Wie erleben wir unseren Körper? Empfinden wir ihn als Freund? Passt er uns so, wie er ist? Oder ist er uns zu groß, zu klein, zu dünn, zu dick? So richtig zufrieden sind wir mit ihm eigentlich nie. Dementsprechend behandeln wir ihn entweder mit Strenge oder mit Nachlässigkeit.
Unsere Beziehung zu ihm ist eher distanziert, und oft haben wir zu unserem Auto eine engere Bindung. Unser liebstes Objekt sagt viel über uns.
Wir gehen etwa so durch das Leben, wie wir Auto fahren:
- Zurückgelehnt, einen Ellenbogen lässig im Fenster oder die Hände ums Steuer gekrampft und den Sitz ganz vorne?
- Auf der Überholspur, hinter Lastwagen klebend oder vorsichtig immer in der Mitte? Auf andere Autofahrer schimpfend oder gelassen Musik hörend?
- Mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen oder mit stotternden Gängen?
- Die Augen mehr im Rückspiel als nach vorne gerichtet?
- Dicht auf den anderen auffahrend oder Abstand lassend?
- Jetzt komme ich oder bloß niemanden behindern?
- Geben wir bis zum Anschlag Gas und fahren so schnell wie möglich an das Hindernis heran, um dann abrupt abzubremsen, oder gucken wir vorher, was vor uns los ist?
Unsere Art und Weise, durchs Leben zu gehen, spiegelt sich in unserem Verhalten als Autofahrer.
Doch während der stotternde Motor unseres Fahrzeugs alle Aufmerksamkeit von uns bekommt, interessieren wir uns oft nicht besonders dafür, was in unserem Körper eigentlich passiert.
Wenn unser Fahrzeug kaputt ist, bringen wir es in die Werkstatt und bezahlen eine Menge Geld dafür. Geben wir uns dann damit zufrieden, wenn der Mechaniker nur das Kabel des Alarmzeichens durchtrennt – oder erwarten wir von ihm, dass er sich für die Ursache des Problems interessiert? Und wie ist es, wenn wir zum Arzt gehen?
Eine der großen Errungenschaften unserer Gesellschaft ist es, dass jedem von uns eine weitgehend kostenlose ärztliche Versorgung zusteht, die von der Gemeinschaft finanziert wird. Wir lassen uns von oben bis unten durchchecken, um Funktionsfehler zu finden, aber die Ursachen interessieren weder die Medizin noch uns besonders.
Wenn es darum geht, sich mit dem zu beschäftigen, was hinter der Karosserie steckt, knausern wir gerne herum. Vielleicht investieren wir in ausgewogene Ernährung und achten auf unsere Linie, vielleicht treiben wir mehr oder weniger regelmäßig Sport und gehen an die frische Luft – aber wenn es irgendwo ziept oder drückt, ziehen wir gerne mit allen möglichen Betäubungsmitteln, die uns reichlich zur Verfügung stehen, einfach das Kabel raus.
Doch je mehr wir zu Trostpflastern greifen und je unaufmerksamer wir dem gegenüber sind, was wirklich hinter unserem Unwohlsein oder unserer Krankheit steckt, desto mehr Probleme werden wir mit unserem Körper bekommen.
Zwar ist unsere Lebenserwartung dank der verbesserten Hygienebedingungen, des Fortschritts von Technik und Medizin und des Anstiegs des allgemeinen Wohlstands in den Industriestaaten insgesamt gestiegen, doch das macht uns nicht gesünder: Wir sterilisieren, desinfizieren und impfen uns schließlich krank, werden träge und übergewichtig und unsere Zivilisation bringt immer neue Krankheiten hervor, die die Medizin zwar behandeln, aber nicht heilen kann: Diabetes, Alzheimer, Multiple Sklerose, Parkinson, Aids, Krebs...
Dazu kommt, dass durch die medizinische Behandlung selber Krankheiten entstehen. Wir sterben heute oft nicht mehr an der Krankheit selber, sondern an den zahlreichen Nebenwirkungen der Medikamente, die wir in großen Mengen zu uns nehmen oder an den Infektionen, die wir uns in den Krankenhäusern zuziehen.
Doch bis es soweit ist, haben diejenigen, die uns diese Behandlungen verabreichen, ein Vermögen an uns verdient. Je aggressiver die Behandlung, desto größer der Gewinn, je größer die Abhängigkeit, desto geringer die Chance, dass sich unser Organismus von alleine wieder reguliert.
Unser Umgang mit unseren kranken Körpern zeugt von der Distanz, die wir zwischen unserem Gefährt und dem Chauffeur dieses Gefährts haben entstehen lassen. Das moderne Gesundheitswesen hat uns vergessen lassen, wer eigentlich am Steuer sitzt und was der Körper von ganz alleine vermag.
