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Jenseits von Ursache und Wirkung

Jenseits von Ursache und Wirkung

Wir sollten handeln, ohne uns vom Erfolg unserer Unternehmung abhängig zu machen.

„Wenn Sie mit einer Zeitmaschine in die Zeit Jesu reisen könnten, würden Sie versuchen, ihn zu retten?“ Diese ausgefallene Frage stellt Thriller-Autor Andreas Eschbach in seinem Buch „Der Jesus-Deal“. Ich will hier natürlich nicht das Ende verraten, aber interessant ist schon der Konflikt, der sich bei einigen Figuren des Romans aus dieser Frage ableitet. Wenn Jesus am Leben bleibt, so argumentieren einige der Zeitreisenden, wer wird dann für meine Sünden gestorben sein? Und bleibe ich dann womöglich auf meinen Sünden hocken? Diese egoistische Form der „Religiosität“ macht den Helden des Buches zornig: „Wenn man jemanden liebt, dann will man, dass er lebt! Aber ihr liebt Jesus nicht. Ihr betet nur zu ihm, weil ihr Angst habt vor der Hölle. Oder? So ist es doch? Es ist ein Deal für euch. Ihr glaubt und betet, damit ihr später in den Himmel kommt. Es ist ein knallhartes Geschäft.“

Die Darstellung der Religion als einen Deal zwischen den Gläubigen und ihrem Gott in einem Unterhaltungsthriller ist bemerkenswert. Dorothee Sölle, streitbare Theologin und Autorin des Klassikers „Mystik und Widerstand“, hatte dasselbe Wort benutzt: „Mystik ist kein Deal“, schreibt sie. Was ist damit gemeint? Ein klares Nein zum spirituellen Kapitalismus, zur Interpretation des Gott-Mensch-Verhältnisses als einer Handelsbeziehung.

„Ich glaube, dass man Religion nur versteht, wenn man die Liebe zu Gott ohne Warum, ohne Zwecke, ohne Bezahlung denken kann. Wenn die Liebe zu Gott, also das wichtigste Gebot, nichts ist als ein Deal, ein Handel, dann zerschellt sie an der bitteren Ungerechtigkeit des menschlichen Leidens.“

Gegen den „Geist der Kaufmannschaft“

Ist die Liebe zu Gott — und ebenso zu unseren Mitmenschen und anderen Geschöpfen — „ohne Warum“, so verweigert sie sich dem Gutsein aus Berechnung. „Sie (die Liebe zu Gott) kann nicht von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig gemacht werden. Das ‚Do ut des‘-Prinzip (Ich gebe, damit du gibst) hat hier nichts zu suchen, der ‚Geist der Kaufmannschaft‘, wie Meister Eckhart es nennt, ist hier ausgeschlossen“ (Sölle). Schon an dieser einfachen Überlegung zeigt sich, inwiefern Mystik Widerstand sein kann. Der „Geist der Kaufmannschaft“, von dem Meister Eckhart sprach, er hat sich in jüngerer Zeit bei uns zur Karikatur gesteigert.

Der Ökonomismus, das Prinzip, dass alle Lebensbereiche nach Kategorien von Tauschgeschäften bewertet werden, regiert. Man sieht das zum Beispiel am Verfall der Krankenhäuser, die längst schon nicht mehr in erster Linie Menschen helfen, die vielmehr für ihre Besitzer Profite generieren sollen. Der geistige Widerstand gegen dieses Prinzip wäre der Beginn von widerständigem Handeln überhaupt.

So ist der Neoliberalismus wohl ein Spezialfall des Ökonomismus und Ökonomismus seinerseits ein Spezialfall des Zweckdenkens — der Annahme, dass jede Handlung einen angemessenen Grund und Zweck besitzen müsse. Das Gegengift gegen diese fragwürdige und in ihren Auswirkungen äußerst destruktive Denkrichtung ist die Mystik, eine Philosophie des „Ohne Warum“. Sie löscht das „Weil“ oder „Um zu“ aus und ersetzt es durch ein Handeln „Um seiner selbst willen“.

