Eilmeldung: Wie wir aus zuverlässiger Quelle wissen, findet in einer Paralleldimension derzeit eine Grundsatzdebatte über die Pflicht zum öffentlichen Tragen eines Nasenpiercings statt. Der Nachtspiegel, seriöses Medium dieser Parallelgesellschaft, veröffentlichte vor einigen Monaten den folgenden Artikel:
Der Nachtspiegel, 31. Juli 2021
In die Debatte um eine Pflicht zum Tragen eines Nasenpiercings hat sich mit drastischen Worten ein Wissenschaftler der Leopoldina eingeschaltet. „Das Nasenpiercing nicht zu tragen, hat nichts mit Rationalität zu tun, sondern einfach nur mit Eigennutz“, sagte der Bonner Verhaltensökonom Armin Falk der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Und: „Die Allgemeinheit muss hier zahlen für die Trägheit und die Dummheit der Verweigerer der Piercung.“
Auch bei Krankenhausbehandlungen will Falk den Piercingstatus berücksichtigen. „Wenn Beatmungsgeräte knapp werden oder wir nochmal in eine Triage-Situation kämen, was ich nicht hoffe, und wir dann vor der Wahl stehen, ob ein Piercingträger oder ein Ungepiercter die Behandlung bekommt, dann würde ich sagen, dass der Piercingstatus mit in die Abwägung einfließen sollte“, sagte er.
Weiter erklärte Falk, es handle sich bei denen, die nicht aus medizinischen Gründen vom Tragen eines Nasenpiercings ausgenommen seien, um ein „Trittbrettfahrertum der übelsten Sorte“. Weil die Nebenwirkungen des Nasenpiercens überschaubar und der Nutzen für die Gesellschaft riesig seien, fordert Falk eine „Allgemeine Verpflichtung zum Tragen eines Nasenpiercings“.
Das Mindeste aber müsse es sein, den Zugang zu Restaurants, Reisen und Veranstaltungen für Ungepiercte zu erschweren, „weil im Moment die bereits Gepiercten die Dummen sind“.
An die Adresse des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der seine Nase bislang nicht hat piercen wollen, sagte er: „Klappe halten, piercen lassen.“
Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hält es für angemessen, dass in der hiesigen Zusammenhaltskrise Nasenpiercingträger mehr Freiheiten genießen als Ungepiercte.
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Für eine solche unterschiedliche Behandlung sehe er auch keine verfassungsrechtlichen Probleme.
Schäuble zeigte sich bekümmert über die gesunkene Piercequote in Deutschland. „Ich kann die mangelnde Piercungsbereitschaft nicht nachvollziehen, das macht mich maßlos traurig“, sagte der Parlamentspräsident. Zu Jahresbeginn hätten die Menschen es nicht erwarten können, die rettende Piercung zu bekommen. „Und jetzt verzweifeln Tattoostudios, weil in Rekordzeit hergestellte Nasenpiercings massenhaft bei ihnen liegen bleiben.“ Dabei sei ein nagelneues Nasenpiercing für so viele Menschen wie möglich die einzige Chance, die Spaltung der Gesellschaft in die Schranken zu weisen und die Freiheit zu sichern.
Um das Verbreitungstempo der Nasenpiercings zu steigern, hofft Schäuble auch auf sozialen Druck. Jeder Einzelne solle sich stärker mit der Frage auseinandersetzen, welche Folgen eine Piercingverweigerung für die Mitmenschen hätten. Zugleich brauche es noch mehr niedrigschwellige Piercingangebote überall dort, wo sich die Menschen ohnehin aufhielten, bald etwa wieder vor dem Fußballstadion oder dem Open-Air-Konzert. Jede kreative Idee, wie mehr Menschen zum Tragen eines Nasenpiercings gebracht werden können, sei willkommen.
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Auch der Bundesverband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung (KKV) rief zum offenen Tragen eines Nasenpiercings auf. Für Christen sei das eine Pflicht, da ein Nasenpiercing „nicht nur uns, sondern auch unsere Mitmenschen“ schütze, erklärte der Vorsitzende des KKV-Bundesverbandes, Josef Ridders, am Donnerstag. Deshalb gebe es eine „moralische und ethische Pflicht zum Piercen der Nase“. Er könne verantwortungsvolle Christen nicht verstehen, die sich und andere gefährdeten, indem sie sich dem überschaubaren Risiko einer Nasenzerpiercung entzögen.
Eine allgemeine Pflicht zum Nasenpiercen sei sicher nicht durchsetzbar, so Ridders. In bestimmten Berufsgruppen wie im Gesundheits- und Bildungswesen müsse man eine solche Pflicht aber in Betracht ziehen, um etwa den Betrieb von Schulen und Kitas dauerhaft sicherzustellen. Logische Konsequenzen für Leugner des Piercingnutzens müsse die Übernahme von Piercingherstellungskosten sowie Einschränkungen bei Veranstaltungen oder verschärften Quarantäneregelungen bei Reisen sein.
