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Hier mein Cluster, Herr Drosten

Hier mein Cluster, Herr Drosten

Tagebuch einer Frau, die ihren Lebensgefährten durch die Brutalität des Corona-Regimes verloren hat. Teil 2.

Folge 2:

  • Ostern wird ein einsames Fest
  • Von den Medien verarscht
  • Das ist Freiheitsberaubung, wissen Sie das?
  • Er war Jesus am Kreuze
  • Quarantäne: himmelschreiende Willkür, Persönlichkeitsverletzung und Freiheitsberaubung

25. März 2020

Wieder ein Corona-Tag vorüber. Habe heute meinen virtuellen Klavierunterricht erteilt, das heißt Unterricht am Telefon. Zum zweiten Mal teste ich nun schon diese Möglichkeit und es klappt wunderbar. Den Schülern scheint diese neue Form Freude zu machen, sie sind bei der Sache und üben auch. Ich hoffe die Eltern bezahlen weiterhin, ich gehe einfach davon aus, wie ich von meiner Schwester hörte, gibt es an der Musikschule schon Probleme, einige Eltern rebellieren, aus welchen Gründen auch immer, manche haben vielleicht auch kein Geld mehr für die Gebühren, weil sie arbeitslos geworden sind.

Meine Schwester steckt sich in Alkohol getränkte Wattebäuschen in die Nasenlöcher, wenn sie in den Supermarkt zum Einkaufen geht. Die Fallgeschwindigkeit der Viren beträgt 1 cm pro Stunde, sagt sie. Sie warnte mich vor Berlin. Mit Friedrich habe ich vereinbart, dass wir per Videoschaltung telefonieren wollen. Auch heute konnte das RKI noch keine Aussagen machen, ob die Maßnahmen der Kontaktsperre nun Wirkung gezeigt haben.

26. März 2020

Wieder eine Pflegeheim-Horrornachricht. In einem Pflegeheim in Sachsen (Jessen) sind mehrere Bewohner an Corona erkrankt und auch Pfleger infiziert. Man hat jetzt die ganze Stadt unter Quarantäne gestellt, 8000 Einwohner. Friedrich war heute wieder seelisch völlig am Ende, hat gejammert am Telefon, ich musste ihn richtig barsch „zurechtweisen“, sobald die Besuchererlaubnis gelockert ist, hole ich ihn da raus. Heute die ersten Anemonen entdeckt, die schönsten Tage im Jahr! Und sind so überschattet. Ich war völlig kraftlos. Habe ein bisschen Regale ausgeräumt und gewischt für ein paar „Hamsterkäufe“. Morgen will ich erst mal eine Kiste Wasser (in Glasflaschen) holen. Jetzt, habe ich gelesen, soll man doch Schutzmasken in der Öffentlichkeit tragen, aber keine kaufen im Internet, weil sie woanders gebraucht werden.

28. März 2020

Im Supermarkt sollen jetzt tatsächlich Schutzmasken getragen werden. Woher bekommen, sagt einem aber niemand. Heute wurde deutlich gesagt, dass die Sperrmaßnahmen noch bis zum 20. April dauern sollen, vorher wird gar nicht über eine Aufhebung gesprochen. Das ist die Härte. Schweden macht den ganzen Zinnober nicht mit und hat genauso viele Infektionen wie die, die es machen.

Heute wieder ein Altenheim, in das es eingeschlagen hat, in Wolfsburg, die Hälfte der Bewohner sind schon infiziert, über 12 gestorben. Aber viele hatten nicht mal Symptome. Wenn es mir besser ginge, würde ich Friedrich sofort nach F. holen. Ich bin so kraftlos, konnte mich ab Mittag kaum auf den Beinen halten. Wenn Abgeschlagenheit und Ermüdung auch ein Symptom wären, würde ich sagen, Corona. Aber wahrscheinlich fühle ich mich von der furchtbaren Situation überfordert. Und es sind die schlaflosen Nächte, die mich schwächen.

Ein Pärchen an der deutsch-dänischen Grenze, beide über 80, treffen sich jeden Tag am Schlagbaum, mit Käffchen und Tageszeitung. Die Liebe kennt keine Grenzen. Tote, Tote, Tote, das hört man immer wieder. In Italien und Spanien. In den USA das neue Epizentrum, New York. Angela Merkel flötet aus der Quarantäne: Danke, danke, Ihr Lieben. So werden wir's schaffen.