Eine bedeutende Sufi-Heilige — islamische Mystikerin — war Rabia von Basra (gestorben 801). Einmal wurde sie gesehen, wie sie mit einer Fackel in der einen und einem Eimer Wasser in der anderen Hand durch die Straßen lief. Gefragt, warum sie das tue, antwortete Rabia:

„Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und niemand mehr Gott aus Angst vor der Hölle oder aus Hoffnung auf das Paradies anbetet, sondern nur noch um seiner eigenen Schönheit willen.“

Nichtkapitalistische Spiritualität wird in diesem Sinn nicht mehr ihre Wirkung kalkulieren und sich nicht in berechnendem Duckmäusertum gegenüber einem imaginären himmlischen Vorgesetzten erschöpfen. Sie gedeiht immer jenseits von Ursache und Wirkung, entsteht spontan in einem Menschen, der liebt, staunt und aus übervollem Herzen die Quelle der Schöpfung anruft, die er ahnt.

Tanzen, als ob niemand zusieht

Freilich kann das Prinzip des „Ohne Warum“ nur verstanden werden, wenn wir es in seinen verschiedenen Verzweigungen in verschiedene Lebensbereiche verdeutlichen. Kunst ohne Warum will nicht um jeden Preis gefallen; sie ist authentischer Ausdruck dessen, was aus einem Künstler „herauswill“. Politisches Engagement ohne Warum macht sich nicht abhängig vom Gelingen eines Unternehmens, der Aktivist handelt vielmehr, weil er nicht anders kann:

Die Formulierung „Ohne Warum“ geht auf ein Gedicht des Barock-Lyrikers und Mystikers Angelus Silesius (1624 bis 1677) zurück. Das Originalzitat lautet:

„Die Rose ist ohne Warum.
Sie blühet, weil sie blühet.
Sie achtet nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.“

Der wiederum bezieht sich auf den mittelhochdeutsche Vorläuferbegriff, den Meister Eckhart (1260 bis 1328) geprägt hat: „Sunder warumbe“. Eckhart schrieb hierzu:

„Gott hat kein ‚Warum‘ außer und neben sich, und auch seine Liebe ist grundlos. Ebenso sind auch göttliche Werke des Menschen dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne Grund vollbracht werden. Was einen Grund hat, besteht um des Grundes willen und ist ihm somit untergeordnet. Das Grundlose ist sein eigener Grund und Zweck und damit höherrangig als das, was einer Begründung durch etwas anderes bedarf“ (zitiert aus Wikipedia).

Die Rose, die ohne Warum existiert, „fragt nicht, ob man sie sieht“, ist also frei von Beliebtheitserwägungen und Sorgen darüber, wie sie auf andere wirken könnte. Ihr fehlt jeder außenwirkungsgesteuerte Opportunismus.

„Tanze, als ob niemand zusieht“ heißt es in einem verbreiteten Kalenderspruch. Was unterscheidet diese Art von Tanz von jener, bei der der Tänzer bemüht ist, „anzukommen“? Vor allem Authentizität. Und Anmut, was nicht unbedingt mit gespreizter Eleganz identisch sein muss. Eher mit einer Natürlichkeit, die entsteht, wenn man das Sosein einer Handlung nicht durch übermäßige Bewusstheit eintrübt. In seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater“ hat Heinrich von Kleist diese Anmut des Vorbewussten beschrieben. Dorothee Sölle spricht in ähnlicher Weise vom „Sichvergessen“. In einer wunderbaren Formulierung schreibt sie:

„Das Schöne zieht uns zu Gott, bringt uns in einen Zustand, der mit Kaufen und Verkaufen nichts zu tun hat, aber mit Staunen und Stillwerden, mit Sichwundern und vielleicht Summen, mit Sichvergessen und mit Glück.“

Die Tyrannei des „Um zu“

Schönheit gehört zu den Phänomenen, die uns gerade in der Natur immer wieder anspringen. Auch ohne „Kreationisten“ im Sinne des US-amerikanischen Bibel-Fundamentalismus zu sein, haben wir beim Anblick von Blumen häufig das Gefühl, lebendige Kunstwerke vor uns zu haben. Schon unter botanischen Gesichtspunkten ist das von Angelus Silesius angesprochene grundlose Blühen der Rose hochinteressant.

In Naturfilmen wird bei Pflanzen gern das Zweckmäßige ihrer körperlichen Ausstattung, werden ihre Überlebensstrategien betont. So dienen die Dornen zur Abwehr von Feinden, der Duft lockt Insekten zur Bestäubung an, ebenso wie die leuchtenden Farben der Rose. Stempel, Narbe und Staubgefäße bei Blumen dienen der Fortpflanzung, Blätter bewerkstelligen mit ihrem Chlorophyll die Fotosynthese und so weiter.

Alles an der Blume ist damit erklärt, nur nicht ihre Schönheit. Nur nicht ihr schlichtes Dasein, dessen Sinn sich einer rationalen Betrachtung entzieht. Wozu die ungeheure Fülle der Farben und Formen bei Pflanzen? Hätten nicht wenige, hässliche oder unscheinbare Arten ebenso ihren Zweck erfüllt? Und von welchem Zweck sprechen wir eigentlich? Wenn das (Über-)Leben der Zweck aller Einzelfunktionen einer Blume ist — welches ist dann der Zweck ihres Daseins selbst?

Wir alle leben unsere Leben unter der Tyrannei des „Um zu“. Wir studieren, um Erfolg in der Arbeit zu haben. Wir bewerben uns, um arbeiten zu können. Wir arbeiten, um Geld zu verdienen. Wir brauchen Geld, um zu konsumieren. Wir benehmen uns freundlich, um anderen Menschen zu gefallen. Wir wollen Menschen gefallen, um nicht allein zu sein. Wir absolvieren Freizeit, um Kraft für die Arbeit zu sammeln. Wir trainieren unseren Körper, um gut auszusehen. Wir wollen gut aussehen, um Erfolg beim anderen Geschlecht zu haben. Wir wollen Erfolg beim anderen Geschlecht haben, um sexuelle Befriedigung zu finden. Wir ersehnen sexuelle Befriedigung, um eine innere Leere auszufüllen — und natürlich um der Fortpflanzung der Art Genüge zu tun.

Auch auf geistigem Gebiet setzt sich die Herrschaft des „Um zu“ fort: Wir machen Meditationsübungen, um spirituell zu wachsen. Wir wollen spirituell wachsen, um von innerer Unruhe und Minderwertigkeitsgefühlen befreit zu werden. Wir benehmen uns anständig, damit uns Gott liebt und uns Strafe erspart. Wir unternehmen alles, um weiterleben zu können, und wir leben, um Lebenserfahrung daraus zu ziehen. Wir kurieren an unserem Körper herum, um spät zu sterben, und optimieren unsere Seele, damit uns ein guter Jenseitsstandort oder gute Wiedergeburt beschieden ist.

Kniefall vor den Sachzwängen

Diese Tyrannei des „Um zu“ vergiftet jeden unserer Lebensbereiche. Wir sind unfähig, Vorgänge und Handlungen um ihrer selbst willen zu vollziehen und zu genießen. Anders herum gesagt: Ohne „Ohne Warum“ bleibt unser Leben ein öder Dauerkniefall vor den Sachzwängen.

Ohne Warum ist vielleicht sogar die Existenz des Universums selbst. Gerade spirituelle Menschen fassen diesen Gedanken normalerweise nur ungern ins Auge und konstruieren deshalb mit Vorliebe das Bild eines kosmischen Schulleiters, Gott genannt, der uns mittels Lernerfahrungen und Prüfungen von Klasse zu Klasse aufsteigen lässt.

Zu welchem Zweck? Verschmelzung der Seele mit Gott selbst? Das wäre ein denkbarer Sinn, es erklärt aber nicht, warum sich die Seelen überhaupt zuvor von Gott getrennt haben sollen. Gerade das Zyklische, das Hin und Her zwischen den Polaritäten — Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Geburt und Verfall —, kann leicht den Eindruck von Sinnlosigkeit erwecken.

Ich selbst bin auf dem Gebiet der „Ohne Warum“-Philosophie keine Naturbegabung. „Wer ein Warum im Leben hat, erträgt fast jedes Wie“, war ein für mich sehr prägender Satz, der ursprünglich von Nietzsche stammt. Nachdem das „Ohne Warum“ als Idee in meinem Kopf Raum gegriffen hatte, entdeckte ich aber immer mehr mein Gefallen am Zwecklosen.

Ich hatte oft über die nicht wirklich wichtigen Gegenstände gespottet, die meine Frau auf Märkten und in Geschenkläden mit großem Vergnügen zu erwerben pflegte — etwa über auf Holzstäben in die Gartenerde gepflanzte Riesenchristbaumkugeln oder über ein Mobile, bestehend aus Querstangen und bunten Perlen. Zweck: unklar. Heute glaube ich, meine Frau hat recht. Eine kindliche Spielfreude kann uns mit dem Nichtnotwendigen verbinden, denn das Notwendige gemahnt uns doch immer schmerzhaft an eine zu wendende Not, an Druck und Zwang. Ich habe uns zu Ostern einen völlig zweckfreien, jedoch niedlichen Stroh-Osterhasen als Tischdeko gekauft.

Arbeit, die nicht als Arbeit empfunden wird

Ich gestehe auch, dass ich abstrakte Kunst nicht so mochte, weil sich mir deren Sinn nicht erschloss. Heute schätze ich gerade das nicht gegenständliche, nicht didaktische Spiel mit Farben und Formen, wie es etwa in den Werken von Paul Klee oder Friedensreich Hundertwasser zum Ausdruck kommt. „Die Arbeit muss unregelmäßig organisch wachsen können, nach Gutdünken, Augenmaß und eigenem Gefühl und Gewissen des ‚Arbeiters‘, der dann gar kein ‚Arbeiter‘ mehr ist, sondern ein freier Mensch“, schrieb Hundertwasser.

Die Freiheit von außengesteuerten Sachzwängen — arbeiten, um überleben zu können — muss erreicht werden, damit der Mensch im vollen Wortsinn Mensch sein kann. Ebenso aber die Freiheit von inneren Zwängen — etwa dem Bedürfnis zu ständiger Selbstoptimierung.

Sogar die Frage „Was macht dieses Erlebnis aus mir?“ ist störend, weil sie jedes Erleben im Sinne einer „Lernerfahrung“ verwertbar machen will. Das Paradigma des Persönlichkeitswachstums, gerade in der spirituellen und der Psychoszene gang und gäbe, ist vom Sockel zu stürzen. Uns beständig selbst bespähend, „wachsen“ wir andernfalls in eine Schrumpfform des Menschlichen hinein: den Homo faber, den zweckgerichtet tätigen Menschen.

Ihm gegenüber steht der Homo ludens, der zweckfrei Spielende. Friedrich Schiller unterscheidet in seinen ästhetischen Schriften zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit. Schönheit und Freiheit gehören bei ihm zusammen, und im Spiel drücken sich beide in Vollendung aus:

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Kindern fällt es relativ leicht, in die entrückte Welt des freien Spiels einzutauchen, sich freudig ganz dem Fluss des Augenblicks anzuvertrauen und ganz „ohne Warum“ einfach da zu sein. Der schlimmste Missbrauch besteht wohl darin, selbst dieses kindliche Spiel noch mit Blick auf optimales Funktionieren in der Schule und später im Berufsleben zu instrumentalisieren. So wird die Weiche zum einseitig entwickelten Homo faber gestellt.

Es gibt in unserer technokratisch verwalteten Welt so viele vom übermäßigen Denken angeschwollene Schädel, aus denen erschöpfte und leere Augen blicken — und so wenig ganz einfache Freude am Spiel.

Arbeit ohne Lohn und ohne nach dem Erfolg zu schielen, ja selbst ohne ein Empfinden von Arbeit: Hundertwasser, der große Visionär des menschenwürdigen Wohnungsbaus, hat dies — neben anderen Denkern — zum Ideal erklärt. Erfolg ist doch immer der Beweis dafür, dass wir uns dienstbeflissen an Menschen angepasst haben, die eigentlich gar nicht das Recht haben, uns zu beurteilen, wohl aber die Macht, uns zu schaden. Anderen zu gefallen muss nicht künstlich vermieden werden, es ist aber eher ein Nebenprodukt wahrer Authentizität. Das Schielen nach einem „Markt“ für das, was wir erzeugen, vergiftet schon den Prozess des Erzeugens. Wirkungsopportunismus leitet den freien Fluss schöpferischer Energie in enge Kanäle. Was wir wollen und was wir sind, wird auf diese Weise umstellt von „Dos“ und „Don‘ts“.

Politisches Zweckdenken

Wir tanzen nicht, um beim Tanz unseren Partner zu übertrumpfen, und in einem Streichquartett gibt es keinen Sieger außer dem Ganzen, also der gemeinschaftlich erzeugten Schönheit. Kunst ohne Gewinnabsicht ist liebenswert — ebenso im Übrigen Kunst ohne die Absicht klassenkämpferischen Siegens. Und hier sind wir beim heiklen Thema des politischen Zweckdenkens, das ja, wenn der Zweck mehr Menschlichkeit ist, zunächst zu bejahen ist. Freilich ist eine gerechtere Welt wünschenswert, aber sie darf nicht zum rigiden „Warum“ absolut jeder menschlichen Tätigkeit werden. Der Sieg in der politischen Auseinandersetzung könnte von genussunfähigen Siegern nicht mehr genossen werden.

Ohne Freiheit, Schönheit und Spiel gibt es kein lebenswertes Leben — selbst in einer noch so gut konstruierten Gesellschaftsordnung. Das Paradoxe ist: Wer den Erfolg anbetet, selbst den im Kampf gegen den Kapitalismus, das Corona-Regime oder die Kriegsindustrie, hat sich den Denkmustern seiner Gegner bereits unterworfen. Dorothee Sölle schreibt hierzu:

„Aber das letzte Kriterium der Beteiligung an widerständigem, an solidarischem Verhalten kann nicht der Erfolg sein, das hieße, immer noch nach der Melodie der Herren dieser Welt zu tanzen.“

Politischer Erfolg, der den nach Umsturz Strebenden übermäßig dem angleicht, was gestürzt werden muss, ist nichtig. Was wäre denn unser Erfolg wert, wenn es gar nicht mehr wir selbst wären, die ihn erringen? Es wäre so wichtig, in der Auseinandersetzung mit den negativen Gewalten aus Politik und Wirtschaft zu siegen, die alles Leben auf diesem Planeten zu ersticken drohen. Ich möchte nicht in der Weise missverstanden werden, dass mir das egal wäre. Dies bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass jedes Ding, jedes Kunstwerk und jedes Handeln beständig seine Tauglichkeit für den politischen Kampf zu beweisen hätte. Die Rose ist nicht konterrevolutionär, nur weil sie für die Revolution nicht unmittelbar verwendbar ist. Und Schuberts „Winterreise“ muss sich nicht dafür entschuldigen, dass sie nicht für einen Demo-Sprechchor taugt.

Der erfüllte Augenblick

Wünschenswert wäre eine Rückbesinnung auf den erfüllten Augenblick. Man kann ihn mit etwas Aufmerksamkeit und der Fähigkeit zu liebevoller Betrachtung fast immer und überall erspüren. Auch in politisch eher bedrückenden Zeiten. Dieser Augenblick, und nicht ein vertröstendes „Später“ oder „Danach“, ist auch Hauptgegenstand einer glaubwürdigen Spiritualität. Wer das Jetzt nicht zu genießen weiß, wird das Danach, sobald es zum Jetzt geworden ist, wahrscheinlich auch wieder verhunzen.

In Umkehrung des vorhin zitierten Nietzsche-Spruchs kann man sogar sagen: Wer das „Wie“ in jeder Situation ansprechend zu gestalten weiß, der braucht sich ein „Warum“ nicht herbeizukonstruieren. Viele sind in der jetzigen Weltlage aus vermeintlich gutem Grund unglücklich. Versuchen wir etwas anderes: grundlos glücklich zu sein. Damit trotzen wir den Gewalten, die uns niederzuhalten versuchen, vielleicht mehr als durch laute Anklage.


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