Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
heute möchte ich mich einmal ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann bin ich jetzt nämlich seit dem 1. Mai 2022 — seit Ihrem Machtwort an die Friedensbewegung — „aus der Zeit gefallen“.
Also, ich muss sagen: Mir gefällt der Zustand ganz gut. Aus der Zeit gefallen! Genau genommen fühl ich mich ja schon länger so. So als ob ich aus einer anderen Zeit käme. Oder vielmehr so, als ob ich irgendwie sowieso zeitlos wäre.
Und jetzt haben Sie es endlich offiziell gemacht! Es gibt also Menschen, die „aus der Zeit gefallen sind“ — und zwar wegen ihrer friedlichen Einstellung. Radikaler Pazifismus — so wird diese meine Einstellung jetzt genannt.
Radikaler Pazifismus. Klingt gefährlich! Ja. Find ich auch. Es soll wohl auch gefährlich klingen. So als wären diese „aus der Zeit Gefallenen“ eine besonders gefährliche Spezies. Aber wenn ich so an mir runterschau und auch, wenn ich in mich hineinschau: Ich finde, dass ich ziemlich ungefährlich bin. Eine unbewaffnete, friedliebende ältere Dame. So würde ich mich jetzt mal beschreiben. Was soll an mir gefährlich sein?
Aber wenn Sie wollen, dann schauen wir doch mal genauer hin, was das eigentlich bedeutet. Lassen Sie uns auf die Wörter selbst schauen. Denn Wörter lernen und damit herumbasteln, das tu ich ziemlich gern. Also:
Radikal: kommt von lateinisch „radix“ — Wurzel, Ursprung.
Pazifismus: ebenfalls lateinisch, zusammengesetzt aus „pax“ — Friede und „facere“ — machen, tun, handeln.
In diesem Sinne bin ich also von meinem Ursprung her darauf aus, Frieden zu machen. Alles zu tun, damit Frieden gemacht wird — und zwar von der Wurzel, vom Ursprung her.
Das stimmt! Dem stimme ich voll zu!
Auch wenn das Wort so gefährlich klingt, als wäre ich mit meiner Einstellung in die Nähe von Terroristen gerückt — also dem Wortsinn nach bin ich tatsächlich eine radikale Pazifistin. Komisch, dass das Wort „radikal“ so negativ besetzt ist. Wer macht so was eigentlich? Wie entsteht so was: dass Worte mit Positiv- oder Negativ-Stempeln versehen werden? Sodass dann eine Abneigung oder auch eine Zuneigung entsteht bei jenen, die das Wort hören. Echt komisch.
Ich beobachte ja schon länger, dass Wörter ihre Bedeutung verändern im Lauf der Zeit. Zum Beispiel das Wort „Hölle“: Wortwurzel ist die alte Göttin Hel, welche die Seelen nach dem Tod in Empfang nahm. Im Lauf der Christianisierung wurde das Wort negativ besetzt und ist es bis heute geblieben. Wer will schon gern in der Hölle leben? Gar zusammen mit einer Göttin — wo es doch nur den Einen Gott gibt. Und der ist natürlich männlich. So die allgemein gültige, seit Jahrhunderten verbreitete Ansicht hier im Abendland. Ach ja …
Aber — man sehe und staune und glaubt es kaum — die Göttin hat überlebt. Und zwar im Märchen als Frau Holle, da schütteln Goldmarie und Pechmarie die Betten auf, damit es auf der Erde schneit.
So ist das mit Wörtern: Zuerst war da die Göttin Hel, also eine leuchtende, helle Göttin, irgendwo im Norden, wo die deutsche Sprache entstanden ist. Dann kamen Eroberer aus dem Süden, die vertrieben die Göttin und drehten ihren Mythos vom Reich der Helligkeit und des Heilseins ins genaue Gegenteil um. Das dauerte so einige Jahrhunderte, bis das gelungen war.
Heute geht das ja viel schneller: Kaum dreht man sich um, ist man plötzlich eine rechtsradikale, esoterische Schwurblerin, allgemein geächtet und verachtet. Und jetzt noch dieser Pazifismus obendrauf! Dieses Friedenmachenwollen! Also, das kann man echt nicht brauchen, wenn doch der leibhaftige Teufel da drüben im Osten lauert, während von Westen her „die Guten“ sich schon lange Jahre auf den „Kampf gegen das Böse“ vorbereitet haben.
Radikaler Pazifismus! Zurück zum Frieden. Was ist der Ursprung von Frieden? Was hat der Friede für eine Wurzel? Ist der Friede wie ein Löwenzahn? Mit einer tiefen Wurzel, einem essbaren, gesunden Blattwerk, einer sonnengleichen Blüte und ziemlich unverwüstlich? Wie entsteht Friede von der Wurzel her, vom Ursprung her? Ist etwa der Einsatz von Waffengewalt der Ursprung des Friedens? Ja?
