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"Ich bin Anwohner und gehe nur kurz zu Edeka. Danke!"

"Ich bin Anwohner und gehe nur kurz zu Edeka. Danke!"

Beobachtungen eines Couch-Potatos in einer belagerten Stadt.

Fenster zu, Vorhänge zu und der Tag hat wieder Qualität. Halbwegs jedenfalls. Denn dass man die Sonne aussperren muss, die bei uns selten so strahlend am Himmel steht wie in diesen Tagen des Wahnsinns, tut schon weh.

Und das Schlagen der Rotorblätter, die unsere Luft rund um die Uhr in Stücke hauen, ist auch bei geschlossenen Fenstern nicht einfach zu ertragen. Also mehr als der Bericht eines Couch-Potatos ist nicht drin, Rubikon.

Moment, ich bekomme gerade eine Mail von einem Freund in Harvestehude. Nee, das glaube ich nicht. Schreib ich ihm so auch zurück. Doch, doch, antwortet er, genauso wars. Hier sein Text: „Die zwei schweren Militärhubschrauber, welche seit ca. 07:00 Uhr die Trump Villa in einem Radius von 4 Km umkreisen, sind links unter der Kanzel mit ausladenden Kameraobjektiven ausgestattet. Sie haben meine Filmaktivitäten bemerkt, jedenfalls stand eben ein kleiner Polizeihubschrauber 10 Minuten lang vor meinem Küchenfenster und hat mich mit seiner Kamera ins Visier genommen. Wo sind jetzt diese Aufnahmen von mir!?!“

Vorhänge zu, sag ich doch. „Hamburg ist jetzt eine Hochsicherheitsstadt so wie Riad eine wäre, oder Peking, oder jede andere Metropole eines Unrechtsstaats. Das ist eine Schande,“ schrieb Jakob Augstein am Donnerstag im Freitag. Wo er recht hat, hat er recht. Inzwischen haben die meisten Menschen begriffen, dass die Politik, die ihr Leben bestimmt, in einem Paralleluniversum gestrickt wird, von einfältigen, machtgeilen, industriehörigen, empathielosen Individuen, die jegliche Bodenhaftung verloren haben und deren mentaler Zustand mit dem Begriff geisteskrank noch milde umschrieben ist. Eigentlich gehörten sie längst zur Rechenschaft gezogen, aber wer sollte das tun und in welcher Form? So stellen wir der fürchterlichen Macht unsere furchterregende Ohnmacht gegenüber.

Auweia! Christiane S. meldet auf Facebook, dass die Polizei am Baakenhafen einen Bus festhält und von den Fahrgästen verlangt, ihre Handys zu entsperren, weil sie sehen wollen, mit wem die telefoniert haben.

Ich habe kein Smartphone. Wäre ich dafür im Knast gelandet? So wie man in einigen Jahren vermutlich im Knast landen wird, wenn man den Kontrolletti-Chip nicht unter der Haut trägt. Übrigens: um den „effektiven Rechtsschutz“ wird sich auf dem G20-Gipfel natürlich auch gekümmert, und das an vorderster Front, dort wo die vermummten Greifer mit den ledernen Schienbeinschonern ihre Verhaftungen an denjenigen vornehmen, welche ihrer Aufforderung, den Schal vom Gesicht zu nehmen, nicht schnell genug nachkommen.

Hamburgs ganzer Stolz: Eine Gefangenensammelstelle

Für diese gefährlichen Gewalttäter ist in der 11 000 Quadratmeter großen Halle eines früheren Lebensmittelgroßmarktes eine „Gefangenensammelstelle“ eingerichtet worden. Sie verfügt über 400 Plätze (70 Sammel- und 50 Einzelzellen) sowie eigene Container für Rechtsanwälte. Außerdem gibt es genügend Räume, in denen die Polizei die Festgenommenen fotografieren und ihnen Fingerabdrücke abnehmen kann. Die Sammelstelle, so der Senat, soll bundesweit Maßstäbe setzen. Die Kosten für die Unterbringung der „Krawallmacher“ waren bei Baubeginn mit drei Millionen Euro beziffert worden. In der Stadt der Elbphilharmonie heißt das nichts, die Summe dürfte sich locker verdreifacht haben. Jedenfalls bleiben die Verhafteten solange an diesem Ort, bis das nahe gelegene Gericht über einen Haftbefehl entschieden hat.

Nun habe ich mich doch in die Stadt gewagt. Seit einer Woche liegt ein Paket für mich am Hühnerposten, wenn ich es heute nicht hole, geht es zurück. Im Bus der Linie 5 laufen Durchsagen vom Band, die darüber informieren, welche öffentlichen Verkehrsmittel während des Gipfels umgeleitet werden oder gar nicht verkehren. Eine dieser Ansagen lautet: „Aufgrund von Straßensperrungen wird die Buslinie 25 zwischen den Haltestellen UKW und Sachsenstraße nicht bedient“. Plötzlich sehe ich nur noch grinsende Gesichter um mich herum, bis auf die paar Herrschaften von außerhalb, die den Grund für den kollektiven Heiterkeitsanfall natürlich nicht wissen können. Die Haltestelle der Linie 25 heißt nicht UKW sondern UKE, eine Abkürzung für das Universitätskrankenhaus Eppendorf, das wegen seiner ärztlichen Kunstfehler regelmäßig von sich reden macht.

