Während die allermeisten Normalbürger bis zum Erbrechen genervt sind von Straßenblockaden und Klebeaktionen, die zeitweilig sogar den Verkehr von Rettungswagen behinderten, wähnen sich Organisationen wie „Die letzte Generation“ in absoluter moralischer Überlegenheit. Und das, obwohl die Form, die sie für ihren Protest gewählt haben, wohl die letzte ist, mit der man politische Entscheidungsträger zu einem Umdenken bewegt. Sie ist weder zielführend noch gesellschaftlich akzeptabel.
Ihren Ursprung hat diese Klima-Klebebewegung in einer politischen Desorientierung, bei der die Betroffenen offensichtlich nicht mehr in der Lage sind zu beurteilen, wer die Adressaten ihres Protests sein sollten. Mehr noch: Die Beteiligten gehen mit einem unangebracht selbstgerechten Habitus ans Werk, als würden sie der Gesellschaft durch ihre Aktionen einen unabkömmlichen Dienst erweisen, für den sie kollektiv als Helden gefeiert gehörten. Mit ernsthaftem politischem Diskurs hat das nichts zu tun.
Mit welcher Selbstverständlichkeit die neue Garde von Klimaaktivisten erwartet, man müsse ihr für ihr gesellschaftliches Engagement — oder besser: ihre Behinderung des gesellschaftlichen Lebens — den roten Teppich ausrollen, ist absurd.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist durchaus legitim, gegen die eigene Regierung mit Verweigerung und Blockade vorzugehen. In einem Staat, der nicht mehr einwandfrei demokratisch funktioniert, kann es sogar notwendig sein. Sind die regulären Wege demokratischer Teilhabe verstellt, ist ziviler Ungehorsam oft das richtige Mittel. Was man nicht erwarten darf, ist, dass diejenigen, gegen die man protestiert und aufbegehrt, von denen man sich emanzipiert, einen dafür feiern. Allein das Bedürfnis danach und die Entrüstung beim Ausbleiben desselben zeigen deutlich, wie merkwürdig verschoben das Verhältnis jener Aktivisten zur Autorität ist.
Protest mit Befindlichkeiten
In der Autostadt in Wolfsburg beispielsweise klebten sich Ende Oktober 2022 neun Mitglieder der Gruppe „Scientist Rebellion“ in einem Ausstellungsraum von Volkswagen (VW) fest. Im Nachhinein beklagten sie sich, der Autokonzern hätte sie schlecht behandelt und es versäumt, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. So hätte VW ihnen beispielsweise weder Topf, noch Sichtschutz zum Urinieren zur Verfügung gestellt und die Heizung heruntergeregelt. Zwar suchte ein Pressesprecher das Gespräch mit den Protestierenden. Doch im Wesentlichen ließ VW diese einfach kleben und schloss den Ausstellungsraum für Besucher, sodass die Aktivisten ohne Publikum eineinhalb Tage vor den Autos fixiert blieben.
Laut Darstellung von VW seien Eimer und Sichtschutz nicht vorhanden gewesen. Den Beteiligten sei stattdessen angeboten worden, die Toiletten zu benutzen. Bis auf eine Person hätten alle dieses Angebot angenommen (1).
Einer der Klebenden war Gianluca Grimalda, Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Im Nachhinein beschuldigte er VW, zunächst keinen Arzt zu ihm gelassen zu haben, nachdem er Schwellungen an seiner festgeklebten Hand bemerkte. Ein Mediziner, der dann doch hereindurfte, konnte nicht ausschließen, dass in seiner Hand Blutgerinnsel entstehen. Grimalda twitterte darauf, weil er sein Leben nicht riskieren wolle, lasse er sich vom Boden entfernen und gehe ins Krankenhaus (2).
Ziel des Ganzen sei es gewesen, auf klimapolitische Forderungen aufmerksam zu machen, etwa die „Entkarbonisierung“ des Verkehrssektors, die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets oder ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Lassen wir einmal die Frage, ob und inwieweit diese Forderungen politisch erstrebenswert sind, außen vor. Sie sind zunächst einmal legitim und diskurswürdig.