Krankheiten fallen nicht zufällig vom Himmel auf uns herab, sondern entwickeln sich nach präzisen bio-logischen Gesetzen in unserem Körper. Wenn irgendwo in uns etwas wächst, schmerzt oder aus dem Rhythmus kommt, dann hat das einen Sinn. Irgendetwas stimmt nicht mit uns, etwas klemmt, ist blockiert, läuft nicht mehr rund, ist nicht mehr im Gleichgewicht.
Um uns das mitzuteilen, schickt uns unser Organismus ein Symptom. Jeder kommuniziert schließlich so, wie er kann. Wie sollte unser Körper es uns auch sonst sagen? Niere an Stimmbänder: Wir haben hier ein Problem mit dem Territorium. Der Boss hat gerade seinen Job verloren und kommt mit dem Platzverweis nicht klar. Da Nieren aber nun keine Stimmbänder haben, erhöhen sie zum Beispiel die Urinproduktion, um das Territorium zu markieren – so wie wir es immer schon machen, um auszudrücken: Hier ist mein Revier. Komm mir nicht zu nahe.
Wenn wir unter einem Verlust leiden, aber so tun, als hätten wir kein Problem damit, mit unserem Job auch den Boden unter den Füßen verloren zu haben (wir sind ja schließlich groß uns stark), mit niemandem über unsere Verletzung sprechen und weiter machen, als sei nichts, dann treten unsere Nieren in Aktion.
Sie fabrizieren zum Beispiel Nierensteine, Koliken oder Entzündungen, um uns zu zeigen, dass wir gut daran täten, über unser Problem zu sprechen und unsere verletzten Gefühle zu äußern, das heißt nach außen zu bringen.
Wenn wir das nicht tun, dann bleiben sie eben drinnen. Hier kümmern sich die Nieren auf ihre Weise um das Problem – so lange, bis wir uns endlich damit beschäftigen. Dann brauchen wir die Nierensteine, Koliken oder Entzündungen irgendwann nicht mehr. Sie haben ihren Job erfüllt und können verschwinden.
Unser Körper, den wir so kritisch beäugen und in Form zwingen, ist ein Wunderwerk der Natur. Trotz aller Fortschritte ist die von uns erfundene und entwickelte Technik nicht ansatzweise dazu in der Lage, das zu schaffen, was die Natur kann. Alles, was sie hervorbringt, ist darauf ausgerichtet, so lange wie möglich zu funktionieren.
Damit der Gesamtorganismus intakt und im Gleichgewicht bleibt, ist in jede Zelle eine Art Verfallsdatum einprogrammiert. So erneuert sich unser Körper komplett alle sieben Jahre. Durch das regelmäßige Absterben der alten, verbrauchten Zellen kommt immer wieder frischer Nachschub. Damit Neues kommen kann, muss das Alte Platz machen.
Ohne diesen Kreislauf ist kein Leben möglich. Was auch immer in unserem Organismus passiert: Alles, was geschieht, ist auf das Wohl des Ganzen ausgerichtet. Dem können wir bedingungslos vertrauen.
Unser Körper will uns nichts Böses. Er will uns nicht ärgern, wenn irgendetwas in ihm schmerzt oder nicht richtig funktioniert, sondern das Gesamte so lange wie möglich und zu den bestmöglichen Bedingungen am Leben erhalten.
Jede Störung ist darauf ausgerichtet, wieder Harmonie und Gleichgewicht herzustellen. Der Organismus regelt sich ohne jedes Eingreifen immer wieder selbst. Alles, was wir tun können ist, ihn dabei zu unterstützen.
Gewiss können Krankheiten unser Leben bedrohen und natürlich wird unser Körper irgendwann erschöpft sein und sterben – doch er ist niemals unser Feind. Das Schlimmste, was wir ihm antun können, ist, gegen ihn in den Krieg zu ziehen.
Befreien wir uns also von der Vorstellung, dass Materie, auch dann wenn wir sie Tumor nennen, böse sein kann.
Geben wir der Krankheit, in welcher Form auch immer sie auftritt, die Chance, uns ihre Botschaft zu überbringen. Wenn wir diese Botschaft annehmen, dem Problem Aufmerksamkeit schenken und dem zuhören, was unser Körper uns mit dem Symptom sagen will, dann sehen wir, dass das, was wir auf den ersten Blick für ein Ungeheuer gehalten haben, in Wirklichkeit gar keines ist.
Machen wir so unseren Körper vom Gefährt zum Gefährten und vertrauen wir ihm, dass alles, was sich in ihm abspielt, letztendlich nicht gegen uns ist, sondern für uns.