Unbeteiligt schienen allein diejenigen zu sein, um die sich die ganze Aufregung gedreht hat: die Bäume. Scheinbar gleichgültig ließen sie ihre Äste vom Wind wiegen, als sich 50.000 Menschen zu ihren Füßen versammelten, um ihren Sieg zu feiern. Demonstrationsverbot aufgehoben, gerichtlich verordneter Rodungsstopp zumindest bis 2020 – und auf den Feldern sowie im Wald herrschte eine Stimmung, die man ansonsten eher auf einem Musikfestival erwartet. Auch die Besucherzahl ließ einen eher nach den Rolling Stones, Rammstein oder den Red Hot Chili Peppers Ausschau halten. Musik gab es schließlich auch: Nicht nur Revolverheld traten an jenem ersten Oktobersamstag am Wald auf, am nächsten Tag beim Waldspaziergang stimmte Bodo Wartke sein frisch geschriebenes Lied über den Hambacher Wald auf seinem Flügel an.
All diese Menschen einte die Freude über den vorläufig errungenen Sieg. Doch wer hat hier eigentlich über wen gesiegt? Der demokratische Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung über eine selbstherrliche Regierung? Das Recht über einen sich die Alleinherrschaft anmaßenden Großkonzern? Das darf doch ernstlich bezweifelt werden. Schon in der Vergangenheit haben sich die Gerichte in der Angelegenheit um den Hambacher Wald nicht mit Ruhm bekleckert. Auch Richter lassen sich nur allzu gerne von der Macht der Großkonzerne einschüchtern.
Nein, der eigentliche Sieg wurde von einer aufgebrachten Zivilgesellschaft errungen, die sich unerbittlich gegen den Willen einer abgehobenen Obrigkeit gestellt und damit deutlich gemacht hat: Ihr handelt nicht in unserem Interesse!
Das enorme Mobilisierungspotenzial, durch welches tausende von Menschen über Wochen hinweg zum Wald geströmt sind, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, hat schließlich einen Großkonzern in die Knie gezwungen. Selbst den Gerichten wurde ein Urteil im Namen des Volkes abgerungen. Denn klar ist: Ohne diese massive öffentliche Aufmerksamkeit, welche das Thema seit Beginn der Räumungen erfahren hat, ohne die vielen tausend Menschen, die diesen Wald vor den Kettensägen der RWE verteidigt haben, hätte auch das Gericht den Konzern stillschweigend machen lassen.
Damit zeigt der Hambacher Wald, dass Protest von unten, dass ziviler Ungehorsam und eine klare Verweigerungshaltung wirken. Der Wald ist somit auch ein Symbol der Macht der Masse, der Stärke einer Gemeinschaft, die vereint und solidarisch zusammensteht.
Die Bewohner des Waldes waren dabei nur die offensichtlichen Galionsfiguren des Protestes, doch auch die prächtigste Galionsfigur ist bedeutungslos ohne das dazugehörige Schiff. Dieses Schiff bestand aus jedem Einzelnen, der in den vergangenen sechs Jahren die Bewohner unterstützt hat. Sei es durch den Aufbau logistischer Strukturen, durch Spenden, Beiträge in den Medien oder auch durch die reine Präsenz bei Demonstrationen, die ein unglaublicher moralischer Beistand ist. Jeder von uns war ein winziges Atom in einem Protest, der schließlich Wirkung gezeigt hat.
Der Hambacher Forst sollte uns dazu ermutigen, nicht länger vereinzelt in unseren Kammern zu sitzen und das Handeln von Großkonzernen und Politikern stillschweigend über uns ergehen zu lassen. Was im Hambacher Forst möglich ist, kann auch bei Ramstein möglich sein, kann auch auf dem Jobcenter möglich sein. 50.000 Menschen, die einen Wald erfolgreich verteidigen, zeigen: Nichts ist in Stein gemeißelt. Nicht Hartz IV, nicht die zahlreichen Kriege dieser Welt, nicht die Umweltzerstörung, ja nicht einmal die schlimmsten Folgen des Klimawandels. All das kann noch immer abgewendet werden, wenn ein erzürntes Volk nur genug Druck erzeugt.
Also fangen wir an: Seien wir alle winzige Atome, die sich zusammenschließen, um eine Gesellschaft im Sinne der Mehrheit zu erschaffen, die sich umeinander kümmert, anstatt gegeneinander zu kämpfen, die sich für die Natur einsetzt, anstatt sie Profitinteressen zu opfern, und die Kriege und Waffen überflüssig macht.
Die 50.000 Menschen am Hambacher Forst können der Anfang für einen bedeutenden Wandel gewesen sein. Lassen wir die Energie, die hier entstanden ist, nicht wirkungslos verpuffen. Auch der Wald ist noch nicht endgültig gerettet, doch gemeinsam kann es uns gelingen, den Etappensieg in einen endgültigen zu verwandeln. Gemeinsam sind wir stark!
Zum Schluss bleibt noch die Frage: Sind die Bäume wirklich so gleichgültig, wie sie scheinen? Haben sie überhaupt bemerkt, welche Aufregung sie verursacht haben? Die Antwort darauf werden sie wohl auf ewig für sich behalten. Doch ich zumindest glaube nicht, dass die Energien und der unbändige Zuspruch zu einer Welt, die das Leben wertschätzt, spurlos an ihnen vorübergegangen sind.
Felix F., Jahrgang 1992, ist ein kritischer und bisweilen belustigter Beobachter des alltäglichen Wahnsinns der medialen Hysterie. Hauptberuflich ist er besorgt um den Zustand der Demokratie und des Planeten im Allgemeinen, als Hobby studiert er Jura. Gerne würde er sich aus jeder öffentlichen Debatte heraushalten und die Menschheit sich selbst überlassen, kann aber dem natürlichen Drang, seine Meinungen und Ansichten in Worte zu kleiden, nicht widerstehen