Auch der Paderborner Moraltheologe und Geistliche Beirat des KKV, Peter Schallenberg, sieht Christen in der Pflicht, ein Nasenpiercing zu tragen. „Ich persönlich glaube schon, dass man sich im Gewissen ernsthaft befragen muss, wenn man seine Nase nicht piercen lassen will.“ Denn man schütze mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur sich selbst, sondern auch andere vor kritischen Nachfragen.
Wie sprechen wir miteinander?
Wir führen in unserer diesseitigen Dimension einen ganz ähnlichen Diskurs. Lediglich die fettgedruckten Vokabeln unterscheiden sich offenbar, der restliche Text gleicht dem Originalbeitrag unserer Welt aufs Wort.
Spaß beiseite: Natürlich handelt es sich bei den ausgetauschten Wörtern um absurde Platzhalter. Diese Änderung entspricht, das möchte ich entschieden betonen, nicht einer inhaltlichen Gleichsetzung, sondern einer bewussten Verballhornung des Artikels. Die Rhetorik jedoch, die in diesem Beitrag gegen Personen angewendet wird, welche sich einer bestimmten Maßnahme nicht unterziehen möchten, ist unverändert. Besorgniserregend ist also weniger, worüber wir reden, sondern wie wir reden. Denn auf diese Weise wird klar: Derzeit erleben wir das Gegenteil einer verständnisvollen, unvoreingenommenen und respektvollen Debatte über die Impfung.
Der Druck auf ungeimpfte Personen steigt in diesem Herbst enorm. Vor allem, wenn es nach Gesundheitsminister Jens Spahn geht. Dieser schloss eine Impfpflicht Anfang des Jahres noch aus, trug seither jedoch immer wieder Maßnahmen mit, die den Druck auf Ungeimpfte empfindlich erhöhen.
Nicht dass davor nicht ausdrücklich gewarnt worden wäre. Seit mehr als einem halben Jahr erinnern Alternativmedien daran, dass derlei Ankündigen mit Vorsicht zu genießen sind und dass über sozialen Druck und staatliche Repressionen ein „Impfzwang durch die Hintertür“ entstehen könnte, der die Impfentscheidung faktisch unfreiwillig macht. Schon im Januar 2021 schrieb der langjährige Journalist Wolfgang Jeschke einen ausführlichen Artikel dazu.
Seit einiger Zeit hat sich auch Spahns Rhetorik verfinstert. „Es gibt keine Ausreden mehr“, mahnte der Minister im Juli 2021, und wenngleich er sich weiterhin scheute, einen direkten Impfzwang zu fordern, stilisierte er die Impfentscheidung doch zu einer „patriotischen Pflicht“. Ich dachte immer, solcherlei verstaubte, populistische Vokabeln schickten sich nicht und passten allenfalls in den Wortschatz agitatorischer Parteien wie der AfD, die zu Recht für ihre provokative Sprache kritisiert wird. In dieselbe Kerbe aber schlägt Spahns Statement, das impliziert: Wer sich der Impfung verweigert, stellt sich gegen die Gemeinschaft.
Tatsächlich wiesen mittlerweile mehrere internationale Studien – unter anderem aus Oxford – nach, dass selbst doppelt Geimpfte Personen bei einer Infektion mit neuen COVID-Varianten eine vergleichbar hohe Viruskonzentration aufweisen wie Infizierte, die nicht geimpft sind. Auch Geimpfte können andere Menschen anstecken. Sich impfen zu lassen, ist also keineswegs „patriotisch“, sondern höchstens im Eigeninteresse des Geimpften, der sich vor einer Erkrankung schützen möchte – selbstverständlich ein legitimer Wunsch.
Trotzdem kann sich Spahn laut Medienberichten seit August dieses Jahres auch eine Ungleichbehandlung, konkret: eine Benachteiligung von Ungeimpften „vorstellen“. Da heißt es immer, es gebe keine Visionen mehr in der Politik. Die gibt es offenbar noch – fragwürdig ist nur, in welche Gesellschaft sie führen werden. Über die Tragweite dieser Ungleichbehandlung schrieb der Buchautor Roberto J. De Lapuente:
„Die Grundrechte des Grundgesetzes speisten sich aus naturrechtlichen Anschauungen. Naturrecht meint hier, um den Brockhaus zu zitieren, ‚Gerechtigkeitsprinzipien, die in der Natur der Sache oder des Menschen angelegt sind‘. Weil also der Mensch ein Mensch ist, stehen ihm daher naturgemäß Rechte zu — Grundrechte. Wir erleben aktuell, wie die grundrechtlichen Ansprüche in ein positives Recht, also ein vom Menschen künstlich oder willkürlich gesetztes Recht, überführt werden. Nicht weil man Mensch ist, stehen in diesem Kontext jemandem Rechtsansprüche zu, sondern weil man Grundvoraussetzungen erfüllen muss, um seine Ansprüche geltend machen zu können.“
Dass Grundrechte zu Exklusivrechten werden, widerspricht dem Geist des Grundgesetzes.
