird also am Feind ausgerichtet. Der Krieg verschafft Orientierung, insofern er mir meinen Standort in der Welt klar macht, meine Zugehörigkeit und meinen Wert.

2. Moderne mediendisponierte Kriege werden nicht mehr erklärt, sondern finden zunehmend immer statt.

Zwischen Krieg und Frieden gibt es flüssige Übergänge. Friedensabkommen bedeuten nicht mehr als laue Absichtsbekundungen. Eine strenge Scheidung zwischen kriegerischer Handlung und Rüstungshandlung ist kaum mehr möglich. Mediendisponiert sind Kriege, insofern sie sowohl waffentechnisch als auch strategisch von apparativen Medien getragen sind, und insofern Kriege von Medien propagandistisch begleitet werden bzw. eine informelle Begleitung zur Beeinflussung bzw. Manipulation von Freund und Feind benötigen.

3. In der modernen Kriegsführung kommen in besonderer Weise die mediale Disposition des Menschen zum Ausdruck und eine besondere Tendenz in der Medienentwicklung.

Der Mensch ist insofern medial disponiert als er eine Neigung hat, seine Wirkfähigkeit medial auszuweiten. In diesem Willen zur Wirkung artikuliert sich freilich auch eine Tendenz, diese Wirkung rücksichtslos durchzusetzen. Die Tendenz moderner apparativer Medienentwicklungen deckt sich tatsächlich weitgehend mit traditionellen kriegerischen Strategien. Der Bessere ist der Schnellere, der Präzisere, der Konzentriertere, der am wenigsten Verortbare. Dies wird insbesondere in solchen modernen Strategien sichtbar, die auf die Nichtverortbarkeit von Waffensystemen setzen, beispielsweise beim Tarnkappenbomber. Dem potentiellen Gegner muss jede Aufstellung und jede Einstellung verunmöglicht werden. Der ideale Angreifer ist nicht verortbar, er ist überall und kann jederzeit zuschlagen. Man sieht, diese strategischen Ideale decken sich absolut auch mit den Strategien von Terroristen.

In gewisser Weise stehen Kriegsmedien und Medienkriege in einem komplementären Verhältnis. Gerade in unserem Zeitalter der multimedialen Verschaltung wird dies deutlich. Von einem Organisationszentrum aus können Kriegsmedien entwickelt oder verbessert und gleichzeitig ein Medienkrieg geführt werden. Medienkriege benötigen immer selbst schon eine mediale Disposition.

Im Krieg um Aufmerksamkeit gibt es keine scharfe Zäsur zwischen militärischer und ziviler Handlung.

Der Krieg um Aufmerksamkeit wird dabei von den Medien auch selbst und ohne militärischen oder patriotischen Auftrag geführt. Immer wieder geht es um die Gratwanderung zwischen notwendiger Berichterstattung und dem Gieren nach sensationellen Bildern, wobei sich fatale Verstrickungen zwischen Berichterstatter und Kriegführenden ergeben.

Ich denke an den häufig diskutierten Vorfall an der ‚Snipers-Allee‘ in Sarajewo, wo ein Junge, der von einem Kamerateam Geld für einen Zickzacklauf erhielt, tatsächlich bei seiner gewagten Unternehmung auch angeschossen wurde. Im Kampf um sensationelle Bilder und Berichte werden konkurrierende Informationsunternehmen, freie Berichterstatter usw. selbst zu Kriegsparteien, die zum ökonomischen Zweck Kooperationen mit Kriegsparteien eingehen und unter Umständen sogar Konkurrenten gefährden. Eine Art Söldnermentalität ist im Gewerbe der Kriegsberichtserstattung nicht selten anzutreffen.

Im Verhältnis von Krieg und Medien wird ein Zug im Militärwesen sichtbar, der keine scharfe Zäsur zwischen militärischer und ziviler Handlung mehr zulässt. Organisierte Gemeinschaften, die als Kriegsparteien bestimmt wurden, bilden sich zunehmend jenseits neuzeitlicher nationaler Verfassungen aus. Mafiotische Gemeinschaften wie ökonomische Kooperationen, religiöse wie weltanschauliche Gemeinschaften werden als Kriegsparteien wohl an Bedeutung gewinnen. Die Staatengemeinschaft wird hart zu arbeiten haben, um ihre regulative Funktion noch wahrnehmen zu können. Vielleicht werden wir uns aber bald nach mehr nationalstaatlicher Regulierung zurücksehnen, weil sie uns wesentlich für die Humanisierung der Welt erscheint.


Redaktionelle Anmerkung: Erstveröffentlichung: feinschwarz.net. Gekürzte, vom Autor durchgesehene Fassung des Artikels: Kriegsmedien und Medienkriege — Zum Verhältnis von Krieg und Medien. In: Grimm, Petra/ Capurro, Rafael (Hg.): Krieg und Medien — Verantwortung zwischen apokalyptischen Bildern und paradiesischen Quoten? Stuttgart 2003, 43 — 56. Die Zweitveröffentlichung unter dem Titel „Kriegsmedien und Medienkriege“ wurde von Milieu übernommen.


Klaus Wiegerling ist Philosoph am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe.