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Jenseits der roten Linie

Jenseits der roten Linie

Der UN-Migrationspakt offenbart eine Einstellung, die Menschen nicht als Subjekte, sondern als Verfügungsmasse staatlicher Lenkungsmechanismen betrachtet.

Die Erfahrungen aus dem menschenverachtenden System des Nationalsozialismus sind Grundstein unseres Grundgesetzes (1). Nie wieder sollte sich eine Gruppe von Menschen aufgrund einer Ideologie über andere Menschen erheben und ihnen somit das Menschsein absprechen können (2). Fassungslos konnte man daher nur zur Kenntnis nehmen, dass kürzlich dem Pianisten Igor Levit, der in der Vergangenheit öffentlich einen AFD-Politiker als „Dreckspack“ bezeichnet und bekundet hatte, „AFD-Mitglieder haben das Menschsein verwirkt“ (3), das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde.

Es wurde eine rote Linie überschritten und bringt zum Ausdruck, was sich bereits und spätestens seit Beginn der Corona-Krise offen abzeichnet: das verachtende Menschenbild vieler, insbesondere politischer Akteure.

So erläutert der Bundespräsident, „dass das Engagement gegen Antisemitismus, die Ausgrenzung von Minderheiten und der Einsatz für die Demokratie“ des Pianisten zu ehren sei (4). Vergessen zu haben scheinen die Beteiligten hierbei, dass auch unliebsamen gegnerischen Genossen eine unantastbare Würde zugebilligt werden muss. Es fragt sich mithin, ob die politische Legitimierung der Missachtung solcher Grundsätze mittlerweile die Spitze des Landes erreicht hat.

Sicher müssen die ebenfalls menschenverachtenden Äußerungen und die Haltung des ehemaligen AFD-Fraktionssprechers Christian Lüht, „aus politisch taktischen Gründen Migranten zunächst ins Land zu lassen, um dann gegebenenfalls in Erwägung zu ziehen, diese Immigranten erschießen oder vergasen zu wollen“ (5), scharf sanktioniert und kritisiert werden.

Jedoch sollte diese Geisteshaltung niemals als Rechtfertigung dienen, ihrem Träger die Würde absprechen zu wollen, denn hierin unterscheidet sich die Tyrannei von der Freiheit. Entsprechende Konsequenzen sucht man hinsichtlich der öffentlich diskutierten Forderung, Abtreibungen selbst Lebensfähiger legalisieren zu wollen (6), ebenfalls vergeblich. Und so wird unter dem Deckmantel angeblicher Frauenrechte auch der Respekt vor dem entstehenden Leben in Abrede gestellt und der vorherrschende politische Narzissmus offen zutage getragen.

Diese inakzeptablen Geisteshaltungen werden durch einige Massen- beziehungsweise Leitmedien unkritisch verbreitet. Scheinen sie doch ihre originäre Kontroll- und Warnfunktion, auch solche Verstöße gegen unsere unantastbaren, von herrschender politischer Wertvorstellung unabhängigen, geschützten Verfassungswerte (7) aufzudecken, mittlerweile im Rahmen des für sich entdeckten Haltungsjournalismus neu zu interpretieren: Kontrolle durch Geltendmachung eines eigenen politischen Machtanspruchs.

Im Zusammenspiel mit der überwiegend staatskonformen Berichterstattung im Rahmen der Corona-Krise wäre es wünschenswert, gerichtlich zu klären, inwieweit die Verantwortlichen ihre Grundrechte gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes auf Pressefreiheit und Meinungsfreiheit verwirken können, wenn sie in dieser Weise gegen die freiheitliche, demokratische Grundordnung arbeiten. Denn jeder hat die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Diskriminierungsverbot, das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, aber auch die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien zu achten (8).

Die undemokratische und unmenschliche Migrationspolitik

Demokratie bedeutet Herrschaft durch das Volk; die Volkssouveränität ist Ausgangspunkt von Entscheidungen und nicht die Herrschaftsgewalt eines obrigkeitlichen Staates oder sonstiger Interessenträger.

Nicht der Bürger steht im Gehorsamsverhältnis zum Staat, sondern die Regierung ist dem Bürger im Rahmen der Gesetze verantwortlich für ihr Handeln.

Der Bürger hat das Recht und die Pflicht, die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn er glaubt, dass sie demokratische Rechte missachtet (9).

Dass sich jedoch diese Missachtung auf internationaler Ebene bereits fortsetzt, lässt sich an dem im Migrationspakt (10) skizzierten Menschenbild klar verdeutlichen. Zwar wird der Mensch namentlich in den Mittelpunkt gestellt (11), doch nicht als selbstbestimmtes, freiheitliches Wesen, sondern als Teil einer Migrationspolitik, die „das Ergebnis einer beispiellosen Überprüfung von Fakten und Daten, die im Rahmen eines offenen, transparenten und inklusiven Prozesses gesammelt wurden, ist“.

Der Mensch wird somit durch die Migrationspolitik zum Objekt globaler Lenkungsmechanismen gemacht und kann und soll so zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielland (12) gewinnbringend gesteuert werden. Denn Migration ist nach Meinung der Verfasser „in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung, und diese positiven Auswirkungen müssen daher durch eine bessere gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können (13) mit dem Ziel, sie zum Nutzen aller zu gestalten“ (14).

Dass die als Migranten identifizierten Menschen hierbei weder gefragt werden, noch eingewilligt haben und kaum zum Kreise der primären Nutznießer gerechnet werden dürften, belegt eindrucksvoll die Feststellung unter Ziffer 13 des Paktes, die zum Ziel seiner Durchsetzung „Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel und Bemühung um Alternativen“ vorsieht.

Um den Migranten als Ressource bestmöglich steuern und nutzen zu können, muss die Erhebung und Nutzung korrekter und aufgeschlüsselter Daten als Grundlage für eine Politikgestaltung erfolgen. Hierzu verpflichten sich die politisch Verantwortlichen, die „globale Faktengrundlage zur internationalen Migration zu stärken und zu diesem Zweck die Erhebung, Analyse und Verbreitung genauer, verlässlicher und vergleichbarer Daten, die nach Geschlecht, Alter, Migrationsstatus und anderen im nationalen Kontext relevanten Merkmalen aufgeschlüsselt sind, zu verbessern und darin zu investieren und dabei gleichzeitig das Recht auf Privatheit gemäß den internationalen Menschenrechtsnormen zu wahren und personenbezogene Daten zu schützen“.

Diese Datenerhebung der menschlichen Ressource soll die „wirksame Überwachung und Evaluierung der Umsetzung der Verpflichtungen im Laufe der Zeit ermöglichen“ (15). Ein unmittelbarer Widerspruch, denn eine globale Überwachung, Evaluierung und Kontrolle des Migrantenstatus sind mit dem angeblich berücksichtigten informationellen Selbstbestimmungsrecht eines betroffenen Menschen nicht vereinbar, da gerade dies durch die Datenhoheit beim Betroffenen verhindert werden soll.

Die vorgesehene Rolle der Medien im Rahmen der Migrationspolitik

Die Rolle der Medien wird unter Ziel 17 c) des Paktes beschrieben. Hiernach soll „unter voller Achtung der Medienfreiheit eine unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien, einschließlich Informationen im Internet, unter anderem durch Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden hinsichtlich Migrationsfragen und -begriffen, durch Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung und Werbung gefördert werden. Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern, soll hingegen die materielle Unterstützung und die finanzielle Förderung entzogen werden.“

Vielleicht lässt sich vor diesem Hintergrund auch der derzeitige Reflex der überwiegend staatskonform berichtenden Massenmedien erklären, jeden Regierungskritiker mit einem entsprechendem Stempel versehen zu wollen. Doch wie objektiv ist die Berichterstattung hinsichtlich eines Themas, wenn hierfür eine staatliche Finanzierung erfolgt, und ab wann handelt es sich um staatliche Erpressung?

Ursachenpolitik statt Herrschaftswillen

Die im Migrationspakt skizzierten Ziele, wie etwa die Zusicherung von Grundrechten und Menschenrechten (16) und eine nachhaltige Existenzgrundlage für Menschen aufbauen zu wollen (17), sind wünschens- und erstrebenswert. Sie können jedoch niemals Ergebnis einer globalen oder sonstigen Regierungsindoktrination und damit eingeforderter menschlicher und nationaler Unterordnung sein. Hieran ändert auch die im Migrationspakt zugesicherte nationale Souveränität und Rechtsstaatlichkeit nichts (18), wenn weiterhin die Frage, ob ein Mensch als Migrant zu behandeln sei, durch einen hoheitlichen oder sich selbst ermächtigenden (Regierungs-)Akt und nicht auf Grundlage einer freien Willensbildung des Betroffenen beantwortet wird. Denn die Zweckheilung des Mittels ist der Demokratie wesensfremd.

Rechtsstaatlichkeit bedeutet Herrschaft des Rechts und nicht Herrschaft Einzelner oder Interessenträger durch das sie ermächtigende Recht.

Der Pakt ist offiziell zwar nur ein unverbindliches Abkommen. Bei Durchführung dürfte jedoch der Grundsatz gelten, dass vertragliche Vereinbarungen, die einen Dritten benachteiligen, rechtlich unwirksam und oftmals als sittenwidrig zu bewerten sind. Ein hoheitliches Eingreifen kann sich daher stets nur auf Nothilfe und die Abwendung von konkreten, nicht anders abzuwehrenden Gefahren erstrecken.

Die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind vielfältig: etwa aufgrund ökonomischer Ursachen, Handlungen krimineller Nichtregierungsorganisationen oder Kartelle, einer fehlenden Einwanderungspolitik und hiermit gesetzter Anreize (19). Umso vielfältiger müssen auch die Lösungswege gesucht werden. Es dürfte nicht dem natürlichen Bedürfnis eines Menschen — insbesondere aufgrund seiner emotionalen Bindung zu seinem Heimatland — entsprechen, dieses freiwillig verlassen zu wollen.

Soziale und gesellschaftliche Nachteile dürften oftmals nur dann Motivation sein, wenn sie einen konkreten Leidensdruck auslösen oder manipulativ falsche Anreize durch Dritte gesetzt worden sind. Vor diesem Hintergrund wirft insbesondere eine im Jahre 2010 für die Europäische Kommission angefertigte Studie zur Kapazitätsprüfung europäischer Länder doch die dringende Frage auf, warum beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland von einer zusätzlichen Aufnahmefähigkeit von weiteren 192 Millionen Menschen ausgegangen wird und in welchem Kontext diese Studie zu verstehen ist.

Zukunftsvision

Möchten Deutschland und Europa über ihre Grenzen hinaus Vorbild einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft werden, erfordert es eine uneitle Ursachenpolitik ohne Herrschaftswillen, ein dem Zweck dienendes Wollen der politischen Akteure; im Kern die Hilfe zur Selbsthilfe und nicht die Hilfe zur Fremdbereicherung mit menschlichen Nebenerfolgen. Denn eine freie Gesellschaft kann niemals aus der Selbsterhöhung Einzelner entstehen, sondern setzt zwingend die Anerkennung der Souveränität und des freien Willens des anderen voraus. Gerade und insbesondere wenn es sich — wie bei Migranten — um schützenswerte Minderheiten handelt. Denn die Menschenwürde ist nicht verhandelbar.


Quellen und Anmerkungen:

(1) BVerfG, Urt. 25.2.75 in Verb. m. BVerfG 2, 1 (12) u. BVerfGE 39, 67
(2) Die Menschenwürde im Nationalsozialismus, Susanne Hahn, Grin-Verlag 2010, Seite 23 folgende
(3) Igor Levit, Twitternachricht 2015
(4) https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Frank-Walter-Steinmeier/2020/10/201001-Verdienstorden-TdDE.html?nn=2236336
(5) Sinngemäß, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1142430.christian-lueth-afd-fraktion-wirft-ex-sprecher-lueth-fristlos-raus.html, https://www.n-tv.de/politik/AfD-Fraktion-schmeisst-Ex-Sprecher-raus-article22064354.html,https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afd-christian-lueth-lisa-licentia-100.html
(6) https://www.welt.de/politik/deutschland/article200630300/Paragraf-218-SPD-Vorsitzkandidaten-wollen-Abtreibung-legalisieren.html
(7) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) sind dies die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit.[2] , BVerfGE 144, 20–367
(8) BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (140)
(9) Das Zitat wird Gustav Walter Heinemann (* 23. Juli 1899, † 7. Juli 1976), deutscher Politiker und dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, zugesprochen.
(10) Auf Grundlage der Zwischenstaatlichen Konferenz zur Annahme des Globalen Paktes für eine sichere, geordnete und reguläre Migration vom 30. Juli 2018
(11) Ebenda Nr. 15 a)
(12) Ebenda
(13) Ebenda Nummer 10
(14) Ebenda Nummer 11 folgende
(15) Ebenda Ziel Nr. 4, Nummer 20
(16) Ebenda Nummer 4
(17) Ebenda Nummer 12
(18) Ebenda Nummer 15 folgende
(19) Weitere Informationen zum Beispiel Christian J. Jäggi, Migration und Flucht, Verlag Springer Gabler, Berlin, Erscheinungstermin: 11. Mai 2016

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