Anfang September wurde bekannt, dass die Auskunftspflicht über den Impfstatus – wenn es nach Spahn geht – von den Gesundheitsberufen in Pflege und Kliniken bald auch auf Beschäftigte in Schulen und Kitas ausgeweitet werden soll. Das wird sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern in diesen Berufsfeldern Impfdruck erzeugen.
Und ebenfalls im September meldete sich Spahn mit dem Vorschlag, Ungeimpften während der Quarantäne keinen Lohn fortzuzahlen. Vor eben dieser Maßnahme wurde im Übrigen auch schon im Januar gewarnt. Nun kann selbst eine Infektion, die asymptomatisch verläuft, zur Existenzbedrohung werden – nämlich zur wirtschaftlichen.
Die Alternative, um als ungeimpfter Bürger weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu dürfen, sind ständige Tests, die ab dem 11. Oktober 2021 kostenpflichtig werden. In fast allen Innenräumen gilt in diesem Winter die 3-G-Regel, die vielerorts faktisch auf eine 2-G-Regel hinausläuft – Studenten beispielsweise haben typischerweise kein Budget von mindestens 100 Euro pro Monat für Tests übrig. Weil man sich den Genesenenstatus schließlich nicht aussuchen kann, gilt an den meisten deutschen Hochschulen ab diesem Wintersemester im Klartext: Entweder, man ist geimpft, oder man ist kein Student. Es handelt sich, wie Ronny Ebel herausgearbeitet hat, um einen ungeheuerlichen Eingriff in die universitären Leitprinzipien der Chancen- und Bildungsgleichheit. Wer also nicht über die finanziellen Reserven verfügt, um mehrfach in der Woche Tests zu bezahlen, wird in diesem Winter ganz unsolidarisch von der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Wer will jetzt noch behaupten, die Impfentscheidung sei gänzlich frei – und niemand habe die Absicht, eine Impfpflicht durchzusetzen?
Wieder einmal wird in Deutschland unter dem Vorwand, den „richtigen“ Menschen nur Gutes zu wollen, die systematische Diskriminierung der „falschen“ Menschen zur Staatsräson. Es ist egal, wen wir als Sündenbock einsetzen. Ob Homosexueller, Ausländer, „Ossi“ oder Impfverweigerer, das Grundprinzip war und ist immer dasselbe: Kennzeichnung, Abwertung und Ausgrenzung einer Menschengruppe. Das verbietet sich in einem Rechtsstaat schlichtweg.
Und wieder einmal macht sich die Vierte Gewalt im Staat, die Medienwelt, ungeniert mit den Zielen der Regierung gemein. Wie dünn die Decke zwischen dem Narrativ einer gut gemeinten Virenbekämpfung und der Etablierung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft ist, zeigt im Sinne dieses Beitrags am besten die Satire – frei nach Wilhelm Busch: „Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß.“
Den Tonfall, in dem diese Maßnahmen gefordert werden, sollten wir gesamtgesellschaftlich zurückweisen. Die Impfentscheidung muss eine freie Entscheidung sein.
Quellen und Anmerkungen:
Den wohl gravierendsten Fall staatlicher Fahrlässigkeit in der Corona-Krise erläuterte ich bereits in meinem Artikel „Der Weg zur Normalität“ im August 2020, als es um die Frage ging, welche gesundheitlichen Schattenseiten der Lockdown aufwies:
Im Mai wollte (…) ein hochrangiges Mitglied des Bundesinnenministeriums eine Schadensanalyse der Folgen des Lockdowns in Auftrag geben und setzte sich mit dem Arzt Gunter Frank in Verbindung. Dessen erste Frage lautete etwas verblüfft, ob es denn noch keine solche Schadensanalyse gegeben habe. Allein die medizinischen Folgen der Maßnahmen sind bereits äußerst relevant — „über Monate nicht durchgeführte Operationen, Weiterbehandlungen, Früherkennungen oder Pflegeeinschränkungen“. Nein, es hatte noch keine Schadensanalyse gegeben. „Der Mitarbeiter des Bundesministeriums hätte dazu Vorstöße gemacht, aber sei jeweils auf taube Ohren gestoßen und es sei sogar mit Konsequenzen gedroht worden, sollte er nicht dazu schweigen.“
Gunter Frank arbeitete zusammen mit anderen Experten — von universitären Institutsleitern bis hin zu Klinikleitern — eine fachlich hochkompetente und belastbare Einschätzung zu den Schäden des Lockdowns aus. Dieser Bericht wurde anschließend vom Innenministerium zurückgehalten, der engagierte Mitarbeiter wurde suspendiert. Frank arbeitete das Geschehen in einem sehr lesenswerten Artikel gründlich auf.