Wissen Sie, ich kann das einfach nicht sehen. Ich sehe nur, dass immer mehr Waffen zu immer mehr Gewalt führen. Außerdem frage ich mich: Ist der Einsatz von Waffengewalt nicht vielleicht hauptsächlich ein gutes Geschäft? Wer verdient eigentlich wie viel daran? Ich bin ja immer sehr am Geld interessiert! Mir gefällt dieser Journalisten-Leitsatz „Folge dem Geld.“ Wird das Geschäft ähnlich wie mit dem Virus laufen? 40 Milliarden Umsatz für BioNTech, davon 20 Milliarden Gewinn und außerdem Wirtschafts-Wachstum. Juchhu! Wenn diese Waffengeschäfte dem Weltfrieden dienen, dann mögen die Unternehmen doch bitte auf ihren Gewinn verzichten — und überdies die Gewinne aus all den vorangegangenen Waffengeschäften all den Menschen zur Verfügung stellen, die unter dem Einsatz dieser Waffen gelitten haben.
Hallo? Verstehen Sie, was ich sage? Oder war der Satz zu ungewöhnlich? Können Sie sich das vorstellen? Ich nicht. Tatsächlich kann ich mir echt nicht vorstellen, dass auch nur eine dieser Firmen auf Gewinn verzichten möchte. All den Menschen zuliebe, die in den Kriegsgebieten leben, wo mit den Waffen alles kaputt gemacht wird, Fabriken, Häuser, Kinder, junge Männer und Frauen und Alte auch und Tiere sowieso.
Also, nur mal als Utopie gedacht, wenn diese Firmen also wirklich aus Friedensliebe und aus Menschenliebe und aus Liebe überhaupt Waffen herstellen — dann könnten sie doch wenigstens auf den Gewinn verzichten.
Wenn sie aber auf den Gewinn verzichten sollen, wozu sollten sie überhaupt erst Waffen herstellen? Sie sehen, wie sich die Katze in den Schwanz beißt.
Es hilft alles nichts! Das Einzige, was jetzt noch helfen kann, ist eben dieses: aus der Zeit fallen. Wie wunderbar! Aus der Zeit fallen heißt für mich, heute Morgen, am 4. Mai 2022: Ich erzähle die Geschichte aus der Zukunft, wo dann Sie, Herr Bundeskanzler, die Panzer und die 100 Milliarden für die Bundeswehr schleunigst wieder zurückgepfiffen haben. Und wo dann aus der Ukraine die erste kriegswaffenfreie Zone entstand. Wie eine Blume, so ist diese Zone entstanden. Eine Zukunft, wo der Atomwaffen-VERBOTS-Vertrag unterzeichnet wurde.
Der darf nicht verwechselt werden mit dem völlig wirkungslosen Atomwaffen-SPERR-Vertrag. Der wurde von den Atommächten selber initiiert, um anderen Ländern zu verbieten, ebenfalls Atommacht zu werden.
Der Atomwaffen-VERBOTS-Vertrag also wurde von den Atommächten unterschrieben und ratifiziert und dann auch umgesetzt. Aber ich verrate nicht, wer ihn zuerst unterschrieben hat: Putin oder Biden? Oder beide gleichzeitig? Und danach haben noch all die anderen Atommächte wie China, Israel und so weiter unterschrieben.
Ach so, und Deutschland und die ganzen europäischen Länder haben natürlich auch unterschrieben. Obwohl sie selber gar keine Atomwaffen haben. Aber sie dulden die Atomwaffen der anderen auf ihrem Boden!
Tja. Und nach der Unterschrift und Ratifizierung mussten die Atommächte dann ihre Atomwaffen mitnehmen. Weil sie die auf ihrem eigenen Boden aber auch nicht mehr haben durften und auch nicht wollten, wurden diese Waffen fein säuberlich in ihre Bestandteile zerlegt und unbrauchbar gemacht. Da brauchte man dann wieder Wissenschaftler, Physiker und Mathematiker und Techniker aus aller Herren Länder. Wer so Teile bauen kann, der kann sie auch wieder abbauen. Und als das Werk vollendet war, kriegten die dann alle zusammen den Friedensnobelpreis.
So läuft das in meiner Geschichte.
Und danach wurde dann immer weiter abgerüstet. Und es musste ziemlich schnell gehen, weil nämlich das Klima spinnt. Falls Sie das nicht schon selber gemerkt haben, will ich es Ihnen hiermit sagen. Ja, das Klima spinnt.
Und im Sozialen ist sowieso auf der ganzen Welt der Wurm drin.
Aber auch diese Probleme wird die Menschheit lösen. Allerdings muss es jetzt schon schnell gehen. Ein weiterer Krieg — und der Kriegseintritt meines Landes durch Waffenlieferungen — ist für die Realisierung dieser Zukunft, in der ich leben will, wenig hilfreich. Also: Lassen Sie das bleiben, das mit den Waffengeschäften! Bitte!
Und doch danke ich Ihnen noch einmal für die inspirierenden Worte vom „aus der Zeit fallen“. Ohne Sie wäre dieser Text nicht entstanden!
Und es war mir eine Ehre, diese mögliche Zukunft — ohne Waffen — mit Ihnen zu teilen.
Sehr gerne!
Mit freundlichen Grüßen
Eine radikale Pazifistin