30. März 2020

Das Heim von Wolfsburg ist wegen fahrlässiger Tötung angezeigt worden, von einem Rechtsanwalt. Ich bin heute wie elektrisiert. Die Zeit läuft uns davon. Die Pandemiewelle steuert auf ihren Höhepunkt zu, die Zahlen steigen und steigen, Verdoppelung in weniger als 5 Tagen. Mit Friedrich habe ich heute darüber gesprochen, dass er zu mir kommt. Aber werde ich es schaffen? Morgen will ich mit der Heimleiterin sprechen. Wie sicher ist das Heim — und wie sicher ist ambulante Pflege?

31. März 2020

Rüdiger Dahlke hat in ein paar Wochen ein neues Buch geschrieben, über Corona. Wie heilsam war heute das Video von ihm. Ich habe gemerkt, wie tief ich im Sack der Angst stecke, von den täglichen Nachrichten geschürt, wie sie in die Seele eingreifen, die Todeszahlen, die Maßnahmen, die neuen Verordnungen. Jetzt wird der Mundschutz Pflicht. Drosten will sich zurückziehen, jemand hat ihn angefeindet, er hätte Schuld am Selbstmord des hessischen Finanzministers Schäfer. Die letzten Podcasts habe ich auch nicht mehr zu Ende gehört, ich hatte das Gefühl, dass der dozierende Virologe immer weniger Gespür dafür hat, was der Allgemeinheit zuzumuten ist, wissenschaftlich, wie ethisch. Niemand will auch die chemischen Reaktionen im Reagenzglas so genau beschrieben wissen und auch die „Sterberate“ und „Übersterblichkeit“ in kühler Gleichmut verkündet zu hören, ist mir befremdlich.

Ich will mich jetzt einfach nicht mehr so genau für dieses Virus interessieren. Entweder es ereilt mich ohnehin, oder es ereilt mich nicht. Schöne Lebenszeit, die da so dahin geängstigt vergeht.

Morgen habe ich ein Videoseminar mit Christian Bischoff, ich freue mich darauf!

01. April 2020

Das Videoseminar mit Christian Bischoff war wie erwartet voller positiver Impulse und man bemerkt, dass man sich ständig im Angstmodus bewegt, verursacht durch die ständigen Hiobsbotschaften von Todeszahlen und Zwangsmaßnahmen in den Massenmedien. Bischoff hatte mal wieder ein paar schöne Kernsätze wie „Kollektivschicksal ist kein Individualschicksal“ und „in der Krise werden die neuen Sieger geboren“. Und „sei nicht Wissenschaftler sondern Machenschaftler“. Ich fühlte mich angesprochen, was Friedrich anbetrifft, ich habe das Gefühl, etwas tun zu müssen, ihn zu befreien aus dem Hochrisikogebiet Heim. Und ich habe das Gefühl, dass die Zeit drängt. Sobald ich stark genug bin, mich vor allem gesünder fühle, kann ich den Schritt wagen, ihn da raus zu holen.

02. April 2020

Todmüde am Abend. Die Zahlen geben keine Besserung her. Immer noch steigende Infektionszahlen sind in den Medien zu hören. Heute bin ich zum ersten Mal mit dem Mundschutz zum Einkaufen. Ich war tatsächlich die einzige. Eine Frau sagte zu ihrem Mann, als sie aus dem Auto stieg und mich sah, ganz verschämt, soll ich meine Maske auch holen? Fand ich ja lustig.

Das Skypen mit dem Heim hat nicht geklappt, sehr aufwändig und ohne Ergebnis. Ich weiß nicht, was Ostern wird. Drosten ist zurück auf dem Podium. Ordentlich in die Mangel genommen durch die Medien. So wird man berühmt. Er ist jetzt der Corona-Papst. Ein Flächenbrand über die ganze Welt und jeden trifft es so ganz im Einzelnen.

Meine Freundin J. schrieb mir heute aus Irland, dass sie nur im 2 km Umkreis ihr Haus verlassen dürfen, und über 70 Jährige dürfen Haus und Garten gar nicht verlassen. Ihr Mann ist ja 77, er joggt im Garten und hört den ganzen Tag die Berliner Philharmoniker, live im Internet. Man kann das Beste daraus machen, muss es. Sie haben Angst um die Familie ihres Sohnes in Bristol, der meint in GB könnte es noch viel schlimmer werden als in Italien, weil man lange Zeit gar nichts gemacht hat, weil man es anders machen wollte als in der EU.

