Zur konzeptionellen Grundlage des Kongresses
Bereits in der Tagungskonzeption des 26. Friedensratschlags wird der besondere Schwerpunkt — Umwelt und Frieden — und auch die Bedeutung von erhöhten Rüstungsausgaben für die notwendige und überfällige sozialökologische Neuordnung bereits thematisiert. So heißt es im Tagungsprogramm:
„Für eine sozial-ökologische Wende müssen gewaltige Ressourcen umverteilt werden. Dieses ist nur möglich, wenn der nach der Kündigung des INF-Vertrags zu befürchtende neue atomare Rüstungswettlauf verhindert wird und die im Bundeshaushalt vorgesehenen Rüstungsprojekte sowie die EU-Militarisierung gestoppt werden.“
Jede zusätzliche in Waffenproduktion und Rüstungsbeschaffung investierte Milliarde fehlt bei der Finanzierung von Klimaschutz, Sozialleistungen und Bildung. Vor diesem Hintergrund müssen die Forderungen der NATO und der USA nach der massiven Erhöhung der Militärausgaben — auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts — bewertet werden, die von der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer offensiv unterstützt werden.
Inhaltliche Schwerpunkte
Es finden sich verschiedene inhaltliche Tagungsschwerpunkte. Der Fokus „Umwelt, Militär und Krieg“ beinhaltet folgende Veranstaltungen:
- Vortrag im Plenum: „Sozialökologische Transformation: Frieden und Nachhaltigkeit gehören zusammen“ von Prof. Dr. Jürgen Scheffran (Uni Hamburg) sowie der dazugehörige nachfolgende Workshop, in dem Jürgen Scheffrans Vortrag mit ihm diskutiert wird,
- Workshop mit den Friedensaktivisten und Publizisten Rainer Braun und Karl-Heinz Peil zum Thema „Wie bringen wir Frieden und Umwelt zusammen?“,
- Ingar Solty (Rosa-Luxemburg-Stiftung) bietet einen Workshop an zum Thema „Klimapolitischer Interventionismus oder marktgetriebene Barbarei“ an,
- Diskussionsbeiträge von Paul Harder (Fridays for Future) und Alex Lurz (Greenpeace) in der abschließenden Podiumsdiskussion.
Der Themenschwerpunkt, der sich mit den soziökonomischen und finanzpolitischen Grundlagen gegenwärtiger internationaler Krisensituationen befasst, ist durch folgende Veranstaltungen gekennzeichnet:
- Prof. Dr. Christoph Scherrer (Uni Kassel): „USA: Handelskriege und neue Kriegsvorbereitungen“ — Plenumsvortrag und nachfolgender Workshop mit der Diskussion des Vortrags mit Christoph Scherrer,
- Karin Leukefeld: „Syrien — der andere Krieg. Wirtschaftssanktionen als Mittel der Außenpolitik“ (Workshop),
- Dr. Boniface Mabanza (Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA): Workshop „Afrika und (Neo-) Kolonialismus“,
- Jörg Kronauer (Journalist): „Sanktionen als Mittel imperialistischer Politik“.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf aktuellen Analysen zur Thematik der Rüstungspolitik und Atomwaffenverbote:
- Prof. Dr. Norman Paech (Universität Hamburg): Plenumsvortrag „Das Atomwaffenverbot der UNO durchsetzen“,
- Prof. Dr. Karin Kulow: Workshop „Der Kampf für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten“,
- Arailym Kubayeva und Daniel Oehler (Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen ICAN): „Das Atomwaffenverbot der UNO durchsetzen“,
- Wolfgang Räschke (IG Metall Salzgitter): „Rüstungskonversion — zum Stand der Dinge“,
- Susanne Weipert (Koordinatorin „Aktion Aufschrei“, Pax Christi): „Der Kampf gegen Rüstungsexporte“.
Zwei Veranstaltungen befassen sich kritisch mit der Sicht der AfD auf das deutsche Militär beziehungsweise mit rechten Aktivitäten unter anderem in der Bundeswehr:
- Cornelia Kerth (VVN-BdA) (1): „Die AfD in der Tradition des deutschen Militarismus“,
- Ulli Sander (VVN-BdA): „Rechte Netzwerke in Bundeswehr, Polizei, Justiz und VS“.
Zwei weitere Veranstaltungen befassen sich mit den gesellschaftlichen Ursachen von Flucht und Migration:
- Prof. Dr. Werner Ruf (Universität Kassel): „Flucht und Vertreibung: Die Ursachen liegen hier“,
- Britta Rabe (Komitee für Grundrechte und Demokratie): „Abschiebungen verhindern — Bleiberecht durchsetzen“.