Aber welchen Sinn hat es, sich zur Durchsetzung dieser Ziele ausgerechnet in einem Ausstellungsraum von Volkswagen festzukleben? Zunächst einmal sind es ja nicht die Autokonzerne, die über Tempolimit und 9-Euro-Ticket entscheiden. Müssten Protestgruppen wie „Scientist Rebellion“ oder „Die letzte Generation“ sich damit nicht eher an die Bundesregierung wenden?
Doch zu den derzeit Regierenden zeichnet die Aktivisten ein gespaltenes Verhältnis aus. Zwar protestierte beispielsweise „Die letzte Generation“ Anfang November in Berlin, indem sie die Parteizentralen der Ampelparteien mit Farbe beschmierte, dennoch wird die Organisation von den Grünen weiterhin öffentlich verteidigt, beispielsweise gegen den Vorwurf, zur „Klima-RAF“ zu werden.
Mit einer wirklich einschneidenden Blockade verlören sie hier also womöglich einen ihrer wichtigsten politischen Fürsprecher (3).
Kleben fürs Klima ist infantil
Aus irgendeinem Grund scheinen die beteiligten Aktivisten von denen, die sie anprangern und blockieren, nicht nur Anerkennung, sondern auch Unterstützung und Fürsorge zu erwarten und sind geradezu schockiert, wenn diese liebevolle Bemutterung ausbleibt. Die Idee, mit der mutwilligen Schädigung seiner selbst andere dazu zu bringen, zu tun, was man will, weil diese sich dann um einen sorgen, setzt zunächst einmal voraus, dass man es überhaupt mit Personen zu tun hat, denen das eigene Wohlbefinden am Herzen liegt.
Dem Unternehmen Volkswagen ist doch völlig egal, ob irgendjemand seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, um zwei Nächte festgeklebt in Ausstellungsräumen zu kampieren. Genauso wenig ist es seine Aufgabe, für das Wohlbefinden der Betroffenen Sorge zu tragen oder die Gewährleistung ihrer Bedürfnisse zu garantieren. Auch Besucher der Autostadt werden sehr wahrscheinlich nicht aufs Fahrrad umschwenken, nur weil der Weg zu ihrem neuen Leasingmodel durch ein paar Angeleimte versperrt wird.
Die Annahme, die eigenen Wünsche auf diese Weise durchsetzen zu können, setzt ein geradezu naives Vertrauen in die Gutwilligkeit von Politikern, Konzernen und Autoritäten allgemein voraus. Zudem zeugt sie nicht gerade von einem gesunden Selbstverständnis als souveräner Staatsbürger. Im Gegenteil handelt es sich bei derartigen Aktionen vielmehr um eine verkappte politische Borderline-Struktur à la: „Wenn du nicht tust, was ich will, schädige ich mich selbst.“ Ein selbstbewusster politischer Bürger würde im Subtext vielmehr sagen:
„Ich bin Teil des Souveräns, der bestimmt, was in diesem Land geschieht. Ich habe ein Recht auf Repräsentation. Niemand kann mir dieses nehmen oder zugestehen. Ich nehme es mir. Ihr seid dazu verpflichtet, meine Anliegen zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Tut ihr das nicht, entziehe ich euch mein Vertrauen.“
Auch der Gedanke, unbeteiligte Mitbürger so lange zu drangsalieren, bis die Autorität aus Mitleid oder gar echter Sorge um diese tut, was von ihr gefordert wird, ist nicht besonders erwachsen, sondern lediglich eine andere Spielart der Erpressung. Diese trägt zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei, nicht zum vereinten Protest gegen die Regierung, und ist deshalb auch kein adäquates Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung. Es ist wie bei Geschwistern, die misshandelt werden, sich gegeneinander wenden und um die rare Anerkennung der Eltern konkurrieren, anstatt sich vereint gegen diese zu stellen.
Politische Desorientierung
Generell ist festzustellen, dass eine gewisse politische Umnachtung um sich zu greifen scheint, wenn es darum geht, den richtigen Adressaten für den eigenen Protest auszuwählen. Die Klimakleber demonstrieren im öffentlichen Raum mit dem Ziel, möglichst viel Aufsehen zu erregen, Menschen zum Nachdenken zu bringen, politische Themen in die breite Masse zu tragen. Doch dabei fehlt ihnen etwas ganz Essenzielles: Nämlich ein Gefühl dafür, wer die eigentlichen Verbündeten sind und wer die politischen Gegner.