03. April 2020

Die Kurve „flacht“ allmählich ab, ist immer wieder zu vernehmen, eine leichte Positiventwicklung treibt Tränen in die Augen. Noch immer ansteigend, aber „Verdoppelung“ in mehr als 8 Tagen, über 10, am besten 14 Tage sollen es sein. Dann ist eine „Lockerung“ der Maßnahmen möglich. Aber ich will mich hüten, das Vokabular und damit auch die Geisteshaltung zu übernehmen, dann übernehme ich auch die Angst.

Ostern wird ein einsames Fest. Friedrichs Stimme klang heute sehr brüchig, ich werde Ostersonntag nach Berlin fahren, egal, dann eben wieder hinter Glas. Aber ich muss meinen Schatz sehen. Es ist Ostern, das war doch immer unser Fest! Wenn ich ihn mitnehme, kann er nicht mehr zurück. Das sagte mir heute die Pflegedienstleiterin, kurz angebunden. Es kam mir vor wie Erpressung. Sonst konnte er auch immer wieder zurück, wenn er zu mir kam. Wie ausgeliefert ich mich fühle. Ich werde zwei Fläschchen Sekt kaufen, mit denen wir dann beide anstoßen. Und Süßes. Wir müssen uns wenigstens sehen. Heute wieder viele furchtbare Nachrichten. Die vielen Todesfälle in Frankreich, Italien und Spanien. Deutschland hat die Tausendgrenze auch schon überschritten, aber im Vergleich ist die „Sterberate“ niedrig. Millionen von Masken, eine Lieferung für Deutschland, wurde von den USA gestohlen.

04. April 2020

Heute langes Gespräch mit meinem Nachbarn, er ist der Corona-Beauftragte des Gesundheitsamtes für den Kreis. Gut, jetzt so jemanden als Nachbarn zu haben. Er hat mir eindeutig gesagt, wenn es mir um seine Sicherheit geht, soll ich Friedrich im Heim lassen. Der ambulante Pflegedienst ist viel riskanter, die gehen von Haus zu Haus, haben viele Kontakte, sind außerdem schlecht bezahlt und schlecht ausgestattet, spritzen meist auch nebenbei Insulin, sind in Krankenhäusern unterwegs, seine Argumente haben mich erst mal überzeugt, er meint die Heime sind hermetische Orte und daher viel weniger gefährdet, wenngleich das Restrisiko auch dort besteht. Ich war beruhigter nach dem Gespräch und schaue jetzt erst mal, wie sich die Lage entwickelt.

Ein historischer Tag, wurde heute in den Nachrichten gesagt. So viele Tote wie noch nie. Vor allem in den USA, in New York, man kommt mit den Beerdigungen gar nicht nach, es gibt keine Gräber mehr. Wie wird dieses Schauermärchen wohl weitergehen und vor allem enden, wenn es überhaupt je endet? Freiwillige werden überall gesucht, die in den Kliniken und in der Pflege helfen. Vielleicht könnte ich bei Friedrich im Heim arbeiten, ging mir heute durch den Kopf.

05. April 2020

Heute das erste Heim in Neukölln mit Infektionen, Pfleger und Patienten. Haben sich beim Kegeln angesteckt. Ich war wie erstarrt, die Einschläge kommen immer näher. Habe gleich Friedrichs Tochter benachrichtigt, sie schrieb, dass eine Leasing-Kraft aus dem Heim auch in ihrem Heim gewesen ist und jetzt werden dort alle auf ihren Zimmern isoliert und sie muss mit OP-Kittel arbeiten. Alles furchtbar. Habe große Angst, dass es als nächstes auch im Haus R. einschlägt. Boris Johnson musste mit Corona ins Krankenhaus.

06. April 2020

Denkwürdiger Tag. Das Coronavirus wurde hörbar gemacht. Es soll eine beruhigende Melodie sein, die es aussendet. Oh welch ein Summen im Kosmos, auf dieser Erde. Ich habe beschlossen, keine Angst mehr zu haben vor diesem bezaubernden Wesen. Es ist überhaupt schön, das Coronavirus. Warum soll es nicht den Sieg davontragen, uns alle ausmerzen und dann als beruhigende wunderbare Melodie um den Erdball kreisen? Welch eine Vorstellung!