Des Weiteren gibt es eine Reihe interessanter Einzelveranstaltungen wie zum Beispiel den Plenumsvortrag der ehemaligen Bischöfin Dr. Margot Käßmann zum Thema „Frieden entwickeln — Krieg verhindern“. Käßmanns Zitat „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist noch gut im Bewusstsein. Weitere Einzelveranstaltungen finden statt zu anderen sicherheitspolitischen Themen in verschiedenen Weltregionen wie etwa in Mali, der Sahel-Zone, Russland oder um die Ostsee, zum Zivildienst beziehungsweise dem Versuch einer Reaktivierung der Wehrpflicht, zu Frauen in der Friedensbewegung und zur Einführung von Zivilklauseln.
Auch die Podiumsdiskussion unter der Leitung von Dr. Frauke Banse (Uni Kassel) zum Thema „Kritik an der israelischen Regierungspolitik und die Antisemitismus-Debatte“, zusammen mit der Israelin und Sängerin Nirit Sommerfeld sowie Vertretern des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft AG Kassel, wird sicherlich eine große Aufmerksamkeit erfahren. Mit Beiträgen von Andrea Kocsis (Vorstand ver.di), Nika Koops (AK Frieden ver.di Hamburg) und Michael Erhardt (IG Metall) sind zudem einige Gewerkschaftsvertreter an der Tagung beteiligt. Die abschließende, vom Mitorganisator Willi van Ooyen (Bundesausschuss Friedensratschlag) geleitete Podiumsdiskussion greift noch einmal die gesellschaftliche Durchsetzung von Abrüstung auf und führt hierbei ein breites Spektrum von Mitdiskutanten im Gespräch zusammen.
Das gesamte Tagungsprogramm kann hier leider nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden; das aktuelle Programm ist daher einsehbar unterwww.friedensratschlag.de.
Friedenspolitische Einordnung des Kongresses
Der 26. Friedensratschlag stellt den Versuch dar, verschiedene soziale Bewegungen — unter anderem politische Friedensbewegung, Klimaprotest, Flüchtlingshilfe, Gewerkschaften sowie die kirchliche Friedensbewegung — zusammen zu bringen und unter anderem mit Hilfe universitärer Vertreter an den gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagen krisenhafter Entwicklungen zu arbeiten und Lösungsvorschläge zu diskutieren. Sehr viele Hoffnungen liegen auf den gegenwärtigen Jugendprotesten gegen die Klimazerstörung:
„Insbesondere das Engagement der jungen Menschen lässt hier hoffen, dass es zu wirksamen und längerfristigen Gegenbewegungen kommen wird und sich eine Generation aus der verdummenden medialen Umarmung durch den militärisch-ökonomischen Komplex, aus der Priorität einseitiger Karriereinteressen und aus der entpolitisierenden und klimaschädlichen Konsumorientierung lösen wird“ (2).
Zu viel wurde in den bisherigen militärischen Konflikten weltweit zerstört. Das erfahrene Leid wirkt noch über Generationen nach und kann immer wieder in Form von ausgeübter Gewalt hervorbrechen.
Hierbei ist im Sinne eines positiven Friedens (Johan Galtung) erst ein akzeptabler Zustand erreicht, wenn eine Gesellschaft ihre inneren Spannungen produktiv ausgetragen hat, strukturelle und kulturelle Gewalt weitgehend überwunden ist und Feindbilder erfolgreich bearbeitet wurden. Ansonsten würde sich selbst nach der Beendigung direkter Gewalt eine immer noch problematische Situation darstellen:
„Nach dem Waffenstillstand könnte die Situation schlimmer sein, als vor dem Ausbruch der Gewalt. Die direkte Gewalt mag, zumindest auf lange Sicht, das kleinere Übel sein als der strukturelle und kulturelle Schaden. Man könnte das mit der Art und Weise vergleichen, wie in manchen Gesellschaften die Hospitalisierung gesehen wird, nämlich einer Marktsituation nicht unähnlich: Der Patient bringt eine Krankheit ein und wird dafür mit zwei oder drei iatrogenen (3) Krankheiten bedient: einem chirurgischen Fehler, einer Infektion und ‚Hospitalitis‘, wenn auch nur in der Form dauernder Rückenschmerzen“ (4).
Daher legt die hier angekündigte Tagung auch Wert auf die Entwicklung von Frieden, auf die Analyse und Verarbeitung von Feindbildern und die Entmilitarisierung der Sicherheit.
Quellen und Anmerkungen:
(1) VVN-BdA e.V., Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
(2) Moegling, Klaus (2019): Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2019.
(3) iatrogen = durch ärztliche Einwirkungen entstanden
(4) Galtung, Johan (2004): Gewalt, Krieg und deren Nachwirkungen. In: https://them.polylog.org/5/fgj-de.htm#s4.4, 15.11.2019 (Kapitel ‚Ein alternatives Bild von Gewalt‘)