Das Paket wurde gestern zurück geschickt. Auf dem Weg nachhause lacht neben mir im Bus ein etwa 14jähriger Punk auf. Bevor ich ihn fragen kann, was ihn so erheitert, zeigt er mit sein Handy. Ich sehe das Foto eines Mannes um die dreißig, der ein handbeschriebenes Pappschild über den Kopf hält, während er an einer verblüfften Polizeikette vorbei geht. „Ich bin Anwohner und gehe nur kurz zu EDEKA. Danke“, steht auf dem Schild. Mein junger Sitznachbar kriegt sich gar nicht mehr ein. Sollte mir vielleicht auch so ein Schild malen, scheint zu helfen.

Bevor ich mich wieder in meiner Wohnung verschanze, schaue ich noch bei „Nur Hier“ vorbei, wegen der leckeren Laugen-Croissants. Die Verkäuferin diskutiert mit einem Schüler im St.Pauli-Shirt über den Gipfel. Ein Mann im bekleckerten Malerkittel mischt sich ein. Ich höre nicht hin, das habe ich mir unter politisierenden Erwachsenen schon vor längerer Zeit abgewöhnt.

Ein Helikopter schwebt 20 Meter über unserer Kreuzung. „Eine Riesensauerei ist das,“ schreit der Maler, „was denken die sich eigentlich? Sollen sich diese Verbrecher doch auf einem Flugzeugträger in die Südsee verpissen, aber doch nicht mitten in unserer Stadt!“

Wow, denke ich, hoffentlich hält diese Empörung ein wenig an. Aber bis zur Bundestagswahl ist es noch lang und der Maler hat sich gerade die BILD gegriffen. Ich übrigens auch. Ich muss doch wissen, wie das Volk zurechtgestutzt wird. “Es gibt nichts, wogegen G20-Gegner nicht sind,“ heißt es auf einer Doppelseite. „G20-Gegner sind gegen den Klimawandel, gegen den Handel (TTIPP, CETA, JEFTA), gegen die Abholzung des Regenwaldes, weil Palmöl-Firmen die Wälder anzünden, sie sind gegen Armut und Hunger und überhaupt gegen den Kapitalismus“.

BILD muss die Propaganda diesmal alleine schultern

Und Markus Arndt (man soll diese Leute ruhig beim Namen nennen) kommentiert: „Bürgermeister Olaf Scholz (59, SPD), Innensenator Andy Grote (48, SPD), der Polizeipräsident, die vielen Tausend Beamten in der Stadt - sie machen einen ausgezeichneten G20-Job bisher. Schlimm, dass trotzdem viele Medien seit Tagen der linken Szene nachplappern, die von „Polizeigewalt“, „Repression“ oder „Zerfall des Rechtsstaats“ zetert.“

BILD schreit Zeter und Mordio! Was ist passiert? Was ist plötzlich in die Hamburger Medienlandschaft gefahren, die sich bisher allenfalls in der Bewertung ihres Bundesliga-Dinos HSV einen Dissens gönnte? Morgenpost, Abendblatt, der NDR, ja selbst der Spiegel lassen in ihrer Berichterstattung über den Gipfel die Realität nicht gänzlich außen vor, es herrscht gar ein Anflug von Ausgewogenheit. Kritiker des Spektakels kommen zu Wort, das fühlt sich an wie in alten Zeiten.

Wenn es angesichts der polizeilichen Gewaltorgien gar den Mainstream schüttelt, kann die „Sicherheitspolitik“ des Hamburger Senats nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Es sei denn, man will schon mal für den Ernstfall proben, wenn sich die Massen erheben und den Palästen mit ihren Mistgabeln zu Leibe rücken, um es einmal romantisch auszudrücken. Nehmen Sie es mir nicht übel, ich bin nun mal ein hemmungsloser Romantiker …

Egal, nach diesem Gewaltgipfel liegt viel Überzeugungsarbeit vor der BILD-Zeitung. Aber mit einer umfangreicheren Fußballberichterstattung, garniert mit strammen Bikini-Hintern am Stand von Sylt oder Miami kriegen sie die kurzfristig zur Skepsis neigenden Leser schon wieder auf Linie.

Spiegel Online meldet gerade im G20-Newsblog, dass tausende von Menschen Richtung Elbphilharmonie drängen. In der Elbphilharmonie soll am Abend ein Konzert für die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder samt ihrer aufgeblähten Delegationen stattfinden. Beethovens 9. Sinfonie, da kommt Freude auf. Die Demonstranten haben sich dem Konzerthaus bereits bis auf zwei Kilometer genähert. Die Polizei, so heißt es bei SPON, versucht die Protestler mit Wasserwerfern auseinander zu treiben. Klingt wie die Arbeit auf einer Rinderfarm.