Es ist schon jetzt der absolut unerreichte Star, in jeglicher Hinsicht. Es hat uns die Toten näher gebracht, und den Tod. Es hat die Luft gereinigt und die Stille hörbar gemacht in den Straßen und auf den Plätzen. Es hat eine Jahreszahl in die Ewigkeit graviert: 2020.

Wer wird dieses Jahr je vergessen, diese Zeit, in der es herrschte? In der es die Menschen in die Knie zwang, in die Zwangsisolierung, aus ihrer müden Gleichförmigkeit und Lethargie mit einem Donnerschlag erweckte. Es kam wie ein Tsunami, ein Beben über uns alle und stellte alles Selbstverständliche in Frage. Die Bilder, die das Virus täglich abwarf, waren so erschütternd wie atemberaubend, maskierte Medizinmänner die zu Gott beteten, weinende Krankenschwestern am Ende ihrer Kräfte, Leichenwagen, die in Kolonne durch totenstille italienische Städte fuhren, in Kühlhäusern gestapelte Särge, Patienten, die ihre Geschichte erzählten und den Rest der Menschheit beschworen: Bleibt zu Hause, haltet Euch an die Regeln!

Doch für den Rest der Menschheit waren die Regeln oft ein Spiel. Quarantäne wurde zum Gesellschaftsspiel, der Volkshumor erwachte in breitester Palette in den Social Media, Videos kursierten, Songs. Die Kehrseite der Medaille war eine allgemeine Volksbelustigung, verursacht durch weit über das Ziel hinaus geschossene Maßnahmen. Doch die Maßnahmen wurden von der Politik als unabdingbar beschworen — und die meisten Menschen fühlten sich auch gut damit. Reisebeschränkungen, Schulschließungen, das gesamte gesellschaftliche Leben war auf Null gefahren.

Die Zahlen allerdings der Infizierten durch das Coronavirus stiegen weiter, „exponentiell“ hieß es, das heißt verdoppelten sich in nur wenigen Tagen, 14 Tage sollten erreicht werden. Doch da sind wir an diesem Tage noch nicht angelangt. An diesem Tage wurde über die Altenheime als „Coronafallen“ gesprochen, eine Frau richtete einen Appell, dass das Gesundheitswesen nicht gewinnorientiert arbeiten dürfe, auch die Pflegeeinrichtungen nicht. Diesem Appell kann ich mich nur anschließen. Und die Sperrung der Heime für Besucher ist kontraproduktiv, die Vereinsamung der Menschen schwächt das Immunsystem und macht sie anfälliger für Krankheiten, zum Beispiel das Coronavirus!!!

07. April 2020

Heute war ein aufregender, schlimmer Tag. Friedrich weinte heute Abend am Telefon, man könne mir den Besuch nicht verbieten, dann schlug seine Stimmung um in Aggression und er wolle jetzt dem Heim den Krieg erklären. Ich habe ihm versprochen, meinen Besuch morgen mit dem Heim auszuhandeln. Wenn nicht, setze ich mich mit einem Schild vor die Türe: Lasst mich zu meinem Schatz!

Dann musste er aber doch lachen, fand aber die Idee toll.

Dann der Brief von meinem Bruder, der seit geraumer Zeit auf Bali lebt und die gegenwärtigen Sanktionen als Verbrechen an der Menschheit bezeichnet. Er hat durch die Lockdown-Maßnahmen seine gesamte Existenz verloren. Seinen Mittelaltermarkt, mit dem er seit Jahren in Deutschland auf Tour war, gibt es nicht mehr beziehungsweise nur noch als virtuellen Ritter-Torso.

In den Nachrichten nichts Neues, bis auf die Beschwörungen der „Corona-Bonzen“. So viele Fallgeschichten von existenzbedrohten Unternehmen und Menschen. Jetzt sind Ideen gefragt, heißt es großspurig, keine Verzweiflung. Aber wohin mit der Verzweiflung, wenn die Regierung kurzerhand den Hahn abdreht?