Wen will ich überhaupt erreichen mit dem, was ich tue? Wer hat die Macht über die Zustände, die ich anprangere? Oft scheint jene Aktivistengeneration sich denjenigen, die für die Misere der Umweltzerstörung verantwortlich sind, eher anzudienen als gegen sie vorzugehen. Stattdessen wird der Protest einfach an irgendwen adressiert. Hauptsache Krach machen. Das führt zu solch grotesken Aktionen wie jener in der britischen Nationalgalerie, wo zwei Aktivistinnen die berühmten Sonnenblumen von Vincent van Gogh mit Tomatensuppe übergossen, um gegen „Öl“ zu protestieren (4).
Eine Frage der Hierarchie
Bei der Frage nach Umweltzerstörung handelt es sich um einen politischen Konflikt. Seit einigen Jahren jedoch erleben wir, wie insbesondere eine Gruppe junger Aktivisten diesen politischen Konflikt umdeutet in einen Generationenkonflikt. Dabei findet eine merkwürdige Verschiebung eigentlich angebrachter Wut statt und letztlich eine Entlastung der wahren Verantwortlichen.
Geht man als junger Mensch davon aus, dass pauschal alle Menschen über 40 die Zukunft der nächsten Generation auf dem Gewissen haben, findet man auch nichts Problematisches daran, diesen Menschen öffentlich Unannehmlichkeiten zu bereiten, etwa mit der Blockade einer Straße.
Es trifft sowieso irgendwie immer die Richtigen. Dies wiederum bereitet den Boden für eine sich ausbreitende Ablehnung von allem, was als alt oder traditionell angesehen wird, wie etwa individueller Personenverkehr oder gar die Kunst. Auf diese Weise entnimmt man dem Konflikt jedoch die Dimension der Hierarchie. Das eigentlich Selbstverständliche, dass für Zustände, die man anprangert, immer in erster Linie diejenigen verantwortlich sind, die die Macht haben, fällt so hinten runter. Schuld sind dann nicht mehr die Regierungen, die Atomkraftwerke bauen, sondern der Einzelne, der abends das Licht anmacht.
Auch der Gedanke, dass wenn die Autofahrer nur lange genug im Stau gestanden haben, oder die Kunstliebhaber nur lange genug um Van Gogh getrauert, sie sich in aufkeimender Empörung der Klimabewegung anschließen würden und so den öffentlichen Druck erhöhen, ist nicht nur weltfremd, sondern auch in hohem Maße unsolidarisch. In einer Demokratie sollte es nicht darum gehen, anderen Bürgern so lange Schaden zuzufügen, bis sie — aus Verzweiflung — die eigenen politischen Ansichten übernehmen. Man tritt ihnen, im besten Fall, mit überzeugenden Argumenten entgegen.
Wenn man sich jedoch nicht traut, seinen Unmut dort kundzutun, wo er hingehört, nämlich in den Vorzimmern der Regierungsgebäude und den Plenarsälen der Parlamente, weil man es sich dann mit denjenigen verscherzt, von denen man eigentlich wie von einem liebevollen Elternteil angenommen, gelobt und geliebt werden will, endet man im Zweifelsfall dabei, Kunstwerke von Künstlern zu zerstören, die seit über 130 Jahren tot sind — oder, wie im Fall der beiden Aktivistinnen, im Gefängnis.
Im Auge der Öffentlichkeit jedenfalls hat man sich lächerlich gemacht, genau wie die Aktivisten aus Wolfsburg, deren Befindlichkeiten sich letztlich als größer erwiesen als ihr Drang zur Revolution.
Anmerkungen und Quellen:
(1) https://www.merkur.de/deutschland/porsche-pavillion-scientist-rebellion-autostadt-wolfsburg-vw-protest-klimaschuetzer-91873834.html
(2) https://www.stern.de/wirtschaft/protestierende-wissenschaftler-bei-vw-klagen-auf-twitter---keine-eimer--um-zu-urinieren--32838300.html
(3) https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/11/letzte-generation-beschmiert-parteizentralen-spd-gruene-fdp.html
(4) https://www.youtube.com/watch?v=LTdquzu-BXg