Waren Sie schon mal in der Bronx?

Mein Gott, Scholz! Waren Sie noch nie in Berlin, in der Bronx, in L.A., in Moskau, den Vorstädten von Paris, in Mexico City, Mumbai, London oder anderen Metropolen? Hamburg ist im internationalem Vergleich nun wirklich die harmloseste aller Großstädte, die liebste, die verschlafenste. Hier bewegt sich nichts außer Geld und hier wird sich nichts bewegen. Auch nicht in der kaum wahrzunehmenden Subkultur, die etwa so aufmüpfig ist, wie ein Hamster im Rad. Aber Sie, Scholz, Sie von der unsäglichen SPD markieren den dicken Max, "kommen ihrer Verantwortung nach" und machen auf schwarzen (sic!) Sheriff. Die Sicherheit der Bürger, so argumentieren Sie, habe absolute Priorität.

Mit Verlaub, Herr Bürgermeister, Ihr Sicherheitskonzept können Sie in die Tonne treten. Oder wollen Sie sich bei dieser Gelegenheit als ein Mann ins Gespräch bringen, der rechtzeitig begriffen zu haben scheint, wie man „seiner“ Bevölkerung in Zukunft zu begegnen hat, wenn man sie davon abhalten muss, Kritik zu üben an dem ausbeuterischen, auf globaler Totalzerstörung angelegten Gier-Kapitalismus.

Dann haben Sie ihre Sache gut gemacht. Dann gratuliere ich zu einem gelungenen Coup.

Es ist gefährlich da draußen. Man kann nur hoffen, dass es wenigstens die Gattin des US-Präsidenten noch in die Elbphilharmonie schafft. Heute nachmittag hat Joachim Sauer, der Ehemann unser Kanzlerin, vergeblich auf sie gewartet. Der Start des von ihm geleiteten Partnerprogramms musste ohne Melania Trump stattfinden. Bei der allgemeinen Lage sei eine Sicherheitsfreigabe zum Verlassen des Gästehauses nicht zu verantworten gewesen, gab eine Sprecherin der First Lady bekannt. Zu schade, denn ich bin sicher, dass Melania Trump sich auf den Besuch des Klimarechenzentrums in Hamburg höllisch gefreut hatte. Aber das Partnerprogramm geht ja weiter. Mal sehen, was die Sicherheitslage morgen sagt.

Gegen Fantasien und Humor sind sie wehrlos

Während ich im Internet die zahlreichen Berichte, Beschwerden und Analysen studiere, die der Gipfel zu hunderten produziert, kommt mir eine Idee:

WIR GEHEN IN ZUKUNFT NICHT MEHR DEMONSTRIEREN! Wir nehmen an ihren Parties nicht mehr teil. Und da sie uns das nicht abnehmen, sieht ihre hochgerüstete Armee ganz schön lächerlich aus.

Dann stehen sie in leeren Straßen mit ihren Wasserwerfern, die Helme geputzt und die Visiere heruntergeklappt. Lässig auf ihre Plexiglasschilde gestützt warten sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf die versprochenen Chaoten, und manch einer dieser fürchterlich schwitzenden Jungs dreht nervös am Gummiknüppel, bis er endgültig die Lust verliert und kurz davor ist, den „Standbefehl“ seines Vorgesetzten zu verweigern.

Die Politgangster in der Elbphilharmonie werden ebenfalls nervös, da sie wohl ahnen, dass sich unter diesen Umständen der Mordsetat, den sie zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit über Jahre hinweg immer wieder widerspruchslos anheben konnten, kaum noch zu rechtfertigen ist. Wie wärs, Leute? Wir gehen einfach nicht mehr hin. Im Draufschlagen sind sie besser als wir und werden es immer bleiben. Was ihnen jedoch fehlt ist Fantasie und Humor. Wir hingegen haben davon reichlich. Also setzen wir diese Waffe auch ein, ziehen wir den nackten Kaiser vom Pferd ..

PS: Einen kleinen Nachschlag hätte ich noch. Beim aufräumen der Zeitungen fiel eben ein gelber Sticker aus der Morgenpost. Er erinnert in Größe und Design an den bekannten Kult-Aufkleber „ATOMKRAFT? NEIN DANKE“. In der Mitte dieses Stickers, von dem die Morgenpost will, dass ihre Leser ihn in der Stadt überall hin kleben, sieht man das Gesicht des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Umrahmt wird es von den Worten „HORROR-CLOWNS? NEIN DANKE“. Wie war das doch gleich mit der Hatespeech-Kampagne, die seit Monaten gegen alternative Formate im Internet gefahren wird? Heiko Maas, kann man unsere „Qualitätsmedien“ ebenfalls dafür belangen, oder drückt man da eher ein Auge zu? Drücken wir lieber zu, ich verstehe …

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