09. April 2020

Ein Tag vor Ostern, vor Karfreitag. Ich fühle mich von den Medien verarscht. Jetzt sieht man hoffnungsinfizierte Gesichter, Spahn, Merkel, Laschet. Sie lächeln, sie lächeln dem Volke zu. Es gilt jetzt, das Osterfest „durchzuhalten“. Eine baldige Lockerung der Beschränkungen wird in Aussicht gestellt. Mit Versprechungen werden die Zügel angezogen. Zuckerbrot und Peitsche. Und die gewünschte „Verdoppelungszeit“ sei nun auch bald erreicht. Und dann plötzlich gibt es auch schon einen Impfstoff! Das Gebaren der Politiker ist nicht gerade Vertrauen erweckend, wie sie sich jeweils mit ihren Aussagen an ihre eigenen Verordnungen anpassen. Es erscheint mir wie ein unglaubwürdiges Kasperletheater. Ich fühle mich jedenfalls verarscht. Und allmählich auch belogen und betrogen.

Heute rief Friedrich auf einem Handy aus dem Heim an. Ein Pfleger hatte es ihm gegeben. Ich bat ihn, ob wir nicht mal einen Videoanruf machen könnten. Meine Bemühungen, mit ihm zu skypen waren leider erfolglos geblieben, da es im Heim keinen Computer gibt, auf dem man skypen könnte und ein eigenes Tablet könnte Friedrich gar nicht bedienen. Nun war eine tolle Gelegenheit und der Pfleger war so freundlich, einen Videoanruf für uns zu machen.

Ich sah Friedrich sofort, aber er konnte mich nicht sehen und jammerte so herzzerreißend, dass er mich nicht sehen könne, sodass ich das Gespräch schnell abbrach und ihm sagte, dass wir im Zimmer wie gewohnt weiter telefonieren. Dann durchfuhr es mich wegen des engen Kontaktes mit dem Pfleger, ein Schwarzer, denn ich hatte gerade über New York erfahren, dass Schwarze und Hispanics dort häufiger an Corona erkrankt sein sollen. Was ja nicht stimmen muss.

Was aber schlimm ist, der Mann trug keinen Mundschutz! Er grinste mit großen Zähnen aus meinem Handy. So eine Sauerei. Ich darf nicht rein ins Haus und die Pfleger tragen keinen Mundschutz! Auch wenn er so freundlich war, uns sein Handy zu geben, ich muss das zur Sprache bringen. Solche Sauerei, dass die Pfleger noch immer keinen Mundschutz tragen.

10. April 2020

Von heute sind mir die furchtbaren Bilder der Massengräber in New York im Gedächtnis, man wird der Corona-Toten auf den Friedhöfen nicht mehr Herr, das ist so unfassbar, Massengräber in diesen Friedenszeiten, in der pulsierenden Weltmetropole. Und dann der Papst, auf dem Boden liegend, in der leeren Kirche, betend. Sein graues, eingefallenes, zitterndes Gesicht. Heute ist Karfreitag. Jesus ans Kreuz geschlagen. Wir alle ans Kreuz geschlagen.

Ich habe für Friedrich heute ein kleines Konzert gemacht am Klavier. Händel und Bach. Mit seiner Tochter hatte ich einen schönen Austausch per WhatsApp, halte durch, schrieb sie. Ich schrieb, Hauptsache das Heim hält auch durch. Wieder ein Katastrophenfall in einem Heim, in NRW, 38 Pfleger wurden positiv auf das Virus getestet, die Bewohner wurden evakuiert. Sie konnten nicht mehr betreut werden.

15. April 2020

Heute war der denkwürdige Tag der Corona-Lockerungen. Von Lockerungen in den Altenheimen keine Zeile, vom Beenden der Abschottung und dem Besuchsverbot. Die Situation lähmt mich. Seit 3 Tagen will ich nach Berlin fahren, zu Friedrich, aber es bleibt wieder der Hinterglas-Besuch. Die Sozialarbeiterin würde aber vielleicht auch das Fenster der Bibliothek aufmachen.

Die Berichte über Altenheime sind schrecklich und erschreckend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Friedrichs Heim noch coronafrei ist, 230 Bewohner. Morgen fahre ich nach Berlin und werde mehr wissen. Wenn nicht getestet wird, erfahren sie es auch nicht.

18. April 2020

Christiane Woopen bei Markus Lanz, sie hat es endlich mal gesagt, auf den Punkt gebracht, welche Schäden, auch gesundheitlicher Art, die Zwangsmaßnahmen der Corona-Krise schon verursacht haben. Vom Kindesmissbrauch bis Suizid, ganz zu schweigen die Zerstörung von wirtschaftlichen Existenzen. Und die Menschen die „keine Stimme“ haben, die sogenannten tragischen Fälle, betreffen so viele.

Vorgestern war ich bei Friedrich, sozusagen der Osterbesuch, es war so traurig und entwürdigend. Nochmal ertrage ich eine solche Begegnung nicht. Ich hoffe jetzt fast den Ausbruch von Corona in dem Heim, alle werden getestet, dann hole ich Friedrich da raus. Oder schon vorher mit einem Test. Ohne kann ich ihn hier nicht unterbringen, bekomme ich keinen Pflegedienst.

Er kam runter, hatte natürlich wie immer vergessen, warum solch eine Maßnahme getroffen wurde. Er versteht es gar nicht. Aber dann stand doch der alte Anwalt in ihm auf, er zählte die herbeieilende Pflegerin wegen versuchter Freiheitsberaubung an, die Worte sind mir noch im Ohr: „Es macht Ihnen wohl Spaß, die Menschen zu reglementieren, das ist Freiheitsberaubung, wissen Sie das?“ Sprach es und wollte auf mich zugehen, mit geöffneten Armen, so wie wir es immer gewohnt waren. Ich war natürlich stolz, dass in diesem Augenblick der Anwalt in ihm wieder aufgestanden war.

Die Schwester stürzte entrüstet auf mich zu und sagte, das sei aber keine gute Idee von mir, heute hierher zu kommen!, „gerade bei Herrn L., der an Demenz erkrankt sei“. Mir fehlten die Worte. Ja, gerade, sagte ich.

Die Sozialhelferin mit Mundschutz kam zum Glück dazu und brachte Friedrich in die Bibliothek, wo sie ein Fenster öffnete. Friedrich saß auf einem Stuhl, dazwischen ein Tisch, draußen vor dem Fenster stand ich. So hatten wir ein halbes Stündchen. Wir schauten uns eine Weile sehr ernst an, beide spürten wir die Ohnmacht. Ich hatte mein Auto vor der Tür. Es war ein sonniger Tag. Raus und weg dachte ich. Aber dann der Körper, der schwere, lädierte, alte, unbewegliche Körper. Er braucht Sicherheit. Nach einem kurzen Glücksmoment der Flucht würden die Probleme beginnen. Die ich nicht mehr bewältigen könnte. Friedrich breitete die Arme aus wie ein Engel, er wollte mich umarmen, er war Jesus am Kreuze.

22. April 2020

Was sind das für unvergleichliche Frühlingstage, die Obstbäume in ihrer Pracht, man muss immerzu fotografieren, kleine Videos drehen, verschicken. Man möchte das Wunder der Natur mit jemandem teilen, doch es ist niemand da. Und doch ist alles unwirklich, alles zu grell, nicht verheißungsvoll schön, sondern bedrohlich schön. Meine Katze riss heute einen großen Vogel, ich glaube eine Taube, die unschuldige Taube wurde von meiner zahmen Hauskatze getötet. Was für ein Zeichen. Für Friedrich habe ich auch ein Video gedreht und ans Heim geschickt, das Heim hat sogar WhatsApp für die Bewohner. Ein Tablet, auf das man was schicken kann. Es wird dann von Bewohner zu Bewohner gereicht. Schön desinfizieren, habe ich zu dem Mitarbeiter gesagt.

Friedrich konnte mir nicht sagen, ob er das Video gesehen hat. Er hatte es vergessen. Eine Schwester von der Station sagte es mir und dass er sich gefreut hat. Heute habe ich ihm wieder das Virus erklärt und die Folgen und das Besuchsverbot. Drei Minuten später rief er mich wieder an und fragte, ob wir uns bald sehen und ins Kino gehen könnten. Wir waren schon so lange nicht mehr im Kino. Mir wurde wieder klar, wie sinnlos es war, zu versuchen, ihm die Situation zu erklären, er hatte es im nächsten Moment vergessen. Wir sind übereingekommen, dass wir viel telefonieren. Und er immer viel lüftet. Und täglich mehrmals den Flur entlangläuft, so wie wir es immer wieder besprochen haben. Soviel Bewegung wie möglich.

02. Mai 2020

Das Virus wird uns alle überleben. Man hat schon Angst vor jedem Husten.

Gestern brachte mir eine Bekannte einen selbst genähten Mundschutz. Er saß nicht richtig, da kam sie ganz spontan und fasste mir ins Gesicht und zog mir die Gummis über die Ohren. Ich zuckte zurück, schrie „Neiiin!“ Wir lachten beide. Nun ist es zu spät. Ich hab kein Corona, sagte sie. Ich hab MS und meine Tochter Asthma, sagte sie. Wir gehören zur Risikogruppe, wir passen auf!

Mein Klavierunterricht am Telefon wird immer besser. Jetzt nehme ich noch das Smartphone hinzu, verschicke Noten und Tonbeispiele und am Ende die Hausaufgaben. Das bringt mehr Struktur in den „virtuellen Unterricht“.

04. Mai 2020

Gestern Abend kam Friedrich ins Krankenhaus, die Schwester rief mich an, er hatte geschrien, irgendwie, er bekäme einen Schlag an den Kopf. Wahrscheinlich eine Panikattacke. Sie meinte, sie müsste das abklären und hat den Krankenwagen gerufen. Ich telefonierte mit dem Klinikum Vivantes, er war dort in der Notaufnahme.

Eine Stunde später rief er mich aus dem Heim an, ganz munter, wusste von nichts. Ich war froh, dass er wieder in seinem Bett lag. Ich fragte ihn nach dem Krankenhaus, es dämmerte bei ihm, ja er war irgendwo, aber es ist doch besser zur Nacht „in den eigenen Möbeln“ zu sein, meinte er. Ich musste lachen und war froh, dass alles glimpflich abgelaufen war. Heute wunderte ich mich, dass er mich tagsüber ständig anrief, was in letzter Zeit gar nicht mehr so oft geschah, denn er hielt sich meist im Gemeinschaftsraum auf und wir haben nur abends telefoniert.

Mittags telefonierten wir und er musste aufhören, weil er meinte, er bekäme einen Anfall. Ich rief die Stationsschwester an und bat sie, mal nach ihm zu schauen, und fragte sie, was denn eigentlich gewesen sei, was die Klinik denn rausbekommen habe. Sie meinte nichts, aber er müsse jetzt ja 14 Tage in Quarantäne sein, weil er „Kontakt nach draußen“ hatte. Ich war völlig perplex, das konnte ich gar nicht glauben, er war doch nicht mit Covid-Infizierten zusammen!!! Er war lediglich in der Notaufnahme der Neurologie!

Ich sagte, das geht überhaupt nicht. Gerade für Demenzkranke sind doch die sozialen Kontakte und auch Rituale so wichtig. Der tägliche Gang zum Frühstück war immer so wichtig für ihn. Er hat sich jeden Morgen darauf gefreut. Jetzt liegt er den ganzen Tag auf seinem Bett, hat weder Kontakte noch Bewegung. Wer kann das verantworten, wie soll das gut gehen. Die Schwester antwortete, das seien nun mal die Regeln. Ich war fassungslos und rief die Pflegedienstleitung an, die mir die „Regel“ kurzum bestätigte.

Und der Pfleger kommt ohne Mundschutz ins Zimmer.

Heute kam in den Nachrichten, dass viel zu wenig getestet wird, viele Tests werden gar nicht abgerufen, und dass auch die Bedingungen für Tests geändert wurden. Man muss nicht mehr mit einem Infizierten Kontakt gehabt haben oder Symptome, man kann auch symptomfrei getestet werden, strategisch sozusagen. Morgen werde ich mit dem Gesundheitsamt telefonieren, er muss getestet werden. Dann ist die Quarantäne doch ganz überflüssig! Habe heute die Geschichte in meiner Not auf facebook gepostet, auf der Seite „Wir sind Menschen und keine Sklaven“, erhielt dort auch sofort ein Echo.

06. Mai 2020

Heute war der „Lockerungstag“. Merkel sprach von Mut. Jetzt machen alle Länder, was sie wollen. Friedrich wurde negativ getestet. Aber er muss immer noch in Quarantäne bleiben, weil ein zweiter Test noch erfolgen muss. Es ist eine himmelschreiende Willkür, Persönlichkeitsverletzung und Freiheitsberaubung.

Friedrich hatte überhaupt keine Symptome. Er war nur beim Arzt!! Das heißt, er war ins Krankenhaus gekommen, weil er einen Panikanfall hatte. Wie soll er mit der ganzen Situation auch umgehen. Früher haben wir uns fast jeden Tag gesehen und umarmt. Seit über einem Monat gab es keinerlei körperliche Kontakte mehr. Und nur dosierte Begegnungen mit Mundschutz! Wie kann ein an Demenz Erkrankter darauf anders antworten als mit Panik!

Dafür kam er in die Notaufnahme der Neurologie und anschließend für 14 Tage in Quarantäne. Die Quarantäne sollte nun, auch auf mein Drängen hin, durch einen Test abgekürzt werden. Das sind aber immer noch 8 Tage Eingesperrtsein ohne Verbrechen. Und jetzt die Aussage, dass es noch eines zweiten Tests bedarf, zur Bestätigung. Also werden die 14 Tage doch voll. Ohnmacht ist so ein Scheißgefühl.

07. Mai 2020

Heute früh das Gesundheitsamt Neukölln angerufen und die Situation mit der Quarantäne geschildert, ob sich das Heim in der Quarantäneregelung auf eine Auflage durch das Gesundheitsamt berufen kann. Die Mitarbeiterin war denn doch etwas erstaunt darüber, dass eine Quarantäne nach einem Besuch beim Notarzt verhängt wurde, räumte dem Heim aber doch auch eigene Entscheidungsbefugnisse ein. So richtig möchte sich heute keiner festlegen und für eine Meinung oder Maßnahme Verantwortung übernehmen! Nur für die ganz groben, allbekannten Richtlinien, wie Abstand, Händewaschen und Mundschutz.

Sie meinte auch, ich solle nochmal ganz freundlich mit denen reden, ob man die Quarantäne nicht doch lockern könne. In Anbetracht dessen, dass es sich um einen Demenzkranken handelt. Ich solle doch nochmal die Pflegedienstleitung anrufen und nicht die Schwestern auf Station. Aber mit der hatte ich ja gesprochen! Die Pflegedienstleitung hatte ja die Quarantäne abgenickt, allerdings auch eine Abkürzung auf 8 Tage durch die Tests befürwortet, die aber von der Station nicht eingehalten wurde!

Die Pflegedienstleiterin stellte mir auch keine weitere Lockerung in Aussicht, als am offenen Fenster draußen „im Regen“ zu stehen, während Friedrich in der Bibliothek sitzt. Sie meinte, bei Herrn L. könne man nicht garantieren, dass es keinen „Kontakt“ gibt. Ehrt ihn ja! Aber wo sind wir angekommen?????? Und wo der Herr L., vielleicht im letzten Frühling und Sommer seines Lebens???? Ich habe jetzt den Besuchstermin mit der Rezeption gemacht, und zwar nicht in der Bibliothek, sondern im Garten. Er wollte so gerne mit mir, wenn es Frühling wird, „einen halben Tag“, wie er sagte, in der Sonne sitzen.

Jetzt liegt das Wochenende vor mir, wo ich in Berlin bei Friedrich sein wollte. Und bin wütend, frustriert und fühle mich ohnmächtig fremder Bevormundung ausgesetzt. Durch eine Willkürmaßnahme des Pflegeheimes, das sich wähnt, so handeln zu müssen. Am Wochenende gibt es keine Besuchserlaubnis. Angeblich gibt es keine Arbeitskräfte, die das garantieren. So gerät man in die Facebookgruppe „Wir sind Menschen und keine Sklaven“ und ist plötzlich auf der Internetseite der Partei „Widerstand 2020“.

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13. Mai 2020

Aus Berlin zurück. Erster Besuchstag im Heim nach den „Lockerungen“. Konnte Friedrich für eine halbe Stunde mit Mundschutz sehen, zwei Tische zwischen uns, dabei eine Gouvernante, die uns beaufsichtigte. Eigentlich eine sonst sehr menschliche und sympathische Schwester, aber diese Aufgabe war ihr jetzt zugedacht. Friedrich wurde hereingeführt, er sah mich gar nicht an, war verwirrt, wir saßen uns erst eine Weile schweigend und sprachlos gegenüber. Zum Glück hatte ich unser gemeinsames Buch-Manuskript „Flo und Flöckchen träumen von der Liebe“ dabei und er griff sofort danach und zitierte etwas provokatorisch mit lauter Stimme ein paar Gedichte. Er machte sich lustig.

Und beide begriffen wir die Absurdität der Situation. Und beide gelangten wir nicht über die Mauer der Ohnmacht, dies alles zu beenden. Die Zeit war kurz, mit Mundschutz sprach es sich schlecht, ich wollte etwas Tröstliches sagen, fand aber keine Worte. Ich nahm den Mundschutz ab, jetzt waren wir wenigstens durch unser Lächeln verbunden.

Wie gern hätte ich meinen süßen Schatz jetzt umarmt!